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Die Wut lag Lucinda so schwer im Magen wie ein Stein, als sie mit undamenhaft groß ausfallenden Schritten auf dem Weg zur Schneiderin war. Vor nicht einmal einer Stunde hatte sie eine Notiz von Bailian White erhalten, in der er ihr mitteilte, dass er soeben ihr Hochzeitskleid ausgesucht hatte und sie sich umgehend bei der Schneiderin einfinden sollte, damit diese ihre Maße nehmen konnte.

Was dachte sich dieser eingebildete, arrogante Schnösel eigentlich? Dachte er wirklich, dass er ihr auch noch die Entscheidung darüber abnehmen konnte, welches Kleid sie zu ihrer eigenen Hochzeit tragen würde?

Ganz sicher nicht! Sie würde zu der Schneiderin gehen, ihr erklären, dass ein Missverständnis vorlag und sich ein Kleid aussuchen, das ihr gefiel. Denn dass ihr Bailians Wahl missfallen würde, daran zweifelte sie keinen Moment. Als wenn ein Mann ein Auge für Schönheit, Schicklichkeit und Eleganz bei der Wahl der Garderobe einer Frau hätte. Pah!

Als Lucinda ungestüm die Tür zu dem kleinen Laden von Mrs Davies aufstieß, sprang diese sofort von ihrem Platz hinter der Nähmaschine auf und eilte ihr entgegen. Lucinda kam es wie ein Traum vor, schon das zweite Mal innerhalb weniger Wochen ein neues Kleid schneidern zu lassen.

"Ms Thornton! Ich habe Sie schon erwartet. Es ist so schön, Sie zu sehen! Darf ich Ihnen meine aufrichtigsten Glückwünsche aussprechen? Was für einen prachtvollen Ehegatten Sie da gewählt haben", kicherte Mrs. Davies und Lucinda hätte beinahe die Augen verdreht. Am liebsten hätte sie Mrs Davies erklärt, dass äußere Schönheit nicht zwingend einen angenehmen Charakter vermuten ließ, aber dann besann Sie sich auf das Wesentliche.

"Mrs Davies, ich habe mit meinem Verlobten gesprochen und würde gerne noch einige Änderungen an dem Kleid vornehmen", erklärte sie geradeheraus und kam sofort zur Sache.

"Oh, aber selbstverständlich! Ich werde Ihnen umgehend den Entwurf holen und dann können Sie mir die Änderungen mitteilen." Mrs Davies ging zu einer Kommode, zog eine Schublade heraus, in der ein einziges Papierchaos herrschte, fand jedoch recht schnell die Skizze, die sie suchte. Auf dem großen Papierbogen prangte der Name "Lady Bailian White", ihr zukünftiger Titel, mit dem Lucinda sich noch immer nicht angefreundet hatte.

Trotzdem musste hier ein Missverständnis vorliegen, denn dieser unglaublich zauberhafte Schnitt konnte unmöglich von einem Stümper wie Bailian White ausgesucht worden sein.

"Sind Sie sich sicher, dass dies das Kleid ist, das mein Verlobter ausgesucht hat?" Lucinda war so überwältigt, dass ihr beinahe die Stimme versagte. Der Entwurf war einfach umwerfend!

"Oh ja! Hat er nicht einen wundervollen Geschmack? Und sehen Sie nur", meinte die emsige Mrs Davies und zeigte auf mehrere Stoffballen in seidigen Weiß- und Rosétönen, "diese Stoffe hat Lord White für Sie ausgesucht."

Vor Lucindas Augen schien die Zeichnung mit diesen Stoffen Gestalt anzunehmen und sich an ihren Körper zu schmiegen, sodass sie beinahe vergaß, weshalb sie gekommen war.

"Was genau möchten Sie denn noch daran ändern?", wollte Mrs Davies nun wissen und Lucinda schüttelte leicht ihren Kopf, um die Vision vor ihrem geistigen Auge zu verdrängen, wie sie selbst dieses wundervolle Kleid trug.

"Nun", begann sie und stockte, als sie zurück auf das große Blatt vor ihr sah. Eigentlich wusste sie nicht, was sie ändern wollte. Es war einfach perfekt.

Aber es widerstrebte ihr mit jeder Faser ihres Körpers, dass Bailian seinen Willen bekam.

"Der... Schleier!", sagte sie dann, als ihr nichts Besseres einfiel. „Wie sieht der Stoff für den Schleier aus?", kam es von ihr, leise und unsicher. Sollte Bailian den Schleier mit der gleichen Sorgfalt und dem gleichen Sinn für Geschmack gewählt haben, dann...

"Hier!" Mrs Davies hielt ihr einen dünnen, mit Spitze bestickten Stoff hin, der nicht nur wunderschön war, sondern einwandfrei zum Kleid passte.

"Oh." Lucinda konnte nicht fassen, dass Bailian tatsächlich so vorzügliche Entscheidungen bezüglich ihres Hochzeitskleides getroffen haben sollte.

"Nun?" Mrs Davies lächelte sie freundlich an.

"Ich..." Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, so überwältigt war sie. Ob sie wollte oder nicht, in ihrer Fantasie erschienen Bilder von ihr selbst als Braut, in dem von Bailian ausgesuchten Kleid, wunderschön und ehrenhaft.

"Vielleicht sollten wir erst einmal Ihre Maße aufzeichnen", schlug die Schneiderin dann taktvoll vor und schob Lucinda sachte zum Podest im hinteren Ende des Geschäftes, das vor mehreren in einem Halbkreis aufgestellten Spiegeln platziert war.

"Sie werden sich für immer an Ihr Hochzeitskleid erinnern und Sie wünschen sich, dass es nichts weiter als perfekt wird. Sie wollen die richtigen Entscheidungen treffen. Nehmen Sie sich die Zeit", gab Mrs Davies, die schon unzählige Brautkleider angefertigt hatte, einen gut gemeinten Ratschlag.

Lucinda nickte nur stumm und trat auf das Podest. Die Schneiderin dachte, dass sie mit der Planung überfordert war, weil alles perfekt sein sollte. In Wahrheit wollte sie einfach nicht nach der Pfeife ihres Verlobten tanzen. Aber eines wusste sie – dies laut auszusprechen wäre wahrlich nicht sehr damenhaft.

Mrs Davies verrichtete ihre Arbeit schnell, konzentriert und gründlich. Sie nahm Lucindas Maße und schrieb kleine Notizen auf ein separates Blatt.

"Ms Thornton, Sie werden die schönste Braut sein, die unser Dorf je gesehen hat", meinte sie dann und strahlte sie an. Lucinda konnte erkennen, dass Mrs Davies es ernst meinte und nicht nur versuchte, ihr zu schmeicheln.

In dem Moment gab die kleine Klingel über der Eingangstür einen unverkennbaren Laut von sich und kündigte einen weiteren Kunden an. Lucinda stockte der Atem, als sie in den Spiegeln Bailian White erkannte und drehte sich zu ihm um. Wie immer brachte allein der Anblick seines kühlen Antlitzes ihr Herz dazu, schneller zu schlagen. Sie wollte ihn nicht in ihrer Nähe wissen, konnte sich jedoch andererseits auch gleich daran gewöhnen.

"Ah, Lord White, wie wunderbar Sie so bald wieder bei uns begrüßen zu dürfen!" Mrs Davies konnte wahrhaftig ihr Glück kaum fassen. "Ich habe soeben die Maße Ihrer entzückenden Verlobten genommen und kann mich nun an die Arbeit machen."

"Mrs Davies, ich bin Ihnen von Herzen dankbar für Ihr loyales Engagement", lächelte Bailian sie offen an und schien einmal mehr alle mit seinem Charme in seinen Bann zu ziehen. "Und wenn es nicht zu dreist erscheint, würde ich Ihre Arbeit gerne noch weiter in Anspruch nehmen, indem ich für meine zukünftige Gattin gerne einige Kleider sowohl für den alltäglichen Gebrauch als auch für Gesellschaften anfertigen lassen möchte."

"Oh, Mylord, aber selbstverständlich. Es wäre mir die größte Ehre!" Mrs Davies Wangen hatten vor lauter Aufregung schon einen ganz roten Ton angenommen.

"Lord White, ich bitte Sie, das ist nicht nötig", ging Lucinda von ihrem Platz auf dem Podest aus dazwischen. „Ich..."

"Liebling", sagte Bailian jedoch in einem Ton, als spräche er mit einem Kind, "lass deinem Verlobten doch die Freude, seine Auserkorene ein wenig zu verwöhnen."

Mrs Davies kicherte, murmelte etwas davon, dass sie ihre Assistentin holen würde und ließ das Paar daraufhin alleine.

"Ich habe Kleider. Genügend", sagte Lucinda durch zusammengebissene Zähne zu Bailian, der mit gemächlichen Schritten auf sie zukam. Er ließ seinen Blick über ihre Erscheinung schweifen.

"Ja, das sehe ich. Aber keine, die sich für eine zukünftige Lady schicken."

"Ich will nicht, dass Sie Ihr Geld für mich ausgeben", beharrte sie und sprach ihn dabei bewusst in der Höflichkeitsform an.

"Ob du willst oder nicht, mein Geld ist bald auch deines. Sieh es als ein Geschenk von dir an dich." Er zuckte jovial mit den Schultern.

"Ich wüsste mein Geld besser auszugeben!"

"Oh, wie denn? Vielleicht für Lehrbücher über die Medizin, die im Regal eh nur Staub ansammeln? Oder für unnütze Kräutermischungen und fragwürdige Tinkturen?", fragte er herablassend mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen.

"Gegen diese unnützen Kräutermischungen und fragwürdigen Tinkturen schienen Sie nichts einzuwenden zu haben, als ich Ihnen damit Ihr Leben rettete!", fuhr Lucinda ihn an und wunderte sich wieder einmal darüber, wie leicht dieser Mann sie aus der Fassung brachte.

"Ach, ich vergaß! Ich stehe in deiner Schuld! Vergib mir, wie konnte mir dies denn nur entgleiten – du erinnerst mich schließlich bei jeder Gelegenheit daran."

Jetzt war es an Lucinda, ein schiefes Grinsen aufzusetzen. Sie ignorierte seinen Sarkasmus und freute sich stattdessen darüber, dass sie es auch schaffen konnte, ihren Gegenüber zu irritieren.

Der werte Herr war es also überdrüssig, an ihre Rolle in seiner Genesung erinnert zu werden...

"Fein", sagte sie dann aber stattdessen und ging nicht weiter auf die Diskussion ein. "Ich will die weiteren Kleider aber selbst aussuchen."

Bailian, der keine Probleme hatte, ihrem Gedankensprung zu folgen, schüttelte den Kopf. "Nein, das kommt nicht in Frage."

"Wie bitte?" Lucinda stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihn an.

"Lucinda, du kennst London nicht", erklärte er pädagogisch und seine herablassende Art machte sie nur noch wütender. „Du kennst die Mode in London nicht. Und glaub mir, du willst dort nicht wegen altmodischer Kleidung auffallen. Die Gesellschaft zerreißt sich schon so über genug andere Themen die Mäuler."

Abschätzend sah Lucinda Bailian an. "Zum Beispiel darüber, weshalb ein Lord aufs Land flüchtet und dann dort Hals über Kopf die einfache Tochter eines Landarztes heiratet?", fragte sie dann ruhig, bekam jedoch keine Antwort mehr, da Mrs Davies mit ihrer helfenden Hand zurückkehrte.

"Laura, hol doch bitte schon einmal die Stoffballen aus dem Lager, du weißt schon, die besonderen", sagte sie mit einem Zwinkern in Richtung Bailian. "Ich werde mit Lord White die Entwürfe für die Garderobe der Dame durchgehen." Mrs Davies war bereits auf dem Weg zu einer der anderen Schubladen der Kommode, deren Inhalt nicht weniger geordnet aussah.

Bailian warf Lucinda noch einen letzten undefinierbaren Blick zu, bevor er sich abwandte und sich mit Mrs Davies über die Entwürfe beugte.

Lumpen lässt er sich ja nicht, oder? ;)

Schlaft gut oder guten Morgen - je nachdem, wann ihr das hier lest ;)

Eure Eliza Hart <3
alias Tyskerfie und HeyGuys77

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