Kritik töten 10
Die Kritik, die 1 an 2 anbrachte, gefiel 2 so wenig, dass sie kurzerhand 1 tötete. 1 war zwar sehr wütend auf 2, aber eben auch sehr tot, so dass sie sich das Streitgespräch sparte und zurück nach Hause ging. 2 hingegen verharrte noch ein wenig an Ort und Stelle, grinste stolz in sich hinein, denn sie wusste ganz genau, dass sie das Richtige getan hatte. So ging man nun mal mit Kritik um; man tötete sie. 2 musste sogar kurz laut auflachen, als sie darüber nachdachte, was sie für 'ne große Nummer war. Doch als sie ganz still verweilte, stolperte sie plötzlich und fiel nach oben. Das Kribbeln in ihrem Bauch bereitete ihr solch ein Unbehagen, dass sie rasch wieder mit dem Fallen aufhörte. So stand 2 in der Luft und ärgerte sich so sehr, dass es so schien, als käme Dampf aus ihren rot angelaufenen Ohren. Sie wollte die dumme scheiß Erdanziehungskraft kritisieren und schrie Richtung Boden: ,,Du dumme scheiß Erdanziehungskraft, ich kritisiere dich!"
Die Kritik, die 2 an der Erdanziehungskraft anbrachte, gefiel der Erdanziehungskraft so wenig, dass sie kurzerhand 2 tötete. Tot wie 2 nunmal jetzt war, fing sie wieder an zu fallen, diesmal jedoch nach unten. Während des Fallens überdachte 2, den ihrer Meinung nach richtigen Umgang mit Kritik und kam zu dem Schluss, dass er nicht gut, sondern dumm und scheiße war. Schließlich kam 2 auf dem Boden auf und war endgültig tot.
Die Erdanziehungskraft war weder stolz auf ihren Umgang mit Kritik, noch war sie der Meinung, das es der richtige Weg war, mit Kritik umzugehen. Zum Teil wegen der Angst vor dem Tod und zum Teil, weil sie Angst hatte, dass sich diese Geschichte in eine Endlosschleife verlaufen würde, warf die Erdanziehungskraft flehende Blicke in Richtung Alle, dass sie sie doch bitte nicht umbringen würden, wenn sie sie kritisierte. Alle antworteten mit einem bestätigenden Nicken. Ein Lächeln schlich sich ins Gesicht der Erdanziehungskraft und sie beschloss kurzerhand einfach niemanden zu kritisieren, da alle so nett zu ihr waren. Und nette Leute sollte man ohnehin weniger kritisieren, fand sie.
Dies war der Beginn einer wunderbaren Zeit, in der sich kaum etwas veränderte. Konservativ war das neue Progressiv und den meisten Leuten schien es, zumindest oberflächlich, zu gefallen. An einem Tag in jedem Jahr machte die Erdanziehungskraft einen Ausflug zum Grab von 2 und entschuldigte sich. So auch in jenem Jahr.
Sie stand vor dem Grab und sagte: ,,Es tut mir leid 2 und ich bereue, was ich tat."
So wie auch die Jahre davor, antwortete 2 auch jenes Mal mit gelassener Stimme, die nicht den geringsten vorwurfsvollen Unterton hatte: ,,Kein Problem, jeder macht mal Fehler, passiert den Besten..."
Die Erdanziehungskraft nickte und legte einen Strauß Blumen auf das Grab. Vor dem Grab stehend und ein paar Tränen verdrückend, verweilte sie. Nach einiger Zeit: ,,Kritik ist wichtig, oder?"
Die tote 2 hätte genickt, wenn sie nicht tot gewesen wäre: ,,Ja, ich glaube schon."
Nun fing die Erdanziehungskraft richtig an zu weinen. Dicke Tränen rannen über ihre Wangen. Und dann wurde ihr auf einmal klar, dass es einen Unterschied gab zwischen konstrukt... ,,Haüscha!" Ein Nießen weckte sie aus ihrem Tagtraum und da schon einige Zeit ins Land gegangen war, entschloss sie sich schließlich dazu zu gehen. War sie weiter gekommen mit ihren Gedanken? Wusste sie nun, wie man mit Kritik umging?
Als sie schließlich durch das Friedhofstor, wieder zurück in die Welt der Lebenden schritt, konnte sie nicht anders, als das Gespräch zwischen zwei jungen Menschen mitzuhören. Der eine sagte zum anderen: ,,Boah, wärs' nicht voll abgefahrn', wenn wir schweben könnten? So richtig durch die Luft und so." Die Augen des anderen fingen zu leuchten an und er antwortete: ,,Das wär' so Oberhammermegaaffentittengeil, das sag ich dir!"
Mehr brauchte die Erdanziehungskraft nicht zu hören. Während nur ganz kurz der Gedanke aufkam, die beiden wegen ihrer indirekten Kritik an ihr (denn nichts anderes war das doch!) zu töten, merkte sie, dass es etwas anderes war, dass sie störte. Der Erdanziehungskraft wurde klar, dass die beiden Kinder recht hatten. Es war tatsächlich eine lustige Vorstellung die ganzen Menschen und ihre Werke durch die Lüfte schweben zu sehen. Doch sie selbst, war das Problem, sie war Schuld daran, dass diese tolle Vorstellung, dieser vollkommen legitimer Wunsch der beiden nicht wahr werden würde. Und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: die Kinder hatten sie nicht wirklich direkt kritisiert, nein, sie hatten sie nicht einmal persönlich adressiert. Sie selbst war es, die sich diese Vorwürfe machte, sie selbst war es, die sich kritisierte...
Und da die Kritik, die die Erdanziehungskraft an sich selbst anbrachte, ihr so wenig gefiel, tötete sie sich kurzerhand selbst.
Als sie nun all diese Menschen, Häuser, Bäume und alles andere durch die Lüfte fliegen sah, war sie sich zu 102 Prozent sicher, dass sie immer noch nicht den richtigen Weg gefunden hatte, mit Kritik umzugehen.
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