57 ☾ ER

Abschotten. Es ist das Beste, was wir tun können. Feran hat nach nur einem Stichwort begriffen, um was es geht. Was Priorität hat. Die vielen Menschenleben.

Inmitten der noch nicht ganz ausgewachsenen Straßenschlacht bespreche ich mich mit zweien der Sicherheitsgarde, Nilo und Feran.

Ich klatsche in die Hände. Los geht es. Wir teilen unsere Truppe auf. Eine läuft vor zum Hauptweg nach unten, der zum Gipfel führt und bereitet alles vor. Die einen machen so weiter wie bisher, halten die Sektionsgruppen auf, um den anderen mehr Zeit zu verschaffen. Ich werde mich dazwischen bewegen. Irgendwie.

Eine Barrikade auf dem Weg errichten, damit sowohl wir als auch der Gipfel nicht erreicht werden können. Wir zumindest nicht mehr so leicht angreifbar. Wir bräuchten dafür etwas Zündstoff der Sektion. Wenn es uns möglich wird, greifen wir es uns.

»Dort unten kommen weitere.« Feran schreit über den Lärm zu mir.

Unten? Das würde bedeuten, dass unser Plan für den Allerwertesten ist. Nach ein paar Metern, die ich in diese Richtung zurücklege, schaue ich noch mal genauer hin. Es prallen zwei Gruppen aufeinander.

»Die sehen nicht wie eine Sektion aus?«, rufe ich fragend aus. Ganz und gar nicht. Ich ahne, wer sie sind.

Einige drehen sich irritiert um. Von mir aus können wir einen Waffenstillstand vereinbaren, hätte ich kein Problem mit, aber ich glaube nicht daran, dass sie so etwas hier kennen.

Hinter mir höre ich im nächsten Augenblick auch schon heraneilende Schritte. Sie klingen nicht so präzise wie die von unserer Einheit. Eher stümperhaft, die eines Sektionsmenschen. Hätte er mich erschießen wollen oder können, hätte er es schon getan. Früh genug drehe ich mich um. Dabei ziehe ich aus meiner Seitentasche den Aufstecher heraus. Als er vor mir zum Stehen kommt, ramme ich ihm das Teil ins Bein.

Ein lauter Schrei ist die Folge. Das interessiert mich nicht, rede ich mir zumindest ein. In Wahrheit geht er mir durchs Mark und Bein. Doch was sollte ich tun? Ich durchwühle seine Kleidung und seine Tasche und werde fündig. Zündstoff und Feuer. Dann bewege ich mich weg von ihm und lasse ihn liegen. Er wird wieder.

»Noch mal alles geben!«, rufe ich meinen Leuten zu. Dann laufe ich zum Weg hinunter, damit wir endgültig alles vorbereiten können. Ein paar wissen Bescheid, ab wann sie zu uns stoßen sollen und nehmen die anderen dann mit.

Unten angekommen treffe ich wie erwartet auf die Truppen von Seb und Cilai.

»Schön, euch zu treffen. Aber Kaffee gibt es jetzt nicht.« Was für einen Quark ich schon wieder labere.

»Freddie ... Immer noch dieselben bescheuerten Sprüche?« Ihre Stimme lässt mich innehalten.

»Kara, was machst du noch hier?« Ich blicke zu Cilai, der abwehrend seine Hände hochhebt.

»Sieh nicht mich an. Deine Freundin hat das ganz alleine entschieden. Du kennst sie doch.«

»Sie ist–«, beginne ich.

»Er ist nicht–«, unterbricht mich Kara.

»Nicht meine Freundin«, spreche ich weiter.

»Sicher ihr beiden?«, hakt er nach und Seb muss anfangen zu lachen.

»Und die anderen?«, frage ich nach.

»Sind in Sicherheit.«

»Okay. Cilai. Wir wollen den Weg genau hier sprengen und dahinter eine Barrikade erbauen, damit sie nicht zum Gipfel kommen. Also nimm Kara und ein paar der Leute und geht!«

»In Ordnung.« In seinen Augen sehe ich Zweifel. Er weiß nicht, ob er bleiben sollte oder wirklich gehen kann, vielmehr darf.

»Nein«, entgegnet Kara. »Ich bleibe.«

»Kara, ich habe keine Zeit dafür.«

»Dann lass es«, bestimmt sie.

»Okay«, gebe ich auf. Die Zeit drängt. »Dagegen komme ich auf die Schnelle eh nicht an.« Ich lege eine Hand auf Cilais Arm. »Pass mir gut auf Jeu und Fritzi auf.« Er nickt mir zu. »Und Cilai. Du musst es zu deiner Familie schaffen! Gib alles.« Er drückt dankbar meine Hand und erhebt sich. Er sammelt einige ein und zeigt ihnen den Weg.

»Sind wir bereit?«, frage ich an Feran gewandt und behalte Cilai im Auge, damit wir den richtigen Zeitpunkt erwischen.

»Ja.«

»Ich lasse eure Armbänder auf die sichersten Koordinaten aktualisieren und dann brechen wir hier die Zelte ab. Viel Glück«, lässt mich Cilai noch wissen, bevor er als Letzter hinter uns verschwindet.

»Das wünsche ich dir auch.«

Obwohl ich darauf vorbereitet bin, erschrecke ich dennoch. Der Knall ist laut, zerfetzt die Luft um uns herum – meilenweit – und krachend kommt er zum Erliegen. Durch die vielen unzähligen Staubkörner ist kaum etwas zu sehen. Mit der Zeit, in der sich die Schicht legt, erkennen wir das Ausmaß der Detonation.

Vor uns ist nicht nur etwas des Weges weg ... Nein, es klafft eine riesige Lücke zwischen uns und ihnen. Es hindert sie nicht, auf uns zu schießen, doch Erfolg haben sie dadurch nicht mehr. In der Überzahl sind wir auch nicht mehr, weil ich wollte, dass Cilai die meisten mit sich nimmt, um die Zahl der Überlebenden hochzutreiben. Aber durch unsere Schutzbarrikade und das Loch im Boden sind wir neben unseren Waffen gut ausgerüstet, können ausharren. Doch das können sie auch. Und im Gegensatz zu uns können sie sich versorgen.

Die Stunden vergehen, die Zeit wird langsamer. Einige der übrig gebliebenen, worunter Seb, Kara und Feran gehören, versuchen sich durch Wortspiele abzulenken. Doch auch das wird irgendwann langweilig.

Meine Gedanken schweifen immer wieder – seit der Wiese – zu Frida. Zu Frida und Rita. Es geht mir ähnlich wie Jeu. Die komplette Wahrheit werde ich wohl nie erfahren.

Wir müssen lernen, damit umzugehen, das zu akzeptieren. Ändern können wir daran sowieso nichts mehr. Ich möchte es lernen. Wenn ich noch die Chance dazu bekomme. Für mich.

»Erzähl etwas, Frederik«, fordert mich Seb ungehalten auf. Geht es ihm nicht gut? Ich schaue ihn mir genauer an. Er ist bleich und wirkt sehr wirr. Kein Wunder. Das macht sicherlich viel mit ihm.

»Was soll ich denn erzählen?«

»Irgendetwas. Bitte.«

»Vielleicht kannst du ja etwas von der Erde erzählen, etwas, worüber wir nachdenken können, falls wir die Möglichkeit bekommen, die Leute von ihrem Thron zu stürzen«, schlägt Feran vor.

Da keiner etwas einwendet, fange ich einfach mit dem an, was mir einfällt. »Die Erde ist in zwei Teile aufgeteilt, getrennt durch Wasser. Anscheinend gibt es nur Portale zu dieser Hälfte. Und von hier sehen wir das Wasser nicht einmal. Ich habe das Meer noch nie gesehen. Außer auf Lun-Vale. Über den anderen Erdteil weiß ich nichts. Nicht mal, ob es das gleiche System ist, was da herrscht. Bemerke ich gerade. Ich habe es immer angenommen. Aber vielleicht ist es ja auch anders? Ich hörte immer, dass wir eine Überquerung rein theoretisch machen könnten, aber das kostet viele Paler. Also Geld. Es könnte also sein, dass auf dem anderen Erdteil auch ein anderes System herrscht. Aber sie müssten von diesem wissen. Oder die Überquerungssache ist gelogen. Das würde zumindest zu unserem System passen. Strafen für alles Mögliche, Ausbeutung der Natur und aller Menschen außer der Reichen, Kontrolle und Macht. Angst und Gewalt.«

»Also wären Kontakte zum anderen Teil und ein Portal dorthin sicherlich ganz gut«, überlegt Feran.

»Und die Zeit ist auch immer auf unserer Seite«, füge ich hinzu. So langsam begreife ich es.

Abwechselnd genehmigen wir uns Ruhezeiten, verteilen dabei die Aufgaben Wachen und Schlafen gerecht auf.

Nach einigen Stunden – zumindest ist der nächste Tag auch schon bald an uns vorübergezogen – und vielen Schüssen später fühlen sich meine Gliedmaßen taub und eisig an. Da wir mittlerweile davon ausgehen können, dass alle evakuiert sind, könnten wir uns in Bewegung setzen.

»Wollen wir es wagen? Noch einmal alle Reserven mobilisieren und unseren Hintern nach Hause bringen?«

Ein Raunen geht durch die Gruppe. Wir sind alle erschöpft. Aber wenn wir hierbleiben, geht es nicht weiter. Das wissen wir alle. Kurz darauf folgt ein eindeutiges Zustimmen.

Ob es uns gelingen wird oder nicht, ich bin froh, Jeu und ihren Planeten kennengelernt zu haben. Dankbar bin ich auch dafür, dass ich Seb wahres Ich erkennen konnte. So skurril sich dieser Gedanke auch noch immer anfühlt.

In gebückter Haltung und auf leisen Sohlen stehlen wir uns hoffentlich ungemerkt davon.  

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