Kapitel 2
Mit zitternden Kniensprang Theliel die Stufen zum Kerker hinab. Seine Flügel kratzten anden Steinwänden des engen Gangs hinab ins kühle Erdreich. Erverschluckte sich fast vor Aufregung, als am unteren Ende der Treppeein schwer bewaffneter und eindrucksvoll gepanzerter Wächtererschien, der Theliel misstrauisch musterte, als dieser mit imSchritt inne hielt.
„Kann man dirhelfen?", fragte der Wächter und Theliel stutzte, als erfeststellte, dass unter der schweren Rüstung ein weiblicher Engelsteckte. Ihre freundlichen, grünen Augen blitzten unter demkunstvoll gefertigten Helm hervor. Sie war kaum größer als Theliel,wirkte durch die Rüstung aber deutlich breiter.
„Ich... suche nachLucifer Morgenstern", murmelte er. „Der...der Herr schickt mich."Sein Gesicht begann, vor Scham zu brennen, während er stumm hoffte,dass die Thronenengelin ihm gegenüber die Lüge nicht sofort ansah.
„Und wie heißtdu?", fragte die Engelin freundlich und ohne Misstrauen.
„Ich binTheliel....Engel der drittenTriade, in der Ausbildung zur Herrschaft...", ratterte Theliel wieautomatisch herunter. Gleichzeitig dachte er an die Gelegenheit, beider er sich das Letzte Mal so vorgestellt hatte; als Azazel ihn inder Hölle befragt hatte. Die Sehnsucht nach Lucifer überwältigteihn von einer Sekunde auf die andere.
„Der Herr würdekeinen Engel aus der niedrigsten Triade herschicken", entgegnetedie Engelin noch immer freundlich. „Aber wenn du mit Lucifersprechen möchtest, kann ich dich zu ihm bringen. Nur sei bitteehrlich; Lügen sind eine Sünde vor dem Herrn."
Überrascht sahTheliel ihr in die Augen.
„Ich....danke...ähm...wie ist Euer Name?"
„Pachriel",antwortete die Engelin. „Thronenengel im Wacheinsatz und derzeitvergeblich auf meine Ablösung wartend. Komm mit, ich zeige dirLucifers Zelle."
Ein kleines Lächelnstahl sich auf Theliels Gesicht, als er Pachriel in die Tiefen desKerkers folgte. Die Fackeln warfen lange, tanzende Schatten an dieWände und aus dem Gang fegte ein kühler, modriger Wind, der nachSchimmel und Blut roch. Der Gestank erinnerte Theliel schlagartig andie Kerkerräume in Lucifers Anwesen, in denen er die ersten Tagenach seiner Entführung verbracht hatte.
Unerwartet bliebPachriel vor ihm stehen, sodass Theliel in ihre großen, weißenFlügel stolperte. Erschrocken taumelte er zurück und entschuldigtesich mehrfach, was der Wächterin ein kleines Lachen entlockte.
„Machtnichts." Sie klopfte gegen eine schwere Metalltüre, in der einkleines, mit einem Schieber zu öffnendes Fenster angebracht war.„Hier ist es." Sie erhob ihre Stimme, die hundertfach im endlosenGang widerhallte.
„LuciferMorgenstern! Du hast Besuch!"
Nervös trat Thelielauf der Stelle und wartete auf irgendein Geräusch von der anderenSeite, doch es regte sich nichts. Gedankenverloren starrte er aufdie schwere Tür, als ihn die Erkenntnis plötzlich wie ein Blitzdurchzuckte. Sie befanden sich zu tief unter der Erde, ohne Strom undohne eine Öffnung in der Tür.
„Hat er Licht dadrinnen?", fragte er besorgt.
Pachriel wirkteüberrascht über diese Frage.
„Ich... denkenicht; es gibt meines Wissens nach keine Fackeln in denHochsicherheitszellen, um kein Brandrisiko einzugehen", murmeltesie.
„Bitte öffnet dasFenster!", stieß er etwas zu laut hervor und möglicherweise auchzu panisch, doch es kümmerte ihn nicht. Er musste Lucifers Stimmehören und sich vergewissern, dass sein geliebter Dämon wohlauf war.„Er hat Angst in der Dunkelheit!"
Zu seinerErleichterung blieb Pachriels Gesicht nicht ungerührt, doch Zweifelstanden ihr auf die Stirn geschrieben. Doch ohne einen Kommentarabzugeben, zog sie den Metallschieber auf, sodass Theliel durch diekleine Öffnung ins Innere sehen konnte, wenn er sich auf dieZehenspitzen stellte.
„Lucifer?" SeineStimme klang so erstickt, dass er sich unsicher war, ob der Gefangeneihn überhaupt gehört hatte, daher fügte er etwas deutlicher hinzu:„Lucian?"
Er hörte, wie sichjemand an der Tür nach oben schob, als müsse er sich mit letzterKraft aufrecht halten.
„Theliel... wasmachst du hier?" Lucifers Stimme klang unfassbar erschöpft, dochseine roten Augen glühten aufmerksam in der Dunkelheit.
„Ich wollte nachdir sehen", hauchte der Engel und streckte eine Hand nach ihm aus,doch Lucifer kam ihm nicht entgegen. „Wie geht es dir? Was ist mitder Dunkelheit....?"
„Es geht schon",murmelte der Höllenkönig matt. „Du hättest nicht herkommenmüssen... oder herkommen sollen. Meine Ära ist jetzt vermutlichvorbei."
„Sag das nicht..."Wie gerne hätte Theliel ihn berührt, die kühle, trockene Hautunter den Fingerspitzen gespürt und ihn schließlich geküsst.
„Geh jetzt",erklang Lucifers Stimme aus der Dunkelheit. „Kümmer dich um deineigenes Leben, kleiner Engel. Ich komme schon zurecht."
Seine ruhigen, fastgeflüsterten Worte brachen Theliels Herz. Entmutig zog er seineFinger von der Öffnung in der Tür zurück und zog die Schulternhoch, damit sie nicht so zitterten, was seine gesamten Flügel inSchwingung versetzt hätte. Er spürte Pachriels Hand, die sichberuhigend auf seine Schulter legte, doch die Wärme ihrer Haut drangkaum bis zu ihm durch, so sehr hatte ihn der eiskalte Schockumschlossen.
„Ich möchte abernicht gehen", wisperte er und als Lucifer nicht antwortete, setzteer an, seine Worte zu wiederholen, doch seine Stimme versagte.
Die leuchtend rotenAugen verschwanden wieder in der Dunkelheit und Lucifer entzog sichdem Licht, das durch die Öffnung der Tür fiel, um wieder in dieFinsternis abzutauchen. Selbst in einer Situation wie dieser verlorer seinen Stolz nicht.
„Das ist etwas,was Michael gesagt hätte", sagte der Höllenkönig mit einersolchen Traurigkeit in der Stimme, dass es Theliels Herz nur nochmehr zerriss. „Und du bist nicht er, Theliel. Verzeih, dass ichdas nicht früher verstanden habe."
Wütend über dieseZurückweisung ballte Theliel die Hände zu Fäusten und trat miteiner Wucht, die ihn selbst erschreckte, gegen die Tür.
„Ich verzeihe diraber nicht!"
„Theliel", gingPachriel sanft dazwischen und schloss die Lade an der Tür grade soweit, dass noch Licht durch den Spalt sickerte. „Lass es gut sein."
Sie duzte ihn ganzselbstverständlich und ihrer schmalen Hand wohnte mehr Kraft inne,als der junge Engel angenommen hatte. Mit gesenktem Kopf folgte erPachriel zum Fuß der Treppe. Ein Windzug fuhr die Treppe hinunterund fegte durch Theliels Haar, das länger gewachsen war, als erbemerkt hatte.
„Ich wollte ihmdoch nur helfen", murmelte der Engel enttäuscht.
„Er ist einDämon", erwiderte Pachriel sanft. „Bitte erwarte nicht zu vielvon ihm." Sie schmunzelte leicht. „Und welcher Dämon hat bitteAngst vor der Dunkelheit?"
„Das ist nichtlustig..." Theliels Stimme erstarb. „Ich liebe ihn..."
Daraufhin schwiegPachriel für einige Sekunden, bevor sie behutsam eine Hand auf seineSchulter legte, um ihn zu beruhigen. Während Theliel mit den Tränender Enttäuschung und Zurückweisung kämpfte, blieb die Engelin anseiner Seite und tröstete ihn. Ihre großen Flügel schirmten ihnvor der Außenwelt ab, sodass er sich wie in einer Blase geborgenfühlte.
„Wie ist es dazugekommen?", fragte sie nach einigen Minuten, in denen ThelielsTränen schließlich zum Versiegen gekommen war. „Ich dachte, manhätte dich in die Hölle entführt? Oder bist du freiwilliggegangen?"
„Nein... ich wurdetatsächlich entführt... aber Lucifer hat sich ziemlich sorgsam ummich gekümmert... und irgendwie... ist es dann so gekommen." Eswar ihm unangenehm, mit einem Engel darüber zu sprechen, von dem ernicht wusste, wie es um dessen Meinung bestellt war, dochglücklicherweise schien Pachriel ihn nicht für seine Gefühle zuverurteilen.
„Die Liebe gehtmerkwürdige Wege", lächelte sie. „Falls ich dir irgendwiehelfen kann, dann gib mir Bescheid."
„Ich weiß",seufzte Theliel und blickte ihr tapfer und ein wenig verheult in dieAugen.
„Aber mit einersolchen Abfuhr hast du nicht gerechnet", vervollständigtePachriel, was Theliel nicht aussprechen konnte. „Weil deine Liebenicht erwidert wird."
Ihr Kopf fuhr herum,als am oberen Ende der Treppe Schritte erklangen. Sofort klapptePachriel ihre Flügel wieder ein und holte Theliel damit unsanft ausseiner Blase heraus.
„Du bist spät",murrte sie den Engel an, der ihre Wachablösung zu sein schien. „Ichbringe unseren Besucher hier nach draußen. Lass die Luke an derMetalltür ein Stück offen, sonst erstickt dieser Dämon noch dadrinnen."
Dankbar lächelteTheliel der Engelin zu, als sie ihn nach oben begleitete.
„Ich... gehe dannwohl."
„Ja",schmunzelte Pachriel. „Und wie gesagt – melde dich, falls duHilfe benötigen solltest."
„Ja, das macheich." Sein Lächeln wurde etwas breiter. „Danke."
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