38 ☾ SIE

»Vielleicht sollten wir uns erst einmal alle wieder hinsetzen«, versucht Lesuna ruhig zu uns zu sprechen.

Doch ich werde nicht nachgeben. Nein. Ich soll meine Rolle einnehmen. Das wollten sie doch, oder? In Ordnung. Sobald Cil sich aus der Position löst, werde ich es auch tun. Meinetwegen bekommt er auch ein paar belobigenden Worte. Aber–

»Lasst uns doch alle beruhigen und vernünftig sprechen. Bitte?« Lesuna klingt ein wenig überfordert. Sie tut mir leid, aber es geht hier gerade um etwas anderes. Bei ihr werde ich mich später entschuldigen.

»Also wenn Jeu geht, dann«, beginnt Dira beiläufig klingend zu sagen, was Cil zum Zucken bringt. Innerlich muss ich grinsen. »Dann komme ich mit«, beendet sie ihren Satz.

Cil kann nicht mehr stramm halten. »Keine von euch geht. Und fertig.«

Er hat seine Haltung aufgegeben und setzt sich eher missmutig wieder hin. Ich warte drei Herzschläge ab und nehme dann ganz gelassen ebenso wieder Platz.

»Nichts fertig«, gebe ich in einem Ton, der eigentlich keine Widerrede duldet von mir. Daraufhin schaue ich rechts von mir entschuldigend zu Lesuna, in der Hoffnung, dass sie es versteht und wende dann meinen Blick zu Dira, die links von mir sitzt. Da sie nach unten schaut, wie ich es mir erhoffte, mache ich unser Zeichen für ›Danke‹ unter dem Tisch. Im Augenwinkel kann ich Diras leichtes Zucken um ihre Lippen erkennen.

Innerlich wappne ich mich schon auf das nächste Duell zwischen Cil und mir – wie auch immer es aussehen würde –, denn er öffnet seinen Mund, er will offenbar etwas sagen. Zudem scheint er frustriert und wütend, seine Adern an der Stirn stehen hervor. Definitiv kann er noch nicht damit umgehen, dass ich das Kommando übernehme. Sein angespannter Kiefer untermauert meine Vermutung nur noch mehr. Doch zum Sprechen kommt er erst gar nicht. Es klopft am Eingang.

Keiner von uns bewegt sich. Nicht mal Fritzi. Ich schaue zu ihr, doch auch sie kann mir nicht sagen, was zu tun ist. Mein Kopf ist leer, mir wird kalt und ich fühle mich genauso wie auf der Erde. Hilflos. Wie konnte ich eben nur annehmen, dass ich – Jeu, eine vierzehnjährige Göre – die Richtung weisen könnte, wenn sie doch gleich wieder im nächsten Augenblick sich lieber im nächsten Erdloch verkriechen möchte?

Mein Selbstbewusstsein zerfällt wie die bunten Blätter eines Baumes, nach dem er sie von sich fallen lassen hat. Ich sinke den Kopf und mit dem Moment erhebt sich Cil. Er begibt sich zur Tür und reißt sie auf.

»Nilo und Feran? Was macht ihr denn hier?«, fragt er erstaunt, was mich wieder aufblicken lässt. »Ist noch etwas vorgefallen?« Cil seufzt aus, spricht jedoch dann direkt weiter. »Ich kann nicht noch mehr Probleme gebrauchen.«

Nilo und Feran scheinen ungeduldig zu sein, so wie sie von einem auf das andere Bein hin und her zappeln. Aber ich denke mal, dass sie zu viel Respekt vor Cil haben, um ihn zu unterbrechen. Hinter ihnen taucht noch jemand auf. Ryu!

»Hallo Ryu!«, rufe ich von hier hinten aus.

Cil hat ihn wohl noch nicht gesehen, denn nun schaut er zunächst verwirrt zu mir und dann an den anderen beiden vorbei. »Ryu? Du auch? Ich habe ihn nicht gefunden und ... andere Sorgen gerade gehabt.« Beim zuletzt Gesagten blickt er hinter sich zu uns.

»Ich weiß«, antwortet Ryu knapp.

»Was ist hier los?«, will Cil nun wissen.

»Die beiden wollen dir etwas Wichtiges erklären und du solltest zuhören. Deswegen habe ich sie hergebracht«, teilt Ryu mit.

Im Hintergrund höre ich, wie Lesuna sich bereits erhebt und sich um die Getränke gekümmert. Mein Blick bleibt jedoch nach vorne gerichtet.

Cil nickt ihm dankbar zu. Ich weiß, dass Cil Ryu großes Vertrauen entgegenbringt. Er ist sein erster und engster Mann, wie er so oft schon sagte. Auch wenn wir hier alle Berufsgruppen als gleichwertig ansehen, ist es in der Sicherheitsgarde dennoch unüblich gewesen, eine Person aus dem Heilbereich als Vertretung und Vertrauensperson einzusetzen.

Nilo und Feran betreten die Hütte und als sie Fritzi erblicken, müssen sie lächeln. Sie kennen Frederik!

Sie setzen sich zu uns an den Tisch, Lesuna stellt jedem einen Trunk in einer kleinen Schale hin und nimmt dann ebenso wieder Platz. Über den Dampf nehme ich die beruhigende und zugleich belebende Wirkung unmittelbar wahr.

Die beiden Neuankömmlinge gucken sich an. Nachdem der eine dem anderen zunickt, beginnt dieser dann endlich zu erzählen. Frederik hat Cil und den Gesandten belauscht und ist dann abgehauen. Sie haben ihn zunächst selbst gesucht, blieben aber erfolglos. Auf der Suche nach Cil haben sie nach längerer Zeit Ryu getroffen, der sie schlussendlich hierher brachte.

»Das klingt nicht gut.« Cil stößt Luft aus. »Vor allem hat er nicht alles gehört von unserem Gespräch.«

»Was heißt das?«, fragen mehrere an Cil gewandt, darunter auch ich. Ich beobachte ihn genau, möchte keine Gefühlsregung verpassen, doch Cil starrt auf sein Getränk. Ich weiß nicht, was er denkt oder meinen könnte, kann es auch nicht erahnen.

»Dieser Idiot! Hätte er doch nur gewartet!«, ruft er frustriert aus.

»Cil! Was bedeutet das? Was ist los?«, rufe ich fragend und auch ängstlich in seine Richtung.

Er blickt mich an. Nicht vorwurfsvoll. Sondern sehe ich einen Schimmer in seinen Augen. Das kann ganz und gar nichts Gutes heißen. 

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