5 - luftkuss

Busfahren war nie lustig. Oder schön, oder irgendetwas dergleichen. Die kleinen Fünftklässlern, welche laut Musik abspielten, machten mir meinen Morgen schwer. Vorallem wenn ich keinen Koffein getrunken hatte. Wenn ich todmüde im Bus saß und einfach nur ans Fenster gelehnt saß, aus der Hoffnung nicht einzuschlafen, aber gleichzeitig auch einzuschlafen und somit die Schule zu verpassen.

Es war der nächste Tag. Gestern war nichts wirklich nennenswertes passiert, was mich nicht überraschte. Allgemein schien mein Leben einfach nur wie ein schwarz-weißer Farbeimer, welcher gelegentlich auf buntes Papier gespritzt wurde.

Jeder Tag verlief ähnlich. Angefangen von der Schule, hinüber zu den Gesprächsthemen, hinüber zu Noah und Nick. Ich fühlte mich wie in einem elenden Kreislauf, welcher erst enden würde, wenn ich meinen Abschluss hinter mir hatte. Da dieser aber noch zwei Jahre vor mir lag, waren meine Tage eintönig.

Ich schlief im Laufen fast ein, als ich das Schulgebäude betrat. Auf den heutigen Tag hatte ich genauso wenig Lust, wie auf die anderen.

Normalerweise würde ich immer mit meinem Auto hierher fahren, aber heute hatte ich es mir anders überlegt. Ich bereute es jedoch jetzt schon - Busfahren vertrieb einfach die gute Laune. Ich konnte nicht lauthals zu meinen Lieblingssongs singen, sondern musste den unangenehmen Gesprächen anderer Leute zuhören.

Ich seufzte tief, zog meinen Rucksack näher an meine Schultern und lief zu meinem Spind. In meiner ersten Stunde stand Englisch. Natürlich wieder einmal mit Nicholas.

Es fühlte sich an, als hätte ich immer mit ihm. Dabei war es nur maximal einmal am Tag. Immerhin hatte ich danach Bio und danach Deutsch, dieses Mal jedoch mit Noah.

Ich schloss meinen Spind auf und nahm die Englisch Bücher heraus. Ich musste irgendwie durch diese Stunde kommen.

»Naa, Bella?« Ein grinsender Noah kam von der Seite und lehnte sich an den Spind neben mir. Meine Augen strahlten und ich umarmte ihn.

»Hey, Noah.« Nun hatte er ein strahlendes Lächeln. Dies verging leider etwas langsam, als er so aussah, als würde er sich an etwas erinnern.

»Hast du gestern meinem Bruder ein Mittelfinger gezeigt?«, fragte er plötzlich aus dem Nichts und ich bekam einen strengen Blick ab. Genervt verdrehte ich die Augen, zuckte mit den Schultern und knallte meinen Spind zu.

»Ist doch egal«, meinte ich. Doch sein Gesicht sagte aus, dass es ihm nicht egal war. Dabei könnte es wirklich ihm egal sein. Es war eine Angelegenheit zwischen Nicholas und mir. Nicht zwischen Noah und mir.

Noah brummte etwas unmissverständliches und schob mich dann leicht nach vorne, zu dem Gang, in dem unsere Klassenräume sich befanden.

»Wie weit bist du mit Geschichte?«, fragte ich, um von dem Thema abzulenken. Er sah angestrengt auf den Boden.

»Nicht wirklich viel weiter, du?«

»Ja, ebenfalls nicht.« Ich hatte mich gestern abend nicht einmal hingesetzt, um den Geschichtsordner einmal zu öffnen.

Er grinste schief und zuckte mit den Schultern. »Müssen wir uns wohl noch einmal treffen.«

Ich grinste ebenfalls und nickte leicht. »Sieht wohl so aus.« Dann winkte ich ihm zu und lief in mein Klassenzimmer, welches sich gleich rechts befand.

Zu meinem Unglück saß Nicholas schon an seinem Tisch und zwinkerte mich an. Ich erwiederte dieses Zwinkern nicht und setzte mich einfach stumm schräg vor ihn.

Ich hatte kaum Zeit nachzudenken, als auch schon die Lehrerin den Raum betrat und den Unterricht startete.

Ich hörte von Anfang an nicht zu. Auf meinem Papier bildeten sich keine Sätze, sondern kleine Zeichnungen von Äpfeln und Kritzelleien.

Englischunterricht wurde aber auch jedes Jahr immer langweiliger. Nun lernten wir keine Grammatik mehr - das einzige was wir machten, war Sprechen. Oder Arbeitsblätter ausfüllen. Dass dies kaum einen Spaß machte, war selbstverständlich.

Ich hörte nach meinem fünften Apfel auf zu kritzeln. Nun starrte ich einfach aus dem Fenster - immer noch nicht mehr interessiert am Unterricht.

Wie gerne würde ich einfach aus diesem Fenster klettern und nie wieder zurück kommen. Einfach so aufstehen, hindurch und draußen.

Jedoch ging dies nicht so einfach. Obwohl ich es theoretisch könnte, war es nicht wirklich gerne gesehen, wenn eine Schülerin aus dem Fenster hüpfte, um dem Unterricht zu entkommen.

Nachdenklich ließ ich meinen Blick wieder durch den Raum schweifen - und landete bei Nicholas.

Seine braunen Haare kitzelten über seine Augen, verdeckten sie leicht. Sie waren halb geschlossen, er lag nur noch wenig wach auf einer seiner beiden Hände. Mehr interessiert als ich war er auch nicht.

Ich musste leicht grinsen. Dann riss ich mich jedoch zusammen und hörte sofort wieder auf.

So als hätte Nicholas meinen Blick bemerkt, drehte er sich in meine Richtung. Er sah mir direkt in die Augen und hob fragend eine Augenbraue.

Ich rollte mit den Augen und verschränkte meine Arme vor meiner Brust.

Dann jedoch legte Nicholas seine Fingerspitzen an die Lippen und warf mir einen Luftkuss zu. Kokett grinste er mich an.

Ich wurde leicht rot. Ich spürte es, wie meine Wangen sich erwärmten. Zwar waren es nur wenige Grad - vielleicht auch nur einer, ein halber (so fühlte es sich jedenfalls an) - aber es genügte, um es unangenehm zu machen.

Ich zeigte ihm meinen Mittelfinger, versuchte mich unter Kontrolle zu bringen und sah wieder nach vorne.

Ich hörte noch Nicholas leises Lachen hinter mir. Meine Wangen hatten wieder die normale Temperatur angenommen. Ich hoffte, er hatte nichts gesehen.

Weil eigentlich hasste ich ihn ja ungemein. Und er mich auch. Dass ich dann plötzlich bei einem Luftkuss, einem ironischen Luftkuss, rot wurde, war unangenehm. Und äußerst unpraktisch.

Aber eine Sache hatte mir die Aktion gebracht - ich hörte für einen kurzen Moment im Unterricht zu. Ich hätte mir im Nachhinein jedoch eher gewünscht, dass ich nicht zugehört hätte.

Denn genau in diesem Moment schlug meine Lehrerin die Hände zusammen, grinste frech und rief durch die ganze Klasse »Partnerarbeit!«.

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