5. Kapitel - Abschied und Erkenntnis

Abschied und Erkenntnis:

Nachdem wir gemeinsam das Durcheinander in der Bar aufgeräumt ha­ben, sind wir jetzt nach draußen in den Hinterhof gegangen. Ein schöner Platz. Saftiges grünes Gras und vor den Zäunen, die die Grenzen des Grundstückes markieren, sind schmale bunte Blumenbeete angelegt. Früher haben wir nach der Arbeit oft hier gegrillt und dem Zwitschern der Vögel ge­lauscht. Aber jetzt nach diesen Ereignissen stehen wir alle etwas unschlüs­sig da. 

Ratloses Schweigen herrscht für einige Sekunden. Mein Blick schweift nach oben zum sternenbehangenen Nachthimmel. Ich habe jegliches Zeit­gefühl verloren. Wie spät mag es wohl sein? Kurz nach acht oder doch schon halb zehn vielleicht? 

Dann ergreift Camille das Wort: „Kannst du mir mal sagen, was das vor­hin für eine Aktion von dir war?“ Sie ist immer noch aufgebracht und ich ver­stehe das vollkommen. Also sehe ich sie einfach nur an und lasse sie reden, schimpfen und fluchen (ab und zu auch auf Französisch, aber ich glaube, das ist dann eher unbeabsichtigt von ihr). Gerne würde ich ihr sagen, dass das keineswegs meine Absicht war, sie zu ruinieren oder dass ich mir nicht einmal wirklich sicher bin, ob ich die alleinige Schuld an diesem Vorfall mit dem rothaarigen Mädchen trage, aber welche Argumente hätte ich schon vortragen können, damit sie mir glaubt? Immerhin war sie nicht dabei und John und Maggy haben schon oft genug versucht, sie von meiner Unschuld zu überzeugen, leider ohne jeglichen Erfolg. 

„Ich kann es einfach nicht glauben!“, ereifert sich Camille immer weiter. Wenn sie wütend ist, kommt ihr französischer Akzent noch mehr zum Vor­schein als sonst. 

„Nichtsahnend sitze ich oben in meinem Büro, als plötzlich merkwürdiger Lärm zu hören ist und kurz darauf vernehme ich nur noch lautes Kreischen. Und als wäre das noch nicht genug, sind alle meine Gäste schon längst ge­flohen, als ich unten angekommen bin!“ 

Meine Chefin steht jetzt direkt vor mir mit wild funkelnden Augen und ei­nem verletzten Ausdruck im Gesicht. 

Wahrscheinlich hätte ich was sagen sollen. Irgendetwas um sie zu trösten oder mich zu entschuldigen, aber ich tue es nicht. Ich starre sie einfach nur an. 

Irgendwann wird Camille dann mein Blick zu unangenehm und wendet sich mit einem frustrierten Schnaufen von mir ab. 

Auch sie beginnt jetzt zu zittern, allerdings nicht vor Schock, sondern weil ihr Körper nach Nikotin verlangt. 

Trotz der Tatsache, dass sie mir den Rücken zudreht, brauche ich nicht viel zu sehen, um zu wissen, dass sie aus ihrer Jackentasche ihre Zigaret­tenschachtel kramt und mit einem mir nur allzu vertrautem Schnippen sich eine anzündet. Während sie genussvoll den Rauch inhaliert, beruhigt sie sich langsam aber sicher wieder. Das Zittern wird schwächer und verebbt schließlich ganz. 

Während ich sie so beobachte, werde ich das Gefühl nicht los, dass ihr ihr Zigarettenkonsum irgendwann noch einmal zum Verhängnis wird. 

Ich schließe die Augen und konzentriere mich ganz auf ihre Präsenz. Ihre Aura verrät mir, dass sie sich gesund fühlt, auch wenn sie manchmal heftige Hustenanfälle hat, aber... je mehr ich ihren Körper durchleuchte, desto mehr kommt ihr wahrer Gesundheitszustand zum Vorschein. Der Teer in ihrer Lunge macht ihr das Atmen schwer. Sie merkt es nur nicht, weil es ein schleichender Prozess ist. Und dann ist da etwas Seltsames. Es sieht fast wie ein kleines Säckchen aus und befindet sich an ihrem Kehlkopf. Ich fühle mich wie vom Blitz getroffen, als ich begreife. Geschwür, wispert es in mei­nen Gedanken und beschert mir eine Gänsehaut. 

Ich öffne die Augen. Es war ein Fehler. Eigentlich geht es mich nicht im Geringsten etwas an und mir wäre es jetzt auch lieber, wenn ich nicht meine Nase so tief in die Angelegenheiten anderer gesteckt hätte. 

Ich atme tief durch. Ich muss ruhig bleiben. Wenn ich es zu sehr an mich heranlasse, dann werde ich wahnsinnig. Es reicht schon, wenn meine Mutter davon betroffen ist. Noch eine weitere Person ertrage ich nicht. 

Nachdem Camille ihre Sucht befriedigt hat, dreht sie sich wieder zu mir um. Allerdings ist ihr Gesichtsausdruck jetzt anders als vorher. Fast schon eher mitleidig. 

„Sam, Schätzchen, alles, was ich von dir hören möchte, ist die Wahrheit. Was ist passiert? Hat dieses Mädchen dich angegriffen? Habt ihr euch ge­stritten? Verdammt nochmal, rede mit mir!“ Jetzt klingt sie verzweifelt. Im Endeffekt wird mir auch klar, warum sie so verletzt ist. Nicht weil ich ihr Ge­schäft höchstwahrscheinlich zerstört habe, sondern weil sie denkt, dass ich sie hintergangen habe. 

Maggy's Blick zuckt zwischen unserer Chefin und mir hin und her. Sie öff­net den Mund, um etwas zu sagen, aber Camille gibt ihr nicht die Gelegen­heit dazu. Eine einzige Handbewegung reicht aus, um ihr zu signalisieren, dass sie von mir und nicht von ihr eine Erklärung hören will. 

„Die Wahrheit ist...“, beginne ich und bemerke erst jetzt, dass meine Stim­me total kratzig ist. „..., dass ich nicht weiß, was genau passiert ist.“ Ich schlucke und hoffe, dass dadurch meine Stimme an Festigkeit gewinnt. „Al­les, was ich dir sagen kann, ist, dass dieses Mädchen mir helfen wollte und dann plötzlich brutal von mir weggestoßen wurde, aber ich habe sie nicht an­gerührt. Das schwöre ich...“ 

Mein Gegenüber schüttelt den Kopf. 

Das war's. Ich kann sie nicht mehr überzeugen. Ihr widerstrebt es zwar zu glauben, dass ich so etwas getan haben soll, aber für sie ist es die einzig lo­gische Erklärung. Meine Aussage hat aus ihrer Sicht kein Hand und Fuß und selbst wenn meine Mitarbeiter meine Unschuld bezeugen könnten, könnte sich Camille dessen Wahrheitsgehalt nicht wirklich sicher sein. Denn John und Maggy sind meine Freunde, was sie zu möglichen manipulierbaren Zeu­gen macht. 

„Na schön.“ Meine ehemalige Chefin massiert kurz ihre Nasenwurzel, dann richtet sie sich wieder auf und nimmt die für sie so typische gerade Haltung ein. „Ich würde vorschlagen, wir gehen jetzt alle nach Hause und schlafen erst mal eine Nacht drüber.“ 

Niemand wirft irgendwelche Einwände ein, also gehen alle nach Hause. John und Maggy begleiten mich noch ein kurzes Stück bis John dann end­lich ein Taxi zum Anhalten bringt. Das Angebot nach Hause gefahren zu werden, ist wirklich verlockend, aber ich lehne dennoch ab. 

Besorgt mustern mich die beiden. 

„Bist du dir sicher, dass du nicht mit uns mitkommen möchtest? John bleibt auch noch bei mir. Wir machen uns einen schönen Abend mit DVD's, Popcorn und Pepsi. Na, wie klingt das?“, sagt der kleine Schwarzschopf vor mir und lächelt. Unwillkürlich muss ich auch lächeln. Das ist eine der guten Eigenschaften an ihr: Ihr Grinsen ist einfach nur ansteckend. 

„Klingt gut.“, entgegne ich und schaue zu John, der sich nicht ganz zu ei­nem Lächeln durchringen kann wie Maggy. 

„Also kommst du mit?“ 

Ich seufze. 

„Ich würde wirklich gerne, aber ich muss nach Hause. Meine Mutter war­tet sicher schon auf mich." 

Ihr Lächeln verschwindet. Betrübt nickt sie und ergreift meine Hände. 

„Wenn irgendwas ist, dann rufst du durch. Du bist nicht alleine, hörst du?“ 

In Augenblicken wie diesen, wünsche ich mir, dass ich so eine süße klei­ne Schwester wie sie gehabt hätte. 

Maggy ist den Tränen nahe. Sie weiß genauso gut wie ich, dass das heu­te mein letzter Arbeitstag im Rendezvous war. 

John räuspert sich. „Ich glaube, der Taxifahrer wird langsam ungeduldig.“ Und wie auf's Stichwort ertönt ein lautes Hupen. Selbst aus einiger Entfer­nung kann man die genervte Gestik des Fahrers sehen. 

Ich wende mich John zu und umarme ihn kurzerhand. „Wir werden dich vermissen, Babe.“, gesteht er leise und umklammert mich ebenfalls. 

„Ich bin ja nicht aus der Welt.“, versuche ich ihn ein bisschen aufzuhei­tern, was auch klappt. Zumindest deutet er schon mal ein Lächeln an. 

Kaum haben wir uns voneinander gelöst, werde ich praktisch von Maggy fast umgeschmissen. Ich verkneife mir den Kommentar, dass sie mich halb erwürgt. In der jetzigen Situation ist er völlig unpassend. 

Ich schlinge so gut es geht meine Arme um sie, immerhin habe ich gera­de nicht unbedingt so viel Bewegungsfreiheit. 

„Ach Maggy.“ 

„Ich will nichts von Auf Wiedersehen oder so was hören!“ 

„Nein, ich werde nichts in der Richtung sagen.“ 

„Gut... Kommst du uns ab und zu mal besuchen?“ 

„Klar!“, versichere ich und das muntert sie wieder auf. Mit strahlenden Au­gen schaut sie zu mir auf. 

„Tust du mir einen Gefallen? Rätst du Camille bitte, dass sie mal zum Arzt gehen und sich untersuchen lassen sollte?“ 

Maggy runzelt die Stirn. „Sicher, aber wieso? Ist sie etwa krank?“ Besorg­nis tritt in ihr Gesicht. 

Ich hebe die Schultern, unschlüssig, was ich ihr erzählen kann und was nicht. „Ihr Husten hört sich nicht gut an.“, sage ich dann. Es ist zwar nicht der entscheidende Grund, aber eine wirkliche Lüge ist es auch nicht. 

Kurz denkt sie nach, bevor sie nickt und wir uns ebenfalls widerstrebend voneinander lösen. 

Ich hoffe nur, dass Camille wenigstens die Chance auf Heilung bleibt. 

Auch wenn sie mich feuern wird, hege ich keinen Groll gegen sie. Sie wird immer einen Platz in meinem Herzen haben, egal was passiert ist. Krebs ist eine schreckliche Krankheit, die ich noch nicht einmal meinen ärgsten Feind wünschen würde. Und da ich mitansehen muss, wie der Krebs langsam aber allmählich meine Mutter immer näher zum Sensenmann schleift, möchte ich nicht, dass Camille das gleiche Schicksal widerfährt. 

Als das betretene Schweigen immer länger und unangenehmer zu wer­den droht, entschließe ich mich zu einem Lächeln, streichele Maggy kurz über ihren nachtschwarzen Bobschnitt und sehe ihr und John dabei zu, wie sie in das gelbe Taxi einsteigen und mir mit trauriger Miene hinterherwinken. Ich winke ihnen ebenfalls zu und mit einem Mal überkommt mich plötzlich das seltsame Gefühl, dass ich sie vielleicht nie wieder sehen werde. 

Ein Schauer läuft mir über den Rücken, als mir dieser Gedanke durch den Kopf schießt. Augenblicklich schüttele ich den Kopf und verbanne ihn aus meinen Gedankengängen. Was für ein Unsinn!, rede ich mir ein. 

Dann fällt mir auf, dass ich noch immer die Straße hinaufschaue, hinter der das Taxi vor einer ganzen Weile schon verschwunden ist. Also mache ich auf den Absatz kehrt und trete den Heimweg an, allerdings immer noch mit einem merkwürdigen Gefühl im Bauch, ohne zu wissen warum.

Selene:

Mona ächzt stark vor Schmerzen, als ich sie in meinen Armen die Treppe zu unserem Hotelzimmer hinauftrage. Ein Aufzug würde viel zu lange brau­chen. Meine Wahl fiel deshalb auf die Treppe. 

Ich bemühe mich, ihren Körper möglichst ruhig zu halten, aber durch meine hohe Sprintgeschwindigkeit kann ich vereinzelte Bewegungen nicht verhin­dern. 

„Keine Sorge. Wir sind gleich oben.“, möchte ich sie beruhigen. Keine Ah­nung, ob sie mich hören kann, aber Panik ist das letzte, was ich jetzt ge­brauchen kann. Ich erklimme die letzten Stufen, dann bin ich oben und nach einigen Sekunden stehe ich vor unserer Zimmertür. Ich spare mir die Zeit, in der ich den Schlüssel rausholen und die Tür aufschließen muss, indem ich sie einfach mit einem kräftigen Tritt aufbrechen lasse. Um den herausgebro­chenen Rahmen werde ich mich später kümmern. Behutsam lege ich Mona auf ihr Bett. Ein Stöhnen entfährt ihr, aber ich bin bereits auf den Weg ins Bad. Ich reiße die Türen unserer Badschränke auf, greife mir wahllos irgend­welche Handtücher und tränke sie in kaltes Wasser. Vorsichtig reinige ich ihre Wunden. Zahlreiche Holzsplitter stecken noch in ihrem Körper. Kratzer jeder Länge und Tiefe verunstalten Gesicht, Arme und Beine. Blut läuft aus Nase, Mund und ihren Wunden, aber am meisten Sorgen macht mir ihre Wirbelsäule und ihr Brustkorb. Aufgrund der gewaltigen Druckwelle, die sie hinfort geschleudert hat, vermute ich viele Rippenbrüche und -prellungen. 

Ein unangenehmer Nebeneffekt war zudem, dass sie mit dem Rücken voran durch die hölzerne Bar gestoßen wurde. Aus diesem Grund könnte ihre Wirbelsäule beschädigt sein. Es hilft nichts, ich muss ihren Rücken un­tersuchen. 

Obwohl ich sie behutsam auf den Bauch drehe, schreit Mona auf und zum ersten Mal empfinde ich ehrlich Mitleid mit ihr. Ich verwende das glei­che Verfahren, was Mona auch bei Samantha angewendet hat. Aufgrund der vielen Verletzungen ist Monas Barriere sehr schwach. Es dürfte also jetzt ein leichtes für mich sein, ihren Körper zu durchleuchten. 

Ich ergreife ihre Hand und schließe die Augen. Ich beginne meine Unter­suchung am Handgelenk. Von dort aus gehe ich weiter nach oben zu ihrer Schulter, sie ist leicht geprellt, aber das ist momentan mein geringstes Pro­blem. Ich treffe auf die Wirbelsäule. Zu meiner Erleichterung ist sie im Hals­bereich völlig unversehrt und nur auf Höhe der Taille angebrochen. Mir ent­fährt ein erleichtertes Seufzen. Ihre Rippen sind stark angebrochen und ge­prellt, aber nicht richtig gebrochen, soweit ich das sehen kann. Zahlreiche Blutungen im Körper erschweren mir etwas die Sicht, aber das, was ich se­hen kann, ist nicht so stark verletzt, wie ich zuerst vermutet hatte. 

„Du hattest ziemlich viele Schutzengel bei dir, weißt du das?“ 

Zaghaft öffnet Mona die Augen und ein seichtes Lächeln huscht über ihr Gesicht, als sie mich ansieht. 

Ich streiche ihre wirren, lockigen Haarsträhnen aus dem Gesicht, die ver­schwitzt an Stirn und Schläfen kleben. Mit dem nassen Handtuch betupfe ich ihr Gesicht und lege anschließend meine Hand auf ihre Stirn. Leichtes Fieber. Ich muss mich beeilen und so schnell wie möglich mit der Heilung anfangen. 

„Hör mir gut zu“, ich beuge mich über sie. „Zur Sicherheit werde ich mir deinen Kopf einmal von innen angucken, ja? Also benimm dich bitte und schmeiß mich nicht raus.“ 

Ich weiß, dass es niemand mag, wenn jemand in seinem Kopf rum­schwirrt. Es ist etwas unangenehm, wenn man bedenkt, dass man leicht kontrolliert werden kann dadurch, aber das ist keineswegs meine Absicht. 

Ich schließe erneut meine Augen und dringe über ihre Stirn in ihren Kopf ein. Schon auf den ersten Blick wird sichtbar, dass sie eine schwere Gehirn­erschütterung hat. Allerdings wundert mich das nicht. Bei diesem schweren Aufprall war das so ziemlich zu erwarten. Höchstwahrscheinlich hat sie Kopfschmerzen. Erstaunlicherweise scheint aber auch hier alles nur halb so schlimm zu sein. Gute Gehirnaktivität, keine Blutungen. Ich ziehe mich wie­der zurück. „Deinem Kopf scheint es gut zu gehen. Fühlst du dich irgendwie schlecht oder benommen?“ 

Ich bin ziemlich verwundert darüber, dass Mona nur solche leichten Ver­letzungen davongetragen hat. Immerhin wurde sie quer durch den Raum ge­feuert. 

Mein Patient scheint das Liegen satt zu haben und versucht sich mithilfe ihres Ellenbogens aufzurichten, muss jedoch mit einem Ächzen feststellen, dass ihre Schulter das nicht packt. 

„Ey, wer hat gesagt, dass du aufstehen sollst?“ 

Ich drücke sie wieder zurück aufs Bett. 

Mona atmet hörbar aus. 

Hat sie meine Frage überhaupt mitbekommen? 

„Ich hab sie unterschätzt.“ 

„Meinst du Samantha?“ 

Sie nickt. 

Ich hebe die Schultern an. Eigentlich wollte ich das erst später mit ihr be­sprechen. „Nun ja… Genau genommen haben wir beide sie unterschätzt. Es konnte aber auch keiner ahnen, dass sie so eine starke Mauer hat. Ich frage mich, ob ihr jemand das beigebracht hat und wenn ja, wer?“ 

„Es ist keine Barriere.“ 

Ich runzele die Stirn. „Was ist es dann?“ 

Sie neigt ihren Kopf und schaut mich ruhig an. „Ein Schutzgeist.“ 

Mir bleibt die Spucke weg. Habe ich mich gerade verhört oder wird sie jetzt verrückt? „Was redest du da? Es gibt keine Mondgeburten mehr, die einen Schutzgeist haben. Außerdem sind das Legenden!“  

„Sie besitzt aber einen. Ich hab ihn gesehen!“ 

Ich werde langsam wütend. „Mona…!“  

„Es ist mein Ernst, Selene! Ich scherze nicht.“ 

Ich möchte gerade widersprechen, als ich Monas ernsten Gesichtsaus­druck begegne. Verdammt, sie macht wirklich keine Witze. 

Ich verstumme. Momentan bin ich gar nicht sicher, was das zu bedeuten hat. Noch nie gab es Mondgeburten, die einen Wächter für ihre Seele hat­ten. Außer in den Legenden gibt es keine Aufzeichnungen darüber. Und Le­genden sind Legenden. Meistens haben sie einen Wahrheitsgehalt wie den von Shows auf RTL. 

„Asuja muss davon erfahren.“, sage ich schließlich und breche das betre­tene Schweigen zwischen uns. „Ich bin mir sicher, dass sie es genauso merkwürdig finden wird wie wir.“ 

„Ich bin dagegen.“ 

Dieser Satz lässt mich in meinen Überlegungen inne halten und verblüfft zu meiner Partnerin aufschauen. Mein Blick ist ihr unangenehm. „Der Rat wird davon Wind bekommen. Und wenn das passiert, wird sie zu deren Ver­suchskaninchen. Sie werden sie auseinander nehmen, ihr vielleicht sogar eine Gehirnwäsche verpassen. Das können wir nicht zulassen!“ 

„Wir können es Asuja aber auch nicht verheimlichen. So etwas ist wichtig!“ 

„Dann willst du sie also den blöden Hyänen zum Fraß vorwerfen, ja?“ Ich fasse es nicht. Begreift sie denn nicht, worum es hier geht? Selbst wenn wir es Asuja nicht erzählen, früher oder später wird jemand davon erfahren. „Mona“, beginne ich und reibe mir die Nasenwurzel. „Der Rat wird es so oder so irgendwann herausfinden. Er hat seine Augen und Ohren überall, das weißt du.“ 

Sie schüttelt den Kopf, merkt aber schnell, dass das eine schlechte Idee war. Stattdessen guckt sie mich einfach nur böse an. „Nicht, wenn wir auf sie aufpassen.“ 

„Oh nein!“ Ich verschränke die Arme und weiche zurück. „Auf keinen Fall! Ich habe schon genug Verpflichtungen als angehende Tschajar. Da muss ich nicht noch nebenbei als Babysitter fungieren.“ 

„Selene…“ 

„Keine Chance. Such dir jemand anderen.“ 

„Selene… Du weißt wie schrecklich sie sind.“ 

Ob ich das weiß? Natürlich weiß ich das! Diese habgierigen Leute sind nicht in diesem Rat drin, um es sich zur Aufgabe zu machen, das Gleichge­wicht zwischen Natur, übernatürlichen Wesen und Menschheit zu schützen. Pa! Das interessiert sie nicht im Geringsten. Das Einzige, was diese Leute sehen, ist ihr eigener Vorteil. Und dieser heißt Geld und Macht. Ich hab kei­ne Ahnung, was sie mit Samantha anstellen würden. Ich will es auch nicht wissen. Ich könnte mir jetzt unzählige grausame Szenarien vorstellen. Sie könnten sie zu ihrem kleinen, süßen Roboter machen. Oder sie töten und die Macht stattdessen auf sich projizieren. Oder… Nein! Ich muss aufhören! 

„Selene…“ 

Selene, Selene, Selene! Warum ausgerechnet ich? 

„Okay… Von mir aus. Ich werde Asuja nichts sagen.“ Während ich das sage, übermannt mich etwas die Erschöpfung. Das war ein recht ereignisrei­cher Tag heute. „Ohne unsere Hilfe wird sie wohl sonst gefressen werden…“ 

Ich brauche nicht zu Mona hinüber zu schauen, um zu wissen, dass sie ihr typisches Lächeln aufgelegt hat. 

Ich seufze. Und wieder einmal frage ich mich, warum Asuja gerade uns beide ausgewählt hat.

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