Lebensfroh 07

Die Schranken des Bahnübergangs gehen nach einer Viertelstunde, die sich mindestens wie eine halbe angefühlt hatte, endlich hoch und ich starte erleichtert den Motor meines grünen Honda Civics. Der Motor kündigt sich mit einem Brummen an, ich lasse die Kupplung kommen und gebe Gas. Ein beunruhigendes Rütteln sagt mir, das etwas nicht stimmt und plötzlich bleibt mein Wagen mit einem lauten Grunzen genau auf den Bahngleisen stehen. Ich drehe den Autoschlüssel herum, schalte den Wagen aus und versuche ihn direkt wieder anzuschalten. Nichts passiert. Ich versuche es erneut und wieder passiert rein gar nichts. ,,Jetzt nicht in Panik geraten", sage ich laut zu mir selbst. Was macht man in so einer Situation? Während ich aus meinem Auto steige, fangen sich die Schranken langsam an wieder zu senken. Ich winke und schreie wild, in der Hoffnung, dass vielleicht eine Person oder eine Videokamera mich entdecken würde, mir zur Hilfe eilen könnte. Doch weit und breit ist weder eine Person, noch eine Kamera zu sehen. Ich bin komplett allein. Wenn jetzt ein Zug kommt, bin ich weg. Dann lebe ich nicht mehr. Tausende Dinge fallen mir ein, die ich noch nie gemacht hatte, so vielen Leuten, denen ich noch "danke" sagen will. Natürlich könnte ich einfach mich selbst in Sicherheit bringen. Das ist die beste Lösung für mich. Ich könnte mich selbst in Sicherheit bringen und glücklich weiterleben. Und es gibt auch diesen kurzen Augenblick, in dem ich genau das machen möchte. Doch mein Körper gehorcht meinem Gehirn nicht mehr und so steige ich wieder zurück in den grünen Honda Civic. Zwar würde ich mich selbst retten, aber was würde passieren, wenn der Zug mit voller Geschwindigkeit in mein Auto rasen würde. Womöglich würde er entgleisen oder sonst etwas könnte passieren und so viele Menschen könnten sterben oder verletzt werden und dann würden all diese Menschen nicht mehr all das machen können, was sie vor ihrem Tod noch machen wollten. Könnte ich damit weiterleben? So oder so muss ich es noch versuchen den Wagen hier wegzubekommen. Sowieso ist noch kein Zug in Sicht. Ich nehme den Schlüssel nochmal aus dem Zündschloss, puste wie ich es als Kind mit jedem hakenden Gameboy-Spiel gemacht hatte, einmal darauf und stecke ihn wieder zurück ins Zündschloss. Ich drehe und drehe und drehe, doch der Mistwagen möchte einfach nicht anspringen. In der Ferne höre ich etwas, was durchaus wie ein Zug klingt und gerate schließlich doch in Panik. Wie ein Irrer drücke ich aufs Gas und versuche weiterhin den Schlüssel herum zu drehen. Gleißendes Licht und ein ohrenbetäubendes Hupen verrät mir, dass der Zug mich bemerkt hat. Eine Träne kullert über meine Wange. Der Zugführer hört gar nicht mehr auf zu hupen. Gleichzeitig versucht er zu bremsen, was ein unschönes Quietschen mit sich zieht. Ich entscheide mich in dem Moment aus dem Wagen zu steigen, um mich in Sicherheit zu bringen, in dem der Zug das Auto und schließlich mich erwischt und alles um mich herum erst hell und dann komplett dunkel wird.

Ich wache auf.

Langsam schaue ich um mich, prüfe, ob noch alles von mir da ist. Erleichtert stelle ich fest, das noch alles an Ort und Stelle zu sein scheint. Ich kann wieder aufatmen. Alles war wohl doch nur ein schlimmer Traum gewesen. Als ich mich gerade umdrehen möchte, um weiter zu schlafen, meldet sich meine Blase zu Wort. Ein wenig genervt stehe ich auf. Das tue ich anscheinend deutlich zu schnell für meinen Kreislauf. Mir wird schwarz vor Augen und ich gerate ins Schwanken. Doch da dies für mich keine unbekannte Situation ist, gehe ich weiter, da ich weiß, dass das Gefühl gleich verschwinden wird. Langsam taumle ich zum Badezimmer und stelle fest, dass das Gefühl ganz und gar nicht weggeht. Ganz im Gegenteil wird es immer schlimmer, kaum bin ich dazu im Stande gerade zu stehen. Alles dreht sich um mich herum. Ich schnappe sowohl nach Luft, als auch nach etwas zum Festhalten, als meine Knie nachgeben. Ich kippe nach vorne und mit einem dumpfen Klang knallt mein Kopf auf die Waschbeckenkante und ich lande auf dem Boden. Mir fließt Blut aus der Stirn und meine Umgebung entfernt sich immer weiter von mir. Schon immer habe ich Niederlagen gehasst, aber dann verliere ich am Ende doch noch mein Bewusstsein. Alles ist schwarz.

Ich wache auf.

Ich liege in der Badewanne. Das Badewasser schwemmt mir immer wieder leicht ins Gesicht. Verwundert stelle ich fest, wie lange ich doch schon nicht mehr in der Badewanne gewesen bin. Und selbst bei bestem Willen kann ich mir nicht vorstellen, was mich dieses mal dazu bewegt hatte in die Wanne zu steigen. Je länger ich darüber nachdenke, desto wütender werde ich auf mich selbst. Ich kann doch nicht auf der einen Seite mich für Klima-Bewegungen stark machen und auf der anderen Seite einfach nur so zum Genuss so viel Wasser verbrauchen. Was war in mich gefahren. Was hatte mich dazu bewegen können, so etwas Dummes zu machen? Ich setze mich aufrecht hin und stoße mit dem Kopf leicht gegen etwas, was sich wie ein Kabel anfühlt. Als ich realisiere, dass es sich tatsächlich um ein Kabel handelte, war der Rasierer, der an genau diesem Kabel hängt, schon ins Badewasser gefallen.

Ich wache auf.

Ich sitze am Esstisch, mein Sohn guckt mich mit traurigem Blick an und sagt: ,,Papa, ich bekomme das Toast nicht aus dem Toaster!" Ohne infrage zu stellen, warum ich aufeinmal einen Sohn habe, stehe ich auf, nehme eine Gabel und antworte mit einem väterlichen Lächeln im Gesicht: ,,Moment mein Sohnemann, das haben wir gleich." Er lächelt, während ich dabei bin, die Gabel in den Toaster zu stecken.

Ich wache auf

und gucke genau in den Lauf eines Revolvers.

,,Adios amigo", scheint der Revolver zu sagen und ein Schuss ertönt.

Ich wache auf.

Written by TimeandSpineless

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