23. Kapitel - Unterricht
Unterricht:
Selene:
„Mich um Vergebung zu bitten, ist völlig zwecklos" Es würde mich so oder so nicht davon abhalten, meine Sachen zu packen und endlich zu verschwinden. Das Maß ist voll. Ich halte es hier keine Sekunde länger aus.
„Und wo willst du dann bitte sehr hin?"
Ich wirbele wütend zu Mona herum. Mein Blick ist beinahe tödlich. Aber eben nur beinahe, sonst würde sie jetzt auf der Stelle regungslos umfallen. Ein Jammer. „Bist du so blöd oder tust du nur so? Ich gehe zurück. Da, wo ich hingehöre und Samantha im Übrigen auch!"
Sie stemmt die Hände in die Hüften. „Sie weiß das!"
„Ach ja?", frage ich mit vor Sarkasmus triefender Stimme und schnaube verächtlich. „Wenn sie das weiß, warum kommt sie dann nicht auf der Stelle mit?"
„Für sie ist das nicht so einfach"
Ich schüttele verständnislos den Kopf und wende mich wieder meiner Tasche zu. Mit ihr zu reden, ist reinste Zeitverschwendung. Besser, ich halte mich nicht mehr mit so etwas Belanglosem auf. Also packe ich weiter und ignoriere Monas nervigen Redeschwall. „Wir sind Partner! Du kannst nicht einfach abhauen! Nur, weil ich jetzt alleine zu ihr gegangen bin und den eindeutig besseren Draht zu ihr hatte als du, fühlst du dich nun in deinem Stolz gekränkt und brichst das Projekt vorzeitig ab!"
Ich halte inne und schließe die Augen.
Nein, ganz ruhig! Ich werde mich nicht dazu provozieren lassen, ihr eine zu knallen.
Einatmen.
Ausatmen.
„Irrtum. Du glaubst, dass du die Welt verändern kannst, aber so ist es nun mal nicht. Du glaubst, du hättest einen guten Draht zu ihr, aber nur, weil sie dir von dem Tod ihres Vaters erzählt hat, heißt das noch lange nicht, dass ihr gleich beste Freunde seid. Und zu guter Letzt: Wenn du wirklich sie davon überzeugt hättest, dass sie mit uns mitkommen soll, dann würde sie jetzt genau hier neben mir stehen und darauf warten, dass es losgeht."
Ich drehe mich um die eigene Achse und inspiziere jede noch so kleine Ecke des Raumes.
„Hm...", gebe ich gespielt bedacht von mir und lasse meinen Blick zu Mona gleiten. „Also ich sehe kein blondes Püppchen. Du etwa? Was denn? Du auch nicht?"
Mona rollt genervt mit den Augen. Ich lächle nur hämisch und zucke unschuldig mit den Schultern.
„Tja, ich würde sagen: Du kannst dir ruhig eingestehen, dass ich Recht habe." Und damit ist die Sache für mich gegessen.
Flink stopfe ich den Rest meiner Sachen zusammen, ziehe den Reißverschluss zu und ergreife die Träger meiner Tasche.
Sie seufzt und kaut nervös auf ihrer Unterlippe herum. Es behagt ihr nicht, dass ich gehen will und hat Angst davor, dass es Ärger geben könnte. Ich brauche keine besonderen Fähigkeiten, um in ihrer Mimik und Gestik lesen zu können. Selbst für menschliche Psychologen wäre sie wie ein offenes Buch. Völlig berechenbar und simpel zu deuten.
„Sie hat doch nur um ein bisschen Bedenkzeit gebeten!", erwidert sie nun. Es ist mehr ein Akt der Verzweiflung als einer der Überzeugung.
Ich massiere mir die Nasenwurzel.
Wie schafft man es nur, so unglaublich nervig zu sein? Wie?!
„Hast du vielleicht schon einmal mit dem Gedanken gespielt, dass sie die Zeit dazu nutzen könnte, von hier abzuhauen?"
Monas Gesichtszüge entgleiten. Mit dieser Aussage habe ich sie eindeutig vor den Kopf gestoßen. Nun, im Grunde ist es nicht mein Problem. Irgendjemand muss sie ja auf das Offensichtliche hinweisen.
„Das würde sie nicht machen. Sie ist gar nicht der Typ dafür."
Ich schüttele den Kopf. Sie tut nicht so, sie ist wirklich strohdoof! Herrje! „Auch wenn sie kein Mensch ist, so hat sie länger als jeder andere von uns unter ihnen gelebt und wie einer gelebt. Wenn sie Angst hat, wird sie weglaufen. Das ist die normale Natur eines Menschen."
Ich schultere die Tasche.
„Sage nachher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!", füge ich hinzu und drehe mich auf dem Absatz um zur Tür.
Mit schnellen Schritten und erhobenen Hauptes öffne ich sie und schreite hindurch.
„Selene!", ertönt es gedämpft, aber ich reagiere darauf nicht. Nicht mehr.
Mona:
Ich fasse es nicht. Die Szene spielt sich immer und immer wieder vor meinem inneren Auge ab, aber ich begreife es trotzdem nicht. Wie konnte sie nur? Was, im Namen des Mondgottes, gibt ihr das Recht, so dermaßen arrogant und abwertend mit anderen umzuspringen?
Mir entfährt ein Wutschrei.
Aufbrausend wirbele ich herum und trete gegen das erstbeste, was mir vor die Füße kommt. Hätte ich besser nachgedacht, dann wüsste ich, dass ich direkt vor der Balkontür stand. Die Betonung liegt auf „hätte".
Ehe ich mich versehe, trifft mein Fuß mit voller Wucht auf das Glas und lässt es zerspringen.
Geschockt betrachte ich das Malheur zu meinen Füßen. Stumm und starr stehe ich nun mitten im Durchzug.
Ich stöhne frustriert auf und schlage mir mit der Hand gegen die Stirn. Eigene Blödheit, das muss ich mir leider eingestehen, aber es wäre alles nicht passiert, wenn Selene sich nicht gerade einfach so aus dem Staub gemacht hätte.
Na warte!, denke ich und presse die Lippen aufeinander. Bisher war ich noch immer relativ nett, aber diese Zeit ist nun endgültig vorbei! Du wolltest es nicht anders: Ab sofort mach ich dir die Hölle heiß! Verlass dich drauf!
Ich schnippe mit den Fingern und beobachte die Glasscherben, die sich nun sorgfältig wieder in den Türrahmen setzen. Es dauert nicht lange und die Scheibe ist wie neu.
Nachdenklich starre ich nach draußen.
Ich weiß, dass es unsinnig ist, aber Selene hat mich mit ihrer Aussage ziemlich verunsichert. Ihre Begründung klingt ziemlich plausibel, also warum sollte man diese Möglichkeit nicht in Betracht ziehen? Und dennoch... Irgendetwas sagt mir, dass sie Unrecht hat. Es ist keine Gewissheit sondern mehr eine Art Bauchgefühl. Aber egal, was kommen mag: Ich mache keinen Rückzieher.
Es ist Pause und ich werde auf dem Mädchenklo festgehalten. Kann der Tag eigentlich noch schlimmer werden?
Ich schaue meinen Gegenüber an: Der Blick entschlossen, die Arme verschränkt, der Fuß tippt im Rhythmus auffordernd auf die Fliesen. Ja, alles deutet daraufhin, dass Lucie sauer ist. Gewaltig sauer! Und ich kann es ihr nicht verübeln.
„Ich höre!", sagt sie mit einem knurrenden Unterton in der Stimme.
Augenblicklich mache ich mich noch kleiner, als ich ohnehin schon bin.
Mein Blick huscht nervös zur Tür, was meine Freundin missbilligend mit zusammengekniffenen Augen zur Kenntnis nimmt.
„Es tut mir leid, wirklich!", sage ich schließlich.
Sie wirft die Hände in die Höhe. „Das sagst du mir jetzt schon zum fünften Mal! Ich habe es begriffen! Ich möchte doch nur wissen, warum das ganze Theater!"
Ich seufze. „Das kann ich nicht..."
„Und warum nicht?", faucht sie giftig. Sie hasst es, wenn ich Geheimnisse vor ihr habe, aber wie soll ich es ihr erklären? „Hey Lucie! Weißt du schon das Neueste? Ich bin eine Mondgeburt, das sind die Nachfahren der Engel von Gott. Der Grund, warum ich Auren sehen und Gedanken gelegentlich lesen kann, ist, weil ich gar nicht die Tochter meiner Eltern bin! Lustig, oder? Und als krönender Abschluss muss ich euch verlassen, weil ich womöglich sonst noch körperlose Dämonen anziehe, die sich eure Körper schnappen, damit sie mich umbringen können." Ich glaube, dann wird sie mich gleich in die Psychiatrie einweisen lassen. Sage ich ihr also die Wahrheit, wird sie mich für verrückt erklären. Sage ich ihr stattdessen eine Lüge, wird sie es mitbekommen und noch wütender auf mich sein.
Warum muss alles nur immer so kompliziert sein?
Lucies Blick wird durchdringender. Mir läuft die Zeit davon.
Nervös reibe ich mir die Hände. „Hör zu", antworte ich nach langem Überlegen und schaue sie an. „Ich erkläre es dir, aber nicht jetzt."
„Und wann dann?"
„Nach der Schule. Bei mir."
Sie wird nachdenklich und ihre Haltung entspannt sich etwas. Sie hat nicht ganz das erreicht, was sie wollte, aber sie ist auf dem Weg dorthin und das ist ihr klar.
„Also schön...", lenkt sie endlich ein und ich atme erleichtert auf.
Ein Klingelzeichen ertönt und auf der Stelle fährt uns beiden der Schreck durch die Glieder: Wir kommen zu spät zum Unterricht!
Unsere Schritte hallen gespenstisch durch die leeren Flure, als wir gemeinsam zum Raum sprinten.
„Verdammt! Der wird uns umbringen!", flucht Lucie und blickt angestrengt auf ihre Armbanduhr.
„Du musstest mich ja unbedingt auf der Toilette festhalten!"
„Du musstest ja unbedingt darauf beharren, dass du mir nicht erklären kannst, was in letzter Zeit mit dir los ist!", schießt sie zurück und ich belasse es dabei Es hätte sowieso keinen Zweck.
Wir erreichen die Tür und verlangsamen unser Tempo, bis wir schließlich stehen bleiben und wie gebannt die Türklinke anstarren. Jetzt kommt der unangenehme Teil.
Ich schlucke.
„Du machst auf", flüstere ich ihr zu.
„Spinnst du? Der, der aufmacht, ist gleich als erstes dran!"
„Dann hast du es gleich hinter dir."
„Ja und kriege gleich den größten Frust ab" Sie zeigt mir den Vogel. „Ich bin doch nicht bescheuert!"
„So kommen wir nicht weiter!", stöhne ich frustriert und lausche angestrengt auf Geräusche hinter der Tür. Es ist ruhig, ein bisschen zu ruhig für meinen Geschmack.
„Pass auf! Du machst die Tür auf, wir huschen schnell in den Raum zu unseren Plätzen, nuscheln im Vorbeigehen „Entschuldigung!" und wenn wir Glück haben, sitzen wir schon, wenn er mit seiner Predigt anfängt."
Ich sehe sie zweifelnd an. „Ich glaube kaum, dass uns das-..."
„Nun mach schon!", drängt Lucie und schiebt mich näher zur Tür heran.
Ich seufze ergeben und überwinde mich schließlich. Erst im Nachhinein fällt mir ein, dass wir vielleicht hätten anklopfen sollen, aber da ist es schon zu spät.
26 neugierige Augenpaare mustern uns unverhohlen.
Lucie und ich stehen etwas unschlüssig im Türrahmen und versuchen, aus der Situation schlau zu werden. Das ist nicht unsere Klasse sondern eine Klassenstufe unter uns.
Verwirrt runzele ich die Stirn.
Haben wir nicht normalerweise jetzt hier Unterricht?
Meine Gedanken überschlagen sich und als unser Physiklehrer um die Ecke kommt und in unser Blickfeld tritt, merke ich, dass wir zu lange gezögert haben. Wir hätten gleich abhauen sollen.
Abschätzend zucken die Augen von Mr. Douglas zwischen Lucie und mir hin und her. Die Sache wird von Sekunde zu Sekunde peinlicher.
„Nun, meine Damen, was verschafft mir die Ehre Ihrer Anwesenheit?" Seine Stimme ist klar und deutlich. Man könnte ihn praktisch in jeder Ecke des Raumes hören. Außerdem spricht er gerade ziemlich theatralisch. Er findet es durchaus amüsant, uns den Jüngeren vorführen zu können.
Im Gegensatz zu den anderen Lehrern ist er ziemlich gut durchtrainiert, sodass man nicht sofort sieht, dass er bereits über 40 ist. Das Grün seiner Augen erinnert mich immer an das von Schlangen. Seine Haare trägt er ziemlich kurz, so zwei bis maximal drei Millimeter. Aufgrund der Kürze ist sich niemand so genau sicher, welche Haarfarbe er eigentlich hat. Seine Haltung wirkt ziemlich erhaben.
Ich hasse ihn.
Unser Schweigen zieht sich in die Länge und führt zu Getuschel unter den Schülern. Und plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Wir haben gar keinen Unterricht. Der Grund, warum unsere Klasse nicht hier sitzt, ist der, dass er genau jetzt diese Klasse unterrichten muss.
„Ich möchte ja nicht anklagend wirken" Nein, natürlich nicht. „aber ihr stört meinen Unterricht.", gibt er missbilligend von sich, als er merkt, dass er von uns keine Antwort erwarten kann, und schnalzt mit der Zunge.
Ich setze gerade zu einer Ausrede an, dass wir unser Klassenbuch gesucht haben, da kommt mir Lucie schon zuvor und begeht den Fehler, den ich vermeiden wollte: „Haben wir nicht normalerweise jetzt mit Ihnen Unterricht?"
Etwas blitzt in seinen Augen kurzzeitig auf. „Ganz recht.", erwidert er belustigt und stellt sich seitlich, um den Blick auf die Klasse freigeben zu können. „Jedoch unterrichte ich gerade eine andere Klasse, wie Sie unschwer erkennen können, Ms. Jackson."
Ich schlucke.
„Allerdings kann ich es durchaus verstehen, dass Sie beide in Ihrer Freistunde nicht untätig sein wollen, und ich finde, so viel Fleiß sollte belohnt werden."
Oh nein!
„Marc, Stacy, bitte setzt euch auseinander." Er deutet mit der Hand auf die leere Bank direkt vor dem Lehrerpult.
Wütend stapft die Wasserstoffblondine zu dem ihr zugewiesenen Platz und lässt es sich nicht nehmen, uns dabei vernichtende Blicke zuzuwerfen. Ich kann mich vage daran erinnern, sie bei den Cheerleadern gesehen zu haben, während der Muskelprotz da hinten der Kapitän der Footballmannschaft unserer Schule sein muss.
„Sie setzen sich bitte zu Stacy und Sie, Samantha, bitte zu Marc."
Mit zerknirschten Mienen nehmen wir unsere Plätze ein.
Das Erste, was mir an Marc auffällt, ist sein Aftershave. Unnatürlich stark dringt der penetrante Geruch in meine Nase und überflutet meine Sinne.
Seine braunen Augen heften sich an mein Gesicht.
„Hi", begrüßt er mich selbstsicher und lächelt mich an, während seine Zunge unermüdlich einen Kaugummi zwischen seine mahlenden Zähne schiebt.
Sein Atem trägt den Minzgeruch des Kaugummis zu mir rüber und legt sich ebenfalls über meine Geruchsnerven.
Das ist zu viel. Ich rücke ein wenig von ihm ab, um nicht jeden Moment würgen zu müssen, und lasse seine Begrüßung unerwidert im Raum stehen. Ich weiß, ziemlich unhöflich.
Mein Blick richtet sich nach vorne zu unserem Lehrer. Erst jetzt wird mir bewusst, dass er mich die ganze Zeit beobachtet hat.
Ich lege eine neutrale Miene auf, um ihn nicht zu zeigen, dass ich ziemlich genervt von der ganzen Aktion bin, aber die Tatsache, dass ich etwas Abstand zwischen mir und Marc gebracht habe, hat mich schon verraten.
Wissentlich legt sich ein Lächeln auf seine schmalen Lippen.
Er weiß, dass er gewonnen hat.
Gedanklich stelle ich mir eine Situation vor, in der ich ihm in seine gehässige Visage spucke.
Hallo ihr Lieben! :)
Ich muss mich einmal ganz ganz herzlich bei euch für über 1000 Reads bedanken! Es freut mich wirklich wahnsinnig, dass so viele die Geschichte mitverfolgen! Tja, was soll ich sagen? Ich bin völlig aus dem Häuschen ^.^ Nochmals DANKE, DANKE, DANKE! :* Ich hoffe, euch gefällt das neue Kapitel. Ich wünsche wie immer viel Spaß beim Lesen! ;)
Allerliebste Sonntagsgrüße!
Eure Princessa_Strigoja <3
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