34 ☾ SIE
Unsicher und innerlich zerstreut laufe ich auf und ab. Bald haben sie sicherlich ein Loch im Boden – irgendwo zwischen Küche und Gemeinschaftsraum. Wie konnte ich nur zustimmen? Was habe ich mir nur dabei gedacht? Wann kommen die beiden endlich wieder? Sollte ich mich nicht endlich mal zusammenreißen und meine Rolle ernst nehmen? Sollte ich nicht langsam aufhören, lediglich darüber nachzudenken, sondern wirklich mal etwas unternehmen? Ich weiß nicht, wie ich das bewerkstelligen kann und ich fühle mich noch immer als die Falsche dafür. Dira wäre besser darin. Aber enttäuschen will ich sie nicht. Sie nicht, Lun-Vale nicht und auch Papi und Mama nicht.
Ich halte in der Bewegung inne. Ich muss es tun. Wenn das meine Möglichkeit ist, ja, dann werde ich es tun und mich dem stellen. Für uns alle. Und für Papi. Er ist kein Verräter. Das hat er nicht verdient.
Ich setze mich wieder hin, fühle mich erschöpft, meine Glieder hängen schlaff herunter, als wäre ich die letzten Stunden auf hoher See gewesen. Mama, kommt mir wieder in den Sinn. Was ist nur mit dir geschehen? Wer war das? Ich schließe meine Augen und spüre, wie einzelne Tränen meine Wangen hinab kullern. Eine Woge der Wärme überkommt mich auf einmal und ich weiß, dass sie es ist. Richte deinen Blick auf das, was du beeinflussen kannst. Beziehe das, was war mit ein. Aber verharre nicht darin. Schau nach vorne.
Kraft, Mut und Hoffnung.
Ein wenig leichter öffne ich meine Lider. Und wie auch sonst kann ich nicht anders, als Mama zuzustimmen. Geduldig warte ich auf Dira und Lesuna. Währenddessen versuche im Kopf durchzugehen, was ich der Gemeinschaft von Lun-Vale sagen könnte.
Lesuna und Dira kommen zuversichtlich und beflügelt zurück. Viele freuen sich auf den heutigen Abend, setzen ihre Hoffnung da rein, was mich wieder nervöser werden lässt. Doch das behalte ich für mich und sage mir immer wieder, dass ich es schaffen muss für uns alle.
Nachdem ich mich frisch mache, ziehe ich statt des gelben Gewands das azurblaue an. Die Wickelgewänder sind aus leichtem Stoff, in dem ich mich am wohlsten fühle. Ich lege es mir gerade um den Körper, als Dira hereinkommt.
»Na«, sagt sie. »Bist du so weit?«
»Ja, gleich. Denke ich«, erwidere ich nervös und meine Finger beginnen erneut zu zittern, sodass ich das Gewand nicht ordentlich verschließen kann.
Dira kommt zu mir und nimmt mir den Stoff ab. Sie zieht es noch einmal zurecht, wodurch es wieder in seine korrekte Position gezogen wird und verbindet die Enden zu einer Schleife. »Wollen wir?«, fragt sie sanft nach.
»Ja.«
Sie streckt eine Hand aus und ich lege meine in ihre hinein. Den ganzen Weg über halte ich fest und sie lässt nicht los.
Jetzt stehe ich hier. In mir kribbelt alles und ich bin verwundert, dass ich es überhaupt noch spüren kann. Mein Blick schweift über die Anwesenden. Dira und Lesuna sind an meiner Seite. Vor mir sehe ich Kelia mit Galiu, sie nicken mir lächelnd und vor allem bestätigend zu.
»Hallo«, beginne ich schüchtern und habe schon wieder vergessen, was ich sagen wollte und sollte. Was haben die beiden mir noch einmal für Tipps gegeben? Hatten sie das denn? Ich spüre, wie es mir feucht den Rücken herunterläuft. Dazu kommen mir auch jetzt schon die Tränen. Ich muss – nein, ich will – stark sein.
»Im Zentrum des Dorfes, der Sicherheitszone, der Aufmerksamkeit unserer Gesellschaft, den Teil davon, der sich noch nicht abgewandt hat, stehe ich. Etwas, was ich nie wollte und doch ist es wichtig.« Ich atme aus und wieder ein. Tief ein und aus.
»Ich weiß, ich bin bereits seit vier Tagen wieder auf unserem wunderschönen Planeten. Vermutlich fragen sich manche, warum ich erst jetzt hier stehe. Vielleicht finde ich keine passende Antwort darauf, denn so vieles habe ich nicht mitbekommen. Was ich aber weiß und leider herausfinden musste, ist, dass in meiner Abwesenheit zu viel passiert ist. Schreckliches, Grausames, Dinge, die ich mir vorher nicht mal hätte vorstellen können ... In den letzten Tagen bin ich bewundernswerten Menschen begegnet, die alles für Lun-Vale und ihre Mitmenschen tun. Dafür bin ich dankbar! Ich danke euch allen. Ich möchte euch sagen – und hoffe, dass ihr mir glauben könnt –, dass sowohl unser Staatsoberhaupt Kasu als auch ich nicht auf deren Seite stehen. Auf keinen Fall! Ich bin hier, weil ich euch zeigen will, wo mein Platz ist; auf wessen Seite ich selbstverständlich im Kampf stehe. Das ist meine Pflicht als Tochter von Kasu, aber auch mein Wille.«
Wackelig gehe ich einen Schritt zurück, um zu signalisieren, dass das, was ich mitteilen wollte, aus mir heraus ist.
Dira und Lesuna kommen wieder näher an mich heran und nehmen mich in den Arm, sodass ich mit dem Rücken zu den meisten Anwesenden stehe. Auf einmal fängt jemand an zu klatschen, weitere steigen mit ein. Lesuna dreht mich um und ich kann es kaum glauben. Mit einer Hand auf dem Herzen blicke ich sprachlos in die Menge. Kelia klatscht am lautesten und Galiu gibt sein Bestes, seiner Mutter nachzueifern. Aber auch die meisten anderen geben Beifall und immer mehr sind aufgestanden, wodurch sie mir ihre Treue beweisen. Zu Tränen gerührt weiß ich nicht, was ich sagen soll.
»Danke. Ich danke euch!«, sage ich daher erneut.
Auf dem Weg nach Hause kann ich es immer noch nicht ganz realisieren, dass ich unser heutiges Ziel erreicht habe. Ich möchte noch nicht zu euphorisch sein, es kann sich immer wieder wandeln, aber ich bin glücklich und stolz.
Als wir voller Glück die Hütte betreten, ist kein Licht an. Cil scheint noch nicht zurück zu sein, dabei ist es bereits dunkel. Ob etwas passiert ist? Wir drei gucken uns mit einem mulmigen Gefühl an. Und ich dachte, jetzt würde endlich wenigstens etwas besser werden.
Welch ein Trugschluss bei dieser aktuellen Lage, kommt mir selbst wieder in den Sinn ...
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