16 ☾ SIE

Ich sehe sie ... Aber nicht ich bin bei ihr im Haus ... Oh nein. Dira! Ich versuche zu schreien, doch es ist mir nicht möglich. Wie kann das nur sein? Es darf nicht sein. Mein Körper will mir ebenso wenig gehorchen wie meine Stimme. Was ist nur los? Dira darf nicht bei ihr sein; das Gleiche durchmachen müssen. Ich muss ihr irgendwie helfen. Irgendetwas muss ich doch tun können. Wie konnte Dira in Hildes Fänge geraten? Wieso kann ich denn nichts dagegen unternehmen? Ich kann ihr ansehen, wie sie eisern versucht, stark zu bleiben; sich nicht einschüchtern zu lassen in diesem Bett ... mit dieser Fußfessel, an dessen Beklemmungsgefühl ich mich leider nur zu gut erinnern kann. Doch einzelne Schweißtropfen bahnen sich von der Stirn hinunter und laufen durch ihr schönes ovales Gesicht, bis sie seitlich am Kinn gelangen, an dem ihr halblanges Haar bereits klebt. Der Mond scheint durch das Fenster, wodurch der rote Glanz ihrer Haare noch sacht durch das sonstige dominierende Braun schimmert. Was wird sie mit ihr anstellen? Ihr Grinsen verheißt nichts Gutes. So langsam wie Hilde sich auf Dira zubewegt, so schnell beginnt mein Herz zu rasen. Doch dann ... Abrupt hält sie inne. Mir stockt der Atem. Hilde dreht ihren Kopf und ... – kann das möglich sein? – schaut genau in meine Richtung, als könne sie mich sehen. Ihr fratzenartiges Grinsen vertieft sich. Wenn mein Körper nicht derart gelähmt wäre, würde mich ein Schauer nach dem nächsten zum Schütteln bringen. Blickt sie wirklich mich an? Ich wage es nicht mal mehr zu atmen. Doch – so unauffällig wie möglich – schiele ich zu Dira. Auch sie hat ihr Gesicht mir zugewandt. Sie bewegt ihre Lippen, es bereitet mir immens Mühe, mich darauf zu fokussieren. Was möchte sie mir mitteilen? Irgendetwas mit einem A und L. Alles ... Alles ist ... Alles ist gut? Wie kann sie das meinen? Es ist nichts gut. Sie ist hier bei ihr. Noch immer gehorcht mein Körper mir nicht. Ich fühle mich wie eine Gefangene meiner Selbst. Was mir mehr Angst macht, kann ich nicht einordnen. Alles ist gut. Aber das stimmt nicht.

»Alles ist gut. Pscht. Alles ist gut.«

Verwirrt schrecke ich hoch, falle jedoch direkt wieder nach hinten auf den Rücken. Wo bin ich? Und vor allem: Wo ist Dira?

»Ich bin hier.« Habe ich das gerade laut gefragt?

Sogleich legt sich ihre Hand auf meinen Unterarm, wodurch ich bemerke, dass dieser feucht und klebrig ist und nicht nur der. Mein gesamter Körper scheint nassgeschwitzt zu sein. Es war ein Traum. Nur ein Traum. Dira ist hier. In Sicherheit. Zumindest jetzt. Irgendetwas ist jedoch mit ihr in meiner Abwesenheit geschehen. Etwas Schlimmes muss es gewesen sein, etwas, worüber sie noch nicht bereit ist zu sprechen.

»Hast du von dieser ... ihr geträumt?« Einen Teil meiner grausamen Erfahrung auf der Erde habe ich ihr noch anvertrauen können, bevor Cil und Frederik kamen.

Frederik ... Ich bin dafür verantwortlich, dass ... dass er in der nächsten Misere ist. Wie konnte ich nur?

Mit einem Schwung schlage ich die Decke weg und springe dann auf. Dira spricht noch etwas zu mir, doch ich drehe mich nicht mehr um. Raus. Ich muss raus. Ein Tapsen kann ich hören, aber ich drehe mich nicht um. Meine nackten Füße tragen mich über das sanfte Holz unter mir. Hinaus aus deren Hütte; hinaus in die Welt, in meine Welt, in der mich momentan genauso fremd fühle wie auf der Erde. Laufen, doch wohin? Ich brauche nur ... Ich weiß es nicht. Meine Beine fühlen sich wackelig an, so als würden sie mich oder die schwere Last in mir schon bald nicht mehr aushalten können. Meine Knöchel um die Füße könnten jeden Augenblick zerbröseln. Ich sehe mich gedanklich schon am Boden liegen. Bin ich dort nicht bereits angekommen? Oder war ich es nicht schon? Ein Schatten huscht in meinem Augenwinkel vorbei und ich gerate ins Stocken; bleibe stehen. Was tue ich nur? Das leichte Kleidchen, welches ich zur Nacht übergezogen habe, presste sich bis eben noch durch den nasskalten Schweiß an meinen Körper, als würde es von mir Besitz ergreifen wollen. Allmählich lässt es von mir wieder ab. Es beginnt zu flattern – mein Herz mit ihm –, bis es sich an den Rhythmus der Winde angepasst hat. Es ist noch dunkel – aber nicht mehr finster, eher dämmrig. Der neue Tag ist bereits angebrochen. Ich erkenne die Stelle und weiß, wohin ich gelaufen bin. Nach drei weiteren Schritten gelange ich ans Schilf, an ein Flussufer. Ein wunderschöner Ort. Hier wachsen bezaubernde Blumen, zu jeder neuen Saison haben die großen Blüten eine andere prächtige Farbe. Es ist ein bunter, froher Platz. Hier war ich schon oft so gern. Auch mit Mama damals.

»Hallo Mama«, spreche ich in die Stille hinein und setze mich derweil auf den erkühlten grünen Untergrund, der mich tröstend empfängt. Ein Rascheln von rechts erschrickt mich. Doch zu meinem Glück und meiner Freude streckt Fritzi ihren Kopf aus dem Gewächs, was mich lächeln lässt. Sie habe ich auch jetzt gerne bei mir. Sie gewährt mir auch in meiner Nähe meine Ruhe und meinen Raum. Ich kann verstehen, warum Fritzi so wichtig für Frederik ist. Ich klopfe mit meiner rechten Hand auf den Boden, woraufhin sie sich direkt zu mir legt und wir schweigend beieinander dem Fluss lauschen und ich für meinen Teil zumindest in meinen Gedanken bei Papi, Frederik und Dira bin.

»Mama, ich weiß gerade echt nicht weiter. Irgendetwas wird noch auf uns zukommen. Das habe ich im Gefühl. Doch ich weiß nicht, was. Habe ich deswegen solche schlimmen Albträume? Oder habe ich die wegen der Erlebnisse auf der Erde? Ich wünschte, du wärst hier ... bei mir.« Ich streiche Fritzi über den Kopf, während ich tief einatme ... »Und ich weiß auch nicht, wie wir Papi da rausholen sollen. Das kommt mir wie eine schwierige, unlösbare Aufgabe vor. Und was mit Frederik? Ich wollte das nicht, ich wollte ihm doch helfen. Und Dira. Was ist mit Dira? Was ist bloß mit ihr geschehen? Warum vertraut sie sich mir nicht an?« Jetzt passiert es doch. Tränen laufen meine Wangen hinunter. Es ist so viel und ich habe keine Ahnung. Ich weiß einfach nicht weiter. Ich ziehe meine Knie an meinen Körper heran und lasse meinen Kopf darauf fallen. Meine Hand verweilt auf Fritzis Körper. 

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