Prolog

𝔚𝔦𝔡𝔪𝔲𝔫𝔤

Für alle unglücklich Verliebten dort draußen, die, wie ich, an die große Liebe glauben.

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A m a r a

Ein letztes Mal betrachtete ich mein zierliches Gesicht forschend im Spiegel, musterte eingehend meine großen, blauen Augen und die honigblonden Haare, welche in weichen Wellen über meine schmächtigen Schultern fielen.

Das Makeup in meinem Gesicht war dezent, aber dennoch spezieller als sonst. Die einzige Tatsache, die diesen Look überhaupt spezieller machte, war, dass ich einen hellen, rosafarbenen Lippenstift trug, der einen deutlichen Kontrast zu dem schwarzen Kleid abgab, welches ich soeben trug. Meine sonst so hellen Wimpern waren dank meiner Mascara in einem tiefschwarzen Ton perfekt geschwungen und meine Wangen schimmerten durch das Rouge etwas rosa.

Heute war ein wichtiger Tag. Ein schöner Tag. Unser Jahrestag. Heute vor zwei Jahren bin ich mit Nathaniel Blanco zusammengekommen. Zwei Jahre Beziehung und ich war in meinem 22-jährigen Leben noch nie glücklicher gewesen.

Er war ein wundervoller Mann mit tollem Charakter. Ein Mann, der wusste, was er wollte. Und er wollte mich vor zwei Jahren, als ich noch Studentin und grün hinter den Ohren war.

Nathaniel war ein sehr romantischer Typ und unfassbar sexy in Anzügen, die er durch seine Arbeit als Unternehmer so gut wie immer trug.

Er war der Mann, den ich liebte. Der Mann, dem ich alles geben wollte. Und es fing alles an, mit einem einfachen »Ja«, als er mich gefragt hatte, ob ich seine Frau werden wollte. Er war mein Leben, meine Liebe und Zuneigung, mein Vertrauen.

Ein letztes Mal sah ich mich prüfend in dem silbernen Wandspiegel in meinem geräumigen Schlafzimmer an, lächelte leicht und checkte, ob meine Zähne frei von dem rosafarbenen Lippenstift waren.

Im Anschluss machte ich mich auf den Weg zu meinem Freund - meinem frisch Verlobten. Auch wenn wir noch nicht lang verlobt waren - gerade einmal zwei Monate - geschweige denn zusammenwohnten, hatten wir dieses Thema bereits angeschnitten und lange konnte es nicht mehr dauern, bis wir zusammenzogen. Vielleicht würden wir heute über diesen nächsten Schritt „Zusammenziehen" sprechen? Ich wusste es nicht, aber diese Nacht war noch jung und es konnte so einiges passieren.

Es war verrückt, wie sehr ich ihn liebte und noch verrückter war unsere Geschichte.

Die Geschichte einer unscheinbaren Studentin und eines Mannes, der völlig orientierungslos in die Arme der Studentin gefallen war und sie zusammenhangslos nach einem Date gefragt hatte. Mitten auf einem Parkplatz eines Diners, einfach so.

Die Geschichte eines wilden Flirts, der in einem wilden Kuss zweier Fremder geendet hatte. Eine Geschichte, die eigentlich nicht zu mir passte. Und aus zwei sich küssenden Menschen wurde ein Paar.

Aus Amara Anderson wurde eine Frau, die nun wusste, was es bedeutete, mit ganzem Herzen zu lieben. Was es bedeutete, einem Menschen zu vertrauen, Spaß zu haben und das Leben wirklich zu leben.

Der Weg zu ihm war nicht weit, ich lief zu Fuß durch den warmen Sommerabend und genoss die Stille um mich herum.

Die Stadt war mittelgroß, aber wie ein Labyrinth, in dem ich seit über vier Jahren lebte. Ich vernahm das rhythmische Klappern meiner dunklen Pumps und das Rasen vieler Autos einige Straßen weiter. Die Laternen, welche in regelmäßigen Abständen aufgestellt waren, spendeten angenehmes Licht und ließen diesen Weg nicht mehr so düster erscheinen, mit all den Hochhäusern um mich herum.

Hier gab es so ziemlich alles, was es in einer Großstadt auch gab. Nur in winzigen Versionen.

Von Supermärkten bis Restaurants und super süßen Diners war fast alles gegeben. Sogar kleine Boutiquen konnte diese Stadt bieten.

Ein warmes Kribbeln machte sich in meiner Magengegend breit, als ich sein eigenes Haus erreichte.

Die großen, stahlgrauen Außenwände, welche unfassbar moderne und große Fenster besaßen, strahlten mir förmlich entgegen. Die edle Tür und das Fenster links daneben - Nathaniel hatte definitiv Geschmack. Ein modernes Toskana Haus, zwischen all den riesigen Hochhäusern. Dass er Geld hatte, zeigte er damit definitiv.

Als ich das kleine metallene Gartentor mit den verzierten Rosen öffnete und den Weg um das Haus herum zu nehmen, wurde der geflieste Weg bereits von kleinen LED-Kugeln im Boden beleuchtet. Ob Nate geahnt hatte, dass ich ihn überraschen würde? Weshalb sonst sollte hier alles beleuchtet sein?

Sein Schlafzimmer war erhellt, was mich neugierig nähertreten ließ. Vorsichtig ging ich auf Zehenspitzen zu der geöffneten Glastür, die in den Garten führte und biss mir auf die Unterlippe, um nicht breit zu grinsen.

Ob er eine Überraschung plante und ich zu früh erschien? Was hatte er wohl vor?

Etwa eine gemeinsame Nacht, in der wir uns in den Armen des anderen verloren und bis Mittag schliefen? Einen Spiele- oder Fernsehabend?

Meine Neugierde siegte und was ich stattdessen erblickte, hätte ich niemals gedacht. Es schockte mich und ließ mich erstarren. Nicht von ihm, nicht von Nathaniel. Nicht von meinem... Verlobten. Er war meine Konstante im Leben. Nathaniel war mein Leben, mein Sinn und alles was ich je wollte, bis zu jenem Abend.

Als ich vor der geöffneten Tür anhielt und die erste Stufe bereits hinaufgestiegen war, wusste ich plötzlich nicht mehr wo oben und unten war.

Ich sah ihn ganz deutlich und irgendwie auch nicht. Es fühlte sich so an, als hätte die Welt aufgehört, sich zu drehen. Meine Lunge setzte aus - vergaß somit ihre wichtigste Aufgabe. Ich vergaß tatsächlich zu atmen.

Meine blauen Augen wurden groß, als wäre ein Alien vor mir aufgetaucht und würde mich nach dem Weg fragen. Einen Weg, der mir nicht bekannt war und ich die Antwort somit nicht wusste.

Mein Herz klopfte so wild in meinem, eigentlich so robusten Brustkorb, dass ich Angst hatte, es würde einfach so herausspringen und vor mir in tausenden von winzigen Scherben zerbersten. Das hier war nichts, im Vergleich zu dem Herzklopfen, wenn man Präsentationen vor anderen hielt oder sich vor Menschen, die einem wichtig waren, blamierte. Dieses Herzklopfen war um ein Vielfaches schlimmer. Tödlich.

Seine muskulösen Arme um ihren nackten, femininen Körper geschlungen, mitten in dem Schlafzimmer, in dem ich meine Jungfräulichkeit an ihn verloren hatte.

Seine schwarzen, kurzgeschnittenen Haare waren durcheinander, weil sie mit ihren schlanken Fingern immer wieder gierig an seinen Strähnen zog. Aber das Grinsen auf seinem markanten Gesicht setzte meinem Schock, und der abrupt einsetzenden Wut, noch eines darauf. Es machte mich rasend vor Wut, als er sie auf sich und somit auf seinen nackten Körper zog.

Sie lachte erregt als die beiden sich tief in die Augen blickten und im Stillen Worte miteinander wechselten, die ich nicht deuten konnte. Die Frau mit dem lüsternen Grinsen nickte und dann schob Nathaniel sein verdammtes Glied stöhnend in ihre tiefste Mitte.

Damals hätte ich nicht gedacht, dass ich in diesem Zustand noch in dieses Haus gegangen wäre, doch genau das tat ich. Ohne Ankündigung, ohne einen lauten Schrei, ohne groß nachzudenken. Es war fast so, als hätte mein Körper über mich Besitz ergriffen. Die Reaktion passierte einfach.

Einzig meine Absätze kündigten mein scheinbar unerwünschtes Erscheinen an und genau das ließ die beiden auseinanderfahren.

Die Schlampe fiel fast vom Bett und dieses Arschloch von einem Verlobten starrte mich ehrfürchtig an, als ich mich gegen den Türrahmen lehnte, wobei ich allerdings wusste, dass ich keinen Ton herausbringen würde. Ich verschränkte gespielt lässig meine Arme vor der Brust und sah erst ihn und dann sie an.

Die hübsche Frau hüllte ihren nackten Körper in die Decke ein, deren Überzug ich vor zwei Wochen ausgesucht hatte. Den Bezug mit dem grauen Mosaikmuster hatte ich gewaschen und übergezogen. In dem Bett sollte eigentlich nur ich splitterfasernackt neben ihm liegen dürfen. Einzig und allein ich.

Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich geweint. Auf der Stelle. Ich wollte auf den Boden fallen und so oft blinzeln, bis ich diesen Anblick vergaß, aber das konnte ich nicht. Das hier war die bittere Realität und kein lächerlicher Alptraum. Zwei Jahre, die vor mir auf einem Scherbenhaufen lagen. Jahre, in denen ich ihm vollkommenes Vertrauen geschenkt hatte.

Doch ich hatte nicht geweint. Nicht in diesem Moment. Nicht vor den beiden. Nathaniel ging mir fremd. Mein Freund ging mir fremd. Es war schrecklich, das zu denken. Doch es war schlichtweg so. Er hatte mich betrogen.

Es war mir egal, ihn nackt zu sehen.
Es war mir egal, sie nackt zu sehen.
Aber es war mir definitiv nicht egal, dass beide gemeinsam nackt vor mir auf dem riesigen Boxspringbett saßen und mich anstarrten, als wären sie Kleinkinder, die von ihren Eltern bei etwas Verbotenem erwischt wurden.

Und das an unserem Jahrestag. Nach zwei Jahren Beziehung. Guter Beziehung! Er wollte mich heiraten! Mich ehrlich Lieben. Kinder haben. Mit mir zusammenziehen.

Und wofür? Um mich verdammt nochmal zu betrügen, so, wie es ihm gerade passte? Was dachte er sich nur?

Mein Herz klopfte erbarmungslos weiter gegen meinen Brustkorb und ich hatte erneut Angst, er würde unter diesen Schlägen nachgeben. Ich hatte Angst, denn ich wusste, dass das hier, in mir vergängliches Adrenalin war. Ich biss mir stärker auf die bebende Unterlippe und das Brennen in meinem Hals wurde zu einem Höllenfeuer.

Alles was ich wollte, war er. Das Adrenalin würde nachlassen und wenn ich dann zu Hause saß, allein und einsam, würde mich alles überrollen. So wie dieser Schmerz in mir, der mich innerlich zerriss. Ich war so wütend auf ihn. So enttäuscht.

Auf Nathaniel. Sie? Sie, die mich mit einem hämischen Lächeln ansah - sie hasste ich. Und er, der keinen Mucks hervorbrachte? Ihn hasste ich noch mehr.

Ich stand völlig regungslos da, keine Träne, kein Keuchen. Nur diese Stille zwischen uns dreien. Diese unsicheren Blicke.

Ich kannte diese Schlampe nicht und ich erkannte meinen Verlobten nicht. Meinen asozialen Verlobten.

Das Einzige, was mir in diesem Moment einfiel, war folgendes zu hauchen, denn zu mehr war ich nicht im Stande: »Ich denke, das brauche ich jetzt wohl nicht mehr.« Und genau das war der Punkt, an dem ich kraftlos meinen Verlobungsring vom Finger nahm, der dadurch völlig leer aussah und das silberne Ding mit dem zierlichen, roten Rubin in seine Richtung schmiss.

Er fing ihn nicht auf. Der Ring prallte von seiner nackten, sehr muskulösen Brust ab in seinen bedeckten Schritt.

Nathaniels schwarze Augen waren weit aufgerissen und er zog eine Boxershorts an, die sich perfekt an seine Hüften anschmiegte, bevor er auf mich zuging. Vorsichtig und zögernd, als würde er sich an ein scheues Tier anschleichen. Etwas, dass er sonst nicht tat. Er sah verzweifelt aus, peinlich berührt und ängstlich.

Ich lief rückwärts, unfähig, ihn anzuschreien. Unfähig, ihn zu schlagen. Einfach unfähig, das alles zu glauben. Doch ich hatte es selbst gesehen.

»Babe, das ist nicht so, wie es aussieht. Ich liebe dich!«, schrie er hysterisch, doch da hatte ich schon begonnen zu laufen. Zu schreien und zu weinen - wie eine Irre schrie ich, während meine Beine mich von ihm forttrugen. Ich hetzte den beleuchteten Weg entlang, öffnete das Tor vor mir und schüttelte, als ich eine kurze Pause einlegte, meinen Kopf. Meine Stimme versagte nach wenigen Sekunden. Und ich lief weiter. Soweit ich konnte, würde ich laufen.

Im Hintergrund rief sein Häschen empört: »Wie bitte?«

»Babe, bitte! Ich liebe sie nicht!«, kam es deutlich hinter mir. Schnell und auf schmerzhafte Art und Weise überquerte ich die breite Straße, um kurz danach eine andere Gasse entlangzueilen.

Der nun eiskalte Wind peitschte mir in mein nasses Gesicht. Ich fror am ganzen Körper, obwohl ich noch immer in Bewegung war. Ich hatte die Orientierung verloren, es war alles düster und die Laternen waren in dem Bereich der Stadt nicht mehr vorhanden. Hier kannte ich mich nicht aus.

Ich wusste nicht, wie lange ich schon lief, aber gerade als ich um die nächste Ecke eines mir fremden Hochhauses bog, knickte mein Fuß unter mir weg und ich spürte... Schmerz. Schmerz, der mich auffraß. Überall dieser schreckliche Schmerz. Aber nicht an meinem umgeknickten Knöchel.

Ich fiel hart auf den Asphalt und blieb so liegen, wie ich gefallen war. Ich wusste, dass ich mir die Haut an Händen und Knien mit diesem Absturz aufgeschürft hatte, das spürte ich gerade noch so.

Aber ich hatte keine Ahnung wie lange ich mitten auf der Straße lag. Jegliches Zeitgefühl fehlte mir, aber es war scheinbar lange genug, denn die Seite meines Gesichtes, welche auf dem rauen Untergrund lag, war völlig taub, ebenso meine Beine. Nur mein Herzschlag verriet mir, dass ich mich noch in einer Schockphase befand und tatsächlich lebte.

Das hier war noch nicht mein Ende.

Wie sollte ich Mom und Dad das erklären? Wie sollte ich Nathans Schwester das erklären - meiner besten Freundin? Den eingeladenen Gästen unserer Hochzeitsfeier?

Eine Welle der Panik rollte über mich hinweg und mit letzter Kraft konnte ich mich aufsetzen, konnte gierig die Luft einatmen, nur um mein überhitztes Gesicht in meinen eiskalten Handflächen zu vergraben und erneut in einem Zusammenbruch zu versinken.

Wenn mich meine Mutter so sehen würde, würde sie mit mir schimpfen. Sie wäre stinksauer.

»Ich sehe dir seit wirklich langer Zeit zu und du siehst kein Stück besser aus«, unterbrach mich eine raue Stimme in meiner Trauer und ich erstarrte, während heiße Tropfen über meinen verstopften Nasenrücken flossen. Am Ende wurde ich jetzt noch gegen meinen Willen sexuell belästigt, dass würde meine Situation noch mehr verschlimmern.
Unauffällig versuchte ich meinen Kopf zu heben, doch es war sinnlos. Ich hatte die Kraft, die ich dafür benötigte, einfach nicht mehr. Ich konnte nicht mehr autonom handeln, und das in solch einer prekären Situation. Ich hörte seine leisen, schweren Schritte, hörte ein schönes, aber einschüchterndes Lachen.

Verdammt. Er stand direkt vor mir und ich konnte ihn nicht ansehen, weil ich zu schwach war.

Konnte nicht wegrennen, weil meine Muskeln ausgelaugt waren. Mein Herzschlag verdoppelte seinen sonst so ruhigen Rhythmus und ich geriet seinetwegen in ernsthafte Atemnot. Sein Schatten warf alles ins Dunkle um mich herum.

»Ich bin Luon«, stellte sich der Fremde vor und ließ sich anscheinend direkt neben mir im Schneidersitz nieder. Ich erkannte seine dunkle Hose und seine eingeknickten Knie.
Lautlos legte er mir etwas über die bebenden Schultern und verweilte ruhig neben mir, bis ich beschloss, zu antworten.

»Amara«, hauchte ich leise und ich hatte ja keine Ahnung, worauf ich mich, mit dieser harmlosen Konversation mit einem Fremden, einließ.

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