55 ☾ ER
»Was ist los?«, murmelt Cilai unsicher in mein Ohr, nachdem er sich ebenso der Lage genähert hat.
»Ich weiß es nicht. Sie trauen sich vermutlich nicht.«
»Du bist sicher, dass es keine Sektionsmitglieder sind?«
»So sicher, wie ich mir dessen sein kann. Ganz wissen kannst du so etwas nie. Aber sie wirken überhaupt nicht so. Oder glaubst du, dass sie so aussehen, als würden sie gleich auf dich schießen oder dich foltern?« Aus lauter Frust wurde ich lauter. »Tut mir leid.«
Ich wende mich etwas ab und versuche meinen Frust unter Kontrolle zu bringen. Damit will ich niemanden noch mehr einschüchtern.
»Nilo?«, ruft Cilai leise, was mich wieder herumwirbeln lässt. Nilo bewegt sich auf die Menschen zu. Er erinnert mich manchmal an Fritzi, die treudoof irgendwohin läuft und Vertrauen hat. Aber vielleicht haben die beiden auch lediglich gute Instinkte. Nilo hockt sich in der Nähe der Gruppe hin und sagt etwas. Die Worte kann ich nicht verstehen. Dann dreht er sich etwas seitlich und zeigt auf uns. Sowohl Cilai als auch ich warten gespannt ab, was passiert. Die zwei, die ich mit mir in die Nähe der Gruppe genommen hatte, stehen weiterhin an Ort uns Stelle und könnten notfalls Nilo Deckung geben. Feran hat sich zu mir und Cilai gesellt.
»Frederik?«, ruft eine weibliche Stimme. Ist es wirklich sie oder spielen meine Hormone schon völlig verrückt? »Freddie, komm schon. Bist du es wirklich?«
»Kara?«
Tatsächlich ist es sie. Sie kommt hinter anderen Menschenkörpern hervorgekrochen und zeigt sich. Eine Platzwunde an dem einen Auge, die sie bei unserer letzten Begegnung noch nicht hatte, ist direkt zu sehen.
»Guck mich nicht so an«, befiehlt sie mir.
»Ich dachte, du wüsstest immer, wo ich bin«, gebe ich schmunzelnd zurück.
»Ich dachte, du und das Mädchen hätten es geschafft. Obwohl ... wenn ich dich mit den anderen sehe ...«
»Ja, mir wird es auch erst jetzt wieder klar. Die Zeit.« Den anderen von Lun-Vale ist es sicherlich bewusst, aber sie haben das Wissen auch schon länger als ich. Ich habe es völlig vergessen. Für sie bin ich vielleicht gerade mal einen Tag weggewesen. »Wir sind hier, um die Menschen zu evakuieren«, kläre ich sie auf.
»Mehr nicht? Keinen Arschtritt für die Säcke?« Sie stemmt die Hände in ihre Hüften. Einige hinter uns müssen anfangen zu lachen.
»Vielleicht danach, wir müssen erst einmal zusehen, dass wir hier heile wieder rauskommen.« Hinter uns verstummt es wieder. Der Ernst der Lage wird uns wieder bewusst. »Das wirst du ja wohl auch einsehen. Wieso seid ihr hier?«
»Sie wissen es.« Sie schaut zu den verängstigten Menschen. »Wir haben nicht mehr lange.«
»Cilai! Du machst dich sofort mit einem kleinen Team auf, um die Leute zum Backteam zu bringen. Nimm Kara mit, zu ihr haben sie Vertrauen.«
»In Ordnung. Frederik. Nur so weit, wie es euch möglich ist, ansonsten Rückzug. Sobald wir die Gruppe evakuiert haben, kommen wir zurück.«
Wir nicken uns zu. Dann treffen sich Karas und mein Blick. Sorge spiegelt sich in ihren Augen.
»Los«, rufe ich und meine damit sowohl Cilais Team als auch meins. Ich reiße mich von Karas Blick los. Die Menschen kommen aus ihrem Versteck und es sind viel mehr, als ich vermutet habe. Ich bin froh darum, dass Kara Wind davon bekam und wir durch sie schon einige retten können. Nachdem sie einige Meter Vorsprung haben, marschieren wir weiter. Richtung Zentrum.
Adrenalin rauscht durch meine Adern. Ich fühle mich gleichzeitig betäubt und gestärkt. Sie können diesen Menschen nichts mehr anhaben.
»Aufpassen!«, schreit auf einmal jemand neben mir.
Direkt danach folgt ein ohrenbetäubender Knall, der mich taumeln lässt. Meine Sicht verschwimmt. Ich versuche, mich fortzubewegen, doch meine Beine wollen nicht, es ist, als würden sie mit dem Boden verschmelzen. Gleichsam wird mein gesamter Körper immer schwerer. Als hätte ich eine Ladung chemischer Stoffe aus Wilmas Laden geschluckt. Die Luft ist voller Nebel. Nicht mal meine eigene Hand sehe ich vor mir. Geräusche nehme ich ebenso wenig wahr. Ich bin kaum noch da.
Irgendjemand zieht an meiner Schulter, an meinem Arm. »Steh auf.« Ist das Ferans Stimme? »Frederik, komm schon. Hoch mit dir.«
Ich taste mich ab und neben mich. In der Tat liege ich auf dem Boden – mal wieder. Die Luft wird wieder klarer und ich nehme Ferans – vermute ich jedenfalls – Hand entgegen und rapple mich auf.
»Mist. Was war das?«
»Sie haben uns entdeckt und direkt das Feuer eröffnet, darunter als erstes eine Kanone, wenn ich mich richtig entsinne«, sagt er und dreht sich um. Ich tue es ihm gleich und sehe das Ausmaß ... Ich muss einige Zeit auf dem Boden gelegen haben ... Doch im Gegensatz zu ihnen hier stehe ich wieder. Kacke!
»Wir kommen so nicht weiter. Feran, Rückzug? Oder was meinst du?« Ich brauche einfach eine Zweitmeinung.
»Ja. Ich denke, im Zentrum wird es nur schlimmer.«
»Rückzug!«, befehle ich sofort nach seiner Antwort und mache das Zeichen dazu. Gott, bin ich froh, dass sie mir noch ein paar davon gezeigt haben. Vor allem, falls Vic auf mich trifft.
»Feran«, wende ich mich noch einmal an ihn. »Wir entscheiden da vorne, welchen Weg wir nehmen. Da könnten wir auch nach rechts abbiegen, falls es hier auf der Hauptstraße zu viel wird. Du erkennst dann, wo es lang geht. Und jetzt geh nach vorne an die Spitze.«
Er nickt mir zu und läuft nach vorne, um den Rückzug zu führen.
»Rückzug!«, rufe ich erneut, falls mich einige beim ersten Mal nicht gehört haben.
Während ich darauf achte, dass meine Leute sich auf den Weg machen, überprüfe ich diejenigen am Boden, ob ich noch welchen helfen, jemanden mitnehmen kann.
»Komm Frederik. Komm.« Doch ich kann nicht. »Es ist zu spät. Komm jetzt«, spricht Nilo auf mich ein, als ich mich nicht von ihnen fortbewegen will. Ich muss ihnen doch helfen können.
Irgendwie schafft es Nilo, mich von ihnen wegzuzerren. Wir laufen zwischen den Körpern von unseren sowie ihren Leuten hindurch.
Immer wieder hagelt es hinter uns Schüsse, die uns zum Stoppen zwingen. Wir schießen Pfeile zurück, versuchen jedoch im Gegensatz zu ihnen nicht als aller erstes, sie zum ewigen Liegen zu bringen, sondern haben unseren eigenen Schutz im Blick. Somit erzwingen wir auch durch unsere Schüsse Blockaden, damit sie uns nicht mehr leicht folgen können.
Wir kämpfen uns weiter vorwärts. Bis zur Gabelung. Ich schaue Feran an, mittels Lippenbewegung frage ich ihn, ob wir abbiegen wollen, er nickt. Automatisch bewegen wir uns nach außen und geben der Gruppe den neuen Weg an.
Weniger Geschosse kommen auf uns zu. Doch wir müssen im gleichen eiligen Schritt weiter. Sonst haben wir keine Chance. Wir laufen und laufen. Haben nur ein Ziel vor Augen.
Von rechts kommt mit einem Mal etwas angeflogen. Knapp fliegt es an mir vorbei, ich verfolge es mit meinen Augen. Sehe, wie es in der einen Hütte einkracht und diese wie in Zeitlupe einstürzt. Mein Blick fliegt wieder nach rechts. Auch da gibt es einen Schleichpfad, von dort kommt nun eine weitere Sektionsgruppe auf uns zu.
Ich verschaffe mir einen Überblick, erkenne die alten morschen Masten. An drei meiner Einheit gebe ich ein Zeichen, dass sie den zum Sturz bringen sollen, sodass der Sektion der Weg zu uns versperrt wird. »Jetzt!«, brülle ich. Sonst ist es zu spät.
Erfolgreich. Immerhin das. Hinter uns sind sie immer noch an unseren Arschbacken. Wie viel Zeit haben wir noch? Oder viel eher: Wie viel Zeit brauchen sie noch zur Evakuierung?, stelle ich gerade erschreckend fest. Wir dürfen nicht zielstrebig dorthin laufen.
»Feran!«
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