~25~
Um den Anflug von Trübsal zu vertreiben, beschloss Lucinda, Marie einen Brief zu schreiben und ihr von ihren ersten Eindrücken zu berichten. Marie fehlte ihr als Vertraute jetzt schon und sie nahm sich vor, ihr regelmäßig zu schreiben, um sie weiterhin an ihrem Leben teilhaben zu lassen und sie so oft wie möglich zu besuchen.
Vielleicht konnte ihr ja auch Marie noch vor ihrer Hochzeit einen Besuch abstatten. Lucinda beschloss, sie gleich in ihrem Brief einzuladen, sie für einige Zeit zu besuchen. Dann könnten sie London gemeinsam erkunden!
Die Kerze spendete flackerndes Licht, während Lucinda Wort um Wort schrieb. Sie erzählte von dem Haus, den ersten Eindrücken, von den Angestellten und schrieb Marie jeden einzelnen Namen, der ihr noch einfiel, berichtete ihr von ihren neuen Aufgaben und von den Lehrstunden, die sie bald in Etikette, Tanz und Medizin erhalten sollte.
Mit jedem Wort, das Lucinda schrieb, fühlte sie sich leichter, ganz so, als würde sie mit Marie wie früher auf ihrem Bett sitzen.
Der dunkle Tag draußen ging bereits langsam in den noch dunkleren Abend über, als Lucindas Schreibfluss mit der Einladung zu einem Besuch endete. Sie versiegelte den Brief und versah ihn mit Maries Adresse.
Kaum war Lucinda fertig, klopfte es an der Tür und gleich darauf trat Mia ein.
"Mylady, wir müssen Sie für das Abendessen umkleiden", erinnerte sie Lucinda und diese verdrehte die Augen.
"Ist das wirklich nötig, wenn keine Gäste erwartet werden?" Sie sah keinen Sinn darin, jeden Tag mehrfach ihre Kleidung zu wechseln, wenn sie sich mit ihrem Mann alleine zuhause befand.
"Aber Sie sollen Lord White doch sicherlich gefallen", kicherte Mia und fügte dann mit leicht unbehaglichem Blick hinzu: "Außerdem hat Mylord mich selbst instruiert, auf die Etikette von Mylady ein Auge zu haben." Dieses Eingeständnis war ihr sichtlich unangenehm, was an ihren geröteten Wangen erkennbar war.
"So, hat Mylord das also", meinte Lucinda säuerlich. Aber die arme Mia konnte ja auch nichts dafür, also fügte sich Lucinda, ließ sich ein passendes Kleid heraussuchen und die Haare hochstecken. Sie würde das schon noch mit Bailian klären.
Als sie fertig hergerichtet war, hatte Lucinda sich schon wieder ein wenig beruhigt. Dies hier war Bailians Welt und sie wusste, dass sie sich anpassen musste. Trotzdem hoffte sie, dass sie wenigstens einen Kompromiss finden würden, mit dem sie beide leben konnten.
Zuversichtlich und wieder mit einem Lächeln im Gesicht betrat Lucinda den Speisesaal. Dieses Mal erwartete Bailian sie bereits und erhob sich, als sie den Raum betrat. Sein Gesichtsausdruck jedoch war so finster, dass Lucinda das Lächeln im Gesicht erfror.
"Was ist passiert?", wollte sie wissen, während beide sich wieder setzten.
"Was passiert ist?", fragte Bailian ungläubig. "Dein Unterricht in Etikette kann wirklich nicht früh genug stattfinden!" Empört und gekränkt wollte Lucinda schon zu Widerworten ansetzen, aber Bailian wütete bereits weiter. "Du bist ohne Begleitung durch die Straßen gestreift, das ist passiert! Ist dir eigentlich klar, was das für deinen und damit auch für meinen Ruf bedeutet? Eine Lady aus gutem Haus ohne Anstandsdame oder ihren Mann und das auch noch während der Flitterwochen!" Bailian hatte sich förmlich in Rage geredet und seine Augen sprühten Funken.
"Nun beruhige dich! Ich habe lediglich einen kleinen Spaziergang gemacht und mich nicht allzu weit vom Haus entfernt. Außerdem kann ich mich nicht die nächsten zwei Wochen nur im Haus aufhalten, während du dich in deinem Büro verschanzt!" Lucindas Konter schien Bailian kurzzeitig zu überraschen, aber er hatte sich schnell wieder unter Kontrolle.
"Ich sagte nicht, dass du das Haus nicht verlassen darfst", presste Bailian mühsam hervor, sodass Lucinda beinahe seine Zähne knirschen hören konnte. "Aber du wirst dieses Haus unter keinen Umständen ohne Begleitung verlassen. Mia wird dich immer begleiten. Hast du das verstanden?" Die letzte Frage glich mehr einem Befehl und unter seinen harschen Worten zuckte Lucinda ein klein wenig zusammen.
"Ja, ich habe dich verstanden", sagte sie so ruhig wie möglich, obwohl sie spürte, wie die aufsteigenden Tränen ihre Worte zu ersticken drohten. "Wenn du mich nun entschuldigen würdest, ich habe keinen Hunger mehr." Und bevor Bailian ihr auch noch das verbieten konnte, erhob sie sich vom Tisch und verließ das Zimmer. Lucindas Herz fühlte sich an, als würde es von einer Faust zerquetscht werden.
Konnte Bailian ihr nicht ein wenig mehr Verständnis entgegenbringen? Konnte er denn nicht sehen, wie viel Mühe sie sich gab, sich in dieser neuen Welt zurechtzufinden und ihr einfach ein paar Fehler zugestehen? Konnte Bailian ihr nicht einmal zeigen, dass er ihre Bemühungen schätzte?
Plötzlich unendlich müde und ausgelaugt, lief sie nach oben und klingelte nach Mia, nachdem sie mühsam versucht hatte, die Knöpfe an ihrem Rücken selbst zu lösen. Nicht einmal ausziehen konnte sie sich noch alleine. Es war einfach frustrierend!
Sie ließ einen kleinen, genervten Schrei los, genau in dem Moment, in dem Mia das Zimmer betrat. Erschrocken sah diese sie an.
"Geht es Ihnen nicht gut, Mylady?"
"Nein, mir geht es nicht gut." Wieder einmal konnte Lucinda sich kaum zwischen Wut und Trauer entscheiden. "Hilf mir bitte, dieses Kleid loszuwerden und dann werde ich mich zu Bett begeben."
Mia erkannte die Stimmung ihrer Herrin gut genug, um einfach wortlos ihre Aufgaben zu erfüllen, ohne noch einmal nachzuhaken, was der Grund für Lucindas aufgebrachten Zustand war.
Als Lucinda fertig angekleidet fürs Bett war, fragte Mia lediglich zaghaft, ob sie ihr noch ein Buch bringen sollte, da es ja noch recht zeitig war, um zu Bett zu gehen, aber Lucinda lehnte ab. Sie wollte nur noch Stille, Dunkelheit und Zeit zum Nachdenken und ihre Gedanken zu ordnen.
"Lösch bitte noch die Kerzen", bat sie Mia noch, die kurz darauf leise verschwand. Nur noch die Kerze auf ihrem Nachttisch brannte und eine Weile sah Lucinda in die flackernde Flamme, bevor sie diese ebenfalls löschte und sich unter ihre Bettdecke kuschelte.
Sie wusste nicht, wie lange sie schon dort lag und mit offenen Augen in die Dunkelheit starrte, als sie aus Bailians Zimmer dumpfe Geräusche vernahm. Lucinda rechnete nicht damit, dass er heute noch zu ihr kommen würde und tatsächlich wurde es nach einer Weile mucksmäuschenstill im Nebenzimmer. Doch dann fiel ein sanfter Lichtstrahl ins Zimmer, als Bailian die Tür zwischen ihren beiden Zimmern öffnete, hereinschlüpfte und sie wieder schloss.
Lucinda lag noch immer auf dem Rücken, nun mit klopfendem Herzen und gemischten Gefühlen darüber, dass Bailian nun doch noch zu ihr kam. Sie hörte seine tapsenden Schritte in der Dunkelheit, die so undurchdringlich schien, dass Lucinda sicher war, dass Bailian nicht erkennen konnte, ob sie noch wach war oder schlief.
Ein dumpfes Geräusch hallte durch den Raum, als Bailian gegen das Bett stieß. Beinahe hätte sie über sein leises Fluchen gekichert, aber sie konnte noch rechtzeitig die Luft anhalten. Vorsichtig legte Bailian sich ins Bett und augenblicklich konnte sie seine Körperwärme spüren, die auf sie abstrahlte.
In der Stille waren nur ruhige Atemzüge zu hören, die sich langsam wie von selbst anpassten, bis sie nahezu im Gleichklang waren.
"Es tut mir leid, dass ich dich vorhin so angefahren habe", sprach Bailian plötzlich so leise in die Stille, dass Lucinda in keinem Fall davon aufgewacht wäre, hätte sie tatsächlich geschlafen.
Wusste er, dass sie wach lag? Oder wollte er es dem Zufall überlassen, ob sie seine Worte hörte oder nicht?
"In London gibt es nicht nur gehobene Bereiche in denen man sich sicher fühlen kann. Es gibt auch viele dunkle Ecken, in denen einer Frau alles Mögliche passieren kann." Wieder war es kurz still und Lucinda spürte ihren harten Herzschlag im ganzen Körper. Konnte er es auch spüren?
"Ich wusste nicht einmal, wohin du wolltest. Wäre dir etwas passiert – wo hätte ich anfangen sollen, dich zu suchen?" Die leise Verzweiflung in Bailians Stimme brach Lucinda beinahe das Herz, aber gleichzeitig flatterte ihr der Magen, weil sich Bailian tatsächlich Sorgen um sie gemacht hatte.
Bailian war wieder still und dieses Mal hatte Lucinda das Gefühl, dass er alles gesagt hatte, was er sagen wollte. Sollte sie sich bemerkbar machen und ihm zeigen, dass sie seine Worte gehört hatte?
Kurz zögerte sie. Sie wusste nicht, was sie ihrem Mann sagen sollte geschweige denn wie. Aber wenn sie Bailian jetzt – trotz seiner Offenheit – von sich stoßen würde, wäre es womöglich eine unerreichbare Sache, je ein vertrautes Verhältnis zu ihm aufzubauen.
Sie drehte sich auf die Seite, versuchte in der Dunkelheit Bailians Umrisse auszumachen und ließ dann langsam ihre Hand über das Bettlaken fahren, bis ihre Finger erst über seinen Arm, dann zu seiner Hand strichen. Sie hörte, wie er die Luft anhielt und selber schluckte sie einmal schwer. Dann verschränkte sie ihre Finger mit seinen.
Als er einen leisen, erleichterten Seufzer von sich gab und seinen Griff um ihre Hand verstärkte, wusste Lucinda, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Eine innere Ruhe breitete sich von ihrem Herzen her aus und mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen schloss sie die Augen.
Während ihre Haut unter Bailians Berührung kribbelte und ein angenehmes Flattern sich in ihrem Bauch breit machte, passte sie sich wieder seinen Atemzügen an und nach wenigen Minuten schliefen sie beide ein.
Wir fangen 2020 einfach mal mit einem Update an und hoffen, dass die Kapitel demnächst regelmäßiger kommen xD
Wir wünschen euch einen schönen Tag!
Eure
Eliza Hart
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