Unsinn 05

Zu Hause eingesperrt im Käfig seiner Wahl, stimmte etwas nicht. Das merkte Finn sofort, als er aufwachte. Er fühlte sich wie ein Hamster mit Menschenzähnen, wie eine  Giraffe mit dem Hals einer Person: Es war falsch und komisch, aber eben auch ein ganz kleines bisschen  lustig. Er kicherte, dann stieß er mehrfach erst kurze, dann langgezogene schrille Schreie aus. Er wollte raus und weg. Weg von hier, weg von allem, was ihn umgab. So schlimm war es wirklich nicht, aber eben doch. Es war wie das Vorabendprogramm von ARD und ZDF, es war zwar nicht so richtig schön, aber auf der anderen Seite schien es auch niemandem wirklich weh zu tun. Aber hatte jemals jemand die Langzeitfolgen davon untersucht? Diese pausenlose Mittelmäßigkeit. Weinen kann man nicht, aber eben auch nicht lachen. Finns Gefühl war wie der Smiley mit dem geraden waagerechten Strich als Mund. Manchmal wollten die Mundwinkel nach oben gehen, aber am Ende schafften sie es nie gleichzeitig bis nach oben zu kommen, sodass es immer nur schief wurde.
Finn hatte schon alles durchprobiert, um diesem unfassbar fiesen und langsamen Gegner namens Zeit zu entkommen. Er hatte versucht sich zu optimieren, doch über ein one-and-a-half-pack kam er nicht hinaus und das befand sich nichtmal auf seinem Bauch.
Seine Ernährungsoptimierung scheiterte am Kühlschrank. Er konnte ja schließlich die leckeren Sachen, mit denen der Kühlschrank sich immer wieder füllte, nicht wegwerfen.
Als nächstes versuchte er seine Intelligenz zu optimieren, indem er mehrere Partien Schach gegen sich selbst spielte. Doch auch dieses Experiment musste er abbrechen, da er immer nur am verlieren war.
Sein letzter Versuch galt der Optimierung seines Charakters. Er verbrachte sehr viel Zeit mit sich selbst und versuchte auch so viele Gespräche und Diskussionen wie möglich zu führen, doch spätestens, wenn er beim Thema Politik angekommen war, brach ein Streit aus, sodass er auch auf diese Art der Gespräche keine Lust mehr hatte.
Er war am Ende und war sich nicht ganz sicher, wie er das ändern konnte, oder ob überhaupt.
Die Lösung sollte per Post kommen. Am siebzenhten Tag der Mittelmäßigkeit lag ein Päckchen vor Finns Tür. Doch noch bevor er es öffnen konnte kroch eine Schnecke heraus, gefolgt von einem Schwein und einem Dackel. ,,Du Finn?”, fragte ihn das Schwein. Finn nickte. Das Schwein nickte. Anschließend stellten sie sich nacheinander vor.
Schwein: ,,Ich bin hier, damit du dich besser ernährst.
Hund: ,,Ich bin hier, damit du endlich mal wieder deine grauen Zellen anstrengst.
Schnecke: ,,Ich bin hier, um deinen eingerosteten Körper, den du deinen “Body” schimpfst wieder auf Vordermann zu bringen.”
Finn: ,,Na dann kommt mal rein. Einer von euch einen Tee?”

In den nächsten Tagen und Wochen lernte Finn mehr über sich selbst, als je zuvor. Er bekam von morgens bis abends Instruktionen von den drei Tieren. Von 9:00-12:00 Uhr Schach mit dem Hund, 12:00-15:00 Uhr Fitness mit der Schnecke und 15:00-18:00 Uhr erklärte ihm das Schwein alles, was es über Essen und gesunde Ernährung zu wissen gab. Er merkte, wie er von Tag zu Tag besser wurde und wie ihm täglich seine Grenzen aufgezeigt wurden. Eigentlich war es alles, was er sich gewünscht hatte und eigentlich war ihm auch bewusst, wie gut es seinem Körper und Geist tat, also das ganze Training. Doch trotz all dem wünschte er sich nichts sehnlicher, als das es aufhörte. Er hatte genug von dem Aktionismus, er vermisste seine Süßigkeiten genauso, wie das Rumgegammle. Einige Tage machte er weiter ohne den Dreien was von seinen Bedenken mitzuteilen. Er machte gute Miene zum bösen Spiel, doch schon bald merkte der Hund, das etwas nicht stimmte. ,,Deine Motivation fehlt. Wenn wir nicht bei dir zu Hause wären, würde ich sagen, du hast sie zu Hause gelassen.” Er streckte seine Zunge raus und lachte heftig über seinen eigenen Witz. Finn verzog keine Miene. ,,So du Sohn einer Hündin, jetzt ist Schluss mit lustig, ich hab’ keinen Bock mehr auf den Firlefanz. Ich möchte, dass ihr alle von hier verschwindet und zwar sofort!” Finn wusste genau, dass sowohl das Schwein, als auch die Schnecke das Gespräch belauscht hatten. ,,Ihr habt mich gehört, RAUS!”
Beleidigt stiegen die drei wieder zurück in das Päckchen, das immer noch vor Finns Tür stand und warteten, bis der Postbote es abholte.

So war Finn wieder ganz allein und er war sich noch nicht ganz sicher, wie er sich fühlen sollte. Seine Mundwinkel kamen immer noch nicht über die Waagerechte hinaus und auf der Suche nach Glück, Freude und Sinn war er letztendlich auch nicht viel weitergekommen. Ihm liefen Tränen über die Wange, als er sich fragte, ob es überhaupt so etwas wie einen Sinn gab.
Ein wenig schuldig fühlte sich Finn, als er sich auf die Couch setzte und seine Playstation anmachte. Er wollte ja eigentlich keinen Tätigkeiten mehr nachgehen, die ihn auf keiner Ebene als Person weiter brachten. Und tatsächlich machte es auch gar nicht mehr so viel Spaß Fifa zu zocken, wenn ständig das schlechte Gewissen im Hinterkopf herum spukte und ihn mit vorwurfsvollen Blick anstarrte.
Ein Klopfen an der Haustür zwang ihn sein Online-Spiel abzubrechen. Etwas, was ihn früher noch in andersartige Zorn Zustände gebracht hatte, nahm er mittlerweile einfach nur hin. Man konnte es ja auch nicht ändern.
Er schlurfte zur Tür und nacheinander kam das Schwein, die Schnecke und der Hund herein, alle mit gesenktem Kopf. Sie alle setzten sich auf Finns Couch und erwarteten, dass er das Gleiche tat. Wortlos stöpselte der Hund drei weitere Controller in die Playstation.  Sie fingen an eine nach der anderen Partie Fifa zu spielen, erst zwei gegen zwei, dann zu viert gegen den Computer und am Ende sogar einer gegen drei. Die Zeit vergaßen sie komplett. Sie war auch mittlerweile alles andere als langsam, aber irgendwie war sie immer noch der größte Gegner, der Antagonist des Lebens. Doch trotz allem zierte alle vier Gesichter ein dickes fettes breites Lächeln.

written by TimeandSpineless

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