Kapitel 7

Wie betäubtwanderte Theliel durch den nächtlichen Himmel. Aus den beleuchtetenHäusern erklang vereinzelt Gelächter und außer ihm schienen diemeisten Engel guter Stimmung über den Sieg zu sein, obwohl esnatürlich Verluste zu beklagen gab.

In seinem Innerstentobte ein Kampf zwischen abgrundtiefer Enttäuschung über den Verratdes Himmels und Lucifers Zurückweisung, sowie der noch nicht sterbenwollenden Hoffnung, dass es vielleicht doch noch einen Weg in dasHerz des Höllenkönigs gab. Doch je weiter er sich in den Straßender Wohnviertel verlor, desto mehr wurde ihm klar, dass er Lucifernicht nur verloren hatte, sondern möglicherweise niemals eine Chancegehabt hatte.

Schon dreimal hatteLucifer ihn nun zurückgewiesen und Theliel hatte seine Lektion nochimmer nicht gelernt. Er kam sich dumm vor, wie ein verlorenesHündchen immer wieder zu dem anderen Mann zu rennen, um sich dessenAnerkennung zu holen. Er hatte sich eingeredet, mehr zu sehen als dieFassade, die Lucifer die Leute sehen ließ, aber in Wahrheit hatteTheliel selbst auch nur gesehen, was der Dämon ihm gezeigt hatte.

Theliel blickte auf,als er hörte, wie sich Schritte näherten. Sofort schlug ihm dasHerz bis zum Hals, obwohl er natürlich nichts Verbotenes tat, sahman von der Tatsache ab, dass er den geflüchteten Höllenkönigsoeben hatte entkommen lassen, ohne Alarm zu schlagen.

Im nächsten Momentschälte sich Pachriels inzwischen vertraute Gestalt aus derDunkelheit hervor. Sie trug anstatt ihrer Rüstung oder Uniforminzwischen eine legere Toga. Dennoch wirkte ihre Haltung nichtentspannt, als sie sich Theliel näherte. Sie schien ihn schondeutlich früher in der Dunkelheit bemerkt zu haben, denn imGegensatz zu dem kleinen Engel wirkte sie nicht freudig überrascht,ihn hier zu sehen.

„Pachriel!",begrüßte Theliel sie mit einem Lächeln. „Warum bist du so spätnoch-"

„Der Herr schicktmich", fiel sie ihm ins Wort. Sie klang nicht unfreundlich, aberauch nicht so, als wäre sie zu einem netten Plausch bereit. „Ermöchte dich sehen."

„Jetzt?", fragteTheliel verwirrt. Er war noch nie in das tiefste Innere des Tempelseingeladen worden, welches das Refugium Gottes darstellte. DerGedanke, in seinem jetzigen Zustand dem Schöpfer selbstgegenüberzutreten, war alles andere als angenehm.

„Ja. Er sprach mitgroßer Dringlichkeit davon, daher schätze ich, dass Er dich nichteinfach für einen gemütlichen Tee herrufen lässt." Sie sahTheliel an. „Du hast doch hoffentlich nichts mit dem Verschwindendes Morgensterns zu tun."

„Nein!",antwortete der Angesprochene sofort. Es war zumindest keine ganzeLüge, redete er sich ein. „Natürlich nicht."

Pachriel entspanntesich etwas und auch das warme Lächeln, mit dem sie Theliel immerbedacht hatte, kehrte auf ihr Gesicht zurück.

„Natürlich.Entschuldige die Unterstellung, ich wollte nur.... sichergehen."

„Ja..." Thelielräusperte sich, damit seine Stimme weniger weinerlich klang.„Schätze, nach allem, was zwischen mir und Lucifer vorgefallenist, können die Engel mir nicht mehr richtig vertrauen."

„Das wollte ichdamit nicht sagen!", antwortete Pachriel eilig. „Ich bin nurangespannt, weil er wieder auf freien Flügeln ist. Ich möchte nichtnoch mehr meiner Kameraden in einem sinnlosen Kampf verlieren."

Bevor Theliel daraufantworten konnte, wandte sie sich auch schon in Richtung des Tempelsum und ging einige Schritte voran, bevor Theliel sich in Bewegungsetzte, um ihr zu folgen. Ihre Schritte klangen hohl in den leerenGassen des Himmels.

Der Tempel bildetedas Zentrum der himmlischen Stadt. Ein Platz aus weißem Marmor undmit einem Springbrunnen führte zu dem zweistöckigen Gebäude mitden prunkvollen Säulen. In die obere Etage, Gottes Arbeitszimmer,durften nur erlesene Engel vordringen. Und zu diesen würde Thelielab heute gehören.

Er schluckte, alsPachriel ihn durch das dunkle Gebäude die spärlich beleuchteteTreppe hinauf führte, um vor einer schlichten Tür aus dunklem Holzstehen zu bleiben. Sie klopfte kurz, dann stieß sie die Tür auf,ohne selbst einzutreten. Theliel schluckte, nahm die Schultern zurückund versuchte, möglichst ernstzunehmend auszusehen, als er eintrat.

Gottes Arbeitszimmerlag im Dunkeln, doch die Glastüren in Richtung des Vorplatzesstanden weit offen, sodass Nachtluft hereinkam. Der Herr selbst saßals graues Bündel zusammengesunken hinter Seinem Schreibtisch. ImRaum hing ein leichter Gestank nach Schwefel.

Theliel zucktezusammen, als Pachriel die Tür hinter ihm schloss. Das Herz schlugihm bis zum Hals und das Blut rauschte in seinen Ohren, als er sichdem Schreibtisch näherte. Papiere flatterten durch das Zimmer, alsein Windstoß hereinfuhr.

Erst jetzt kamBewegung in das unförmige Häufchen hinter dem Schreibtisch, als derHerr sich aufrichtete und Seinen Blick Theliel zuwandte. Seine klarenAugen leuchteten im Dunkeln wie Fackeln in einer Nebelnacht. Thelielschluckte schwer.

„Herr?" SeineStimme zitterte schon wieder. Er widerstand dem Drang, ergeben aufdie Knie zu fallen, als der Herr sich erhob, um die Tür hinter sichzu schließen. Der Schwefelgeruch schien dadurch nur noch weiterzuzunehmen. Eine kleine Feuerschale an der Wand entzündete sich vonselbst, sodass Theliel Ihm ins Gesicht sehen konnte.

Gott sah müde aus.

„Wie schön, dassdu so spät noch deinen Weg hierher gefunden hast, Theliel", sagteEr sanft.

„Was kann ich fürEuch tun, Herr?" Demütig senkte der Engel den Blick.

„Ich hätte gerne,dass du mir von deiner Beziehung zu Lucifer Morgenstern erzählst."

Theliel schluckte.Es kam ihm nicht einmal in den Sinn zu lügen.

„Wir standen unsnahe... Er hat sich mir unter einem falschen Namen vorgestellt undselbst als ich erfahren habe, wer wer wirklich ist, hat er immerwieder meine Nähe gesucht. Und er war... charmant. Klug.Charismatisch."

Der Herr nickte.

„So habe ich ihngeschaffen."

„Er hat michbeschützt und getröstet, aber er hat mich nicht gehen lassen.Irgendwann... ich glaube... ich war sehr verliebt in ihn. Er hat mirvon seiner Vergangenheit erzählt... wie sehr er Michael vermisst undwie er es bereut, ihn gehasst zu haben." Theliels Stimme erstarbbeinahe. Er spürte Tränen aufsteigen, schämte sich jedoch nichtlänger dafür. „Ich habe seine Narben gesehen. Auch die, die ersich selbst zugefügt hat, weil er mit sich selbst nicht lebenkonnte. Oder mit dem, was er getan hat. Er wirkte so verletzt undkaputt in diesen Nächten, ganz anders als jetzt."

Er schluchzte auf,all die Frustration über die Zurückweisung verließ seinen Körpermit den Tränen, die von seinem Kinn auf seine Brust tropften.

„Selbst als dieerste Schlacht vorbei war, habe ich immer noch seine Nähe gesuchtund ihn verteidigt. Ich war bei ihm, nachdem er all diese Engelgetötet hat! Ich dachte, ihm liegt etwas an mir, dass ich für ihnetwas Besonderes wäre! Ich war niemals jemand Bedeutendes im Himmel,nur ein kleiner Engel aus der untersten Triade!"

Seine zitterndeStimme hatte sich zu einem Schreien gesteigert.

„Lucifer hat mirdas Gefühl gegeben, dass ich mehr sein könnte als das. Ich wolltemir sein Vertrauen verdienen und er hat mich fallen lassen. Ich warso dumm, Herr. Ich bitte um Verzeihung."

„Das ist nichtnotwendig, Theliel", hauchte Gott und Seine Stimme war so vollerLiebe zu Seiner Schöpfung, dass Theliel direkt noch einmal hätteanfangen können zu weinen. Nur eine Selbstbeherrschung, die er sichselbst nicht zugetraut hätte, hielt ihn davon ab. „Engel auf seineSeite zu ziehen, ist eine seiner wichtigsten Fähigkeiten. Und es istganz, wie du sagst – Lucifer ist kein schlechter Mann."

Diese Worteüberraschten den Engel. Verwirrt blickte er auf, direkt in Gottesleuchtende Augen.

„Lucifer ist ausSternenlicht; er strahlt am hellsten, wenn es um ihn herum dunkelist. Ich habe ihn immer mehr als alle anderen Engel geliebt und umsoschmerzlicher war daher sein Verrat. Wäre Michael nicht gewesen,wäre sicherlich vieles anders verlaufen."

„Gabriel wusste,dass Lucifer damals nicht die Absicht hatte, den Himmel zu zerstören,sondern nur helfen wollte", murmelte Theliel. „Ich bin in seinemHaus gewesen und habe Raphaels Zeichnung gesehen."

Gott seufzte soabgrundtief, dass die Jahrtausende des Schmerzes für einen Momentdeutlich zu hören waren.

„Gabriel hatversucht, den Himmel zu beschützen, als ich es nicht konnte. Er hatLucifer zu einem Feindbild erklärt, um die Lage im Himmel zuberuhigen. Trotz seines Einsatzes stand Gabriel immer im Schattenseines Bruders. Ich bedauere seinen Tod sehr. Ich wünschte, er hätteeine weniger große Bürde tragen müssen und mehr Anerkennung fürseine Aufopferung erhalten können." Er neigte den Kopf. „Genauwie Metatron. Er hat dem Himmel treu gedient, wie auch seineGeschwister."

„Lucifer wolltedas Himmlische Feuer verwenden, um den Himmel zu vernichten. Er istkein guter Mann." Theliel wünschte, er würde weniger bitterklingen, doch die Schmerzen, die der Höllenkönig ihm zugefügthatte, waren noch lange nicht vergessen.

„Ich bin mir nichtsicher, weshalb Lucifer es unterlassen hat, dies zu tun." Der Herrwirkte wieder etwas gefestigter. „Aber ich weiß inzwischen,weshalb er so großes Gefallen an dir gefunden hat – du erinnerstmich an Michael."

Diese Worte trafenTheliel tiefer, als er gedacht hätte. Er wollte nicht länger miteinem toten Helden des Himmels konkurrieren.

„Das sagte Lucifermir auch."

„Ihr beiden habtGemeinsamkeiten. Beispielsweise seid ihr beide als Wächter für dasHimmlische Feuer auserkoren. Und genau aus diesem Grund habe ich dichherbestellt."

Theliels Neugier wargeweckt. Aufmerksam studierte er Gottes Gesicht, das ernste Zügeangenommen hatte.

„Was kann ich tun,Herr?"

„Lucifer scheinteinen Vertrag mit Lilith geschlossen zu haben, der ihn dazuverpflichtet, die Vanth aus ihrem Gefängnis zu befreien. Satan, dersie dort unten eingesperrt hat, war ebenfalls ein Wächter desHimmlischen Feuers. Ich denke, dass du die Fähigkeit haben könntest,Lucifers Vertrag zu erfüllen und ihn damit zu befreien."

Die Verwirrung desjungen Engels wuchs mit jedem Wort. Er hatte eine vage Vorstellungvon Verträgen mit Dämonen, aber wie Satan, Lilith und eine Kreaturnamens Vanth dazu passten, war ihm ein Rätsel.

„Ich... verstehenicht, Herr..."

Und nachdem Gottdamit fertig war, Theliel eine verwirrende Geschichte über einabgöttisches Wesen namens Lilith, das Lucifer in der Stunde der Notbeigestanden hatte, den ehemaligen Höllenkönig Satan und LucifersVertrag zu erzählen, wünschte der Engel, er hätte nicht gefragt.




Wow, spätes Update, dafür ein längeres Kapitel. Ich weiß übrigens auch nicht, warum Wattpad die Hälfte meiner Leerzeichen entfernt; tut mir leid.

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