Epilog

Kasdeya Elathanspürte Lucifers Tod so deutlich, als hätte er ihn selbst mitangesehen. Er konnte nicht einmal genau sagen, wie er das Ableben desHöllenkönigs bemerkte; es gab keine physischen Anzeichen wie einZwicken in seinem Bauch, vielmehr war es das plötzliche Gefühl vonFreiheit, das ihn überkam. Sein Meister war gestorben und er alsSchwertdämon damit frei.

Sein erster Wegführte ihn zu Leviathan, das letzte lebende Mitglied von LucifersRegierungsstab. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte KasdeyaElathan die Anwesenheit des geflügelten Dämons merklich genossen.Er vermutete, dass diese Reaktion auf den anderen Mann einÜberbleibsel der Persönlichkeit des früheren Besitzers seinesKörpers gewesen war – Belials Vermächtnis an ihn.

Es war KasdeyaElathan unmöglich gewesen, nicht die elegante Schönheit Leviathanszu bewundern, sein langes, gut gepflegtes Haar, die trainierten Armeund prachtvollen Flügel. Dennoch wusste der Schwertdämon, dass ernicht Belial war. Falls Leviathan ähnliche Gefühle hegte, so galtsein Interesse Belial und nicht Kasdeya Elathan. Es wäre eine Lüge,dem geflügelten Dämon etwas anderes vorzumachen.

Leviathan empfingihn in eine prächtige, weiße Toga gehüllt. Sie wies einen anderenStil auf als die typisch himmlischen Gewänder, war jedoch zweifellosdavon inspiriert. Es dämmerte Kasdeya Elathan, dass die in der Hölleübliche Kleidung natürlich nicht für Personen mit Flügelnkonzipiert war, die himmlischen Stoffe dagegen schon.

„Lucifer ist tot",eröffnete Kasdeya Elathan, als er wenige Minuten später mit einerTasse Tee in dem Raum saß, in dem er auch mit Lucifer bei ihremletzten Besuch empfangen worden war. „Ich habe keine Beweise, außerdass ich mit ihm verbunden gewesen bin. Aber der Himmel wird Ihnenbestätigen, was ich sage."

Leviathan nicktelangsam. Er schien keine Zweifel an dem zu hegen, was derSchwertdämon ihm erzählte.

„Die Höllebenötigt einen neuen Anführer", sagte er schließlich. Seinegroßen Flügel ruhten bequem an der Rückenlehne des Sofas.„Eigentlich wäre diese Aufgabe Belial als Lucifers Stellvertreterzugefallen..."

Ein melancholischerAusdruck trat auf sein fein gezeichnetes Gesicht.

„Es tut mir leid",antwortete Kasdeya Elathan sofort. „Ich bin nicht hier, um in dieFußstapfen Ihres Freundes zu treten. Ich versuche nicht, ihn zuersetzen. Ich bediene mich lediglich seines Körpers, um physischexistieren zu können."

„Es ist nicht IhreSchuld", unterbrach Leviathan ihn. „Ich mache Ihnen keineVorwürfe."

„Ihr könntet dieHölle übernehmen", schlug Kasdeya Elathan vor, doch der Mann ihmgegenüber schüttelte nur den Kopf.

„Die Hölle würdeniemals einen geflügelten Anführer akzeptieren. Es erinnert dieDämonen zu sehr an meine himmlische Herkunft." Er schloss füreinen Moment die Augen. „Ich werde mit dem Herrn über die Zukunftder Hölle sprechen. Vielleicht kann Er mir einen Ratschlag geben,was jetzt zu tun ist."

Kasdeya Elathanerhob sich und machte Anstalten, wieder zu gehen. LeviathansAnwesenheit machte ihn auf eine Art nervös, die er Belialvorbehalten wollte.

„Wohin wird IhrWeg Sie führen?", fragte der geflügelte Dämon in diesem Moment.Sein Blick ruhte erschöpft auf dem Schwertdämon.

„Das weiß ichnicht. Ich war nie zuvor ohne Meister", gab dieser zu.

„Sie können hierbleiben, wenn Sie möchten", bot Leviathan ihm an.

Kasdeya Elathanzögerte.

„Ich bin nichtBelial."

„Das ist mirbewusst. Mein Angebot bleibt dennoch bestehen."

Der Schwertdämonschloss die Augen, dann musste er lächeln.

„Sehr gerne."


Pachriels Wohnungbefand sich im Obergeschoss eines Hauses, das früher einem edlenEngelsgeschlecht gehört hatte, nach dessen Aussterben jedoch untereinigen Engeln, die der Familie nahe gestanden hatten, aufgeteiltworden war. Theliel saß auf einem Küchenstuhl, den Blick in dieFerne gelenkt, und rührte abwesend in einer Teetasse.

Die Thronenengelinselbst war im angrenzenden Badezimmer beim Waschen zu hören. Überdem Haus lag eine lastende Stille, als wäre der gesamte Himmel nachLucifers Tod erstarrt. Mit der Nacht war die Kälte gekommen, diealle Engel vom Ort des Geschehens zurück in ihre warmen, schützendenHäuser getrieben hatte.

Gott persönlichhatte sich der Leichen angenommen, die auf dem Friedhof hinter demTempel verstreut gewesen waren. Nur Raphael war geblieben, um eineletzte Obduktion der Toten durchzuführen. Ob es eine Totenfeier fürLucifer geben würde, wusste Theliel nicht.

Pachriel tappte ausdem Bad zu ihm. Ihr Haar stand strubbelig und halbtrocken von ihremKopf ab, was ihr ein wildes Aussehen verlieh. Auch in ihrem Gesichtstand die Erschöpfung des Kampfes und der Ereignisse der letztenStunden.

„Dein Tee wirdkalt", murmelte sie, als sie sich zu Theliel setzte.

„Ich glaube nicht,dass ich es schaffe, gerade irgendetwas zu trinken", gab er miteinem gequälten Lächeln zu, doch anstatt sich darüber lustig zumachen, nickte Pachriel nur.

„Das ist derSchock. Du hast gekämpft, warst in Lebensgefahr und musstestzusehen, wie der Mann, den du liebst, gestorben ist. Das steckt mannicht einfach so weg. Lass die Zeit, um das zu verarbeiten."

Ein nichtunangenehmes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, in demTheliel einmal kurz an seinem Tee nippte, doch das Schlucken fiel ihmso schwer, dass er den restlichen Inhalt der Tasse einfach stehenließ.

„Wie wird es jetztweitergehen?", fragte er leise, den Blick auf seine Händegerichtet.

„Du wirst hierschlafen. Morgen können wir uns der Welt wieder stellen, aber nichtmehr heute."

„Mit dem Himmelund der Hölle, meine ich."

„Das wird der Herrentscheiden müssen." Pachriel zupfte an ihren Flügeln herum.„Hast du Angst?"

„Ich weißnicht..." Hilflos zuckte er mit den Schultern. „Im Moment bin ichwie betäubt."

„Der Schock",wiederholte Pachriel. Sie nahm Theliels Hand, um ihn auf die Beine zuziehen, doch anstatt ihn danach wieder loszulassen, verschränkte sieihre Finger nur weiter ineinander. Ein zaghafter Kuss landete aufTheliels Wange. „Lass uns schlafen gehen, Theliel."

Mechanisch nickteder kleine Engel. Er folgte Pachriel ins Schlafzimmer, vor dem sichein kleiner Balkon befand. Während die Engelin sich für die Nachtumzog, trat Theliel auf den Balkon und starrte in den wolkenlosenNachthimmel hinauf.

Die Anstrengungender letzten Stunden lasteten unendlich schwer auf seinen Schultern.Als Wächter des Himmlischen Feuers trug er eine großeVerantwortung. Die Zukunft des Himmels und der Hölle lagen damitteilweise auch in seinen Händen. Mit diesem Wissen ließ er seinenBlick über den schlafenden Himmel schweifen. All diese Engel mitihren unterschiedlichen Lebenswelten, ihren Hoffnungen, Ängsten,Zweifeln an Gott und der Schöpfung – sie alle einte ihrehimmlische Herkunft, die sie mit Lucifer, Belial und all den anderengefallenen Engeln teilten.

Aus einigenSchornsteinen waberte behäbig eine Rauchfahne. Theliel stellte sichvor, mit seinem Bruder am Feuer zu sitzen und sich über dieGeschehnisse des Tages zu unterhalten. Vielleicht wäre Pachrieldabei, um freche Bemerkungen einzuwerfen. Ein warmes Gefühl breitetesich bei diesem Gedanken in seiner Brust aus.

Lächelndbetrachtete er den Himmel. Ein Ort voller Möglichkeiten und Raum zurVerbesserung.

Und über all demwachte der Morgenstern.





Ende.

Die LUCIFER-Trilogie ist an diesem Punkt beendet, aber sie hat mich viele Jahre meines Lebens begleitet und ist mir dementsprechend wichtig. Im nächsten Kapitel findet ihr daher einiges an Zusatzinformationen zur Entstehung der einzelnen Charaktere.

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