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"Das ist Ihre letzte Möglichkeit, Ms Thornton. Ich werde meinen Vorschlag von eben nicht wiederholen", sagte er leise. Er war ihr nahe, viel zu nahe. Sie wich nach hinten, löste ihren Blick von seinen Lippen und sah ihm abermals in die Augen.
"Das wird auch nicht von Nöten sein... Mylord."
Lucinda lief mit schnellen Schritten wieder ins Innere des Ballsaals, sehr darauf bedacht, keinen überstürzten Eindruck zu vermitteln, während sie ihre Handschuhe wieder anzog.
Die Menschenmengen um sie herum bedrängten sie, waren ihr viel zu nah und am liebsten hätte sie sich gleich wieder in ihre Kutsche gesetzt und wäre damit nach Hause gefahren. Aber diese Option bestand nicht. Sie sah Caroline und Kate, wie sie sich mit ihren auserkorenen Herren unterhielten und albern kicherten. Marie und Richard tanzten. Ihre Mutter und ihr Vater unterhielten sich mit Mr und Mrs Whittaker. Lucinda sah sich nach einem der Bediensteten um, die noch immer Gläser mit sprudelnden alkoholischen Getränken verteilten. Genau so eins wollte Lucinda nämlich jetzt, um ihre Nerven zu beruhigen, auch wenn sie sonst kaum einen Tropfen Alkohol zu sich nahm.
Aber ihre Pläne wurden durchkreuzt, als Tobias auf sie zukam und ihr die Hand reichte. "Würden Sie mir die Ehre erweisen, Ms Thornton?", forderte er sie zum Tanz auf und Lucinda war sich bewusst, dass sie sich heute Abend keine weiteren Beleidigungen erlauben durfte und schon gar nicht gegenüber der Familie des Gastgebers.
"Es wäre mir eine Freude", sagte sie deshalb. Sie war froh, dass gerade Tobias zu ihr kam. Lucinda mochte ihn und sein ruhiges Wesen. Mit jedem anderen wäre dieser Tanz eine Qual gewesen, aber so legte sie bereitwillig ihre Hand auf seinem Arm ab und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche führen.
"Verzeihen Sie mir, Ms Thornton, aber ich konnte nicht umhin zu bemerken, dass Sie und mein Cousin kein besonders gutes Verhältnis zu haben scheinen", sagte Lord McLocklyn nachdem sie die ersten Schritte bewältigt hatten. Lucindas Herzschlag hatte sich wieder einigermaßen beruhigt.
"Sie müssen mir meinen Ausbruch vorhin verzeihen, ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen."
"Oh, keineswegs! Mir ist durchaus bewusst, dass Bailian ein durchtriebener Teufel sein kann", grinste er schief und auch Lucinda verzog ihre Lippen zu etwas, das einem Lächeln ähneln sollte.
"Es wird der Eindruck vermittelt, dass Lord White ein wahrer Gentleman ist", fuhr Lucinda fort und zeigte mit einer vagen Bewegung auf den geschmückten Ballsaal und die versammelten Gäste. "Vielleicht war der erste Eindruck nur täuschend." Sie versuchte, die Wogen zu glätten, obwohl sie im Grunde den Drang verspürte, Bailian White vor seinem Cousin unbarmherzig bloßzustellen.
"Ich muss leider befürchten, dass Sie bei Weitem nicht die einzige sind, die einen ersten schlechten Eindruck von ihm erhalten hat. Deswegen auch dieser Ball. Mein Vater versucht, Bailians Ruf zu retten, solange das noch möglich ist."
"Aber – verzeihen Sie mir meine Neugier – wieso hier, wo ihn doch kaum einer kennt?"
"Nun ja..." Tobias schien zu überlegen. "Ich denke, es ist einfacher, von Anfang an einen guten Eindruck zu vermitteln, als einen eh schon ruinierten Ruf zu retten. Dieser Ball würde in London nicht den großen Effekt haben."
"Bei seinem Benehmen bisher trifft das gleiche hier wohl auch zu", murmelte sie tonlos und bemerkte erfreut, dass Tobias schmunzelte.
"Bitte, Sie dürfen mich nicht mit Ungewissheit foltern. Was hat mein werter Cousin angestellt, dass er so in Ihrer Missgunst steht?"
Lucinda wollte gerade antworten, da vereinnahmte sie das Gefühl des Beobachtetwerdens. Sie warf einen kurzen Blick über ihre Schulter und erkannte sofort Bailian White, wie er am Rande der Tanzfläche mit einem Glas Champagner in der Hand stand und sie mit kaltem Blick beobachtete. Ein Schauer lief von ihrem Nacken und weiter über ihr Rückgrat hinunter. Unwillkürlich wand sie sich ein wenig unbehaglich und schenkte daraufhin wieder ihrem Tanzpartner ihre Aufmerksamkeit.
"Wie erwähnt haben mein Vater und ich Lord White gepflegt, nachdem er im Regen einen Teufelsritt hingelegt hatte und vom Pferd gestürzt war. In der zweiten Nacht ist er einfach verschwunden. Er hat seine Sachen genommen und sich herausgeschlichen. Er hat sich nicht bei uns bedankt und er hat uns nicht einmal verraten, wer er war."
Tobias schien erst sprachlos, dann schüttelte er resignierend den Kopf. "Aber er ist Ihnen eben nachgelaufen, da hat er sich doch hoffentlich bedankt?"
Diesmal war Lucinda es, die den Kopf schüttelte. "Nein, im Gegenteil. Er unterstellte mir, hinter seinem Geld her zu sein." Lucinda spürte immer noch Lord Whites Blicke auf sich wie Messerstiche. Sie suchte den Raum nach ihm ab und sah ihn jetzt an einer anderen Stelle, seine Augen jedoch wichen nicht von ihr. Eine immense Wärme kroch ihren Hals hinauf und legte sich wie eine brennende Hand darum.
Seine Wirkung auf sie war selbst auf die Entfernung nicht zu verleugnen. Es erschütterte Lucinda, so von ihm beeinflusst zu werden.
"Ich weiß wirklich nicht, was ich zu seiner Verteidigung sagen soll. Sein Benehmen ist unerklärlich." Tobias McLocklyn festigte seinen Griff um Lucindas Taille, als wolle er einen Teil von Lord Whites Missetaten wiedergutmachen.
Immer unangenehmer wurde ihr der stechende Blick, den Lord White ihr unentwegt sandte und sie war mehr als froh, als der Tanz sich endlich dem Ende zuneigte und sie vor Tobias knickste.
"Ich denke, ich werde mir eine Erfrischung holen, ich bin ein wenig erhitzt", wollte sie sich bei Tobias entschuldigen, doch dieser schien es sich zur Mission gemacht zu haben, nicht von Lucindas Seite zu weichen, vielleicht als Ausgleich zu dem schamlosen Benehmen seines Cousins.
Aber gerade eben war es Lucinda nur recht, einen Freund an ihrer Seite zu haben, weshalb sie Tobias' dargebotenen Arm akzeptierte und sich von ihm zu einem der Bediensteten führen ließ, von dem er sich zwei Gläser reichen ließ.
Sie nahm eines davon entgegen und ließ ihren Blick einmal verstohlen durch den Raum gleiten. Von Lord White war im Moment keine Spur zu sehen. Die Menschenmenge hatte sie also verschluckt und zum ersten Mal an diesem Abend war Lucinda dankbar über den gut gefüllten Saal, auch wenn sie die Hitze beinahe zu ersticken drohte.
Viel zu schnell trank sie den Champagner und spürte ein leichtes Schwindelgefühl aufsteigen.
Als sich Tobias ihr wieder zuwandte, fing Lucinda den erfreuten Blick ihrer Mutter auf, die in der Nähe stand, und erschrocken wurde ihr klar, welchen Eindruck Tobias mit seiner Fürsorge vermitteln könnte. Einer unverheirateten Dame so viel Aufmerksamkeit zu schenken, wurde immer missverstanden.
Und das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, waren irgendwelche Heiratsgerüchte! Lord White würde sicherlich das Gerücht verbreiten, sie wäre auch hinter dem Vermögen der McLocklyns her, dachte sie bitter.
"Wenn Sie mich nun bitte kurz entschuldigen würden, meine Familie sucht mich sicherlich bereits." Lucinda lächelte Tobias an und wusste, dass er ihren Aufbruch nicht falsch verstehen würde.
Tatsächlich lächelte er echt, mit einem kleinen Seitenblick in Richtung des mit freudiger Erwartung gefüllten Blickes ihrer Mutter. "Aber selbstverständlich. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend, Ms Lucinda", meinte er schmunzelnd und verbeugte sich knapp.
Lucinda knickste und drehte sich dann zu ihrer Familie, bei der auch Marie und Richard standen. Mit einem Gefühl der Erleichterung schlängelte sie sich langsam durch die Menschenmenge. Sie lächelte die Menschen an, an denen sie vorbeischritt, bis sich wieder einmal das ausdruckslose Gesicht von Lord Bailian White in ihr Blickfeld schob. Ein unangenehmer Schauer durchlief sie und schnell wandte sie den Blick wieder ab.
Was wollte dieser Mann nur von ihr? Konnte er sie nicht einfach in Ruhe lassen, wenn er schon nicht die Höflichkeit besaß, sich zu bedanken?
Betont gleichmütig stellte Lucinda sich zu Marie und Richard und wandte Lord White demonstrativ den Rücken zu. Sollte er sie doch mit seinen Blicken verfolgen und versuchen zu erdolchen!
Und trotzdem spürte sie seinen Blick zu jeder Sekunde des Abends wie ein Feuer über ihren Körper gleiten.
Da ist Lucinda wohl ein wenig aus dem Konzept gebracht... xD
Eure
Eliza Hart
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