Kapitel 7

A m a r a

Vielleicht wäre eine kaputte Jogginghose für das Treffen mit Nathaniel passend - denn genauso schäbig war sein Anstand mir gegenüber gewesen. Auf der anderen Seite jedoch wollte ich ihm deutlich zeigen, was er an mir künftig verpassen würde, also bereute ich es definitiv nicht, dass ich mich in Schale geworfen hatte.

Ein allerletztes Mal betrachtete ich mein geschminktes Gesicht, bevor ich den kleinen runden Handtaschenspiegel in meiner kleinen schwarzen Clutch verschwinden ließ.

Meine leicht feuchten Handflächen wischte ich an meinem mit Perlen bestickten, beigen Cocktailkleid ab, welches über meinen Knien endete und trägerlos war. Darauf kombinierte ich, wie immer, schwarze Pumps und konnte mittlerweile auch die Pflaster und Verbände abnehmen, da alles gut verheilte. Gerade atmete ich tief durch und versuchte, mich zu beruhigen, denn ohne Luon an meiner Seite fühlte ich mich seltsam. Es war allgemein seltsam, seine Sprüche nicht mit anzuhören.

Seufzend blickte ich zu dem Lokal und meine Unsicherheit machte sich allmählich bemerkbar. Wollte ich Nathaniel wirklich die Chance geben, sich zu ›erklären‹? Wollte ich ihm überhaupt zuhören? Gab es eine logische Erklärung für seinen Verrat?

Ergab das alles eigentlich Sinn?

Immerhin hatte ich selbst mit meinen eigenen Augen gesehen, dass er völlig bei sich war, als er mich betrogen hatte. Je mehr ich darüber nachdachte, desto absurder wurde meine derzeitige Situation. Wieso war ich hier, wenn ich jetzt auch allein sein konnte oder mit Eve reden hätte können?

»Du bist tatsächlich gekommen. Wow, Am. Damit hätte ich nicht gerechnet. Du siehst fantastisch aus«, ertönte eine dunkle, anerkennende Stimme von links und ich zuckte augenblicklich einen Moment zusammen, bevor ich mich räusperte und in schwarze Augen blickte, die mich sanft musterten.

Er war umwerfend. Wunderschön, besaß eigentlich einen tollen Charakter und konnte mir jeden Wunsch von den Lippen ablesen, aber er hatte einen gravierenden Fehler gemacht.

Jede Frau, die Nate diesen Fehler verzeihen würde, täte das aus Liebe. Doch auch, wenn ich ihm nicht verzieh, hieß das nicht, dass ich ihn nicht liebte. Aber meine Trauer und der Schock waren einfach größer, die Abneigung war viel zu stark, als dass ich ihn in den Arm nehmen könnte und sagen würde ›Ich liebe dich, gemeinsam schaffen wir das‹, denn so war ich nicht. Das konnte ich nicht. Was, wenn es nochmal passieren würde?

»Ja, ich kann es selbst noch nicht so ganz glauben, dass ich tatsächlich hier bin. Lass uns reingehen«, schlug ich neutral vor und lief, ohne auf eine Antwort zu warten, in das kleine Lokal. Die Fenster waren erhellt und durchfluteten den Parkplatz ein gutes Stück mit warmem Licht. Drinnen angekommen, wartete ich auf meine Begleitung.

Nathaniel führte mich an einen Tisch, der etwas weiter abseits von einer großen Tanzfläche stand. Ein sehr persönliches Gespräch könnte das werden - war ich für dieses Gespräch überhaupt gewappnet?

Ich wusste es nicht. Und erst recht nicht, wenn die aufmunternden Worte von Luon mir fehlten. Scheiße, er hätte einfach mitgehen sollen.

Am anderen Ende des riesigen Raumes spielte eine Live-Band aus vier Personen und einige Menschen tanzten ausgelassen in der Mitte. Erstaunlicherweise war Nate ziemlich leise, was das Essen anging.

Es war plötzlich unangenehm vor ihm zu essen, denn diese Stille war beklemmend und angsteinflößend. Erst als der Kellner unseren Nachtisch vor uns abstellte, räusperte sich Nate und faltete die Hände, stützte seine Ellenbogen am Tisch ab und musterte mich intensiv.

»Deine Mutter hat mich angerufen«, versuchte er möglichst zart zu beginnen, doch ich wusste bereits, wo das hinführen würde. Ich hätte wissen müssen, dass meine Mutter sich da noch einmischen würde, das hatte sie bis jetzt immer. Sie wollte sogar die Hochzeit planen.

»Und?«, hakte ich mit hochgezogenen Augenbrauen nach und lehnte mich in seine Richtung.

Nathaniels Blick huschte kurzzeitig zu meinem Dekolleté, bevor er mir wieder sicher in die Augen blickte und sich an der Wange kratzte. Meine Wangen färbten sich rot. War es Wut oder einfach nur der Drang, mich für ihn zu schämen, dass er mich dort so offensichtlich angesehen hatte?

»Ich habe ihr von dem Typen in deiner Wohnung erzählt und sie war absolut nicht begeistert, dass du dich gleich in die nächste Beziehung stürzt und ich ehrlich gesagt auch nicht, Amara. Sie möchte, dass du zu mir ziehst, aber ich konnte sie davon abbringen - vorerst. Dennoch hat sie mich gebeten, darauf zu achten, dass unser Mädchen an niemanden gefährlichen gerät. Deshalb-«, ich unterbrach Nate, indem ich nach seiner Hand griff und energisch den Kopf schüttelte. Meine plötzliche Berührung ließ ihn augenblicklich verstummen.

»Ich bin alt genug, um zu entscheiden, wer bei mir ein und aus gehen darf. Und es geht dich eigentlich gar nichts mehr an, mit wem ich etwas habe und mit wem nicht«, zischte ich aufgebracht und zügelte mich, indem ich mir auf die Unterlippe biss und meine Hand fortzog.

Was würde Luon in dieser Situation wohl sagen? Würde er lachen und einen Witz machen? Oder würde er spottend neben uns sitzen und mich grinsend betrachten, ohne groß Worte zu verlieren?

Nathaniel schnaubte leise und sah mich weiterhin intensiv an, während er nun beide Hände auf dem Tisch ablegte und die Stirn runzelte. Diese Augen waren vor zwei Jahren die Augen, die ich am letzten Tag meines Lebens sehen wollte.

»Ich liebe dich, Amara. Ich kann nicht zulassen, dass du mich einfach so ersetzt. Mich geht es sehr wohl etwas an, mit wem du was hast. Ich bin dein Verlobter, du und ich wollten heiraten, zusammenziehen und-«

Ich konnte kaum noch atmen. Als würde ich ertrinken. Grauenvoll ertrinken. Wie konnte er so etwas nur sagen?

»Und du hast mich verdammt nochmal betrogen. Du hast sie ohne schlechtes Gewissen gevögelt. Ich habe eure Blicke gesehen, euer Lachen gehört. Denkst du, ich bin dumm? Ich... Das hier war ein Fehler, ich hätte nicht kommen sollen«, flüsterte ich erstickt und erhob mich, doch da zog Nathaniel bereits an meinem Arm. Nicht sanft, aber auch nicht grob. Etwas dazwischen, was mir nicht gefiel.

»Ja, verdammt. Ja, scheiße! Es war ein Fehler, ein dummer Fehler, aber du liebst mich doch, Am, oder? Du bist hier. Du wolltest mir zu hören, das zeigt mir, dass du mit uns noch nicht abgeschlossen hast. Bitte setz' dich wieder hin«, die erste Träne fiel und ich schämte mich dafür.

Ich schämte mich, diesen Mann zu lieben. Er war wunderschön, wie er mich soeben ansah. Seine hübschen Augen musterten mich voller Liebe und Verzweiflung und ich wollte ihm vergeben, aber die Gedanken daran, dass er mit ihr geschlafen hatte, würden mich mit jedem Tag verfolgen, an dem wir zusammen waren. Die Tatsache, dass er eine andere Frau so intim berührt hatte, würde mich für immer verfolgen.

Der Fakt, dass diese Lippen andere geküsst hatten. Schluckend setzte ich mich wieder hin, da meine ruckartige Bewegung bereits ein paar fremde Blicke auf uns lenkte.

Ich fühlte mich so unwohl, so anders. Es fühlte sich so falsch an, hier mit ihm zu sitzen. Er war einfach nicht mehr der, den ich kennengelernt hatte. Mit der linken Fußspitze tippte ich immer wieder auf den Boden und sah mich in dem Speisesaal um, als würde ich etwas Bestimmtes benötigen.

Dieses Gespräch kostete viel mehr Kraft, als ich gedacht hätte.

»Ich habe Fehler gemacht und wenn du weiter was mit Luon hast, machst du ebenfalls einen«, sagte er ernst und anstelle der Trauer, keimte Wut in mir auf, während ich mir mit dem Handrücken über die Wangen fuhr und die Tränenspuren somit vernichtete.

Ich wollte ein normales Leben, keine Treffen mit einem Mann, der mich andauernd zum Weinen brachte. Ich wollte Spaß, Leidenschaft und ich wollte glücklich sein. So egoistisch es vielleicht klang - ich wollte, dass es mir gut ging, was mit ihm wurde, war mir egal.

Mir wurde in diesem Augenblick klar, dass der Mann mit den schwarzen Haaren, den dunklen Augen und dem sexy Blick nicht mehr der war, der mich glücklich machen konnte.

»Luon ist kein Fehler«, log ich ihn an und die Worte, des sonst so humorvollen braunhaarigen Lockenkopfes, schwirrten in meinem Kopf umher.

Die Augen meines Ex-Verlobten wurden größer und seine Schultern sackten augenblicklich zusammen. Er legte den Kopf leicht zur Seite und runzelte die Stirn, als wäre er von mir enttäuscht. Seine Nasenflügel bebten.

»Wie meinst du das?«, hauchte er mir atemlos entgegen und es brach mir das Herz, ihn so zerstört zu sehen. Natürlich war es unangenehm, sein Gesicht vor Augen zu haben. Immerhin hatte ich eine wundervolle Zeit mit Nathaniel, aber jetzt trieb er mich in den Ruin und mir blieb nichts anderes übrig, als auf diesen Deal einzugehen. Vorausgesetzt, er stand noch, nachdem Luon so sauer abgedampft war. Ich war wirklich verzweifelt. So verzweifelt, auf etwas einzugehen, das ich unter anderen Umständen nie tun würde.

»Wie ich es meinte. Luon ist kein Fehler, er macht mich glücklich, genauso wie Marissa dir den Kick geben konnte, gibt Luon mir diesen Kick, nur viel besser. Wir sind zusammen und er würde mich nie betrügen, im Gegensatz zu dir, Nathaniel Blanco«, schwindelte ich und jedes Wort fühlte sich so verdammt seltsam auf meinen Lippen an. Dass ich erneut Melissas Namen falsch nannte, war reine Provokation.

Nathaniel schüttelte stur den Kopf und seine Hand griff erneut nach mir, doch ich lehnte mich rechtzeitig zurück und verschränkte beide Arme vor der Brust, bevor er mich erreichen konnte. Die Perlen meines Kleides pressten sich in meine Unterarme. Seine Augen wirkten glasig und er schüttelte benommen den Kopf, als könnte er meinen Worten keinen Glauben schenken. Seine Augen blickten von meinen Augen zu meinen Lippen und wieder zurück. Das wiederholte er einige Male, bis ich nicht mehr sehen konnte und die Lider für einige Sekunden schloss.

»Das kannst du nicht ernst meinen«, flüsterte er glucksend.

Ich senkte erneut den Blick und bemühte mich, diese Lüge aufrechtzuerhalten. Nate tat mir nicht gut.

Der Deal mit Luon würde mir ein Leben zurückgeben, in dem ich vielleicht glücklich sein konnte. Ohne Nathaniel. Unabhängig.

»Doch. Deshalb bitte ich dich, lass' mich in Frieden. Das mit meiner Mutter kläre ich selbst. Das war's - endgültig«, waren meine letzten Worte, bevor ich mit weichen Knien aufstand und das Lokal mit schnellen, stolpernden Schritten verließ.

Vor der Tür stoppte ich kurz und presste die Lippen heftig aufeinander, danach trat ich in die kalte Nachtluft und saugte sie gierig in mich. Ließ sie in meinen trockenen Hals strömen, was ein Feuer darin entfachte.

Ich schluchzte und mein Herzschlag war mindestens doppelt so schnell, als gut für mich wäre. Meine Beine zitterten weiter und meine Absätze schliffen ein paar Mal über den rauen Asphalt. Die salzige Flüssigkeit auf meinen Lippen war der eindeutige Beweis, dass das echt war.

Es war verdammt nochmal echt, aber so war das Leben.

Das Leben spielte nicht immer nach unseren Regeln und ebenso wenig die Personen um uns herum.

Wir vertrauen Menschen und sie uns. Oder sie nutzen unser Vertrauen aus. Unsere Liebe, unseren Glauben ins sie. Das Leben war somit definitiv nicht perfekt, oh nein.

Die Menschen um uns herum konnten es perfekt machen. Nathaniel hatte es damals für mich perfekt gemacht.

Ich hatte eine großartige Zeit mit ihm. Es war so, als wären wir geflogen.

Die Menschen um uns herum konnten es aber auch grauenvoll gestalten.

Wir waren dafür geboren, emotional zu handeln, für den ein oder anderen erschien mein Verhalten absolut unverständlich, aber Gefühle musste man nicht immer verstehen. Sie waren da, ob wir wollten oder nicht und sie trieben uns zu Dingen, die wir vielleicht nicht immer gutheißen konnten, aber so war das nun Mal mit der Liebe und dem Leben.

Ich konnte es nicht ändern, denn wenn ich Nate diese Tat verzeihen würde, würde ich ihm vielleicht eine Chance geben, die jeder Mensch verdient hatte, aber ich musste immer in der Angst leben, dass er es noch einmal tun würde. Und vielleicht war das wirklich egoistisch von mir, aber ich wollte nicht mit so einer Angst leben.

Nathaniel würde jemanden finden, der ihn ebenfalls bedingungslos lieben würde, aber ich war nicht die Frau an seiner Seite. Ich wollte glücklich werden - ohne ihn. Ich musste es, ansonsten würde ich ein Wrack werden, wenn ich es nicht schon war.

»Ich werde dich nicht aufgeben, Amara«, hörte ich deutlich die verzweifelte Stimme von Nathaniel rufen, als ich weinend und mit mehreren Schluchzern den Parkplatz weiter überquerte. Ich durfte nicht zusammenbrechen, nicht vor ihm.

Zuhause konnte ich weinen, aber jetzt musste ich einfach nur einen Schritt nach dem anderen machen.

Schritt für Schritt.

Mein tropfendes Kinn anheben.

Nach vorne blicken, auch wenn meine Sicht verschwommen war und meine Lunge noch immer wie Feuer brannte.

Einen Fuß vor den anderen.

Immer weiter, auch wenn mein Leben den Bach herunterging.

Ich würde das schaffen, hoffentlich.

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