Freier Fall 02
Und jetzt war ich hier, flog durch die Lüfte und während ich von irgendwo nicht allzu weit über mir ein "Wuuuuhuuu" hörte, musste ich ganz plötzlich an andere Dinge denken. Das Gefühl war gut, keine Frage und die Aussicht war toll. Und letztendlich gingen die 55€ dafür völlig in Ordnung. Für den Preis konnte man sich noch nicht mal wirklich über den heißen Atem des Guides beschweren der sich in regelmäßigen Abständen auf meiner Wange ausbreitete. Und ohne Guide hätte ich es auch nicht gemacht. Gefährlich war es statistisch gesehen zwar nicht, aber ich hatte dann doch nicht so viel Vertrauen in meine motorischen Fähigkeiten in Stress Situationen. Kurz öffnete ich meinen Mund und schloss ihn gleich wieder, nachdem sich meine Backen aufbliesen und vom Wind weggeblasen wurden. Hatte ich den Ofen ausgemacht? Der Gedanke schoss mir in den Kopf. Und natürlich hatte ich ihn ausgemacht, ich hatte ihn an dem Tag noch gar nicht angehabt. Dummer Gedanke in dieser merkwürdigen Situation.
Ständig hatte ich in letzter Zeit diese dummen Gedanken. Zwei Wochen zuvor hatte ich mich doch tatsächlich auf einer Brücke wiedergefunden, bereit zu springen. Schlussendlich war ich doch nicht bereit gewesen und hatte stattdessen Klara angerufen. Natürlich hatte ich ihr vorerst nicht erzählt, wo ich mich befand. Ehrlich gesagt war ich mir auch gar nicht sicher, warum ich ausgerechnet sie angerufen hatte. Wir hatten uns davor seit zwei Jahren nicht mehr gesehen, ein Wunder, dass ich überhaupt noch ihre Nummer hatte. Sie war überrascht über den Anruf und wir redeten. Es war ein gutes Gespräch, so dass es damit endete, dass ich wieder von der Brücke runter kletterte.
Sie hatte mir das Leben gerettet ohne es zu wissen. Oder ich hatte es mir selbst gerettet, in dem ich sie angerufen hatte.
Das mit der Brücke war voll Klischee, das war mir auch klar. Aber vielleicht brauchte ich das. Mich zu fühlen wie in einem Film. Immerhin war es bewölkt und das Licht war so gar nicht filmmäßig.
Und generell war mein Leben auch nicht wie ein Film. Viel zu langweilig und es hatte noch nicht mal gute Bilder. Na ja.
Wir waren ein Paar. Also Klara und ich. Das ist gefühlt schon ewig her und die Erinnerungen an bestimmte Erlebnisse oder Dates verschwommen schon langsam. Aber die Erinnerung an das Gefühl, das nur Klara mich im Stande war fühlen zu lassen, die blieb. Genau das war auch Ursprung allen Übels. Ich wusste nämlich, das es besser ging, glücklicher, sodass ich anfing, alles daran zu messen.
Und hier war sie auf einmal wieder mit mir, ungefähr fünfzehn Meter von mir entfernt. Nein es war keine Wahnvorstellung oder Schizophrenie, sie war tatsächlich mit mir hier und flog durch die Lüfte. Nach unserem Gespräch, hatten wir uns verabredet. Wir wollten etwas Verrücktes machen, etwas was man sonst nicht macht. Also lief es auf den Fallschirmsprung mit der Ex hinaus.
Von ihr war das "Wuuhuu" gekommen und ich wünschte ich würde auch so fühlen. Das Adrenalin sollte mich doch glücklich und unstoppable machen, aber es tat das Gegenteil.
Ich stoppte, stagnierte. Ich konnte nicht den Moment leben. Nicht mehr seit Klara nicht mehr in meinem Leben war. Und jetzt war sie hier mit mir, nicht aus Mitleid, sondern einfach, um eine gute Zeit zu haben, doch ich, ich schaffte es nicht. Meine Gedanken waren eine Einbahnstraße und ich war... ja, was war ich eigentlich.
Plötzlich schaffte es doch etwas mich aus meinen Gedanken zu reißen. Klara schrie. Aber diesmal war es kein "Wuhuuu" der Guide und sie waren mittlerweile gute 20 Meter unter uns und irgendwie schien der Fallschirm sich nicht öffnen zu lassen. Panik breitete sich in mir aus. Wild gestikulierend zeigte ich mit meinen Händen Richtung Klara, versuchte irgendwie meinen Guide darauf aufmerksam zu machen. Doch er schenkte weder mir noch den beiden unter uns Beachtung. Irgendwie versuchte ich mein Gewicht weiter Richtung Boden zu bewegen, mit Schwimmbewegungen irgendwie schneller an die beiden heran zu kommen, doch ich war machtlos. Mein Guide zog ohne Komplikationen unseren Fallschirm und wir wurden mit einem Ruck noch weiter weggezogen von Klara. Ich fing an zu weinen und als die erste Träne vom Wind erfasst wurde, kam Klara mit einem dumpfen Klang auf dem Boden auf.
Ich befand mich wieder in einem spärlich belichtenden Raum, vor mir saß Klara. „Und du hast dieses Jahr deine Ausbildung abgeschlossen oder?", fragte Klara. Ich nickte lächelnd. Es war unser erstes Date. Wir hatten uns gerade erst kennengelernt.
written by TimeandSpineless
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