01 - Magie (ÜBERARBEITET)
Dunkelheit umgab ihn. Er hörte ein Lachen.
Es war eiskalt. Wind pfiff um ihn herum.
Über ihm brach der silbern strahlende Vollmond durch die dichte Wolkendecke. Umrisse von Bäumen waren zu erkennen, das hohe, sich im Wind wiegende Gras spiegelte das Licht wieder und streiften um seine weißen Beine herum.
Mit einem Blick nach unten sah er auf die großen strahlend weiß leuchtenden Pfoten. Probehalber, um zu testen, ob diese Pfoten wirklich zu ihm gehörten, bohrte er seine Krallen in die regennasse Erde. Zufrieden jaulend richtete er wieder den Blick nach oben, sah direkt in das helle Licht des Mondes. Es ist nur ein Traum dachte er. Dennoch kam es ihm so wirklich vor.
Wieder ertönte dieses Lachen. Nervös drehte er seine Ohren nach hinten. Etwas weißes huschte an ihm vorbei. Dann lachte schon wieder jemand, direkt hinter ihm. Knurrend drehte er sich um, bereit jedem möglichem Feind die Zähne in das Fleisch zu schlagen.
Doch bei dem Anblick, rührte sich unerklärlicherweise nichts mehr außer sein Fell im Wind. Der Mann vor ihm war unnatürlich blass, so blass wie der Mond am Himmel. Seine Augen glühten rot, die Pupillen waren schwarze Schlitze, wie die der Nachbarskatze. Der Mann grinste und zeigte seine ungepflegten Zähne, die leicht spitz zuliefen, wie die Zähne eines Raubtieres. Erneut lachte er.
>> Du bist mein! << sagte er, die Stimme krächzte wie Rufe von Krähen.
Erschrocken wachte Luis auf.
Schon wieder dieser Albtraum.
Er hatte Geburtstag. Er träumte das nur an seinem Geburtstag.
Jetzt war er 15.
Ächzend setzte er sich auf und warf die dicke Bettdecke von sich. Das schwarze Shirt was er trug stank nach Schweiß. Seufzend erhob er sich von seinem gemütlichem Bett und betrat das Badezimmer, welches direkt neben seinem Zimmer lag. Leise schlich er den kurzen Weg durch den Flur über die Holzdielen, die schon alt waren und daher immer sofort laut knarrten, wenn man nicht vorsichtig war.
Er wollte seine Mum nicht wecken.
Sofort stieg er unter die Dusche. Müde wärmte er sich unter dem Wasser auf und schlüpfte dann in eine Jeans und einen roten Hoodie.
Der Kamm blieb wie immer in seinen Haaren hängen. Diese waren schwarzbraun, etwas länger - und ständig so verknotet, dass keine Bürste sie durchkämmen konnte. Seine Mutter mochte das nicht, aber so oft sie sie früher auch immer abgeschnitten hatte - wenn sie mal zuhause war - wuchsen sie jedes Mal genauso verknotet wieder nach.
Seufzend legte er den Plastikkamm zurück auf die Kommode und betrachtete sich im Spiegel.
Die türkisen Augen wurden von dunklen Augenringen umrahmt. Kein besonders seltener Anblick an seinem Geburtstag.
Gähnend ging er nach unten in die Küche.
Zu seiner Überraschung war seine Mum schon auf. Sie stand vor dem Kühlschrank und legte dort gerade sein Pausenbrot hinein.
>> Du musst wieder gehen? << fragte er leise. Sie zuckte zusammen - seit er denken konnte, hatte er die Fähigkeit, lautlos in die Küche zu gehen und jedes Mal erschreckte sie sich. Als er kleiner war, ärgerte er sie ständig damit und jedes Mal bekam er mächtig Ärger dafür. Wenn sie da war. Sie konnte es nicht leiden, wenn er sie erschreckte.
>> Das ist ein wichtiges Meeting, das darf ich nicht verpassen. << sagte sie sachlich. Dann nahm sie ihre Handtasche und ging in den Flur um ihren Mantel überzuziehen.
Mit den Händen in den Hosentaschen sah er ihr dabei zu.
Wieder einige Tage alleine zuhause, dachte er. Sie war nie da. Vielleicht eine Woche pro Monat. Und einen Vater hatte er nicht.
'Sag nichts davon zu niemandem', sagte sie immer. 'Sonst kann ich den Job verlieren und den brauche ich doch. Sie werden dich sonst wegnehmen und das dürfen sie nicht.'
Sie sah sich noch einmal im Spiegel an, zupfte an ihren langen, dunklen Locken und sah ihm dann noch einmal mit ihren dunkelbraunen Augen an.
>> Auf dem Schrank im Flur oben liegt dein Geburtstagsgeld. Kauf dir was von mir. Ich komm bald zurück. << sagte sie noch und zog ihn in eine kurze Umarmung. Eine sehr kurze Umarmung. Dann verschwand sie aus der Haustür. Ohne den Schlüssel mitzunehmen. Sie vergaß ihn oft. Vielleicht hatte sie draußen welche versteckt, damit sie wieder reinkam, aber Luis hatte nie welche gefunden, wenn er danach gesucht hatte.
Seufzend holte er das Pausenbrot wieder aus dem Kühlschrank und packte es in seine Schultasche, die er gestern schon fertig gepackt hatte.
Es war der letzte Schultag. Ein Pling ertönte aus seiner Hosentasche.
> Happy Birthday! < schrieb einer seiner Klassenkameraden.
In der Schule hatte er kaum Freunde. Nur eben diese Menschen, mit denen man sich zwar gut verstand, aber nicht viel miteinander machte, außer Hausaufgaben und Referate. Vor paar Jahren hatte er das letzte Mal einen richtigen Freund, bis dieser vor vier Jahren auf ein Internat in Schottland wechselte und der Kontakt abbrach. Er war nur noch in den Sommerferien und manchmal in der Weihnachtsferien zuhause, nur selten begegneten sie sich auf der Straße. Lukas grüßte immer, aber Luis achtete nur selten auf ihn. Er hatte keine Lust auf einen Ferienfreund, den man sonst nie zu Gesicht bekam.
Die Schule war genauso langweilig wie immer.
Sie bekamen Zeugnisse und seine Noten waren durchschnittlich, einige weit darunter. Er hätte wahrscheinlich bessere, würde er sich mehr Mühe geben, doch er hatte keine Motivation dazu, der Unterricht war todeslangweilig und er wusste eh schon das meiste, da er sehr viel las. Eine andere Freizeitmöglichkeit hatte er kaum.
>> Ich habe eine Bitte an sie. Kommen sie mal aus ihrer eigenen kleinen Welt heraus, Mr. Honey. Sie sind ein sehr freundlicher und intelligenter Mensch und es ist schade, dass sie das verstecken. << sagte sein Klassenlehrer. Er nickte nur. In Gedanken aber ganz woanders - er versuchte immernoch die Wut zu unterdrücken, die ihm nach dem seltsamen Traum die Laune vermieste. Erneut musste er allein sein, und das auch noch an seinem Geburtstag. Was tat seine Mutter, dass sie nie Zuhause war?
Auf dem Weg nach Hause lief er Lukas über den Weg. Auch das noch.
Der blonde Junge, mit dem rundlichen Gesicht und den freundlich blitzenden, blauen Augen und dem Dauerlachen, schob seinen Koffer vor sich her. Seine Eltern waren bereits an ihrer Haustür, er jedoch blieb stehen, als er Luis sah.
>> Hey. << sagte er. Heute lachte er nicht. Seine Augen waren gerötet. Hat er geweint? Ach egal, dachte Luis und nickte nur zur Begrüßung und trank einen Schluck aus seiner Glasflasche. Die hatte er sich schnell im Automaten gekauft, da er sein eigenes Wasser in der Küche stehen gelassen hatte.
>> Warte! << sagte Lukas und versperrte ihm den Weg. Missmutig hob Luis die Augenbraue. Er hatte heute nicht die Stimmung für ein Gespräch mit ihm.
>> Herzlichen Glückwunsch.<< murmelte der andere und musterte Luis' Gesichtsausdruck, der sich kein bisschen änderte.
>> Sie hat dich wieder alleine gelassen? Soll ich wirklich nicht mal was meinen Eltern sagen? Wäre das nicht besser? Sie können bestimmt helfen. << fragte Lukas. Er kannte ihn einfach zu gut - er wusste als einziger, wie oft Luis alleine war, und er wünschte, es wäre nicht so. Er wollte nur helfen, aber das wollte Luis nicht. Er hasste seine Mum manchmal, aber von ihr getrennt werden wollte er auch nicht. Er würde bestimmt in einem Heim landen oder so, denn das Jugendamt oder wer auch immer diese angebliche „Hilfe" war, würde seine Mutter für „nicht gut" für ihn einstufen.
>> Nein, darfst du nicht. Es ist okay, wann verstehst du das endlich? << sagte Luis. Er hatte schlechte Laune, und das schon den ganzen Tag. Lukas trieb seinen Ärger noch höher.
>> Lu, ich will dir damit doch nur helfen. Dir geht es damit nicht gut, du musst endlich - << fing Lukas an, doch Luis unterbrach ihn. Er wollte noch einfach nur in Ruhe gelassen werden.
>> Nein! << knurrte er wütend.
>> Lu - << Luis schüttelte seine Hand ab, die Lukas auf seine Schulter gelegt hatte.
>> Lass mich doch in Ruhe! <<
>> Ich will dir doch nur helfen! << Luis Geduldsfaden riss.
>> Ich sagte, Lass. Mich. In. Ruhe! << rief Luis.
Die Glasflasche in seiner Hand zerbrach.
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Sehr geehrter Mr. Honey,
Mit einer großen Entschuldigung freuen wir uns, ihnen mitteilen zu können, dass sie auf der Zauberschule für Hexerei und Zauberei aufgenommen sind. Durch einen Fehler wurden sie zuvor nicht als Zauberer registriert und wurden erst neulich gefunden. Sie werden dennoch dazu eingeladen das fünfte Schuljahr der Hogwartsschule zu besuchen. Das ihnen fehlende Wissen werden sie nachholen können.
Beigelegt finden sie eine Liste aller benötigten Bücher und Ausrüstungsgegenstände. Das Schuljahrbeginnt am 1. September. Wir erwarten ihre Eule spätestens am 31Juli.
Mit freundlichen Grüßen
Neville Longbottom
Stellvertretender Schulleiter
Stumm blickte Luis auf das schwere Stück Pergament in seinen Händen. Tränen ließen die grüne Handschrift verschwimmen. Lachtränen.
Dieser Scherz war so bescheuert, dass er einfach lachen musste. Zauberer? Ernsthaft jetzt?
Kopfschüttelnd steckte er den Brief, der am Morgen im Briefkasten lag, in den Papierkorb und widmete sich wieder dem weißen Papier auf seinem Schreibtisch. Mit einem Kugelschreiber war darauf eine Skizze gekritzelt, die eine junge Frau mit langen, leicht welligen Haaren und einem freundlichen Lächeln zeigte. Stirnrunzelnd betrachtete er das Bild und stellte sich das Mädchen in Farbe vor - rehbraune Augen, Sommersprossen und rotes Haar. Er nahm das Blatt und legte es in den Ordner, der ganz unten in der Schublade lag. Dort waren noch mehr Zeichnungen, immer mit demselben Motiv, ob mit Bleistift, Kohle oder Farbe - er wusste nicht woher er diese junge Frau kannte, noch warum sie ihn so faszinierte, dass er sie immer wieder unbewusst zeichnete. Seine Mutter mochte das gar nicht.
Sie hatte ihn deswegen mal angeschrien und das farbige Bild in den Kamin geworfen. Da war er sieben Jahre alt. Seitdem versteckte er seine Zeichnungen in der hintersten Ecke seiner Schublade. Zeichnen ist Zeitverschwendung, hatte sie als Erklärung genannt. Sie bringen dich im Leben nicht weiter.
Erneut nahm er den Ordner heraus. Ganz unten war das detaillierteste Bild, mit Aquarellfarben, das hatte er im Kunstunterricht einmal gemacht. 'Schön ist das' hatte seine Lehrerin gesagt. 'Wer ist das?' Er hatte nicht lange überlegt. 'Lily' sagte er einfach. Er wusste nicht wer sie war. Der Name war einfach in seinem Kopf, genau wie das Bild ihres Lächelns.
Man, sind die Ferien langweilig, dachte er seufzend und schmiss sich auf sein Bett, nachdem er den Ordner zurückgelegt hatte.
Er schloss die Augen und dachte an den Traum. Er hasste und liebte ihn gleichzeitig - es war ein Altraum aber der Anfang dessen - er war ein Wolf im Mondschein, frei und unabhängig. Er konnte gehen wohin er wollte und tun was er wollte.
Warum träume ich das immer?
Ein Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken. Sofort richtete er sich auf. Sein Zimmer lag im ersten Stock, niemand kam an sein Fenster heran, um zu klopfen.
Es klopfte erneut.
Blinzelnd sah er zum Fenster. Der Uhu vor der Scheibe blinzelte zurück - und klopfte erneut mit dem Schnabel gegen das Glas.
Zögernd stand Luis auf und lief zum Fenster. Der Blick des Vogel folgte ihm. Das Fenster klemmte kurz, als er es öffnete. Warme Sommerluft schlug ihm entgegen. Der Uhu tschurrte einmal. Dann hielt er ihm das eine Bein hin.
Verwirrt starrte Luis auf den Brief, der am Vogelbein befestigt war. Vogelpost?
Langsam band er den Brief ab, wobei der Uhu immer ungeduldiger zu werden schien. Schließlich drehte er sich einfach um und flatterte davon. Nur noch einige Federn wirbelten in der Luft herum und zeugten von der Anwesenheit der Eule. Er sah auf dem Brief. Dasselbe Wappen. Hogwarts.
Schon wieder, dachte Luis genervt und warf den Brief in den Mülleimer, ohne ihn zu öffnen. Lukas erlaubt sich wohl einen Scherz.
Nur er weiß, in welchem Zimmer ich wohne und Mum hat keinen Sinn für Scherze.
Hat Lukas nicht gemerkt, dass er in Ruhe gelassen werden wollte?
Er dachte an den Moment zurück, als die Flasche zerbrach. Lukas Gesichtsausdruck war überrascht, erschrocken - wieso sollte er ihm jetzt noch einen Streich spielen? Nur weil die Flasche wohl schon einen Sprung hatte und deswegen so leicht zerbrochen war? Zugegebenermaßen wirkte es schon wie - Zauberei - das das Glas einfach so kaputt ging, aber - Luis beendete den Gedanken.
Das ist Blödsinn, dachte er und legte sich wieder ins Bett.
Den Rest des Tages tat er nichts außer sich im Internet irgendwelche sinnlosen Videos anzusehen. Über Wölfe. Dann Drachen. Und irgendwann kam er zur Zauberei, bis er nach einer Stunde das Handy in die nächste Sitzecke warf und sich seine Schulbücher schnappte. Aus purer Langeweile las er sie alle erneut durch und legte sich früh,ohne Abendessen, schlafen.
Wenn Ferien waren und er allein war, schlief Luis immer bis Mittags, egal wann er schlafen gegangen war. Heute weckte ihn das Klingeln an der Haustür.
Vielleicht war es seine Mum und sie hatte ausnahmsweise mal keinen Ersatzschlüssel im Garten, sodass sie nicht reinkam. Oder einfach ein Postbote, dachte er, als er die typischen Farbe dieser Menschen, die den ganzen Tag durch die Stadt fahren mussten um Briefe zu verteilen, durch die getönte und gewellte Glasscheibe der Haustür erkannte.
>> Morgen. << grüßte er murmelnd. Der Mann vor ihm reichte ihm einen Brief. Er wirkte gestresst, schien sich aber dennoch diese kurze Aussage erlauben zu können.
>> Bisschen altmodisch mit Wachssiegel, oder? << der Mann lächelte, stellte noch ein Paket vor Luis Füße und hielt ihm dieses Gerät zum Unterschreiben hin.
Luis hingegen starrte verdattert auf den dicken Brief. Es war derselbe Brief - mit dem Wappen, der grünen, geschwungenen Schrift -
>> Wer schickt das? << fragte er mit einer Mischung aus Wut und Verwirrung. Er hatte keine Lust auf solche Streiche, aber wer machte sich denn bitte solche Mühe?
>> Kein Absender, tut mir leid. Kannst du jetzt unterschreiben, ich muss weiter. <<
Luis kritzelte schnell 'Honey' auf den Bildschirm, schnappte sich den Brief und schob das Paket mit dem Fuß in den Flur, bevor der dem Postboten die Tür vor der Nase zuschlug.
Der Brief landete auf dem Sofa. Das Paket auf dem Küchentisch. Das war für seine Mum, das durfte er nicht öffnen. Da drückte sie sich immer sehr klar aus.
Was bin ich diesmal - ein Einhorn?
Eröffnete den Brief. Es stand genau dasselbe drin. Er legte ihn neben sich, stand auf und schnappte sich seine Schuhe. Wenn Lukas sich einen Scherz erlaubte, dann wollte er wenigstens wissen, wieso.
Vor Lukas' Haus kam er gar nicht dazu, die Klingel zu nutzen. Lukas öffnete bereits die Haustür. Er trug einen schwarzen Anzug, seine Haare lagen platt auf dem Kopf, die Augen sahen immer noch so aus, als hätte er erneut geweint.
>> Ach du meine Güte, wer ist denn eigentlich gestorben, dass du die ganze Zeit so heulst? << fragte er. Der Vergleich war eigentlich scherzhaft gemeint. Wie richtig er damit lag, erfuhr er gleich.
>> Sehr witzig. Ein guter Freund. << sagte Lukas.
>>Oh - äh. Sorry. << murmelte Luis. Unerwartet.
Der Brief war plötzlich unwichtig. Er überwand sich und zog Lukas in eine kurze Umarmung. Eine Kurze.
Lukas zog die Mundwinkel leicht nach oben.
Dann sprach er ein Thema an, und der Brief wurde plötzlich wieder wichtig.
>> Hast du den Brief schon gekriegt? << fragte er leise und unsicher. Ihm fiel wieder ein, weshalb er hier war.
>>Ja, dreimal. Ist das ein Streich? Spielst du deinen Freunden eigentlich immer Streiche, wenn jemand gestorben ist? <<
Lukas runzelte die Stirn.
>> Kein Streich, Luis, die Wahrheit. <<
>> Äh, reden wir über dieselben Briefe? Die mit dem Zauberer-kram? << Lukas nickte.
>> Das ist doch völliger Unsinn! << meinte Luis wütend. Er vergaß den Umstand, dass Lukas wohl gerade auf eine Trauerfeier wollte und einen Freund verloren hatte, er wollte einfach nur - allein sein. Wenn man allein ist, kann man nicht allein gelassen werden. Allein sein war für Luis einfach ein Schutz - vor dem allein gelassen werden.
Lukas Miene änderte sich schlagartig. Er zog blitzschnell einen Stab aus seiner Jackett-Innenseite, murmelte ein Wort und Luis - wollte weiter seinen Frust äußern, doch kein Ton kam aus seiner Kehle.
Sprachlos - wortwörtlich sprachlos - starrte er seinen ehemaligen Kumpel mit offenen Mund an. Dieser hielt ihm immer noch die Spitze des dunkelbraunen Holzstabes vor die Augen.
>> Hör mir zu, Lu. Das ist wahr. << Luis wollte reden, doch panisch merkte er, dass ihm nach wie vor kein Ton aus der Kehle kam.
>>Schieb keine Panik und komm bitte mit rein. Ich erklär es dir. Ich löse den Zauber. Aber komm rein und hör mir zu. <<
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Zauberer. Hexen. Drachen. Magie. Elfen. Kobolde. Einfach alles - war echt.
Lukas hatte lang und breit erzählt, ihm einfach alles gesagt und Luis saß stumm daneben, unfähig seinen Unglauben preiszugeben. Als sein ehemaliger Kumpel endete und den Zauber löste, hielt Luis nichts mehr. Er schnappte sich seinen Brief wieder und verließ das Haus.
Jetzt saß er auf der Gartenbank. Starrte gedankenverloren auf den Baumstumpf vor ihm, wo einst ein Kirschbaum stand, dessen Überreste nun von dornigen Rosenranken überwuchert wurden.
Zauberei, dachte er resigniert. Wie kann soetwas Wirklichkeit sein?
Sein Handy vibrierte.
Fahren jetzt zur Beerdigung. Wenn du willst kann ich mit dir bald die Schulsachen kaufen. Also am Ende der Ferien. Nur wenn du willst Kumpel :)
Wollte er das überhaupt? Nachdenklich lehte er sich nach hinten. Könnte er den Baum nachwachsen lassen? Sein Zimmer aufräumen, ohne einen Muskel zu rühren?
Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, als er sich vorstellte, wie er die Zutaten für einen Schokoladen-Geburtstagskuchen durch die Gegend fliegen ließ. Seine Mum hasste Schokolade.
Seine Gedanken wurden durch ein unterdrücktes Fluchen gestört. Ruckartig wirbelte er herum und starrte durch die offene Terassentür ins Wohnzimmer, in das seine Mutter gerade gestürmt war. Wenn man vom Teufel spricht, dachte er. Was machte sie schon wieder hier? Sie war gerade mal drei Tage weg -
>> Mum? << fragte er zögerlich und trat zur offenen Tür. Seine Mutter drehte sich zu ihm um und auf ihr gestresstes Gesicht zauberte sie ein leicht übertriebenes Lächeln.
>> Schatz. Da bist du ja. << keuchte sie. Fragend sah er sie an. Sie wirkte so - anders. Nicht mehr kühl und ohne Emotionen, sondern hastig. Gestresst.
>> Alles in Ordnung? Du bist so früh - wieder da. << fragte er. Soll ich es ihr sagen?
>> Jaja, hab nur was vergessen. So, komm mal her. << sagte sie und grinste. Sie grinste. Das tat sie nie.
>> Was - << Mit einem mulmigen Gefühl wich er einen Schritt zurück, weg von der Tür.
>> Keine Sorge Junge, es tut nicht weh und du wirst es vergessen. Das wird nie - passiert sein. <<
Sie lief auf ihn zu, strich sich hastig die dunklen Locken aus den Augen, die sich aus ihrem strengen Zopf gelöst hatten und griff dabei in ihre Mantelinnentasche. Verwirrt starrte Luis seine Mutter an. Sie wirkte wie ein anderer Mensch - drehen jetzt alle durch? Was passiert mit meinem Leben?
Dann zog sie einem Gegenstand hervor, den Luis vor einigen Stunden bereits in ähnlicher Form gesehen hatte - und ihm lief augenblicklich ein eiskalter Schauder über den Rücken. Seine Mum hoch die Hand, zielte mit dem dunkelbraunen, mit Kerben verzierten Zauberstab direkt auf seine Brust.
>> Keine Sorge. Ich werden den Zauber ab jetzt wieder an deinem Geburtstag zaubern. Ich werds nie wieder vergessen. Glaub mir - es ist besser so, Junge. Danach schläfst du - und dieser Tag ist nie geschehen! <<
Luis starrte ungläubig und entsetzt auf den Zauberstab in der Hand seiner Mutter und dann direkt in ihr Gesicht - das Grinsen verstärkte das seltsame Flackern in den dunkeln Augen und sie wirkte - erschreckend wahnsinnig. Luis wich zurück.
>> Musst du jedes Jahr so ein Theater draus machen? << fauchte sie plötzlich verärgert und betrat schnellen Schrittes den Garten.
Jedes Jahr? Was?!
>> Leg das Ding weg! << rief er. Sie verstrehte die Augen, schnaubte nur abfällig und murmelte ein paar Worte, die er nicht verstand. War das Latein?
Er hielt erschrocken die Luft an, als die Spitze des Zauberstabes anfing, dunkelblau zu leuchten. Gerade rechzeitig warf der sich ins feuchte Gras auf den Bauch, sodass der Lichtblitz über ihn hinweg in den hohen Gartenzaun zischte und auf diesem einen rauchenden Brandfleck hinterließ.
Mit aufgerissenen Augen sah er zu seiner Mutter. Die ihn angegriffen hatte. Mit Wut verzerrtem Gesicht starrte sie ihn an. Hatte er sich vorher etwa einfach verzaubern lassen? Er erinnerte sich an nichts, auch wenn sowas wohl laut ihr jedes Jahr geschah - Panisch rollte er zur Seite, wich so einem weiteren Zauber oder Fluch oder was auch immer aus, stolperte auf seine Füße und lief weg.
Das da war nicht seine Mutter. Das war nicht die Frau, die er immer zu sehen bekam und er bezweifelte, dass sie jetzt mit sich reden ließ - sie war wie wahnsinnig. Luis hoffte, dass Lukas Eltern noch da waren- sie waren doch auch Zauberer oder? Die konnten die Frau aufhalten, die seine Mutter war und ihn verhexen wollte. Zum wiederholten Mal.
Der Weg zwischen der Hauswand und dem Zaun war zu schmal, um darin ausweichen zu können, aber Luis kam auf die Straße, bevor seine wahnsinnige Mum auch nur um die Hausecke sehen konnte.
Weder Lukas noch seine Eltern waren zu sehen. Luis rannte weiter, in der Hoffnung, irgendwen zu treffen. Doch die Straße war menschenleer, die Temperaturen zu hoch, als dass jemand freiwillig das Haus verließ.
>> Flipendo! << hörte er den Schrei seiner Mutter und diesmal konnte er nicht ausweichen. Der Zauber traf ihn am Rücken und wie durch eine unsichtbare Faust wurde er nach vorne geschleudert und landete unsanft auf dem warmen Asphalt.
>> Du bist heute ganz schön rebellisch. << sagte sie und trat langsam näher. Luis lag auf dem Rücken, der höllisch schmerzte. Seine Knie und Handballen waren aufgeschürft.
>> Warum? << murmelte er. Sie grinste.
>> Ich will nur etwas unterdrücken, Schatz. Zu deinem Schutz. Normalerweise mache ich das, nachdem du an deinem Geburtstag aufwachst, aber diesmal - verfluche mein Gedächnis, aber noch ist es nicht zu spät. << Luis verstand.
>> Unterdrücken? Was denn? Meine Magie? <<
Sie runzelte missbilligend die Stirn.
>> Wenn du darüber bereits Bescheid weißt, ist es höchste Zeit, den Schild zu erneuern. << stellte sie unzufrieden fest. Luis kroch rückwärts, aber sie beachtete das gar nicht, sondern hob einfach nur ihren Stab.
>> Löschen wir das alles einfach. << säuselte sie mit falscher Lieblichkeit und murmelte erneut Lateinische Formeln. Luis schloss die Augen. Vielleicht kann mich Lukas wieder daran erinnern, dachte er, als das Licht durch seine geschlossenen Lider hindurch schimmerte.
>> PROTEGO! <<
Ein Knall, ein Lichtblitz und Luis riss die Augen erschrocken wieder auf.
Seine Mum starrte wütend nach vorne, über Luis hinweg. Als er ihrem Blick folgte, keuchte er erleichtert auf - sie waren doch noch da. Lukas stand mit erhobenen Zauberstab direkt auf der Straße, hinter ihm sein Vater, der seinen Sohn hinter sich schob und auf sie zukam.
Seine Mutter wich zurück.
>> Aurorenabschaum. << murmelte sie leise und richtete ihren Blick wieder auf ihn.
>> Legen sie den Stab weg! << rief Mr. Grabbe.
Luis kroch weiter nach hinten, bis Lukas Vater an ihm vorbei schritt, Mrs. Honey folgend, die langsam zurückwich. Lukas hechtete zu ihm, packte ihn an den Schultern, doch Luis beachtete die warmen Handflächen gar nicht, sondern starrte einfach nur seine Mutter an.
Erst jetzt rührte sie sich wieder, hob ihren Stab leicht.
>> Luis, Schatz, komm zu mir. << sagte sie. Sein Magen zog sich zusammen.
>> Sie ist verrückt! << flüsterte er entsetzt. Wie konnte sie sich in den letzten Tagen so verändert haben? Oder war alles nur eine Fassade gewesen? War er die ganze Zeit so blind, dass er ihr wares Gemüt nicht erkannte?
>> Legen sie den Zauberstab weg, Miss! << sagte Mr. Grabbe erneut. Sie richtete ihren Blick wieder auf den Mann vor ihr, Wut verzerrte ihr Gesicht.
>> Es ist noch nicht vorbei. Ihr werdet bezahlen! << fauchte sie schließlich, ohne Anstalten, auf Lukas Vater zu hören. Bevor er jedoch reagieren konnte, drehte sie sich auf dere Stelle - und verschwand mit einem Knall einfach ins Nichts.
Meine Mum ist eine Hexe, dachte Luis einfach nur. Kurz kam ihm in den Sinn, dass er jetzt wenigstens wusste, wie sie ins Haus kam, ohne einen Haustürschlüssel dabeizuhaben - doch das schien ihm aufeinmal vollkommen unwichtig.
War sie jemals so gewesen, wie er sich daran erinnerte oder war alles eine Illusion?
Eine warme Träne rollte über seine Wange.
War nichts davon echt?
Einfach alles - war falsch - eine Lüge.
Falsch.
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