2 ☾ SIE

Siggi. Auf dem kurzen – und doch gefühlt ewiglangen – Gang hinaus versuche ich eine Verknüpfung zu dem Namen zu finden. Ohne Erfolg. Hatte Frederik den Namen bereits verlauten lassen? Ohne Zweifel meint er Sash damit. Es will sich mir nicht erschließen, wie das gehen kann. Gibt es bereits eine Kooperation zwischen uns und ihnen?

Aber was ist dann in der Zeit geschehen? Warum scheint es, als wäre Papi sein Gefangener und nicht mehr unser Staatsoberhaupt?

Als auch ich wieder an die Oberfläche gelange, kann ich in Frederiks Augen erkennen, dass er erschüttert ist. Es nimmt ihn ebenso mit, auf andere Weise.

»Was meint er damit, dass du seit mehr als einem Monat weg bist?«, hakt er nach, wobei er sehr mitgenommen aussieht. Er braucht sicherlich weiterhin Ruhe, obwohl sein Körper weniger lädiert zu sein scheint.

Ich nehme ihn bei der Hand und ziehe ihn in den Schutz des Versteckes. Doch zuvor verschließe ich leise und sachte den Zugang zur Treppe. Jetzt sieht es wieder nach dem Boden zum Baldachin aus, der über und um uns ist. Ich liebe dieses Holzgerüst, was zu den Seiten frei ist, jedoch von oben Schutz bietet. Wir haben es einst aus Holz, was uns die Natur freiwillig überließ, angefertigt. Durch die eine Seite ziehe ich sowohl ihn als auch Fritzi mit, ins Gebüsch. Die immergrüne Pflanzenart benötigt einiges an Raum für ihre dichten Blätter, doch bietet ebenso viel Platz, um sich dazwischen zu setzen. Bisher kam hier noch nie jemand anderes her. Außer Papi und mir. Die Truhe, die aus dem gleichen Holz wie der Baldachin angefertigt wurde, befindet sich ebenso hier. Es ist ebenfalls die Aufbewahrung für die wenigen Habseligkeiten, die ich gerade zur Verfügung habe.

Geduldig hat Frederik gewartet, blickt mich jedoch nun erwartungsvoll an.

»Ich wollte zunächst aus dem Sichtfeld heraus und alles vorbereiten für den Fall. Zu deiner Frage: Hier läuft die Zeit anders.«

»Inwiefern anders?« Er schaut zu Fritzi, ich folge seinem Blick, doch sie hat sich brav zwischen uns gelegt.

»Wir – damit meine ich Fachkräfte von hier – haben von einigen Planeten die Zeiten beziehungsweise den Tagesrhythmus errechnet. Was ich weiß, ist, dass eine Woche auf der Erde in etwa ein Monat auf Lun-Vale heißt«, erkläre ich ihm.

»Bedeutet, dass die Tage hier schneller vergehen?«

»Denke. Ja. Das würde Sinn ergeben. Meine Umstellung auf der Erde habe ich offensichtlich nicht ganz mitbekommen ...«

Der Gedanke daran lässt mich erschaudern. Es ist jedoch mehr als das. Eine weitere Sorge gesellt sich dazu, nicht wegen ihm, sondern weil ich die Umstände während meiner Abwesenheit nicht mitbekommen habe und nichts gewiss ist.

»Tut mir leid, Jeu. So war das nicht gemeint.« Frederik schüttelt mit dem Kopf. »Das ist alles zu viel für mich.«

»Ich habe mir auch ein anderes Ankommen hier auf meinem Zuhause vorgestellt«, entgegne ich ihm. Vor allem, dass ich meinen Papi in die Arme nehmen oder ich mich in seine fallen lassen kann.

»Verständlich.«

»Frederik«, erinnere ich ihn an einen nicht abgemachten Deal. Ich will Antworten.

»Hm?«

»Du kennst Sash! Woher?«

»Ihr nennt ihn also Sash. Ich kenne ihn als Siggi.«

»Ja, das habe ich wohl mitbekommen«, erwidere ich schnippisch.

»Frida ...« Er stockt und ich schelte mich selbst für meinen Ton der eben gesagten Worte. »Rita, meine Schwester, hat Siggi früh kennengelernt. Sie bekamen ein Kind. Frida. Vor einigen Jahren – so heißt es – hatten er und Rita einen Unfall, danach kam Frida zu mir.«

Vor Entsetzen ziehe ich erst laut Luft ein, nur um sie im nächsten Moment gequält auszupusten. Mein Herz schlägt, wie es will, vollkommen wild durcheinander ... Das ist fürchterlich! Ich kann mir nicht ausmalen, was gerade in ihm vorgeht.

»Das tut mir leid, Frederik. Das muss schrecklich für dich sein.«

Es ist wahrlich anders gekommen, als ich es mir gewünscht habe; als ich dachte. Ich dachte, ich würde ihm helfen. Doch nun habe ich ihn in die nächste schwerwiegende Situation gebracht.

Ich sehe ihm an, dass sein Geist wieder abdriftet. Ob aus emotionalen Gründen oder weil er zu erschöpft ist, weiß ich nicht. Doch ich bin mir dessen bewusst, dass er zu neuen Kräften kommen muss. Bisher war keiner hier, damit versuche ich mich zu beruhigen. Diesen Tag und eine Nacht können wir hier noch verweilen. Leise öffne ich die Truhe und ziehe die Salbe sowie eine Decke für Frederik heraus. Ich begutachte seine Wunden und stelle erstaunt fest, dass ihm die Salbe bereits gut geholfen hat. Dennoch schmiere ich die Stellen in der Hoffnung, dass es morgen so gut wie weg sein wird, noch einmal ein. Behutsam lege ich ihm die Decke drüber. Er murmelt etwas im Halbschlaf, dass ich kaum verstehen kann. Nur die Worte ›Es tut mir leid, Rita‹ kann ich vernehmen. Mein Herz zieht sich erneut zusammen. Ich streichle Fritzi über ihren Kopf, die immer noch zwischen uns liegt. Er ist ein unfassbar starker und hilfsbereiter Mensch, der das alles nicht verdient hat. Und dennoch brauche ich seine Hilfe. Dieses Mal komme ich alleine nicht weit. Gleichzeitig bin ich sehr dankbar, ihm begegnet zu sein. Wo wäre ich ohne ihn gelandet?

Nach einiger Zeit beginnt Frederik leicht zu zappeln und reißt mich aus meinen Grübeleien rund um einen Plan, wie wir vorgehen könnten. Ich luge zwischen den Blättern nach draußen. Zum Glück ist niemand in Sicht. Wieder auf ihn blickend kann ich selbst durch das schummrige Licht, weil wir durch das Blätterdach gut abgeschirmt sind und die Sonne allmählich untergeht, den Schweiß auf seiner Haut sehen. Albträume.

Als ich sicher bin, dass er wieder ruhig schläft, nehme ich den Rucksack und verstaue schon einmal alles aus der Truhe in ihn hinein. Das Trinken wird uns als Erstes ausgehen. Wir müssen bald aufbrechen. Uns bleibt keine Wahl.

Hier an meinem Platz hat sich nichts verändert und doch scheint alles anders zu sein. 

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