Kap. 9 - Pläne für den Winter

In Hundertburg machte sich langsam der nahende Winter bemerkbar und die Temperaturen fielen stetig. Den hohen Herren war bewusst, dass es unmöglich war, den Angriff noch vor dem ersten Schnee zu starten und eine Belagerung im Winter war mehr als ungünstig.

Deshalb wurden aus der ganzen Welt Schreiner und Handwerker zusammengerufen, welche für die inzwischen zwanzigtausend Rekruten und Soldaten Unterkünfte errichteten. Es wurde eine zweite Stadt direkt vor den Toren Hundertburgs errichtet.

Richard hatte sich zu der Stadtmauer begeben, um sich die Arbeiten selbst anzusehen. In einen dicken Mantel eingepackt stand er über seinem Heer und wusste, dass er schon beinahe der mächtigste Mann der Welt war.
Der Einzige den er nicht einschätzen konnte, war Theo Sonnen.

Sein Spion bestätigte, dass vor kurzem eine junge Frau in Dämonenheim eingetroffen war, die der Beschreibung Noras entsprach und Informationen über Dämonenheim eingeholt hatte. Wozu sie dies tat wusste aber niemand. Nur dass sie sich nach einem gewissen Lucifer erkundigt hatte, was ihr allerdings schlecht bekommen war.

Mehr wusste auch Richard nicht, denn sein Kontakt ihm versicherte, er würde jemanden auf sie ansetzten, hatte er auch nichts mehr gehört.
Doch sein Spion war zuverlässig, bestimmt wurde das Problem längst aus der Welt geschafft. Trotzdem stimmte es Richard nachdenklich und er genoss die Ruhe.

Theo Sonnen trat in diesem Moment neben ihn und liess seinen Blick ebenfalls über die Menschenmassen schweifen, bevor er sich an Richard wandte und zu sprechen begann.
«Beeindruckend nicht wahr? Man fühlt sich beinahe wie Götter, wenn man hier oben steht», bemerkte der junge Lord.
Wie es für die Kriegerfamilien Tradition war, stand er in voller Rüstung und sah aus wie Kriegsheld aus alten Zeiten.
«In der Tat», antwortete Richard knapp, er war nicht in der Stimmung um sich auszutauschen. Theo war ihm bisher auch eher wie jemand erschienen, der sich lieber im Hintergrund hielt, doch nun versuchte er ihn in ein Gespräch zu verwickeln.

«Euch ist hoffentlich bewusst, dass wir dieses Heer nicht mehr viel länger als durch den Winter versorgen können. Wir können es uns nicht erlauben zu versagen, sonst steht die Menschheit viel früher einer Hungersnot gegenüber als gedacht. Das Ergebnis wäre Chaos und Anarchie.»

Robert antwortete mit einem Nicken. «Ja das ist mir durchaus bewusst.»

«Nun die gute Nachricht ist, dass wir im Winter genug Zeit haben werden, um echte Soldaten auszubilden. Keine Sorge, ich werde persönlich darüber wachen, dass diese Menschen», mit einer grossen Geste deutete er auf das Heer unter ihnen, «im Sommer als eine einzige Einheit auf Dämonenheim marschieren werden.»

Robert sah dem jungen Lord nun direkt in die Augen, versuchte zu erkennen, was er mit seiner ungewohnten Redseligkeit erreichen wollte.
Doch wie immer blieb der junge Mann ein Rätsel und Robert erntete bloss ein undurchsichtiges Lächeln.

«Das freut mich sehr zu hören. Entschuldigt mich bitte, ich habe noch Geschäftliches zu erledigen», verabschiedete er sich und liess Lord Sonnen alleine zurück.


«Können wir das nochmals zusammenfassen?»

Lucifer und Nora hatten sich an den Tisch gesetzt, nachdem sie Alfred mit Informationen nach Hundertburg geschickt hatte.

«In Hundertburg sammelt sich also eine grosse Armee, die im Sommer beabsichtig Dämonenheim zu zerstören?»

«Ja das ist richtig.»

«Und an der Spitze dieser Armee sitzen Richard Reichman und dein Herr Theo Sonnen?»

Nora nickte. «Unter anderem ja.»

«Und deine Aufgabe ist es, die Banden Dämonenheims zu vereinen und so dessen Zerstörung verhindern?»

Nora nickte erneut.

«Okay alles klar», behauptete Lucifer, auch wenn sein Gesicht noch einige Zweifel zeigte.
«Und wie beabsichtigst du oder dieser Sonnen eine Stadt zu vereinen, die seit gut einem Jahrhundert zerstritten ist? Ganz zu schweigen von den zahlreichen Kriminellen?»
Nora schenkte ihm ein unsicheres Lächeln. «Mit deiner Hilfe?»

Lucifer verdrehte die Augen. «Ja, das dachte ich mir schon.»

Er öffnete den Vorratsschrank und tischte frisches Brot, Schinken und allerlei anderes Essen auf.

«Doch bevor wir die Welt vor dem Untergang bewahren, werden wir dich wieder zu Kräften bringen.»

Nora nickte und griff hungrig nach dem Brotlaib.

Alfred genoss es, wie die kalte Luft an ihm vorbeischoss. Er flog schnell wie der Wind und unter ihm verschwamm der Boden zu einer unscharfen grünen Masse.

In der Ferne zu seiner Rechten konnte er den weitläufigen und düsteren Schattenwald erkennen, hinter welchem sich Reichenfeld, die Stadt der Reichen und Einflussreichen befand.

Links von ihm schlängelte sich ein breiter Fluss durch das Land, den die Menschen den Strom des Lebens nannten. Sie nutzten sein Wasser um ihre Felder zu bewässern und so den grössten Teil der Bevölkerung zu ernähren.
Doch das eindrücklichste war das Stahlgebirge, eine gigantische Gebirgskette, die selbst aus der Ferne deutlich zu erkennen war und weit in den Himmel ragte. Am Fusse dieser Berge, auf dessen Gipfel noch kein Mensch einen Fuss gesetzt hatte, lag Hundertburg, die Stadt der besten Krieger und Schmiede der Welt.

Alfred beeilte sich, machte kaum Pausen und erschöpfte alle seine Kräfte, um Hundertburg so schnell wie möglich zu erreichen. Er fühlte sich nicht wohl dabei, Nora alleine in Dämonenheim zurück zu lassen. Alfred kannte diesen Ort leider nur zu gut und wusste um der Gefahren und Gestalten, von denen es dort nur so wimmelte. Nora war einfach noch zu jung und naiv, um diese Welt alleine zu erkunden.

In der Bar des Ogers wurde in der Zwischenzeit eine kleine Krisensitzung abgehalten. Lucifer und Nora weihten den Barkeeper in ihre Geheimnisse ein und Lucifer bat ihn ausserdem einen Informanten auszusenden, um die Behauptungen Noras abzuklären. Nora nahm es ihm nicht übel.
«Na das klingt ja mal nach düsteren Nachrichten», schloss der Riese den Bericht seiner beiden Gäste.
«Und ihr glaubt wirklich, ihr könntet das Gesindel und die Banden dieser Stadt unter einem Ziel vereinigen? Das schafft ihr niemals. Die würden sich gegenseitig bloss die Kehle aufschlitzten und dann wären wir komplett hilflos.»
«Das wissen wir doch gar nicht, wenn wir es nicht wenigstens versuchen!», verteidigte sich Nora.

«Glaub mir Liebes, ich kenne diese Menschen. Ich bin einer von ihnen und weiss deshalb, dass dein Versuch bloss in einem Blutbad enden würde. Ich kann mir nur eine Möglichkeit vorstellen, mit der wir vielleicht Erfolg hätten.»

Erwartungsvoll hob nun auch Lucifer den Blick von der Theke.
Der Oger stützte sich auf der Theke ab und beugte sich verschwörerisch nach vorn.

«Das Einzige und ich meine wirklich das Einzige, was die Banden vereinigt ist ein gemeinsamer Feind. Doch ich spreche nicht von einer Armee am anderen Ende der Welt, von der wir nicht einmal wissen, ob sie wirklich existiert. Ich spreche von einem Feind in den Strassen Dämonenheims, einer der die Existenz eines jeden Bandenoberhauptes gleichermassen gefährdet. In einem solchen Fall besteht die Möglichkeit, dass sie sich zur Vernichtung des gemeinsamen Übels kurzzeitig zusammentun würden. Wenn auch nur für kurze Zeit, doch es ist unsere einzige Chance.»

Hilflos sah Nora den Mann an.
«Und wie glaubst du sollen wir das anstellen?»
«Wir lehren ihnen das Fürchten», flüsterte er düster und Entschlossenheit spiegelte sich in seinen Augen. 
Entsetzt starrte ihn Nora an. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Man musste die Menschen warnen und nicht terrorisieren.

Doch der Oger schien ihre Auffassung nicht zu teilen. Stattdessen nickte er langsam.

«So ist es. Jemand muss den Bösewicht spielen, wenn wir unser Heim beschützen wollen.»

Nora war bestürzt über den Vorschlag des Riesen und Lucifers prompte Zustimmung.
«Ich kann dir doch unmöglich eine solche Bürde auferlegen», versuchte sie Lucifer von dem Vorhaben abzubringen, «es muss einen anderen Weg geben!»
Aufgebracht erhob sie sich und verwarf die Hände.
Doch ihre neuen Gefährten blickten sie bloss mitleidig an und Lucifer schüttelte den Kopf. Schliesslich gab sie klein bei, setzte sich wieder und schwieg.

Schweigend sassen sie an der Bar und jeder spürte, wie die Last auf ihren Schultern lastete und sich eine bedrückte Atmosphäre ausbreitete.
Schliesslich war es Lucifer, der das Schweigen brach.

«Wenn wir das wirklich durchziehen, solltest du Abstand zu mir halten, sonst könntest du zwischen die Fronten geraten.»
Doch Nora dachte nicht daran.

«Das kannst du vergessen. Ich werde nicht untätig vom Rande zu sehen, während die Schuldgefühle meine Seele zerfressen! Ausserdem ist dein Unterschlupf doch der einzige sichere Ort in der ganzen Stadt, ich gehe also nirgendwo hin!»

Lucifer schwieg dankbar, dass er die verfluchte Aufgabe nicht alleine in Angriff nehmen musste. Selbst wenn sie ihm nicht tatkräftig zur Seite stehen konnte, so konnte sie ihn davor bewahren, vollends in die Finsternis zu stürzen.

Das hoffte er zumindest.

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