6 ☾ SIE
Wenn wir uns nur lautlos und im Schatten bewegen werden, so wie Papi es mir beigebracht hat, dann werden wir keine Waffen benötigen. Mein Blick gleitet von Frederik hoch zum Himmel. Mit der seichten Brise der Böe empfange ich die Bestätigung meiner Mama. Andere mögen darüber schmunzeln, doch für mich stehe ich weiterhin im Kontakt zu ihr. Sie ist bei mir, steht nach wie vor an meiner Seite, wenn ich ihren Rat brauche. Das leise Rascheln auf dem Boden, welches der Wind bewirkt, führt genau auf dem Pfad entlang, dem wir folgen werden. Wir entfernen uns von dem Gebäude, in dem Papi festgehalten wird. Halte durch, Papi! Halte durch. Wir werden unser Bestes geben. Ich spüre die Tränen hinter den Augäpfeln drücken. Krampfhaft presse ich meine Lider zusammen, möchte sie nicht hervorpreschen lassen. Ich bin stark! Ich bin seine Tochter, ich schaffe das!
Mit einem Nicken über meine Schulter bedeute ich Frederik, in welche Richtung wir uns bewegen werden. Fritzi tapst ebenso sehr behutsam. Sie ist grundsätzlich sehr still, als würde sie spüren, dass ein Laut zu viel uns in Bredouille bringen kann. So eine schlaue Hündin. Zwischen den vielen Baumstämmen winden wir uns hindurch. Augenblicklich kommt mir das Bild des toten Waldes auf der Erde in den Sinn. Es ist kein Vergleich. Zudem hören wir selbst bei Nacht die unzähligen Lebewesen, die hier ihren Schutz suchen. Heute Nacht gehören wir zu ihnen und müssen sie leider stören. Etwas, das ich sonst nicht tun würde. Wir leben hier im Einklang, im Miteinander. Jedem Lebewesen – sei es Pflanze, Tier oder Mensch – gebührt der Respekt vor ihrem Lebensraum. So hoffe ich, dass sie unsere gute Absicht erspüren können und uns ungehindert hindurch lassen.
Frederik und ich schweigen. Zu groß ist die Angst, ertappt zu werden, auch wenn sich kaum ein Mensch hier aus Respekt in der Nacht hereinwagt. Nach einigen weiteren Metern wird Fritzi etwas schneller. Das Rauschen im Hintergrund bestätigt mich in meiner Annahme. Der fortwährende fließende Bach. Unsere Trinkbehältnisse dürften auch aufgefüllt werden.
Als wir uns aus sicherer Entfernung umschauen – Frederik und ich jeweils hinter einem anderen Baum –, sehen wir Fritzi, wie sie hechelnd zu dem Bach eilt. Durstig schlürft sie – nun etwas weiter unten stehend als wir – aus dem Bach an seinem Ufer. Dann landet sie mit einem Sprung in dem Wasser. Frederik und ich müssen beide anfangen zu kichern. Fritzi paddelt ein wenig nach rechts und wir folgen ihr mit den Augen. Plötzlich tauchen in unserem Blickfeld noch weitere Tiere auf, die gerade genüsslich vom Bach Wasser aufnehmen. Gehornte stehen dort an dem etwas breiteren auslaufenden Uferbett. Sie sind generell nicht angriffslustig, doch weiß ich nicht, wie sie auf eine Fritzi reagieren. Eilig reiße ich meinen Kopf zu Frederik, der unsicher scheint, was er nun tun soll. Seine Hand liegt bereits über dem Aufstecher. Ich schaue wieder zurück. Einer der Gehornten hat Fritzi mittlerweile wahrgenommen und begutachtet sie. Noch verharren sie jedoch an Ort und Stelle. Fritzi scheint das nichts weiter auszumachen. Ich flehe, dass Fritzi zu uns zurückkommt, auch wenn ich nicht davon ausgehe, dass sie angegriffen werden wird. Doch wenn Frederik das glaubt, könnte das zu einer unschönen Situation führen. Denn wenn sich die Gehornten, in dessen Lebensraum wir uns gerade befinden, angegriffen fühlen, gibt es zwei Optionen. Sie flüchten, um sich Schutz zu suchen oder sie greifen selbst an. Je nach dem, was sie für sinnig und erfolgreich erachten. Sie sind zu fünft, vielleicht sogar noch mehr, nur dass wir sie nicht erkennen können.
Ein Rückzug unsererseits würde wiederum bedeuten, dass wir uns wieder näher akute Gefahrenzone – zumindest eine, die wir als solche benennen können – begeben. Hoffentlich kann Frederik meinen flehenden Blick und meine dazu gestikulierenden Zeichen verstehen. Wir müssen hoffen und warten. Seine Hand entspannt sich und umfasst nicht weiter den Griff der Waffe.
Wenn wir den kaum durchsichtigen Wald erst einmal durchquert haben, ist es nicht mehr allzu weit bis zu dem sicheren Ort. Andererseits wird es genauso gefährlich, wenn wir erst bei Tagesanbruch aus dem Wald hinaus schreiten. Wir wissen nicht, was dort auf den Pfaden auf uns warten wird.
Mit dem Baum im Rücken lasse ich mich langsam nach unten gleiten. Frederik behalte ich im Blick, der weiterhin auf die Szene schaut. Ich kann ihn verstehen, es geht hier um Fritzi, um seine geliebte Hündin.
Das plötzliche wilde Ertönen der Hufen auf dem Boden mit dem einhergehenden Vibrieren, was ich unter mir spüre, raubt mir den Atem.
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