52 ☾ SIE

Das sanfte Aufschäumen ... Das einhergehende Rauschen ... und Knistern ... Wenn er es zurückruft ... Von den vielen kleinen Bläschen, die auf dem sandigen Grund zurückbleiben ... und Platz machen ... für die nächsten herankommenden ... Wellen des Meeres.

Diesem melodischen Klang gebe ich mich friedvoll hin. Ich lausche ... und folge ihn. Eine Wärme – voller Geborgenheit – umhüllt mich. Dabei bekomme ich das Gefühl, den einzigartigen Duft von Mama wahrzunehmen. Flieder. »Du bist stark«, wird zu mir gesagt und ein weiteres Aroma wird herangeweht. Thymian. Der Duft von Papi. Ich nehme einen tiefen Atemzug, um das alles in mir aufzusaugen; lade die Wärme zu mir nach innen ein. Ein intensives Gefühl – tief in mir – breitet sich aus; spüre dabei, wie sich Tränen hinter meinen Augäpfeln heranbahnen. Der Harmonie und Glücks. Annehmend kann ich weiterschreiten. Im nächsten Moment verblassen sie. Mein Körper macht sich auf den Weg und ich werde ihm folgen. Mit dem melodischen Klang des Meeres und der Düfte von Mama und Papi.

Drei, zwei, eins ... Langsam öffne ich meine Augen. Zur Orientierung blinzele ich mehrmals. Der erste Stich, der mich durchfährt, weil ich an meinen Fehler erinnert werde, lässt mich jedoch ebenso wissen, dass ich richtig bin. Ich stehe am Gipfel.

Es ist dunkel. Aber ich sehe ihn genau. Ich merke es ebenfalls an der Luft. Dicker, schwerer und staubiger. Ich schaue um mich und entdecke viele eher schwach leuchtende Mond-Armbänder. Mein Blick gleitet nach oben. Ja, der heutige Halbmond scheint verhüllt zu sein.

Ich halte Ausschau nach Frederik, möchte mich vergewissern, dass es ihm gut geht, ihm diese Reise nicht schwer zu schaffen gemacht hat. Dieses Mal ist er immerhin nicht verletzt. Seine Wunden waren glücklicherweise sehr schnell verheilt. Aber ich muss auch aufpassen, dass ich mich dem richtigen Team anschließe, sobald wir aufbrechen.

Sowohl Frederik und Seb stehen bereit. Sie haben sich zum Weg hin positioniert. Dieser Weg ... in dieser Welt ... Voller Trostlosigkeit. Und wenig Leben sowie Freude gefüllt.

Während Cil und Ryu mit dem Backteam noch alles Notwendige vorbereiten, schreite ich schrittweise in die Richtung von Seb und Frederik. Weitere Koordinaten für die Rückreisen, falls es nötig sein sollte, werden in dem kleinen mobilen Gerät des Backteams abgespeichert, ein leichtes Zelt wird aufgebaut und letzte Absprachen werden getroffen.

Dann tritt Cil von ihnen weg und geht an allen von uns vorbei. Hoffentlich erkennt er mich nicht!

»Denkt daran! Zieht eure Abdeckung über das Armband, damit wir uns nicht direkt dadurch verraten«, sagt er zu uns dabei.

Panisch ziehe ich meine Arme schnell nach hinten. Mist! Davon wusste ich nichts. Das Leuchten erlischt bei allen ... Außer bei mir. Verdammt. Und jetzt? Behelfsmäßig klammere ich meine andere Hand darüber in der Hoffnung, dass es zunächst nicht auffällt.

»Abmarsch«, höre ich Cil gegenüber Frederik und Seb sagen, die die Arme nach oben recken und dann nach vorne ziehen. Das Zeichen, dass es losgeht.

Mein Körper reagiert unmittelbar darauf. Erinnerungen werden wachgerüttelt. Von diesem Labor hier im Wald. Als sie mich mit ihren Geräten geschockt haben. Ich schüttle meinen Körper, löse die Starre, die sich mit einem Mal eingestellt hat und marschiere los. Bei jedem Schritt lasse ich die aufkeimende Nervosität und Aufregung in den Boden gleiten. Ich rede es mir zumindest ein. Dicht hinter Frederik schreite ich gleichmäßig voran, wobei ich auf seine Schritte sowie auf meinen Puls achte. Meine Gedanken fliegen immerzu zu Waldtraud und Wilma. Hoffentlich sind sie noch da.

An der Weggabelung wird stillgestanden. Hier trennen sich die zwei Teams. Seb marschiert weiter geradeaus und wir nach rechts in den Pfad, aus dem damals die Sektion kam und uns überraschte.

Verflucht. Diesen Trampelpfad kenne ich nicht. Warum hat Frederik das zugelassen? Mir bleibt nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Herzflatternd und meine Hände werden immer feuchter, dabei ist es hier nicht so warm. Doch nur nach ein paar Metern kann ich mir wenigstens vorstellen, wo wir uns befinden. Wir treffen auf einen breiteren Weg, auf dem wir nach links abbiegen.

Als ich auf der Erde war; am nächsten Morgen in Frederiks Hütte aufwachte und die Chance ergriff, zu fliehen, bin ich einem Weg gefolgt, der mich zu einer Gabelung führte, an der ich mich ganz bestimmt aufgrund meines Gefühls gegen rechts entschieden habe. Stattdessen war ich nach links gegangen und auf dem Markt gelandet. Auf diesem ›rechts‹, nur sehr weit, scheinen wir zu sein.

Wenn ich mich nicht täusche, müssten wir nun parallel zu dem Team von Seb marschieren.

Und falls ich mit meiner Vermutung richtig liege, werde ich es bald erkennen und habe sogar die perfekte Möglichkeit, mich abzuseilen. Außer Frederik wird die Truppe ebenso dorthin leiten. Aber ich gehe davon aus, dass er sie zunächst ins Zentrum führt.

Zudem weiß Frederik darum Bescheid. Langsam sollte ich mich zurückfallen lassen und das Schlusslicht bilden. »Ey. Deine Abdeckung. Wo ist sie?«

Ruckartig drehe ich mich zu der Person um, die mich angesprochen hat. Ich habe offenbar irgendwann aufgehört, mein Handgelenk zu umklammern. Mein Bogen hält sich jedoch auch nicht die ganze Zeit von alleine. »Hast du sie verloren?«

Hilflos zucke ich mit den Schultern. Meine Stimme könnte mich verraten.

»Mist«, flucht er. Daraufhin kontrolliert er seine eigene Abdeckung, wodurch ich mitbekomme, dass es lediglich ein Stück Stoff ist. Ich presse wieder meine Hand über mein Armband. Vielleicht schaffe ich es unbemerkt bis zu Waldtraud und Wilma und sie können mir etwas geben.

Jeden Schritt setze ich bewusst langsamer, damit es keiner mitbekommt, wenn ich einen anderen Weg einschlage.

Die Zeit ist gekommen. Durch einen Spalt der zerschlissenen Hütten habe ich diese eine erkannt. Bei der ich mir ein Familienleben mit vielen Tieren ausgemalt hatte, bis ich von Nahem erkannt hatte, dass das kaum noch der Realität entsprechen kann. Da sie schon sehr bald nicht mehr stehen wird, sie immer mehr einfällt.

Ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen, aber ich weiß, dass ich es kann. Das Training hat mich gelehrt, mich lautlos wie Schatten zu bewegen, eins mit ihnen zu werden.

Gepresst an die Häuserwand an der Abzweigung warte ich ab, bis die Schritte der anderen verhallen – und auch darauf, dass sich der Rhythmus meines Herzens normalisiert. Dann drücke ich mich mit meinen Händen ab. Ziehe den Bogen wieder in eine geeignete und bequemere Position und setze die ersten Schritte in den Weg hinein. Auf diesem Weg sollte ich mich beeilen. Hier gibt es nicht viele Versteckmöglichkeiten. Es ist ein langer, einsehbarer Pfad.

»Bist du das Mondmädchen?«, werde ich bereits nach kurzer Zeit gefragt. Ich höre, wie sich mehrere Menschen nähern. Das Armband. Mist. »Das ist ja nicht zu fassen. Du bist es oder? Du bist also doch noch hier. Wir haben den ganzen Tag nach dir gesucht.«

Schweiß bahnt sich durch jede Pore empor. Die Angst ergreift wieder Besitz von mir. Ihre Krallen packen meinen Nacken und hinterlassen eisige Spuren auf meinem Rücken.

Unfähig irgendetwas zu tun, stehe ich mit schockgeweiteten Augen da. Mein Körper gleicht einem Baum in einer windstillen Nacht. Erstarrt, bewegungslos. Mit dem Rücken zu ihnen höre ich, wie sie auf mich zueilen. Ich will nie wieder in ihre Fänge geraten. Nie wieder.  

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