Kapitel 41

"It takes ten times as long to put yourself back togehter as it does to fall apart."

-Suzanne Collins, Mockingjay

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Life doesn't stop for anyone

Der kalte Wind hob meine Haare an und fuhr durch meine dicken Kleider. Meine Wangen prickelten schmerzhaft, während ich meine Hände schon nicht mehr spürte. Den Blick hatte ich auf den bewölkten Himmel gerichtet, und wenn ich mir den kalten Regen aus den Augen wischte, war ich mir sicher immer noch einen kleinen dunklen Fleck zu sehen, der sich den Bergen näherte. Beinahe konnte ich mir einbilden, das auf und ab der Flügelschläge zu erkennen, mit denen die Schuleule den Brief für meine Eltern davon trug.

Ich atmete die kalte Luft ein und seufzte dann. Durch den Regen konnte ich die hell erleuchteten Fenster des Schlosses sehen. Obwohl es in der Eulerei kalt und einsam war, wollte ich nicht zurück gehen. Blöd, dass mir nicht wirklich eine Wahl blieb.

Ich seufzte abermals und löste meine Hände von der Mauer, die ich unbewusst umklammert hatte. Meine Finger waren vor Kälte bereits blau angelaufen und ich vergrub sie in meinen Manteltaschen. Die Wärme dort war beinahe schmerzhaft.

Der erste Versuch eines Briefes für meine Eltern raschelte in meiner Tasche, als ich mich umdrehte. Einerseits hätte ich ihn gerne in tausend Stücke zerrissen und hinaus in den Wind geschleudert, andererseits kamen mir die Worte wichtig vor. Mit meinen inzwischen kribbelnden Fingern zerknüllte ich das Pergament.

Ich hatte die Antwort auf den Brief meiner Mutter fast drei Wochen vor mir her geschoben. Erst als McGonagall mich am Ende ihrer Stunde gefragt hatte, ob ich Nachrichten aus Deutschland bekam, beschloss ich meine Freistunde zu nutzen, um meiner Mutter zu antworten.

Nachdem ich mich im Schlafsaal eingeschlossen hatte, fand ich lange keine Worte. Am Ende jedoch überschwemmten sie beinahe das Pergament. Irgendwann musste ich die Feder von mir schmeißen und die Tränen fortwischen. In hastig dahin gekritzelten Worten waren Vorwürfe zu lesen, von denen ich selbst nichts geahnt hatte.

Es überraschte mich selbst jetzt noch, zwei Tage später und wieder in einer Freistunde, wie viel Wut in meinen Worten gewesen war. Trotz der Trauer, die mich immer, wenn ich dachte, dass es mir besser ginge, wieder hinunter zog und nur dieses Gefühl von Leere zurückließ.

Ja, drei Wochen nach der Nachricht vom Tod meines Bruders trauerte ich immer noch.

Es gab genug Menschen, die es nicht verstanden. Schließlich war er ein Todesser gewesen und hatte in England beinahe ein genau so schlimmen Ruf wie sein Gebieter besessen. Eigentlich gab es keine logischen Gründe warum ich immer noch in Tränen ausbrach oder morgens nicht aufstehen konnte. Leopold hatte mich gefoltert, in den letzten zwei Jahren hatte ich ihn zwei Mal gesehen und von dem immerzu grinsenden Durmstrang Schüler war kaum noch etwas übrig geblieben.

Aber er war auch mein Bruder. Derjenige mit dem ich mich in den Ferien, wenn wir beide zu Hause und nicht bei Freunden waren, um das Badezimmer gestritten hatte und mit dem ich im Sommer im See geschwommen war. Der mir, als ich noch viel kleiner war und unsere Eltern eine Hauselfe auf mich aufpassen ließen, mein Lieblingsessen kochte und es gewöhnlich verbrannte und mir als Trost dann aus seinen Büchern vorlas.

Ich würde gerne sagen, dass die guten Erinnerungen, die mir von meinen Bruder geblieben waren, die schlechten Erinnerungen unwichtig machten und ich nur wegen diesen guten Seiten um ihn trauerte. Aber es gab noch etwas anderes, das mich nun frierend in der Eulerei auf eine vollbesetzte Stange schlafender Eulen starren ließ. Es war Schuld. Niederdrückende Schuld, die an mir nagte und die Albträume zurückholte, meinen Appetit verschwinden ließ und mein Inneres fest zu umklammern schien.

Ich wollte nicht allein mit dieser Schuld sein. Am liebsten hätten die Schuld an Leopolds Tod weit von mir geschoben, auf meine Großmutter oder meine Eltern abgeladen, noch lieber auf meinen Großvater. Aber wenn mir der nun zerknüllte Brief eines sagen konnte, dann das ich mich nicht komplett frei sprechen konnte. Egal, wie viele Vorwürfe ich aufschrieb.

Wenn ich andere Entscheidungen getroffen und mich nicht in Hogwarts vor der Welt versteckt hätte, wären die Dinge anders gelaufen. Wenn ich den Ruf meiner Familie nicht so beschädigt hätte, durch meine Flucht aus Grüntal in das Haus der Verräter, dann wäre Leopold vermutlich noch am Leben. Und meine Eltern nicht in Amerika. Regulus wäre nicht untergetaucht. Und Sirius nicht mit jedem Tag schweigsamer. Der Kampf an meinem Geburtstag wäre niemals passiert.

Ich sah beinahe vor mir, wie es hätte sein können. Möglicherweise hätte ich in Grüntal Elonis von ihrem Platz verdrängt, Jake wäre immer noch an meiner Seite, meine Verlobung mit dem Erben der Blacks würde mir nichts ausmachen. Leopold hätte niemals sein Leben für meines gegeben und die Opfer des Krieges würden mich nicht kümmern.

Allerdings...

Ich hätte niemals meine Freunde kennengelernt, ich wäre niemals so glücklich geworden. Aber war es das wirklich wert?

"Verdammt." Kurz kniff ich meine Augen zusammen, dann hob ich meine Tasche vom Boden auf und drehte mich entschlossen zur Treppe. Meine Gedanken drehten sich nur im Kreis. Egal, wie sehr ich über meine Schuld bei all diesen Dingen, die mich so traurig machten, nachdachte, ich konnte die Zeit nicht zurück drehen.

Ich konnte nichts mehr ändern.

Mit dem Blick auf die Uhr an meinem Handgelenk eilte ich die ersten Stufen hinunter. Es würde bald klingeln und eigentlich hatte ich mir vorgenommen, vor Zauberkunst noch nach Seidenschnabel zu sehen. Daraus wurde nun leider nichts mehr, vielleicht würde ich Sirius überreden können, nach dem Abendessen zum Stall zu gehen. Dummerweise hatte ich nämlich am Ende des Tages, nach Zaubertränke und dem Abendessen, noch vier Stunden Astronomie auf dem höchsten Turm des Schlosses. Worauf ich mich bei dem Wetter allerdings auch nicht wirklich freute, egal wie interessant der Unterricht bei Imogen Odgen war.

Der Regen schien immer stärker zu werden und durch den Schneematsch auf den Treppenstufen rutsche ich mehrmals aus, weshalb ich fluchend meine Kapuze enger zog und meine Aufmerksamkeit allein darauf richtete heil anzukommen.

Gerade als mein Fuß wieder keinen Halt fand und ich mich nur vor einem Sturz retten konnte, indem ich mit beiden Händen die Mauer umklammerte, wurde ich von der Seite angerempelt.

"Hey!" Ich landete unsanft mit dem Hintern auf der Treppenstufe. "Was fällt dir ein? Kannst du nicht aufpassen wo du hinläufst? Bei Merlins verdammter Unterhose." Weiterhin fluchend zog ich mich hoch, nun wechselte ich allerdings ins Deutsche, weil mir da noch viel mehr böse Wörter einfielen. Die Person, die mich umgestoßen hatte, war schon ein ganzes Stück weitergelaufen und drehte sich nun wieder um.

"Was ist?!"

Vor Überraschung vergaß ich sogar, dass ich wütend war und nun eine durchnässte Hose hatte. Eingepackt in einen fellbesetzten Wintermantel blinzelte mich mein Freund durch den Regen an. Seine dunkelblonden Haare klebten ihm auf der Stirn und auch sonst sah er aus, als wäre er einmal durch den See geschwommen.

"Alec?" Meine Stimme wurde von dem Wind, der immer stärker um den Turm pfiff, davongetragen und ich war mir nicht sicher, ob er mich überhaupt hörte.

"Was ist?!" Er schrie beinahe und klang ziemlich genervt, als er mir ein paar Stufen entgegenkam.

"Alec, ich bin's..." Unter seinem Blick zuckte ich zusammen. Erst als er seinen breitkrempigen Spitzhut ein Stück anhob, schien er mich zu erkennen und beinahe augenblicklich breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.

"Luné! Ich habe dich gar nicht gesehen. Tut mir leid, ich hoffe du hast dir nicht wehgetan?"

"Ist schon in Ordnung. Ich habe dich ja auch nicht gesehen." Ich lächelte als er sich vorbeugte und mir mit seinen behandschuhten Fingern eine Locke aus der Stirn strich.

"Was machst du hier?"

"Ich musste einen Brief abschicken, allerdings habe ich nicht mit diesem Wetter gerechnet."

"Glaubst du ich?" Alec lachte und zog seinen Ravenclaw Schal zurecht. "Hast du hiernach noch eine Freistunde?"

"Nein, leider nicht. Ich bin jetzt schon zu spät für die Nächste."

"Schade." Er verzog den Mund und lächelnd küsste ich ihn kurz auf die Wange.

"Tut mir leid. Ich muss jetzt auch los."

"Bitte nicht." Bevor ich mich umdrehen konnte, griff er nach meiner Hand und hielt sie fest. "Ich muss nur eben schnell den Brief an meinen Vater abschicken, dann kann ich dich noch zu seiner nächsten Stunde bringen. Es kommt mir vor als hätten wir uns eine Ewigkeit nicht gesehen."

Über seinen Gesichtsausdruck musste ich lachen. Ganz ähnlich schaute mich Seidenschnabel immer an, wenn er seinen ganzen Futtereimer geleert hatte und noch mehr wollte. "Alec, ich habe wirklich keine Zeit." Kurz sah ich auf meine Uhr. "Mir bleiben noch fünf Minuten. Außerdem haben wir heute Abend Astronomie zusammen."

"Das ist heute? Bei diesem Wetter wehen uns noch die Teleskope weg und mit ihnen gleich unsere Lehrerin." Er schüttelte über diese Vorstellung den Kopf. "Gib mir eine Minute. Ich bin sofort wieder da."

"Alec." Seufzend zog ich meine Hand aus seiner. "Ich muss los, wir sehen uns später." Ich küsste ihn noch einmal auf die Wange und drehte mich dann um. Seine Stimme hielt mich zurück.

"Mein Vater hat gefragt, ob du in den Ferien zu uns kommen willst."

"Was?!" Ich drehte mich wieder herum.

"Ja. Er hat gefragt, ob ich in den Osterferien wegen dem Geburtstag meiner Schwestern kommen kann und ob ich dich nicht mitbringen möchte."

"Du hast ihm von mir erzählt?" Meine Frage klang wie ein hohes Quietschen und als er nickte, fragte ich: "Und was hast du geantwortet?"

"Das ich wegen der Prüfungen nicht kann." Er lächelte immer noch. "Ich schicke gleich das Geschenk für die Zwillinge mit."

"Oh. Aber du stehst in jedem Fach Ohnegleichen, was willst du denn dann in den Ferien lernen?"

"Wenn du wüsstest." Er lachte. "Da fällt mir ein, hast du am Wochenende Zeit? Wir könnten ja wieder zusammen lernen."

"Klar." Ich zwang mich zu einem Lächeln. "Sag mir heute Abend noch wegen dem Wann und Wo bescheid. Bis später." Kurz hob ich die Hand und drehte mich dann endgültig um.

Als ich die letzten Stufen hinunter hastete und einen erneuten Blick auf meine Uhr warf, konnte ich mir ein Stöhnen nicht verkneifen. Ich würde zu spät kommen. Schon wieder.

Der Schnee, der nicht wirklich mehr Schnee war, spritze auf, als ich die letzten Stufen übersprang. Ich zog mir meinen dicken Schal über den Mund, während ich gegen Wind und Regen ankämpfend zum Schloss eilte.

Gerade als ich den etwas windgeschützteren Innenhof durchquerte, gongte es. Da ich noch nicht einmal mehr genug Atem zum Fluchen hatte, fing ich an zu rennen. Drei Treppen später kam ich schlitternd und vollkommen vom Regen durchnässt vor dem Zauberkunst-Raum zum stehen. Durch die Tür hörte ich Stimmengewirr und Lachen und in der Hoffnung unbemerkt zu bleiben, drückte ich die Tür ohne anzuklopfen auf.

Als ich in den Raum sah, wurde es sofort still.

"Miss Rosendorn? Sind Sie das?" Professor Flitwicks Stimme schien aus den ersten Pultreihen zu kommen, aber erst als er seinen Bücherstapel erklomm, konnte ich ihn entdecken.

"Professor, ich bitte vielmals um Entschuldigung für die Verspätung." Ich bemühte mich um einen möglichst zerknirschten Gesichtsausdruck und schlich zu meinem Platz.

"Das ist schon das vierte Mal in diesem Monat." Vor Entrüstung klang die Stimme des kleinen Lehrers wie ein Quicken. "Ich werde mit ihrer Hauslehrerin sprechen müssen."

"In Ordnung." Ich schlug die Augen nieder, um den für ihn untypischen strengen Blick auszuweichen und schob mir die Kapuze nach hinten. Daraufhin brach mein liebster Tischnachbar James in Gelächter aus. Ihn entschlossen ignorierend, holte ich mein Buch heraus.

"Das brauchst du heute nicht." Auf James anderer Seite hatte sich Melody vorgebeugt. Sie nickte zu dem Buch in meiner Hand. "Wir schreiben einen Test."

"Oh. Super." Es fiel mir schwer ihr freundliches Lächeln zu erwidern, als ich das Buch wieder einpackte und stattdessen meine Schreibfeder und Tinte herausholte.

"Lulu?" James brach jedes Mal, wenn er mich ansah, wieder in Lachen aus und schien sich kaum noch einzukriegen.

"Ja, James?" Ich beobachtete ihn genervt und versuchte gleichzeitig meine Haare irgendwie weniger wie eine Katastrophe aussehen zu lassen. Bei Regen neigten sie leider dazu sich in alle möglichen und unmöglichen Richtungen zu locken. Um das zu wissen brauchte ich aber keinen James.

"Weißt du..." Er japste nach Luft. "Es sieht aus als würde dein Kopf nur aus Haaren bestehen und zu wenig Kopf haben."

"Danke James. Und weißt du was?"

"Was denn?" Merlin, der Junge bekam sich gar nicht mehr ein.

"Dein Kopf sieht aus, als würde er aus zu viel Kopf und zu wenig Gehirn bestehen."

James schien ein paar Sekunden zu brauchen, um meine Worte zu verstehen, dann drehte er sich beleidigt von mir weg. Neben ihm kicherte Melody ganz bezaubernd und drei Reihen hinter uns rief Ruby, "Gut gemacht, Lulu!"

Ich drehte mich um und grinste sie an. Dann rief Flitwick die Klasse zur Ruhe auf und als er mit seinem Zauberstab auf einen Stapel Papiere klopfte, begannen diese sich selbst auszuteilen.

"Sie drehen das Blatt bitte erst herum, wenn ich es Ihnen sage."

Ich nutze die letzten Sekunden um James zu umarmen ("Ihhh Lulu du bist kalt und nass!"), meine Kleidung und meine Haare mit einem Zauber zu trocken und um festzustellen, dass ich den Test verhauen würde.

"So, wenn jetzt jeder ein Blatt hat... Mr. Carrow, haben Sie mir nicht zugehört? Drehen Sie das sofort wieder um... Also..." Flitwick rieb sich die Stirn und schien mit den Nerven ziemlich am Ende zu sein." Abgabe ist jederzeit gestattet, ich gebe Ihnen Zeit bis zum Ende der Doppelstunde, aber ich glaube nicht, dass jemand so viel Zeit benötigt. Ich beantworte keine Fragen mehr." Mehrere Schüler ließen die Hände wieder sinken. "Es sind auch Fragen aus vorherigen Schuljahren dabei. Viel Erfolg."

Im Raum erklang das Rascheln von vielen Papieren, die gleichzeitig herumgedreht wurden. Flitwick kletterte auf sein Pult, um uns alle im Blick zu haben.

Ich las mir die erste Frage durch,

»Wie bringen Sie ein unbelebtes Objekt (z.B eine Ananas o.ä) zum Steppen? Beschreiben Sie die Ausführung des Zauberspruchs und dessen Resultat. (7 Punkte)«

und schielte hinüber zu James, der bereits eifrig auf sein Blatt kritzelte. Zu meinem Pech konnte ich noch nicht mal erkennen, ob er wirklich Buchstaben niederschrieb oder ob es sich doch um Runen handelte. Stumm verfluchte ich Merlin und James Handschrift und machte mich daran, die nächste Frage zu lesen.

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Zwei Tage und einen etwas besseren Test in Verwandlung später, war ich damit beschäftigt, nach dem Mittagessen meine Zaubertrank Sachen zusammen zu suchen. Gleichzeitig versuchte ich irgendwie einen Überblick über das Chaos in unserem Schlafsaal zu bekommen. Da wir alle unsere Tage größtenteils in Klassenräumen verbrachten und die restliche Zeit von Hausaufgaben und Verpflichtungen wie dem Duellierclub verschlungen wurde, lagen die meisten Sachen dort, wo noch irgendwie Platz auf dem Boden gewesen war.

Ich hob gerade mehrere Haarbänder auf und balancierte zusätzlich einen Stapel Bücher auf den Armen, als die Tür aufging und Ruby hineingestolpert kam. Ihre Wangen waren gerötet und ihr Stirnband hielt sie in der Hand. Sie sah sich hektisch um, überflog das Chaos mit einem Blick und entdeckte dann mich vor ihrem Bett.

"Lulu!"

"Hallo." Ich lächelte und lud die Bücher zur einen Hälfte auf Lilys und zur anderen Hälfte auf Melodys Nachttisch ab. Im Zweifelsfall gehörten sie sowieso den beiden. "Wo warst du beim Mittagessen?"

"Ach ja, Mittagessen." Ruby seufzte und sprang über einen Berg Pullover zu ihrem Nachttisch. Während ich die Klamottenberge erst einmal provisorisch auf mein Bett schmiss, kramte Ruby in einer Schublade und zog dann eine riesige Schokoladentafel hervor. "Genau das was ich jetzt brauche." Sie seufzte und steckte sich das erste Stück in den Mund.

"Bekomme ich auch was? Immerhin gehört die Hälfte der Sachen dir." Ich schwang den Zauberstab und alle sich noch auf dem Boden befindlichen Bücher schwebten in die Luft und stapelten sich dann ordentlich neben Lilys Bett.

"Also die Bücher ganz bestimmt nicht." Ruby steckte sich noch ein Stück in den Mund. Gerade als ich überlegte, ihr eines ihrer Stirnbänder an den Kopf zu schmeißen, wühlte sie erneut in der Schublade und warf mir dann einen Schokofrosch zu.

"Danke."

"Nicht der Rede wert." Sie lachte und schwang dann ebenfalls den Zauberstab. Zu meiner Überraschung erhoben sich alle Kleidungstücke im Raum, falteten sich in der Luft und machten sich dann auf den Weg in den passenden Kleiderschrank. Beim Zuschauen vergaß ich die Schokolade in meiner Hand komplett.

"Rubina?"

"Ja?" Die Schokolade schien ihre Laune beträchtlich zu heben. Dass sie mich nicht mal böse ansah, weil ich sie Rubina genannt hatte, hieß so einiges.

"Seit wann kannst du Ordnungszauber?"

"Hat mir meine Cousine beigebracht." Sie zuckte mit den Schultern. Die Tafel war inzwischen nur noch zur Hälfte existent.

"Und warum hast du sie nicht vorher mal benutzt?!"

"Hatte keine Lust. Wir haben jetzt übrigens Unterricht. Accio Zaubertrank-Buch." Das Buch flog von dem Stapel auf Melodys Nachttisch direkt in ihre Arme. Sie stopfte es in ihre Tasche und stand schon in der Tür, als ihr auffiel, dass ich mich nicht von der Stelle gerührt hatte. "Lulu? Kommst du?"

Kurz zögerte ich noch, was wenn in Rubys Schokolade irgendein Zaubertrank gewesen war? Obwohl ich ihre Stimmungsumschwünge kannte, war mir ihre plötzliche gute Laune (zusammen mit dem neuen Talent für Ordnungszauber) ziemlich suspekt. Vielleicht sollte ich ihr mal etwas von der Schokolade klauen. Allerdings nur wenn sie schlief oder gerade außer Lande war.

"Klar ich komme." Ich nahm mir ebenfalls meine Tasche und kramte noch meinen Aufsatz über Gegengifte aus meiner Kommode, bevor ich in meine Stiefel schlüpfte und mir den dicksten Gryffindorschal, den ich besaß, umschlang.

Gerade wollte ich Ruby auf den Gang folgen, als diese sich plötzlich umdrehte und an mir vorbei an die Kleiderhaken neben der Tür griff. "Willst du in den Kerkern erfrieren?"

"Oh." Sie reichte mir meinen gefütterten Umhang. "Danke."

"Gut, dass ich jetzt wenigstens nicht alleine zu spät komme." Sie sah grinsend auf ihre Uhr. "Sluggie verzeiht dir ja alles."

"Gar nicht wahr!" Protestierend schüttelte ich den Kopf, während wir nebeneinander durch den Gemeinschaftsraum eilten. "Wieso warst du jetzt eigentlich nicht beim Mittagsessen?"

"Na ja... Benjy hat vor Muggelkunde auf mich gewartet."

"Oh..." Ich unterbrach den Versuch meine Locken irgendwie ordentlich zu einem Zopf zu flechten. "Was wollte er?"

"Wissen warum ich abgehauen bin, als er heute Morgen mit mir reden wollte."

"Und was hast du ihm gesagt?"

Ruby seufzte und irgendwie schien sie damit nicht nur Luft, sondern auch ihre gute Laune zu verlassen. "Das ich nicht mit ihm ausgehen möchte und das ich letztens einfach nicht nachgedacht habe."

"Wie hat er reagiert?"

"Wie wohl?" Sie übersprang die letzten Stufen der großen Marmortreppe. "So wie Benjy auf alles reagiert. Gelassen und... erwachsen. Gott, ich komme mir neben ihm wie ein Kind vor. Als er sich dann auch noch entschuldigt hat. Für die Belästigung." Sie schnaubte. "Warum hat er mich überhaupt gefragt? Das macht alles so verdammt kompliziert."

"Ruby..." Wir hatten den Zaubertrank- Klassenraum beinahe erreicht und ich griff nach ihrem Arm. "Glaubst du nicht, dass er seine Gründe hatte dich zu fragen? Wann hast du jemals erlebt, das Benjy seine Gefühle gut ausdrücken konnte?"

"Ja, aber warum?! Warum sagt er nicht einfach, was er will? Anstatt mich erst zu fragen, als ich kaum zurechnungsfähig war und dann einfach hinzunehmen, dass ich absage."

"Bist du da nicht ein wenig unfair?"

"Warum?" Unter ihrem wütenden Blick fühlte ich mich gleich noch ein ganzes Stück kleiner. Auch wenn ich wusste, dass sie nicht auf mich wütend war, Ruby machte jedem Drachen Konkurrenz. Trotz Blumenstirnband und Peacekette.

"Naja...Was blieb ihm schon anderes übrig?"

Sie stöhnte frustriert auf. "Aber ich will das nicht mehr! Verstehst du das nicht? Es ist wie mit Sam. Er fragt mich nach Monaten um ein Date, merkt dann anscheinend, dass ich doch nicht so bin wie er dachte, und redet kein Wort mehr mit mir. Benjy scheint seine Frage ja auch zu bereuen. Ich will das einfach nicht mehr. Ist es zu viel verlangt, dass ein Typ einfach mal nett zu mir ist und sich um mich bemüht? Wirklich, bin ich denn so fürchterlich?"

Sie wirkte den Tränen nahe und hilflos sagte ich etwas, für das ich mir zwei Sekunden später am liebsten eine gescheuert hätte. "Dir ist einfach noch nicht der Richtige begegnet."

Fassungslos starrte sie mich an. "Als ob ich jemals den Richtigen für mich finde! Ich bin keine Cindy, an mir ist nichts Besonderes. Die Typen fragen mich höchstens, wenn sie nichts Besseres finden. Ich bin immer diejenige, die sich verliebt. Immer."

"Aber Ruby...Cindy ist eine Schlampe und ich bin mir sicher, dass Benjy dich gefragt hat, weil er dich mag, so wie du bist..."

"Aber ich will Benjy doch gar nicht! Oder Sam... Ich will..." Sie verstummte und senkte den Blick.

Ich hatte sie aber auch so schon verstanden. Sirius. Er nahm sich immer was er wollte und er hatte auch keine Probleme, das klar zu machen. Allerdings erinnerte ich mich noch gut an seine Worte auf Slughorns Party. Ich war immer noch entschlossen, ihr nie davon zu erzählen, aber sie hatten mir gezeigt, dass Sirius sie nur verletzen konnte.

"Hör mal..."

Ich wurde von einem lauten "Hey!" unterbrochen und überrascht drehten wir uns um. Bellatrix stand in der Tür zum Klassenraum und betrachtete uns herablassend. "Mister Scott sagt, dass ihr entweder mit dem Radau aufhört und endlich in den Unterricht kommt oder euren Streit woanders fortsetzt."

"Mister Scott? Was ist mit Slughorn?"

"Krank." Bellatrix verdrehte die Augen. "Und Scott hat Kopfschmerzen, könntet ihr euch jetzt also mal entscheiden?"

"Mir fehlt da ein »Bitte«." Ruby grinste provozierend und nichts deutete darauf hin, wie niedergeschlagen sie eben noch gewesen war. Ich wusste nicht, ob ich mir Sorgen machen oder sie um diese Fähigkeit beneiden sollte.

Bellatrix klimperte mit den dichten Wimpern und setzte ein wirklich beunruhigendes Lächeln auf. Dann sagte sie mit hoher, verstellter Stimme: "Schlammblut", drehte sich um und verschwand im Raum.

"Wie süß sie doch ist." Ruby schüttelte den Kopf und ich bemühte mich mein Grinsen zu verbergen, als wir nach Bellatrix den Raum betraten und Mister Scott versuchten eine Entschuldigung für unsere Verspätung fortzutragen. Unser Quidditchlehrer wollte allerdings nichts davon hören, er hatte sich hinter dem Lehrerpult einen Ohrensessel heraufbeschworen und war in ein Buch mit dem Titel »Wie Sie in Galleonen schwimmen und sich vor Hexen kaum noch retten können- der magische Ratgeber.« vertieft. Dabei rieb er sich die Schläfe und wedelte nur kurz mit einer Hand, als wir ihm erklärten, dass Peeves uns aufgehalten hatte.

Ich setzte mich auf meinen Platz zwischen Sirius und Snape. Ruby verzog sich grummelnd nach hinten zu Bellatrix. Sirius, der links neben mir saß, war in irgendein Buch vertieft, dessen Titel ich nicht lesen konnte und schien mich nicht wahrzunehmen, während Snape mit seiner langen Nase beinahe im Kessel hing und hektisch darin herumrührte. Weil ich mir von Sirius keine Antwort erhoffte, wandte ich mich an ihn: "Was sollen wir machen?"

Snape hob nach ein paar Augenblicken den Blick. Seine schwarzen Haare hingen ihm wie ein Vorhang ins Gesicht und seine Lippen verzogen sich spöttisch. "Den Trank von Seite 129 brauen, allerdings schaffst du das nicht in der restlichen Zeit."

Noch bevor er sich wieder seinem Kessel zuwenden konnte, hatte ich schon die Seite aufgeschlagen und war auf dem Weg zum Zutatenschrank. Ich würde dem schon zeigen, ob ich es hinbekam oder nicht.

Als ich mich wieder auf meinen Platz fallen ließ, bemerkte ich, dass Sirius mich über den Rand seines Buches hinweg beobachtete. Mein Blick begegnete seinem und schnell sah er wieder auf die Seiten und blätterte um. Ich tat unwissend und begann die Zutaten abzuwiegen und das Feuer unter meinem Kessel zu entfachen, dabei spürte ich die ganze Zeit Sirius Blick. Erst als ich mich nach hinten drehte, um Melody (die im übrigen auch nicht arbeitete, sondern sich mit Remus unterhielt) nach einem Dolch zu fragen, hörte ich das Rascheln einer Seite.

"Sirius?"

"Mhm?"

"Warum arbeitest du eigentlich nicht?" Ich schmiss weiterhin getrocknete Spinnenbeine in den Kessel, aber ich sah aus dem Augenwinkel, wie er sein Buch zuklappte und sich mir komplett zuwandte. Gegen meinen Willen wurde ich rot.

"Was Sniffelus vergessen hat zu erwähnen..." Allein an seiner Stimme erkannte ich, dass er grinste. "Die Lehrer haben niemand besseren als Mister Scott gefunden..."

"Hey! Das habe ich gehört!" Unser Lehrer sah uns über den Umschlag seines Buches hinweg böse an.

"'Tschuldig." Sirius lachte. "Was ich eigentlich sagen wollte, weil wir keinen kompetenten Zaubertrank-Professor haben, sollen wir unsere Tränke gegenseitig bewerten. Und weil ich so eine bezaubernde Sitznachbarin habe, vermute ich mal, dass ich ein Ohnegleichen bekomme."

"Meinst du Snape?"

Sirius brach in bellendes Lachen aus, bei dem sich der halbe Kerker zu uns umdrehte, während Snape nur wütend schnaubte.

"Nein, Kleine, Sniffelus und ich haben darauf gebaut, dass du noch erscheinst, um uns zu sagen, dass unsere Tränke perfekt sind."

"Ich dachte über die Sache mit »Kleine« wärst du hinweg?"

"Du bist immer noch klein." Er zuckte mit den Schultern und ich schenkte ihm ein Augenrollen.

"Idiot. Wieso bist du denn nicht bei James? Ihr könntet mal wieder einen Streich planen? McGonagall wird noch anfangen zu glauben, ihr hättet euch gebessert."

"Keine Sorge, wir werden Gonni schon nicht auf falsche Gedanken bringen. Aber wie dir vielleicht aufgefallen ist, fehlt Prongs."

"Aber er war doch heute Morgen..." Ich drehte mich um. Unser Kurs war nicht allzu groß, weshalb ich mich ohne Zweifel selbst überzeugen konnte, dass James fehlte. Mir fiel nebenbei noch auf, dass sonst nur noch Lily und ein paar Ravenclaw an ihren Tränken arbeiteten. Der Rest lag mit den Köpfen auf den Tischen oder unterhielt sich. "Wo ist er denn?"

"Der muss bei deinem wundervollen Paten nachsitzen." Die Ironie in seiner Stimme war nicht zu überhören und seine grauen Augen verfolgten weiterhin jede meiner Bewegungen, während ich mich um meinen Trank kümmerte. Mir kam langsam der Verdacht, dass er gerne sah, wie ich immer nervöser wurde.

"Wieso muss er denn alleine Nachsitzen? Und warum während des Unterrichts?"

"Naja, Dr. Berg ist eben in Muggelkunde geplatzt, um zu verkünden, dass James, wenn er keinen ernsthaften Zaubertrank Unterricht hat, auch gleich Nachsitzen kann."

"Und warum sitzt du dann hier?"

"Deine Dankbarkeit über meine Anwesenheit hält sich auch in Grenzen, oder?" Er klang beinahe ein wenig verletzt, weshalb ich aufsah.

"So meinte ich das gar nicht..."

"Jaja..." Er seufzte und grinste mich dann gewohnt arrogant an. "Kein Lehrer lässt uns noch zusammen nachsitzen. Eigentlich haben wir unsere Wege, trotzdem in Kontakt zu bleiben..."

"Wenn du eure Spiegel meinst, mein wundervoller Patenonkel lässt einen erst alle Taschen leeren und setzt sich dann direkt vor einen, damit er es richtig schön genießen kann, wenn seine Schüler über unmöglichen Aufgaben verzweifeln."

"Das macht ihn mir gerade noch sympathischer. Bisher haben wir nur zusammen mit anderen Schülern bei ihm nachgesessen. Ich glaube, ich freue mich schon auf das nächste Mal."

"Freu dich nicht zu früh. Oder hör besser auf ihn im Unterricht immer zu provozieren. Ich musste bei ihm mehr als meine gesamte alte Schule zusammen Nachsitzen."

"Als ob?" Sirius starrte mich verwundert an und als ich nur die Augen verdrehte, lachte er los. "Was hast du denn so Schlimmes angestellt? Ihn nicht Dr. genannt?"

"Wenn's das nur gewesen wäre." Kopfschüttelnd rührte ich in meinem Trank. Sirius schien sich kaum noch ein zu kriegen.

Erst als Mister Scott sich empört vor unserem Tisch aufbaute und mit schmerzverzehrtem Gesicht irgendetwas von Quidditchverbot murmelte, beruhigte sich Sirius wieder.

Die restliche Stunde versuchte ich mit allen Mitteln schneller als Snape fertig zu sein und weil Sirius nicht akzeptieren wollte, dass ich ihn ignorierte, ging er dazu über, mir aus seinem Buch vorzulesen. So weit ich es heraushörte, ging es um den Sherlock, den Melody und Lily so lustig fanden, und irgendwelche rothaarigen Menschen. Meine Englischkenntnisse stießen bei vielen Wörtern an ihre Grenzen, obwohl Englisch mir manchmal mehr wie meine Muttersprache als Deutsch vorkam. Sirius schien das Buch unglaublich lustig zu finden und murmelte zwischendurch irgendetwas von einem Club der Weasleys, auch wenn es mir unverständlich war, was die Familie mit diesem Sherlock zu schaffen hatte.

Am Ende wurde Snape vor mir fertig. Seinen Sieg rieb er mir auch mit Freude unter die Nase und ließ sich extra viel Zeit dafür auf die Liste, die Mister Scott herumgehen ließ, ein A für Annehmbar hinter meinem Namen einzutragen, zusammen mit seiner Unterschrift.

Ohne weiter darüber nachzudenken gab ich ihm ein Ohnegleichen, wobei Sirius, als Snape übergebliebene Zutaten zurückbrachte, das O wegstrich und dafür ein E eintrug. Ich protestierte nicht und gab Sirius ein Ohnegleichen.

Danach zog die restliche Woche ohne große Aufregung an mir vorbei, das Quidditchtraining fand immer noch ohne mich statt, ich versprach James ganz sicher in der nächsten Woche mitzumachen, und auch wenn ich jedes Mal ein Stirnrunzeln von Ruby bekam, verzog ich mich in die Bibliothek. Manchmal lernte ich mit Melody, manchmal mit Lily, aber meistens mit Alec. Ich hatte in den vorherigen Wochen viel Unterricht verpasst und nicht einmal Lehrer wie Flitwick nahmen darauf Rücksicht, auch wenn er es mir mit einem mitleidigen Lächeln mitteilte.

Ganz gegen meine Erwartungen gefiel es mir, meinen Kopf mit Fakten über Verwandlungen und Zaubersprüchen voll zu stopfen. Es gab mir etwas zu tun und ich verbrachte Zeit mit Alec. Auch wenn meine Freunde dachten ich würde es nicht bemerken, so fiel mir doch auf, dass sie mich oft genug ansahen, als hätte ich etwas Wichtiges, wie einen Arm oder ein Bein, verloren.

Alec hatte mich nach dem Vorfall in der großen Halle gefragt, was passiert war und als ich ihm sagte, dass etwas in meiner Familie vorgefallen war, ließ er es darauf beruhen und küsste mich stattdessen.

Am Freitag bekamen wir den Test in Zauberkunst zurück (ich hatte gerade so ein Annehmbar geschafft) und mich trennten nur noch zwei Stunden Verteidigung gegen die dunklen Künste und eine Stunde Kräuterkunde vom Wochenende, weshalb ich Dr. Bergs Unterricht nicht viel Beachtung schenkte.

Wir übten weiterhin Duelle. Auch wenn beinahe die halbe Schule im Duellierclub war, stand im Lehrplan, dass wir Verteidigungs- und Duellzauber lernen sollten. Für alle sich nicht duellierenden hieß es zuschauen und weil durch Dr. Bergs Vorgehensweise nach Nachnamen oftmals sehr unausgeglichene Duelle zustande kamen, war es die meiste Zeit einfach nur langweilig.

Nachdem Amelia Bones ihren Duellpartner innerhalb von Sekunden entwaffnet hatte, wandte ich mich ab, um mich mit Marlene zu unterhalten. Als es gongte sprangen alle um uns herum hastig auf und ich wollte ihnen gerade folgen, als Dr. Berg mich zu sich rief.

Wie schon die Wochen davor ignorierte ich ihn einfach, aber er drängte sich durch die Schüler und packte meinen Arm.

"Lass mich los!"

Sirius und Ruby, die vor mir liefen, drehte sich verwundert zu mir herum, aber mein Pate beachtete sie nicht und schüttelte den Kopf. "Deine Freunde können vorgehen, es gibt etwas das wir besprechen müssen."

Ein letztes Mal versuchte ich mich loszureißen, aber sein Griff war zu stark.

"Geht schon mal ohne mich." Ich versuchte zu lächeln, aber während Sirius von irgendeinem Hufflepuff Mädchen weiter gezogen wurde, kam Ruby zu mir zurück.

"Ich kann eben noch auf dich warten."

Dankbar nickte ich, aber Dr. Berg schüttelte wieder den Kopf. "Miss Summers, das wird nicht nötig sein, gehen Sie."

Ruby öffnete den Mund um zu protestieren, aber Dr. Berg unterbrach sie harsch. "Warten Sie meinetwegen vor dem Raum, mir vollkommen gleich, nur gehen Sie!" Erschrocken starrte Ruby ihn an. Ohne sie weiter zu beachten zog er mich zu seinem Büro. Seine Nägel bohrten sich dabei trotz meines dicken Pullovers in meine Haut und mir entwich ein leises Wimmern. Ich fühlte mich wieder wie ein kleines Kind und als er die Bürotür aufriss und mich hineinstieß, wehrte ich mich nicht.

Der Raum hatte große Fenster, die vermutlich einen traumhaften Blick auf den See ermöglichten, aber bodenlange dunkle Vorhänge ließen kaum Licht herein und die einzige Lichtquelle war ein Kerzenhalter, in dem beinahe heruntergebrannte Kerzen steckten. Alles war penibel an seinem Platz, wie in Grüntal standen sogar die verschlossenen Tintenfässer ordentlich in einer Reihe auf seinem Schreibtisch. Fröstelnd zog ich meinen Winterumhang über, den ich vorher nur auf dem Arm getragen hatte. Der Kamin war leer und vollkommen frei von Asche.

Mein Pate marschierte zu seinem Schreibtisch und zog ohne wirklich hinzuschauen einen Flachmann aus der obersten Schublade. Er nahm einen tiefen Schluck und verstaute ihn dann wieder. Allein schon sein Blick zeigte mir, dass es eher Gewohnheit als überlegte Handlung war. Ich biss mir auf die Lippe und beobachtete die Hand in der sein Zauberstab ruhte.

"Und?!" Seine Stimme klang gepresst und ich zuckte zusammen, als er mit dem Zauberstab wedelte.

"Wie bitte?"

"Was stand in dem Brief?"

"Welcher... Brief?"

"Der aus Deutschland, über den Tod deines Bruders. Tu nicht so dumm."

"Der Brief..." Ich schluckte, mein Mund fühlte sich unangenehm trocken an. "Der kam aus Amerika, nicht Deutschland. Und es stand nicht viel drin."

"Amerika..." Dr. Berg schüttelte den Kopf. "Aber du musst doch etwas wissen! Es hängt alles miteinander zusammen." Er ließ sich auf den Stuhl hinter seinen Schreibtisch sinken und schmiss den Zauberstab achtlos von sich.

"Was meinst du?"

Er betrachtete mich aus zusammengekniffenen Augen, bevor er plötzlich freudlos lachte. "Du weißt es wirklich nicht. Was glaubst du, warum deine Großmutter derzeitig in London und nicht in Deutschland ist?"

"Sie ist... Aber..." Verwirrt schüttelte ich den Kopf.

"Sie versuchen dich wirklich so unwissend wie möglich zu halten." Leise schnalzte er mit der Zunge. "Deine Unschuld können sie damit jedenfalls nicht mehr retten."

"Was... willst du?" Ich konnte nicht verhindern, das meine Stimme zitterte.

"Weil du ja anscheinend vollkommen... unwissend bist, hier ein kleiner Überblick." Lächelnd stand er auf. Es war ein grausames Lächeln, wie ein Raubtier, das seiner Beute beim Leiden zusah. "Der dunkle Lord hat die Ministerien mehrerer Europäischer Länder, unter anderem Österreichs, Belgiens, Schwedens und Deutschlands in seiner Gewalt, dies ist allein nichts Neues. Aber seit dem Tod deines Bruders, und damit das Zeichen eines Bündnisses zwischen dem dunklen Lord und Deutschlands mächtigster Familie, sind alle Verbindungen von Außen ins Land verhindert. Die britische Regierung ist, soweit ich weiß, verzweifelt, niemand kann mehr in das Land reisen, das Flohnetzwerk ist vollkommen abgeschirmt und jeder Regierungsvertreter, der bisher auf anderem Wege nach Deutschland gereist ist, kam nicht zurück. Es weiß also niemand, was dort vor sich geht. Und jetzt kommt deine Großmutter ins Spiel." Ich war inzwischen bis zur Tür zurück gewichen, während er immer näher zu kommen schien. "Ihr Verhalten nach dem Tod deines Bruders kommt einer Flucht gleich. Es scheint so, als hätte der dunkle Lord deinen Bruder alles andere als grundlos getötet. Und nun ist das Oberhaupt der Rosendorns auf der Flucht. Was sagt das jetzt also über deinen Bruder aus?"

"Warum erzählst du mir das?"

"Weil ich ein Berg bin!" Er schien plötzlich mit seiner Fassung zu ringen und die Ruhe fiel von ihm ab wie eine Maske. "Meine Familie ist noch in diesem Land, welches deine anscheinend in einen Krieg gestürzt hat. Während du, die Erbin der mächtigsten Familie, dich ruhig hier versteckst, ist wer weiß was in Deutschland los. Deine Familie geht vor die Hunde, seit dein Großvater tot ist und Leopold ein Verräter geworden ist. Dein Großvater wäre so enttäuscht!" Er fuhr sich über das Gesicht und rannte dann beinahe hinter seinen Schreibtisch, um noch einen Schluck aus seinem Flachmann zu nehmen.

"Er war kein Verräter."

"Was?!"

"Mein Bruder war kein Verräter. Soll ich dir verraten, warum der dunkle Lord ihn ermordet hat?" Ich wartete gar nicht erst auf eine Antwort. "Weil er seinen Anweisungen widersprochen hat. Den Anweisungen, die besagt haben, dass er mich, meine Eltern und meine Großmutter töten soll. Anscheinend warst du in dem Punkt ziemlich unwissend. Bieg dir ruhig alles zurecht, solange du weiterhin die Welt so sehen kannst, wie du das willst. Folter mich ein bisschen wie früher, bin ja nur ein wehrloses Kind. Du widerst mich an." Hinter meinem Rücken griff ich nach der Türklinke. Mein Pate stand geschockt hinter seinem Schreibtisch, den Flachmann noch nicht geschlossen, als ich die Tür aufriss und durch den Klassenraum auf den Korridor stürmte. Direkt in Rubys Arme.

"Hey..." Sie warf einen Blick auf mein Gesicht, nahm meine Hand und führte mich ein paar Gänge weiter. Dann zog sich mich in eine Umarmung.

Ihre Nähe war tröstend und obwohl mir all die Dinge über einen Krieg in Deutschland im Kopf herumwirbelten, hörte ich langsam auf zu zittern. Mein Herz, das wie ein kleiner Vogel gegen meine Brust flatterte, war nicht so leicht zu beruhigen und ich musste mehrmals tief Luft holen, um überhaupt etwas sagen zu können.

"Was für ein Müll...", flüsterte ich, als Ruby mich an den Schultern von sich schob. Sie betrachtete mich von oben bis unten. Ihre hellen Augen blickten mich dabei unter dem Pony ernst an und vorsichtig, meine Reaktion genau beobachtend, fragte sie, "Hat er dir wehgetan?"

Verwirrt starrte ich sie an, dann verstand ich ihre Frage und ein komisches Lachen kam aus meinem Mund. Es hörte sich verdächtig nach einem hysterischen Anfall an.

"Luné-Marie." Ihr Griff um meine Schultern wurde fester. "Hat er dir wehgetan?" Es lag so viel ehrliche Sorge, vermischt mit unterdrückter Wut, in ihrem Blick, dass ich am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre.

"Nein, nein, zumindest nicht so." Ich schloss die Augen. "Das wäre leichter zu ertragen."

"Lu, soll ich dich in den Schlafsaal bringen?"

Innerlich zählte ich bis drei, dann stieß ich die Luft, die ich angehalten hatte, aus und sah Ruby wieder in die Augen. "Nein, geh ruhig in den Unterricht. Kannst du Sprout sagen, dass es mir nicht gut geht?"

Beinahe unmerklich zögerte sie, bevor sie die Hände von meinen Schultern nahm und nickte. "Es ist deine Entscheidung, auch wenn es vielleicht nicht schlecht ist, wenn du auf andere Gedanken kommst."

"Tut mir leid. Mein Kopf bringt mich um, ich glaube nicht, dass ich mich jetzt auf Wasserpflanzen des Mittelmeers konzentrieren kann." Ich bemühte mich, mein schlechtes Gewissen zu ignorieren und massierte mir die Schläfen, die inzwischen wirklich schmerzhaft pochten.

"Wir sind bereits zwei Themen weiter, Luné." Ruby verzog den Mund. "Leg dich am besten hin, ich sag dir nach der Stunde, was wir gemacht haben."

"In Ordnung. Bis später." Ich versuchte zu lächeln. Da waren noch mehr Worte in meinem Kopf, die ich am liebsten hinausgeschleudert hätte.

Als sie sich umdrehte, formte ich sie lautlos mit meinen Lippen, zwing mich, zwing mich dir alles zu sagen, ich will es dir doch sagen. Doch Ruby drehte sich nicht um und kein Laut kam aus meinem Mund.

Für ein paar Herzschläge stand ich allein in dem kalten Gang. Ich fühlte mich schrecklich erschöpft und ich musste mich beinahe zwingen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, bis ich unseren leeren Schlafsaal erreichte. Dort schälte ich mich aus meinen dicken Sachen und lief in Richtung Bad. Draußen war es bereits dunkel, weshalb ich Hope erst sah, als ich beinahe über sie stolperte.

"Hallo, meine Schöne." Ich beugte mich herunter, um ihr über den Kopf zu streicheln, bevor ich ins Badezimmer trat. Die kühlere Luft dort war angenehm auf meinen nackten Armen und ohne Licht zu machen, wusch ich mir mit kaltem Wasser das Gesicht.

Nachdem ich mein Gesicht abgetrocknet und eingecremt hatte, hob ich die Zauber, die meine Narben verdeckten, auf. Dabei musste ich nicht wirklich nachdenken, die Zauber aufzuheben und zu erneuern, gehörte bereits zu meiner Routine.

Meine Augen hatten sich so weit an das fehlende Licht gewöhnt, dass ich die Umrisse meines Gesichts in dem neuen Spiegel erkannte. Wer den von mir Zerstörten ausgetauscht hatte, wusste ich nicht.

"Was machst du nur?" Es war irgendwie beruhigend meine eigene Stimme zu hören. Wie ein Stück Kontrolle in dem Chaos meiner Gedanken. Ich kniff die Augen zusammen und starrte mein kaum erkennbares Spiegelbild an. "Für jeden Schritt den du vorwärts kommst, machst du zwei zurück. Du klammerst dich an deine Trauer." Als ich es endlich laut aussprach, musste ich es mir auch eingestehen. Es war fürchterlich, das ich meinen Bruder verloren hatte, ja. Ich vermisste ihn ganz schrecklich. Aber ich konnte nicht mein ganzes Verhalten dadurch entschuldigen. Ich war vollkommen in mir selbst erstarrt und mit jedem Tag fester überzeugt, unfähig zu sein weiter zu leben.

Es war als hätte ich mit Leopolds Tod endlich einen Grund bekommen, um aufzugeben.

"Verdammt." Ich erschuf eine kleine Lichtkugel in meiner Hand und beleuchtete damit mein Gesicht. "Du bist eine Rosendorn. Schau dir deine Großmutter an. Sie macht auch immer weiter, oder?" Ich holte Luft und sprach dann schnell weiter, bevor ich den Mut verlieren konnte, "Du wirst dich Stück für Stück wieder zusammen setzen und nicht erneut auseinander fallen. Egal, wie kaputt du dich gerade fühlst, alles wird gut." Diese drei klischeehaften Worte kamen mir für ein paar Sekunden gar nicht mehr so sehr wie eine Lüge vor. "Dein Bruder hätte das nicht gewollt, er hätte nicht gewollt, dass du eine Person wirst, die du nicht bist." Ich senkte den Blick auf meine vernarbte Hand. "Stück für Stück. Tag für Tag..."

Ich ertrug die Enge des Badezimmers nicht mehr und flüchtete in mein Bett. Als ich Hope leise rief, kam sie neben mich gesprungen und ich drückten sie an mich. Sie roch herrlich vertraut und nachdem ich uns zugedeckt hatte, fuhr ich ihr durch das lange Fell. Mit ihrem lauten Schnurren in den Ohren entspannte ich mich, und schließlich schlief ich sogar ein.

Geweckt wurde ich leider schon wieder recht bald, durch einen Knall, begleitet von Rubys Stimme.

"Rubs?" Gähnend hob ich den Kopf aus den Kissen. Das Kaminfeuer beleuchtete den Raum teilweise und ich blinzelte ein paar Mal, bevor ich Ruby entdeckte, die auf dem Boden hockte. "Was machst du da?" Als ich mich aufsetze, rutsche Hope von meiner Brust. Sie maunzte protestierend und lächelnd kraulte ich sie hinter den Ohren, bis sie sich wieder einrollte.

"Entschuldigung, wollte dich nicht wecken." Ruby erhob sich mit einem Stapel Bücher auf den Armen. Anscheinend war dieser die Quelle des Lärms gewesen. "Schlaf weiter, ich wollte jetzt sowieso zum Abendessen gehen." Sie klang ziemlich unterkühlt und sah mich auch nicht an, als sie die Bücher auf ihr Bett fallen ließ.

Ich entschloss mich, ihre Laune zu ignorieren und stand auf. "Abendessen klingt gut, ich sterbe vor Hunger."

"Das ist ja schön für dich." Sie verschwand in ihrem Schrank und ich schlüpfte in meine Stiefel.

"Hast du vielleicht..." Bevor ich meine Frage beenden konnte, flog schon ein dicker Gryffindor Pullover aus ihrem Schrank. "Danke!"

Gerade als ich ihn über mein T-Shirt zog, kam sie wieder aus ihrem Schrank. "Grins nicht so blöd." Ich kicherte nur als Antwort und folgte ihr dann aus dem Schlafsaal.

Finster vor sich hin grummelnd lief Ruby neben mir, bevor sie fragte, "Hast du was von meiner Schokolade genommen?"

"Nein!" Abwehrend hob ich die Hände. "Meine Katze und ein weiches Bett haben gereicht. Vielleicht solltest du Hope auch mal ein bisschen kuscheln, es scheint als könntest du das gerade gebrauchen."

"Spinnst du?" Sie verdrehte die Augen und nur schwer konnte ich mir ein Lachen verkneifen. "Ich lass mich doch nicht von deiner Monsterkatze aufschlitzen."

"Dann bleibt dir nur deine Monstereule zum kuscheln, viel Spaß dabei."

"Lass Maybell in Ruhe." Sie schnaubte genervt. "Lily ist übrigens auch sauer auf dich."

"Oh. Auch? Wer denn noch?"

"Du bist nicht lustig."

"Du hast mich doch noch lieb, oder?"

"Ja, aber ich bin sauer auf dich."

"Ich hab dich auch lieb."

"Gott, Luné!" Sie drehte sich zu mir herum und blieb stehen. Gezwungener Maßen drehte ich mich ebenfalls zu ihr, auch wenn wir nun teilweise die Treppe in den Gemeinschaftsraum blockierten, die immer mehr von hungrigen Schülerinnen bevölkert war.

"Ok, tut mir leid. Warum bist du sauer, Rubina?"

"Wie konnte ich mich nur jemals mit dir anfreunden, Luné-Marie?" Sie fuhr sich durch den Pony. "Ich musste mich gerade eine Kräuterkundestunde lang mit Sirius streiten. Rate mal warum."

"Er hat eine Pflanze misshandelt, falsch gedüngt oder getötet?"

"Nein! Wegen dir. Er meinte ich hätte dich zwingen müssen, mir alles über das Gespräch zu erzählen."

"Warte mal..."

Sie redete einfach weiter, "Und weißt du was ich mir dann die restliche Stunde anhören durfte? Das er sich Sorgen um dich macht. Weil du nichts mehr isst, nicht mehr zum Training kommst und uns andauernd ausweichst. Und das ich mich in seinem Namen bitte richtig um dich kümmern soll, weil du ihn ja nicht mehr an dich heranlässt."

"Oh Merlin." Ich vergrub den Kopf in den Händen. "Rubs... Du bist eifersüchtig."

Durch meine Finger hindurch sah ich, das sie rot wurde. "Nein. Ganz bestimmt nicht! Aber zu deinem Gespräch mit Dr. Berg, mir ist klar das du mir nichts erzählen wirst, das bist halt du, verstehe ich vollkommen." Ihre Stimme strafte ihre Worte Lügen. "Auch wenn ich nicht weiß was er gesagt hat, ist dir eigentlich schon mal der Gedanke gekommen, dass er genau das erreichen wollte?"

"Was?"

"Das du so aufgewühlt bist. Und dir tausend Gedanken machst. Du gibst ihm Kontrolle über dich, mehr noch als er erreichen würde, wenn er dir körperlich wehtut."

"Oh. So habe ich das noch nie gesehen..."

"Schon klar."

"Rubs?"

"Mhm?"

"Ich glaube, dass Sirius solche Dinge sagt, weil er vermutlich versteht wie es mir geht."

"Warum denn das?"

"Ist dir nicht aufgefallen, dass Regulus nicht mehr in Hogwarts ist?"

"Sirius kleiner Bruder? Nein. Warte mal, ist er tot? Oh Gott..."

"Nein, nein." Ich schluckte die aufkommenden Tränen hinunter. Was, wenn er bereits tot war? "Aber er hat Hogwarts verlassen, an dem Tag an dem ich den Brief von meiner Mutter bekommen habe."

"Warum denn das?!"

"Das ist schwer zu erklären, ich weiß nicht genau was er vorhat." Ich ignorierte die Schüler, die mich anrempelten und sprach noch leiser. "Falls er vorhat du-weißt-schon-wen zu verlassen, wird er nicht überleben."

"Das tut mir leid. Wirklich. Wenn ich das gewusst hätte..."

"Es muss dir nicht leidtun. Wenn ich dir nichts erzähle, wie sollst du es dann wissen? Ich hoffe du bist nicht mehr sauer."

"Nein, nein. Nur... verwirrt. Da sind ziemlich viele Sachen, die ich nicht verstehe. Sirius Bruder, Regulus, ihr seid doch verlobt?"

"Wir waren es."

"Regulus... ihr wart befreundet?"

Als Antwort nickte ich nur, während wir unseren Weg in den Gemeinschaftsraum fortsetzten.

"Ruby?"

"Mhm?" Sie schien mit den Gedanken noch bei Regulus zu sein.

"Warst du wirklich eifersüchtig?"

"Oh Lulu. Ein bisschen, vielleicht. Ich weiß auch nicht... Sirius hat sich in letzter Zeit ziemlich verändert, er ist irgendwie ständig in deiner Nähe und... Ach, ich hab keine Ahnung. Jetzt macht sein Verhalten natürlich Sinn."

"Rubs... Ich weiß wie sehr du Sirius magst und ich habe einen wundervollen Freund. Selbst wenn Sirius in meinen Augen nicht der größte Troll dieser Schule wäre, ich würde nie etwas mit ihm anfangen."

"Danke..."

Ihr schien das Thema unangenehm zu sein, weshalb ich fragte, "Warum ist Lily jetzt eigentlich sauer?"

"Oh stimmt." Ruby lachte. "Das findest du besser selbst heraus."

Wir waren im Gemeinschaftsraum angekommen. Überall saßen oder standen Schüler, die sich den Regen aus den Haaren schüttelten und die Luft war erfüllt von Lachen. Es war nicht schwer Lilys Haare zu entdecken. Sie saß zusammen mit einem sichtlich eingeschüchterten Peter Pettigrew auf einem Sofa und schien seine Hausaufgabe zu korrigieren. Die restlichen Rumtreiber sahen ihr dabei zu, wobei Remus eher auf Melody achtete, die neben ihm ein Buch lass.

Vorsichtig näherte ich mich ihr. Wenn Lily sich bereit erklärte unseren Hausaufgaben ihre Aufmerksamkeit zu widmen, war sie gewöhnlich ziemlich sauer.

"Lils?" Meine Stimme war nur ein Piepsen, aber sie hob sofort den Kopf.

"Luné-Marie." Verdammt.

"Ja...?" Sie stand auf und ich zog schon mal vorsorglich den Kopf ein.

"Du hast Kräuterkunde geschwänzt." Es war eine Feststellung. Ruby musste es ihr gesagt haben, denn sie murmelte hinter mir leise, "Sorry."

"Könnte sein..."

"Könnte nicht nur, es ist so. Und es ist nicht das erste Mal. Wir verlieren die ganze Zeit Punkte wegen dir, weil du entweder zu spät oder gar nicht in den Unterricht kommst. Ich bin Vertrauensschülerin und eine meiner besten Freundinnen kostet unser Haus mehr Punkte als die Rumtreiber, und das ist eine gottverdammte Leistung." Hinter ihr murmelte James, "Wo sie recht hat, hat sie recht." Lily fuhr zu ihm herum und hatte plötzlich beunruhigende Ähnlichkeit mit einer Katze, der man auf den Schwanz getreten hatte. "Zu dir und deinen idiotischen Freunden komm ich noch, Potter. Euer hirnloser Streich an Severus hat noch Konsequenzen. Und Remus!" Der Angesprochene zuckte heftig zusammen. "Du bist auch Vertrauensschüler, es sind deine Freunde und du hast sie verdammt noch mal aufzuhalten, wenn sie jemanden verhexen wollen." Remus tat mir beinahe leid, bis sich Lily zu mir herumdrehte. "Jetzt wieder zu dir. Ich habe dein Verhalten die letzten Wochen über akzeptiert, weil ich verstehe, dass es dir nicht gut geht. Schließlich war er dein Bruder. Aber ich werde nicht zusehen, wie du so weitermachst. Du hast jedes Recht wütend zu sein, zu weinen und einfach nur zu trauern. Aber das machst du nicht, Luné. Du frisst all die Gefühle in dich herein. Ich verlange nicht von dir, dass du mit uns darüber sprichst, ich will nur nicht weiter dabei zusehen, wie dich die Trauer von Innen heraus aufrisst und du nichts unternimmst, um weiter zu leben." Sie schüttelte den Kopf. "Wirklich, Lu, das kannst du uns nicht antun."

"Ich..." Um ihrem Blick auszuweichen, drehte ich den Kopf zur Seite. Das half allerdings nicht gegen mein schlechtes Gewissen. "Es tut mir leid. Wegen Kräuterkunde und so weiter. Dr. Berg hat mir heute erzählt, das in Deutschland Krieg herrscht. Aber du hast vollkommen Recht. Das wird mir langsam auch klar. Es ist nur schwer... Manchmal denke ich, das es mir wieder gut geht und dann zieht mich irgendeine Kleinigkeit wieder in dieses Loch" Ich drehte mich zu Ruby herum und versuchte ein Lächeln. "Ich versuche es hinzubekommen, wirklich."

"Das wissen wir doch." Ruby lächelte ein Lächeln, das wie eine Umarmung war.

"Was meinst du mit einem Krieg in Deutschland?" Es war Melody, die fragte.

Ich drehte mich wieder herum. "Anscheinend hat der Tod meines Bruders ihn ausgelöst, ich weiß aber auch nicht wirklich etwas darüber. Nur das meine Familie irgendwie ziemlich tief drinsteckt..."

Ich wurde von unserer Schulsprecherin, Isabella Bell, abgelenkt, die ziemlich atemlos im Porträtloch stand und mit ihrem Blick die Schüler absuchte. Alle Köpfe drehten sich zu ihr herum, als sie laut fragte, "Leute, ist hier eine Luné-Marie?"

Bevor ich reagieren konnte, hatte Ruby schon die Hand gehoben, "Ja hier." Isabella kam zu uns gejoggt und strich sich dann die langen dunklen Haare aus dem Gesicht. "Wer von euch ist jetzt Luné-Marie?"

"Ich." Meine Stimme war leise, aber Isabella drehte sich sofort zu mir. Mich überkam bei ihrem Blick ein ganz schlechtes Gefühl.

"Du sollst auf der Stelle in Dumbledores Büro kommen, Anweisung von Professor McGonagall."

"Oh nein..." Alle Menschen, die mir etwas bedeuteten, kamen mir in den Sinn. Meine Eltern, Jake, meine Großmutter... "Bitte nicht..."

"Komm." Lily griff nach meiner Hand und zog mich mit sich. "Ich bringe dich hin."

Sie führte mich durch viele Korridore, bis wir vor dem Wasserspeier ankamen, der beiseite sprang, als Lily "Lakritzzauberstab." sagte. Ich verschwendete keinen Gedanken daran woher sie das Passwort kannte, sondern starrte nur voller Angst auf die sich drehende Wendeltreppe.

Lily fragte vorsichtig, "Soll ich mitkommen?" und dankbar drückte ich ihre Hand.

Die Treppe beförderte uns vor die Bürotür, die nur angelehnt war und bevor ich es mir anders überlegen konnte, stieß ich sie auf. Dumbledore, der aus dem Fenster sah, verstummte augenblicklich und auch McGonagall, die vor dem großen Schreibtisch stand, drehte sich zu uns herum.

"Ah, Miss Rosendorn." Dumbledore sah mich über die Ränder seiner Brille hinweg scharf an.

"Professor Dumbledore, Sir, ich sollte zu ihnen kommen."

"Lu!" Überrascht drehte ich mich zu den beiden Stühlen vor Dumbledores Schreibtisch um. Aus einem der Beiden hatte sich jemand erhoben und ich musste den jungen braunhaarigen Mann ein paar Herzschläge lang anstarren, bis mich die Erkenntnis traf.

"Jake..." Mein bester Freund, der in Deutschland und nicht in England sein sollte, nickte langsam. "Was tust du hier?" Er trug seine Grüntal Uniform und war auch sonst viel zu leicht für das Wetter gekleidet, zwischen all den Büchern und den komischen Instrumenten wirkte er fehl am Platz.

Als Jake nicht antwortete, sondern mir nur weiter in die Augen sah, schaltete sich Professor McGonagall ein, "Luné, ich habe Sie holen lassen um ihren Freund und seine Schwester in den Gryffindor Turm zu bringen, es werden bereits im Schlafsaal der Fünftklässlerinnen und der Sechtsklässler Betten vorbereitet. Miss Evans kann ihnen sicherlich behilflich sein."

"Aber... Aber... Warum? Und seine Schwester?"

"Hallo Luné." Anne Berghaus erhob sich von dem anderen Stuhl. "Lange nicht gesehen."

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