11 ☾ ER

Na endlich! Beinahe hätte ich – sehr wahrscheinlich – wieder etwas völlig Beklopptes aus meinem Mund gegeben, doch ich kann mich gerade so noch zurückhalten. Wahrlich gerade so. Mein Mund ist schon geöffnet. Durch meine starke Willenskraft, indem ich mir vorstelle, wie ich mir mit meiner Hand den Mund zudrücke, kommt nur ein Blubb zwischen meinen Lippen heraus. Ich muss es mir ja nicht direkt wieder mit Cilai verspielen, der mir gerade soeben erst sein Vertrauen entgegengebracht hat.

Auch wenn Jeu daran zu knabbern hat, dass Cilai dafür einige Momente gebraucht hat, kann ich ihn dahingehend vollkommen verstehen. Er will seine Leute beschützen und das muss er in dieser Zeit auch. Das macht ihn zu einem wertvollen Menschen und Kommandanten. Davon gehe ich jetzt zumindest aus, dass er diese Rolle hier einnimmt.

»Wir bilden den Widerstand und das ist unser ... Spezialort. Für alles. Sie wissen davon, aber wir haben unsere Waffen. Noch werden sie nicht hierher kommen. Aber irgendwann werden sie es vermutlich doch tun. Wenn sie so weit sind. Wir wollen unser Leben zurück. Wie es war. Ohne Sash und seine Gefolgsleute. Wir wissen nicht, warum sich manche ihm angeschlossen haben. Vermutlich viele aus Angst. Manche vielleicht auch, weil sie dem glauben? Wir wissen es nicht. Doch wir wissen, was wir wollen. Seitdem sie Kasu in ihrer Gewalt haben, gibt es nur noch das eine Ziel. Vorbereitet haben wir uns schon vorher. Im geheimen. Ob sie davon Wind bekommen haben? Das können wir nicht beantworten. Alles spielt sich hier ab. Dieser Ort existiert seit Urzeiten, er ist nicht einsehbar, wie du gemerkt hast. Jeder, der unsicherer wurde und sich uns anvertraut hat, kam hierher. Wir bieten ihnen eine Zuflucht und bilden sie aus.«

»Wie lange schon?«, fragt Jeu nun skeptisch nach, wobei mein Gedanke bei den Waffen hängen bleibt. Ich dachte, sie hätten keine. Im Geist notiere ich mir das mit einem Fragezeichen.

»Seitdem Sash an der Seite deines Vaters stand«, beantwortet Cilai ihr die Frage ehrlich. So klingt es zumindest. »Seitdem ist es nicht nur ein Trainingscamp. Wir haben es aufgeteilt. Es ist mehr ein Dorf.«

»Was habt ihr mit denen vor, die sich euch nicht vorher angeschlossen haben?«, klinke ich mich ein.

»Wir werden allen die Chance geben, sich uns anzuschließen. Wir wollen kein Blutvergießen. Auf keinen Fall. Wir wollen unser Leben zurück.«

»Und Sash weghaben ...«, ergänze ich reuevoll.

»Richtig! Er hat ganz langsam den Verstand von Kasu beeinflusst, ohne dass er es selbst gemerkt hat. Beziehungsweise viel zu spät. Ihn wollen wir retten. Keine Sorge Jeu. Er ist unser Staatsoberhaupt, den wir alle ehren, dem wir folgen.«

Da macht es Klick in meinem Kopf. Kasu ist Jeus Vater. Bisher hatte sie seinen Namen nicht erwähnt.

»Ich möchte euch helfen. Ich stehe an eurer Seite.« Für mich stand das von Anfang an fest. Fritzi allerdings sollte so lange hier an einer sicheren Stelle verharren können.

»Wieso? Es ist nicht dein Kampf«, hakt Cilai skeptisch nach.

»Es ist mehr mein Kampf, als du denkst.«

»Ich verstehe nicht.« Cilai blickt zu Jeu, die jedoch mit dem Kopf schüttelt.

»Cilai, es gibt da etwas, was ich erzählen sollte. Ich bitte dich jedoch, mir bis zum Ende zuzuhören, um es nicht misszuverstehen.«

Er neigt erneut seinen Kopf zu Jeu, die dieses Mal jedoch sanft nickt. »Einverstanden Frederik. Lass uns zu meinem Kommandozelt gehen. Dann werden wir in Ruhe reden. Wir ziehen unser Kennenlerngespräch einfach vor. Einverstanden?«

»Einverstanden«, entgegne ich ihm schmunzelnd. ›Einverstanden‹ wird wohl unser Freundschaftswort. »Magst du Fritzi dann so lange zu dir nehmen? Ich glaube, sie bräuchte auch etwas zu trinken. Und Schatten. Es ist recht warm«, richte ich mich an Jeu. Sie lächelt direkt und geht strahlend auf Fritzi zu. Unmittelbar erscheint ein Bild von Frida vor meinem geistigen Auge, was ich jedoch ganz schnell versuche wegzublinzeln. Ich darf jetzt keine Schwäche zeigen! Während ich meinen Kopf schüttle, wird das Bild schwächer und blasser. Ich schaue ihr – Frida – in Gedanken noch einmal hinterher und sage mich dann von der Erinnerung los.

»Ich gehe mit ihr zu Dira.« Jeus Stimme stockt abrupt und ihr Körper spannt sich an.

»Sie ist hier«, sagt Cilai, was Jeu wieder entspannen lässt. »Lesuna auch.«

»Gut. Danke Cil. Dann werde ich mit Fritzi bei ihnen warten.«

Ich schaue Jeu hinterher, wie sie mit Fritzi, die ihr schwanzwedelnd folgt, in den rechtsabgehenden Pfad einbiegt. Bevor sie – nur ein paar Meter weiter – hinter der nächsten Biegung verschwindet, dreht sie sich noch einmal um. Wir winken uns gegenseitig zu. Ihr Nicken stimmt mich aufmunternd, sodass ich dies ebenso erwidere und mich daraufhin Cilai zuwende.

»Wir gehen hier entlang.« Cilai deutet auf den mittleren der drei Wege und geht bereits vor.

Ich atme noch einmal tief ein und setze dann ebenso meinen ersten Schritt. Das wird schon! Du erzählst ihm gleich einfach diese verkorkste Geschichte und dann lacht ihr ein wenig und ... Lachen? Im ernst? Bist du bekloppt? Wie kannst du denn über diese Geschichte lachen wollen? Das nennt sich Umgang finden mit verkorksten Dingen. Ich rede mit mir selbst und das nur in Gedanken, wobei sich beide Stimmen nicht mal wirklich unterscheiden. Ich werde noch irre. Es war leichter, wenn ich jemand anderen blöd anmachen konnte.

Die Wege hier sind natürlich belassen, was zum Laufen angenehm ist. Kein Stein, kein Schutt dient als Pflasterung. Es sind eher breite Trampelpfade, die jedoch vollkommen ausreichend sind.

»Wir sind da«, verkündet Cilai und bleibt vor dem Zelt stehen. Er hält eine flache Hand hoch, um den Leuten – vermutlich einem gesonderten Team, die hier Wache stehen – zu signalisieren, dass wir noch nicht hinein gehen. »Alles gut bei dir, Frederik?«, fragt er und kommt einen Schritt auf mich zu. Seine Stimme wirkt nicht bedrohlich. Eher besorgt. Verfluchter Apfelmist. Wie sehr hat er es mir wohl angesehen? Vor allem was denkt er sich dabei, was in mir vorgeht?

»Passt schon«, presse ich hervor und versuche mich an einem Grinsen. Hoffentlich sieht es nicht allzu gruselig aus.

»Wenn du das sagst.«

Ich nicke und bin froh, dass nichts weiter kommt. Er lässt seine Hand sinken und die Leute gehen zur Seite. Bis auf zwei. Cilai geht auf die beiden zu. Während sie etwas miteinander besprechen, bleibe ich an Ort und Stelle stehen und warte mal wieder wie der Dummkopf. Das ist tatsächlich ein Zelt in der Größe, wie ich es mir vorgestellt habe. Nur scheint mir der Begriff Zelt hier eine etwas andere Bedeutung zu haben als bei uns. Es sieht nicht so aus, als könnte dieses hier mal eben schnell abgebaut und woanders wieder aufgebaut werden. Das Grundgerüst scheint aus Holz zu sein und das, was bei uns aus Stoff angefertigt wird, ist hier aus einem Blätterdach und anderen Pflanzenteile. Obwohl Stoff auch zum Teil aus Pflanzen gewonnen wird ... Doch das Aussehen unterscheidet sich immens. Es wirkt viel natürlicher und einladender. Es gleicht vielmehr schon einer Ferienhütte, auch wenn ich diese nur aus Erzählungen kenne.

Das gesonderte Team scheint sich nicht gerne erkennbar zu zeigen. Dünner Stoff, der weich ausschaut, ist um ihren Kopf, Hals und ihr Gesicht gewickelt. Von ihrem Gesicht sehe ich lediglich ihre Augen und den Ansatz der Stirn. Wiederum sind sie zum Kämpfen nicht gut geschützt. Die Kleidung ist ebenso locker. Ein Shirt und eine luftige Hose tragen sie. Einer von Cilais Leuten hält eine Art von Vorhang auf, der als Tür fungiert, sodass wir eintreten können. Der Vorhang besteht aus einzelnen Ketten von Pflanzenteilen. Es sieht aus, als wären es lange getrocknete Grashalme, die zusammengeknotet wurden.

»Lass uns hinsetzen.« Cilai deutet auf zwei Sitzplätze. Stühle aus wunderschönem hellem Holz mit zwei weichen Polstern drauf.

»Klar.« Mist! »Einverstanden. Und danke dir, Cilai.«

»Phyu bringt uns gleich etwas zu trinken. Wenn er dann wieder raus ist, würde ich sagen, beginnst du mit deiner Geschichte. Danach erzähle ich dir das Wichtigste unserer. Wenn wir beide noch offene Fragen haben, stellen wir uns diese. Ich würde es begrüßen, wenn wir uns darauf einigen könnten, bei der Wahrheit zu bleiben.«

»Ich weiß nicht, was du von mir denkst. Oder dich womöglich noch abhält, mir zu vertrauen. Vielleicht ist es auch das Nichtwissen meiner Person oder der Geschichte. Aber ich kann dir sagen, dass ich verstehen kann, dass du alles tun wirst, um deine Leute zu beschützen. Und ich gebe dir mein Wort, das alles, was ich sage, der Wahrheit entspricht.«

»Gut.« 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top