Kapitel 3

A m a r a

Ich saß im Schneidersitz auf meinem großen Bett in meiner gewöhnlichen Wohnung und sah in die rehbraunen Augen von Luon, welcher mich soeben belustigt angrinste.

»Hör einfach auf zu lachen, Luon. Ich erzähle dir gerade davon, wie traurig es mich macht, dass er dieser Lüge einfach so glaubt und du isst und lachst mich dabei aus«, seufzte ich enttäuscht und schüttelte den Kopf, verschränkte die Arme vor meiner Brust und lehnte mich tiefer mit dem Rücken in meine etlichen Dekorationskissen.

Wieder dieses raue Lachen des Lockenkopfs, was meine Stimmung deutlich anhob und die Trauer in mir vorerst minderte. Er saß mir unmittelbar im Schneidersitz gegenüber und seine Knie berührten leicht die meinen, während er mich gnadenlos auslachte und dabei so intensiv ansah, dass ich keinen Ton aus meinem Mund bekam.

»Luon, im Ernst. Weshalb lachst du mich die ganze Zeit aus? Wenn meine Eltern davon wüssten, dass hier ein Fremder bei mir ist, dann-«, fing ich an und wurde abrupt von ihm unterbrochen, indem er mir die große Hand auf die Lippen legte und den Kopf dabei leicht genervt schüttelte.

Perplex blinzelte ich und spielte für eine Sekunde mit dem Gedanken seine Hand tatsächlich abzulecken, entschied mich aber dann doch dagegen. Mein Blick wanderte von seinem tätowierten Arm zu seinen schimmernden Augen.

»Dann? Nichts. Ich bin hier, um dir zuzuhören. Nicht, um mich belehren zu lassen, Blondie«, schnaubte er amüsiert und nahm erst jetzt seine warme Hand von meinem Mund. Ich zog meine Augenbrauen zusammen und seufzte tief. Dass er mir soeben einen Spitznamen verpasst hatte, gefiel mir irgendwie.

Meine Augen richteten sich unschlüssig auf meine verschränkten Finger in meinem Schoß. Konnte ich ihm so viel preisgeben? Einem Fremden, dessen Namen ich gerade einmal kannte?

»Du bist echt heftig verknallt in ihn, hm?«, erkundigte sich Luon und auf einmal war da kein Spott mehr, sondern ziemlich viel Sanftheit in seiner Stimme und seinem Auftreten. Neugierde lag in seinen Worten, was mich aufblicken ließ. Ein behutsames Lächeln zierte seine vollen Lippen.

»Ja«, flüsterte ich und konnte das Lächeln nicht unterdrücken.

Nathaniel war mein Traummann. Er war klug, strukturiert, ordentlich und sehr elegant. Nate war liebevoll, sanft und ruhig. Er war die Geduld in Person.

Er liebte seine Arbeit und mochte das damit verbundene Ansehen. Luon hingegen war das völlige Gegenteil. Er schien humorvoll, aufmüpfig und...

»Du denkst viel zu viel nach, Amara. Erzähl' mir von deiner besten Freundin«, unterbrach der dunkelhaarige Typ mich und seine Augen waren forschend auf mich gerichtet. Das neue Thema schien mir zu gefallen, denn als ich an meine beste Freundin dachte, wurde ich ruhig und entspannte mich Stück für Stück. Sein Blick wanderte von meinem linken Auge zu meinem rechten und wieder zurück, als könnte er sich nicht entscheiden.

»Sie heißt Eve, ist ein paar Jahre älter als ich und hat all das, was ich nicht habe«, meinte ich im Spaß und grinste ihn auflockernd an.

»Brüste?«, kam die schnelle Gegenfrage von Luon und ohne groß nachzudenken schlug ich ihm eines meiner vielen kleinen, lilafarbenen Kissen mitten ins Gesicht.

»Idiot«, murrte ich empört und hörte ihn erneut gackern, während er sich diesmal zurücklehnte und die Augen schloss. Das Kissen verstaute er unter seinem Kopf. In seinem Gesicht allerdings war noch immer das siegessichere Grinsen zu erkennen.

Eine Weile betrachtete ich ihn und konnte nicht verhindern, dass ich ihn in Gedanken erneut mit Nate verglich. Nathaniel würde nie um diese Zeit so daliegen, er wäre vor seinem PC oder würde telefonieren.

Er würde sich eine Beschäftigung suchen oder irgendwelche Termine vereinbaren. Hauptsache etwas - aber faulenzen? Nein, sowas kannte er gar nicht.

»Sie ist wie gesagt seine Schwester und wir beide kennen uns auch erst seit ich ihn kenne und trotzdem hat es perfekt gepasst. Sie sieht aus wie die weibliche Version von ihm und arbeitet in seiner Firma«, erzählte ich leise und hatte Eves Blick vor Augen, wie sie mich ermahnend ansah und sagen würde: ›Die schönere, weibliche Version, wenn ich bitten darf.‹

Ein dumpfes Lachen entfuhr mir und wurde unterbrochen von meinem vertrauten Klingelton - als hätte sie gespürt, dass ich an sie dachte. Ich griff nach dem silbernen Smartphone und wollte es auf lautlos stellen, da hatte sich Luon aufgesetzt und es mir flink aus der Hand genommen, um selbst hinzugehen.

Was zum Teufel tat er da? Ich war noch nicht bereit, jetzt mit Evelyn über meine Trennung zu sprechen. Weshalb verstand er das denn nicht?

»Luon!«, rief ich wütend, doch da sagte dieser Dummkopf: »Luon am Apparat, was kann ich für dich tun?«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und hörte am anderen Ende der Leitung Evelyn laut seufzen, da Luon den Lautsprecher eingeschaltet hatte. Jetzt würde er was erleben.

»Hör mal du Pisser, wenn du irgendwas mit Amara angestellt hast, hacke ich dir deine verdammten Eier ab und füttere dich damit, bis du kotzt. Hast du verstanden?«, schimpfte sie ohne Vorwarnung los und ich konnte mir die schwarzhaarige Schönheit gut vorstellen, wie sie aufgebracht von einem Eck in das andere lief. Ihr Temperament war feurig und einzigartig.

Luons Augen hingegen wurden ganz groß und er reichte mir zügig mein Smartphone und murmelte dabei so etwas wie ›Freak‹, was mich amüsierte. Ich zwinkerte Luon triumphierend zu und hielt das Smartphone an mein Ohr. Im Moment freute ich mich einfach, Eves Stimme zuhören.

»Eve? Ich bin's«, schmunzelte ich und lehnte mich an das Gestell meines hölzernen Bettes, während ich Luon dabei zusah, wie er mein restliches Essen aß und seinen Mund so vollstopfe, dass er Ewigkeiten kauen musste. Ich schüttelte den Kopf. Wie konnte man so viel Essen und dabei so aussehen, wie er es tat?

Eve atmete erleichtert aus.

»Am! Endlich gehst du ran. Warum höre ich weder von dir noch von meinem Bruder was? Wir müssen doch die Hochzeit weiterplanen, da könnt ihr euch nicht auf Kuschelkurs zurückziehen und nur noch Sex haben«, ermahnte sie mich und wühlte somit all die Gefühle, Erinnerungen und Sorgen wieder auf, die ich verdrängt hatte.

Wenn Luon da war, vergaß ich all das Chaos um mich herum. Aber jetzt... Jetzt fühlte es sich so an, als hätte jemand meine Wunde frisch aufgerissen und Salz auf brutale Art hinein gestreut. Es brannte und tat höllisch weh.

Heiße Tränen bahnten sich den Weg über meine Wangen, während Luon mich aufmerksam, aber still betrachtete und nebenbei kaute. Ein Auge kniff er dabei etwas zu, was mich irritierte.

»Nate«, es fiel mir so verdammt schwer seinen Namen auszusprechen, dass mein Atem stockte und ich kurz meine Augen schließen musste. Ich schaffe das. »Nate und ich sind kein Paar mehr, Eve«, flüsterte ich und presste die Lippen im Anschluss zusammen.

Es war mir unangenehm, vor anderen Menschen zu weinen. Zwar nicht mehr vor Eve, aber die Tatsache, dass dunkelbraune Augen mich ununterbrochen ansahen, ließ mich rot werden.

Evelyn war leise, gab keinen Mucks von sich und diese angespannte Stimmung ließ mich verrückt werden, was Luon zu bemerken schien, denn er griff nach meiner freien Hand und hielt sie sanft in seiner fest, während er kauend den letzten Bissen verschlang. Anschließend zog er mich neben sich und die Art und Weise, wie er entspannt ein und ausatmete, beruhigte mich. Es war nicht so, dass wir auf meinem Bett kuschelten, aber seine eigene Ruhe strahlte auf mich über und irgendwie fühlte ich mich geborgen.

»Am, hast du... Dieser Typ von gerade eben... Habt ihr euch seinetwegen getrennt?«, hakte sie mit skeptischen Unterton nach. Sie hatte ja keine Ahnung.

Sollte ich ihr die Wahrheit sagen? Das war immerhin ihr Bruder, aber ich ihre beste Freundin.

Ich musste es ihr sagen, denn ich war nicht die Böse bei dieser Geschichte.

»Nein, Eve. Er... Er hat mich an unserem Jahrestag betrogen«, flüsterte ich gepresst und konnte nichts gegen die aufkommenden Bilder in meinem Kopf tun. Ich legte den Kopf in den Nacken, sah die weiße Decke an und versuchte, gegen dieses beklemmende Gefühl anzukämpfen, aber es war zu spät. Es hatte mich schon fast verschlungen.

Melissa hatte er sie genannt.

Ein weiteres ekelhaftes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit und schnürte mir die Kehle zu.

»Ich... Er hat... Was?«, rief sie aufgebracht und fuhr sich wahrscheinlich gerade fassungslos durch die schwarzen Haare. Eine Eigenschaft, die sie sich von mir angewöhnt hatte.

»Eve, kö-können wir später weiterreden? Oder morgen?«, murmelte ich heiser und fuhr mit meinen kalten Fingern über die bemalte Haut von Luons Hand. Er lächelte kurz, bevor er sich in meinem Schlafzimmer umsah und anschließend aufstand, wahrscheinlich um eine Toilette aufzusuchen. Als er das Zimmer verlassen hatte, seufzte Eve.

»Ich hasse ihn, Am. Wie konnte er nur? Kann ich bitte vorbeikommen? Wir müssen darüber reden. Jetzt?«, erkundigte sie sich und ich hörte ihren hoffnungsvollen Ton deutlich heraus.

»Es ist gerade schlecht«, sagte ich und räusperte mich danach. Mein Hals schmerzte, aber das war nichts, im Vergleich zu dem Schmerz in meinem Herzen.

»Weil dieser Typ da ist? Am, das ist mir herzlich egal, okay? Wir sprechen da jetzt drüber, ich bin in zehn Minuten da«, meinte sie und nun war jede Ausrede vergebens. Sie hatte sich etwas in den Kopf gesetzt und dann wurde das auch umgesetzt, also stimmte ich widerwillig zu und legte auf.

»Luon! Du musst gehen«, rief ich laut, als das Gespräch beendet war, wischte mit dem Handrücken über meine nassen Wangen und nahm die roten Teller von meinem Bett mit, die ich in die tiefe Spüle meiner kleinen Küche legte. Und anschließend machte ich mich auf die Suche nach dem Lockenkopf.

Erstaunt stellte ich fest, dass er auf dem Sofa vor dem Fernseher saß und eines der vielen Fotoalben ansah. Das grüne mit dem Eiffelturm – ein sehr peinliches Fotoalbum von dem Urlaub mit Eve in Frankreich. Eigentlich lagen diese Alben sicher in einer Schublade in dem Regal neben meinem Flachbildschirm.

»Wo hast du das her?«, fragte ich vorsichtig und ließ mich mit gewissem Abstand neben ihm auf dem Sofa nieder.

Er zuckte bloß mit den breiten Schultern und sagte gar nichts, was mich ungewollt verunsicherte. Was war plötzlich los mit ihm?

»Findest du das nicht unfair?«, wollte ich das Thema wechseln, um die Atmosphäre aufzulockern, was anscheinend funktionierte, denn jetzt sah er mich neugierig und perplex zugleich an. Seine Aufmerksamkeit war geweckt, seine Stirn gerunzelt und sein Mund einen Spalt weit geöffnet.

»Na, du siehst dir hier alte und ziemlich peinliche Bilder von mir an und bekommst einen Eindruck von mir und meinem Leben und ich kenne nur deinen Namen und weiß, wo du arbeitest«, erklärte ich lächelnd und Nate geriet langsam wieder in den Hintergrund, was echt guttat. Jetzt gab es nur den jungen Mann vor mir.

Die braunen Augen von Luon richteten sich wieder auf die vielen Bilder und er deutete auf eines, auf dem ich meinen Finger in Eves Ohr gesteckt hatte, welche daraufhin angewidert geschrien hatte. Dabei hatten wir uns vor dem Eiffelturm befunden und ein Tourist konnte dieses Bild von uns beiden machen.

Ein Lachen entfuhr mir, weil diese Situation so komisch war und ich mir den Tag in Erinnerung rief.

Ich war betrunken und hatte die seltsamsten Dinge getan. Die peinlichsten Dinge.

»Das war ein großartiger Tag. Eve und ich hatten beschlossen am ersten Tag den Eiffelturm zu besuchen. Das Problem war, dass wir uns in einer Bar zuvor ziemlich abgeschossen hatten und ich ziemlich peinliche Sachen gesagt und getan habe, in dieser Bar«, erklärte ich Luon die Geschichte hinter diesem Bild.

Im Augenwinkel konnte ich erkennen, wie sich ein zartes Lächeln auf seine vollen Lippen stahl und sich ein winziges Grübchen auf seiner rechten Wange bildete, welches ich beinahe übersehen hatte, so unscheinbar war es.

»Was für Sachen?«, fragte er und seine Augen lösten sich von meinem perversen Grinsen auf dem Bild, nur um mir direkt ins Gesicht zu sehen.

»Es war verdammt heiß in der Bar und ich war der Überzeugung, mich vor allen ausziehen zu müssen, wäre das Beste. Als ich nur noch in Unterwäsche dastand, kam Eve von der Toilette und stoppte mein Tun. Ich habe sie gefragt, ob sie mir den BH öffnet, weil mir ja so warm war. Gott! Und als sie dann abgelehnt hat, habe ich geweint. Ziemlich krass. Ich war so traurig, dass sie mich aufmuntern musste und dann standen wir vor dem Eiffelturm, haben Wildfremde gefragt, ob sie Bilder machen können und diese Seite ist das Endergebnis unseres ersten Tages«, beendete ich meine Erzählung und musste schmunzeln, als ich Luons breites Grinsen erkannte. Eine Stille legte sich über uns, während wir beide die beklebte Seite des Bilderalbums betrachteten, die vor uns auf dem kleinen, runden Tisch lag.

»Was willst du denn wissen? Wir kennen uns genau genommen erst ein paar Stunden? Höchstens einen halben Tag, da musst du nicht meine Lebensgeschichte kennen«, sagte er grinsend und ich lehnte mich weiter zurück, während ich meine Arme vor der Brust verschränkte und die Stirn runzelte.

»Wieso warst du an dem Abend als... Naja du weißt schon was, auf der Straße? Es schien so, als hättest du dort schon länger an dieser Stelle verweilt«, erkundigte ich mich und sah ihn forschend an. Mein Blick wanderte interessiert über seine angespannte Kieferpartie und die Erkundungsreise endete bei seinen glänzenden Augen.

Es war seltsam, dass er genau zu dieser Zeit am selben Ort war und dort gewartet hatte. Vielleicht ja auf eine Frau?

In dem Moment klingelte es an der Tür und Luon sprang, wie von der Tarantel gestochen, auf. Was war nur los? Hatte ich eine wunde Stelle getroffen? Er war bereits halb am Gehen und hatte mir den Rücken zugedreht.

»Was tust du, Luon?«

»Ich gehe, das siehst du doch. Sehen wir uns morgen?«, fragte er ruhig und war bereits am Gehen. Eilig folgte ich ihm durch meine zierliche Wohnung und nickte irritiert, als wir im Eingang standen.

»Ja, klar«, meinte ich, ohne nachzudenken und öffnete die dunkle Tür vor uns.

Die schwarzen Augen von Eve sahen erst mich und anschließend Luon verblüfft an. An ihrem Blick erkannte ich, dass sie mit allem gerechnet hatte, aber nicht mit einem muskulösen Typen, der auch noch Tattoos besaß und dunkle Klamotten trug. Ihre Augen hatten sich geweitet, als ihr Blick den Kellner des Diners erreicht hatten.

»Hey, und tschau, Amara«, flüsterte er leise und drehte sich zu mir. Überfordert erwiderte ich sein Blickduell und als er sich zu mir herab lehnte, versagte meine Atmung vollständig. Ich erstarrte, als er mit dem Gesicht vor meiner Nase stoppte und Luon Coopers Lippen für einen kurzen Moment meine glühenden Wangen berührten und dort eine brennende Stelle hinterließen, bevor er verschwand und sich nicht mal mehr umdrehte. Ich starrte seiner Gestalt eine Weile nach, doch ich wartete vergebens darauf, dass er noch einen einzigen Blick über die Schulter warf.

So viel zu ›Wir kennen uns erst seit einem halben Tag, wenn man es genau nimmt‹.

Wie sollte ich das jetzt bloß meiner besten Freundin erklären, die mich verblüfft anstarrte?

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