Kap. 6 - Das Attentat
Als Nora endlich erwachte, fühlte sie sich schrecklich. Sie hielt die Augen geschlossen und lauschte bloß ihrer Umgebung. In der Ferne konnte sie Stimmen hören und durch das Fenster drangen leise die Geräusche der Stadt.
Als nächstes tastete sie um sich. Sie lag auf etwas weichem, wahrscheinlich einem Bett und eine Decke war halb über ihren Körper gelegt.
Sie öffnete die Augen und blickte hoch an eine schmutzige Decke.
Doch etwas war nicht richtig. Ihr Blickfeld schien kleiner als gewohnt. Mit viel Mühe hob sie den Arm und tastete über ihr Gesicht. Als sie den dicken Verband über ihrem linken Auge spürte, erinnerte sich plötzlich wieder. Schockiert senkte sie die Hand.
Sie war verkrüppelt.
Tränen sammelten sich in ihrem Augenwinkel und sie begann zu Schluchzen. Sie weinte leise vor sich hin und fühlte sich wie der letzte Mensch auf der Welt.
Nach einer Weile versiegten ihre Tränen und sie lag nur noch da ohne Energie auch nur einen Finger zu rühren. Was sollte sie nun tun? Sie war alleine und schwer verletzt in einer fremden Stadt. Wer würde ihr helfen? Wo sollte sie leben?
Es schien hoffnungslos. Für den Moment hatte sie selbst Theo aus dem Gedächtnis gestrichen. Es spielte keine Rolle mehr, was ihr Auftrag war, in ihrem Zustand war sie nutzlos. Sie würde in dieser Stadt, vielleicht sogar in diesem Raum ihr Ende finden. Und es kümmerte sie nicht. Sie hatte mit dem Leben abgeschlossen.
Die Tür öffnete sich leise und ein ihr unbekannter Mann trat in das Zimmer. Er schien überrascht darüber, dass sie bei Bewusstsein war und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
«Guten Morgen. Schön zu sehen, dass du wieder zu dir gekommen bist.»
Mit einem Lächeln auf den Lippen trat er an das Bett.
«Wie fühlst du dich?»
«Wer bist du?»
Mehr brachte Nora nicht zustande. Verwirrt blickte sie zu seinen Händen.
Sie war nicht zu Unrecht misstrauisch, denn plötzlich presste er ihr eine Hand auf den Mund und zückte mit der anderen ein Messer.
«Ein Freund.», flüsterte er mit demselben Lächeln wie zuvor. Seine Augen waren eiskalt und spiegelten seine Selbstsicherheit wider.
Nora, die eben noch mit ihrem Leben abgeschlossen hatte, spürte plötzlich einen Adrenalinschub. Etwas Kraft floss ihn ihre lahmen Glieder und ihr wurde etwas bewusst.
Sie war nicht bereit zu sterben.
Sie konnte nicht recht sagen weshalb, doch in ihr regte sich der Wille zu überleben.
Das Messer zuckte auf ihren Brustkorb hinab. Reflexartig hob sie den Arm zum Schutz.
Die Klinge bohrte sich in ihren Unterarm und eine Welle des Schmerzes zuckte durch ihren Körper, weckte sie endgültig aus ihrer Trance.
Sie bäumte sich unter dem Griff des Mannes auf, stöhnte vor Schmerzen und hieb ihm den Ellenbogen in den Schritt.
Der Attentäter keuchte und taumelte zurück. Das Messer hatte er losgelassen. Flüche kamen über seine Lippen, während er sich den Schmerzenden Schritt hielt.
«Verfluchtes Miststück! Scheiße! Na warte, dafür stirbst du langsam und qualvoll!»
Er stürzte sich auf sie, wie ein wildes Tier. Doch Nora hatte das Messer aus ihrem Arm gezogen und hob es zur Verteidigung. Der Mann rannte blindlings in die Klinge, die sich in seinen Oberkörper bohrte.
Weniger als eine Armeslänge entfernt hielt er inne und sah Nora verwirrt an. Blut floss aus der Wunde und tropfte auf das weiße Laken, hinterließ Spuren, die man nie wieder entfernen konnte. Nora spürte auch, wie die warme Flüssigkeit auf ihre Decke und Kleider tropfte.
Sie konnte den Blick nicht von den Augen des Mannes abwenden, bis er schließlich mit einem letzten Seufzer zur Seite kippte und tot liegen blieb.
Sie blickte an sich hinab und sah, dass ihr Nachthemd und ihre Hände blutüberströmt waren. Ein plötzlicher Anfall von Übelkeit überkam sie und sie erbrach sich lautstark neben das Bett.
Im nächsten Moment stürmten Lucifer und der riesige Barkeeper in den Raum. Verwirrt blickten sie kurz auf den Toten, der neben Nora im Bett lag.
Sofort eilte Lucifer an Noras Seite, ignorierte das Erbrochene, in das er trat und nahm ihr das Messer aus den zitternden Händen.
«Was ist passiert? Bist du verletzt?»
Doch Nora mochte nicht antworten, stattdessen schlang sie ihre Arme um seinen Hals und begann lauthals zu Schluchzen.
Ungefähr eine halbe Stunde später, sassen sie zu dritt an der Theke. Die Bar wurde vorübergehend geschlossen und Noras Arm war bereits verarztet worden. Auch hatte man ihr neue Kleider gebracht, die ihr zwar etwas zu groß, doch wenigstens sauber waren. Man hatte ihr sogar eine Schüssel Eintopf vor die Nase gestellt, doch Nora fühlte sich nicht im Stande auch nur einen Bissen bei sich zu behalten.
Lucifer sass neben ihr und sah sie besorgt an. Der Riese stand wie immer hinter der Theke.
«Erzähl uns was passiert ist. Was wollte der Mann von dir, oder hat er irgendetwas gesagt?»
Sie schüttelte den Kopf und hielt den verletzten Arm fest an sich gepresst.
«Er hat nur gesagt, er sei ein Freund. Dann hat er versucht mich mit dem Messer zu erstechen.»
Lucifer und der Oger wechselten einen vielsagenden Blick. Wussten die beiden etwas über den Mann?
«Kennt ihr ihn? Oder wisst ihr etwa wer hinter mir her ist?»
«Du solltest erst etwas essen und zu Kräften kommen», erwiderte der Oger mit besorgter Miene.
Doch Nora wollte nichts essen. Suchend blickte sie zu Lucifer, der schuldbewusst den Blick senkte.
«Es ist meine Schuld.», brachte er nach einer Weile leise hervor.
«Die Ratte und ich sind seit Jahren auf Kriegsfuß und als er hörte, dass du nach mir suchst, wollte er mir Eins auswischen.»
Als er den Blick hob, konnte Nora darin seine Schmerzen und Schuldgefühle sehen.
«Es tut mir leid.»
Doch Nora war ihm nicht böse. Es war schließlich nicht seine Schuld, dass sie mehr Neugierde als Vorsicht besaß. Sie schenkte ihm ein müdes Lächeln.
«Es ist nicht deine Schuld, also mach dich nicht selbst fertig.»
Dann machte sie sich an den Eintopf, denn sie wollte den Beiden nicht noch mehr Sorgen bereiten.
«Eine Warnung wäre zwar nett gewesen», fügte sie mit einem sarkastischen Unterton an und entlockte dem ernsten Lucifer das erste Lächeln.
Der Eintopf war etwas versalzen, doch schmeckte er nicht schlecht. Als sie den ersten Bissen hinuntergewürgt hatte, wurde ihr auch bewusst, wie hungrig sie war und sie verschlang den Rest in Eile.
Als auch der letzte Rest aus der Schüssel gekratzt war, nahm der Barkeeper die Schüssel mit einem Lächeln entgegen.
«Solche Kunden sehe ich gerne. Ich hole dir gleich die nächste Portion.»
Als er in der Küche verschwand, lehnte sich Nora zurück und genoss das warme Gefühl, das sich in ihrem Körper ausbreitete.
Das halbierte Sichtfeld war noch immer seltsam, doch durch den Mordversuch und all die Aufregung hatte sie es beinahe vergessen. Nun fasste sie sich wieder an den Verband, wie um sicher zu gehen, dass es kein Traum gewesen war.
«Wie lange war ich bewusstlos?»
«Beinahe eine ganze Woche. Bist du sicher, dass du dich nicht wieder hinlegen willst?», antwortete Lucifer mit sorgenbelegter Stimme.
«Nein ich denke etwas Bewegung ist jetzt das Beste.»
Eine Woche! Sie war für eine Woche bewusstlos gewesen!
Dann fiel ihr ein, dass sie Theo versprochen hatte, mit ihm Kontakt aufzunehmen, sobald sie Dämonenheim erreicht hatte. Das war bereits über eine Woche her, bestimmt machte er sich Sorgen um sie.
Sie würde Lucifer nach einer Möglichkeit fragen müssen Nachrichten nach Hundertburg zu senden.
Doch bevor sie ihn darauf ansprechen konnte, wurde der tote Attentäter von zwei Männern durch die Bar nach draußen getragen und die Übelkeit regte sich wieder in Nora.
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