Kap. 12 - Die Legende beginnt (2)
Zielstrebig bewegte sich Nora durch die Strassen Dämonenheims. Der Mann, den der Oger auf sie angesetzt hatte, folgte ihr pflichtbewusst und hielt die Augen offen, während Alfred wachsam über ihnen schwebte. Sie waren auf dem Weg zu einem der bekannten Treffpunkte der Rattenbande, einer Bar am Rande ihres Reviers, in der Hoffnung dort Informationen zu erhalten. Nora war fest entschlossen, Reichmans Spion aufzuspüren und aus dem Weg zu ziehen.
Allerdings erwies sich das als schwerer als erwartet, denn als sie die Bar erreichten, begrüsste sie der Geruch von frischem Blut und Tod. Die Tür war einen Spalt weit offen und der rote Lebenssaft klebte an der Aussenseite. Ihr Beschützer bestand darauf, vorzugehen und zückte sein Messer. Vorsichtig öffnete er die Tür, das Messer stets einsatzbereit und schlüpfte ins Innere.
Nur kurze Zeit später trat er wieder auf die Strasse und schloss die Tür hinter sich. Mit bleichem Gesicht stellte er sich Nora in den Weg.
«Wir müssen von hier verschwinden und zwar schnell.» Nora konnte deutlich die Angst hören, die in der Stimme des kräftigen Mannes mitschwang und seine Augen flehten sie an umzukehren.
«Auf keinen Fall! Ich kehre nicht um, bevor ich nicht etwas in Erfahrung bringen konnte.»
Sie schlüpfte unter den Armen des Mannes hindurch und dankte Gott, dass Alfred noch immer in der Luft war. Er hätte sie bestimmt an den Haaren zurückgeschleift. Auf der Türschwelle hielt sie entsetzt inne und konnte kaum verarbeiten, was sie erblickte. Der Raum war in ein Schlachtfeld, mehrere Leichen lagen überall verteilt, Tische und Stühle waren zerschlagen worden und Blut klebte an allen Orten.
In Nora stieg die Übelkeit hoch und sie musste sich bei der Eingangstüre übergeben. Entsetzt betrachtete sie das Gemetzel und plötzlich traf sie die Erkenntnis wie ein Fausthieb in die Magengrube. Erneut entledigte sie sich ihres Mageninhaltes. Dies war Lucifers Werk gewesen und sie hatte ihn darauf angesetzt.
Ihr Beschützer packte sie am Arm und wollte sie nach draussen ziehen.
«Wir müssen von hier verschwinden, es können jederzeit weitere Mitglieder hier auftauchen.»
In seinen Augen zeigte sich ebenfalls Furcht und Grauen, was Nora nur zu gut verstand.
Sie waren gerade daran den Raum zu verlassen, als Nora ein leises Wimmern vernahm, das hinter der Theke erklang. Sie riss sich los und eilte durch den Raum auf die Bar zu.
«Nora verdammt was tust du?!», schrie ihr Alfred entsetzt nach. Er war aus der Luft herabgestiegen und versuchte sie nun an ihren Kleidern hinaus zu schleifen. Doch Noras Entschlossenheit war stärker als der kleine Vogel. Auf der Bar war ein Mann zusammengesackt und lag mit dem Gesicht flach auf der Theke ohne sich zu rühren. Aus seinem Hinterkopf ragte ein grosses Wurfmesser. Hinter der Bar kauerte der Barmann und wimmerte vor Angst.
«Ein Dämon, ein Dämon, ein Dämon», murmelte er und wippte aus seinen Zehenspitzen vor und zurück. Plötzlich sprang er auf und packte Nora am Kragen.
«Ein Dämon! Es war ein Dämon, die Augen schwarz wie die Nacht und das Blut kalt wie Eis! Ein Dämon!», rief er ihr aus unmittelbarer Nähe ins Gesicht.
Erschrocken stiess sie den Mann von sich und er fiel zu Boden, beachtete sie nicht mehr weiter und begann wieder sein Gemurmel.
«Ein Dämon, ein Dämon, ein Dämon, ein Dämon.»
Verstört und verängstigt trat Nora mit ihren Begleitern wieder ins Freie und sie eilten fort von dem Ort des Schreckens.
Theo schritt in Gedanken durch die Gänge der Burg und achtete nicht auf die Menschen die ihn grüssten. Er war auf dem Weg zu einem weiteren Kriegsrat, doch auch das interessierte ihn nicht sonderlich. Seine Gedanken waren bei Nora und das schlechte Gewissen plagte ihn, darüber was er ihr angetan hatte. Auch wenn Alfred stets ein Grossmaul gewesen war, so lag er doch nicht falsch, ihm die Schuld über Noras Schicksal zuzuweisen. Doch nun war nicht die Zeit, darüber zu sinnieren was hätte sein können, es war die Zeit für Taten zum Wohle aller. Entschlossen hob der den Kopf, verscheuchte die Sorgen in die hintersten Ecken seines Geistes und trat ein.
In dem kleinen Raum, an einem massiven Marmortisch sassen bereits alle Mitglieder ihres kleinen Rates und Theo war der Letzte der dazukam. Richard nickte ihm freundlich zu und von Essen musterte ihn wie immer finster. Theo nahm seinen Platz an der Tafel ein und Richard eröffnete das Treffen.
«Meine Herren ich muss sagen, ich bin mehr als erfreut über die Fortschritte, die unsere Männer in den letzten Wochen machten. Allen Soldtaten konnte noch vor dem ersten Schnee eine Unterkunft zugewiesen werden und auch die Ausbildungen gehen gut voran, wie ich höre.»
Ein erfreutes Gemurmel setzte ein und die alten Krieger nickten sich stolz zu, als wäre der Krieg bereits gewonnen. Doch Theo und offenbar auch Richard wussten es besser.
«Doch der Grund für diese Versammlung ist nicht euch zu lobpreisen», begann er geheimnisvoll und das Gemurmel verstummte. Alle Augen waren wieder auf ihn gerichtet und er genoss die Aufmerksamkeit eine Sekunde lang, bevor er weitersprach.
«Mir sind beunruhigende Berichte aus Dämonenheim zu Ohren gekommen. Eine bisher noch unbekannte Partei ist daran ans Tageslicht zu gelangen, welche unserem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung machen könnte.»
Erneut setzte Gemurmel ein, doch diesmal flüsterte die Anwesenden energisch aufeinander ein und gestikulierten wild mit den Händen. Theo sah seine Chance, erhob sich und Schweigen setzte wieder ein.
«Wenn ich fragen darf, woher nehmt ihr diese Informationen? Es ist schwer einer unbekannten Quelle einfach zu glauben. Wenn ihr uns immerhin einen Namen nennen könnt, oder wie der Mann in eure Dienste gelangte.»
Richard dachte nach, bevor er antwortete und Theo fürchtete schon er wäre zu aufdringlich gewesen. Er durfte sich auf keinen Fall verraten, sonst wäre Nora verloren. Richard sprach langsam, als er antwortete, schien jedes Wort sorgfältig abzuwägen.
«Ihr dürft fragen, das ist euer Recht, doch lehne ich ab die Identität meines Informanten preis zu geben. Nicht dass ich euch misstraue, doch wir wissen noch immer nicht, wer hinter der unbekannten Partei steckt und so wäre es zu riskant solche heiklen Informationen öffentlich zu machen.»
Theo war gezwungen, die Argumentation mit einem stummen Nicken zu akzeptieren, denn hätte er weiter nachgehackt, hätte es bestimmt Misstrauen erregt.
Lucifer sass schweigen in seinem Unterschlupf am Tisch und dämpfte seine Gefühle mit Met. Er hatte kein Feuer entfacht, wollte keine Wärme empfinden und sass bloss da, leicht fröstelnd und grübelte vor sich hin.
Er fühlte sich wie ein Dämon, ein Monster kein richtiger Mensch mehr. Ohne Gnade hatte er die Männer in der Bar niedergestreckt, sie absichtlich übel zugerichtet. Es war nicht das erste Mal gewesen, doch mit jedem weiteren Leben, das seinen Händen zum Opfer fiel, verlor Lucifer etwas mehr an Menschlichkeit und Lucifer fürchtete, was am Ende dieses Weges auf ihn wartete. Sein ganzes Leben hatte er die Dunkelheit in sich gespürt, mal stärker mal schwächer und wenn er sich nicht achtete, würde sie bald die Überhand gewinnen und ihn verschlingen.
Er wusste nicht genau, wie lange er einfach nur dasass und ab und einen Schluck Met zu sich nahm, doch irgendwann trat Nora in den Raum und Lucifer hob nur schwach den Kopf.
Nora schien ebenfalls niedergeschlagen, denn sie begrüsste ihn bloss mit einem schwachen «Hey» und setzte sich zu ihm. Schweigend sassen sie sich gegenüber, zwei Gefährten auf einer Reise durch die Abgründe der menschlichen Seele, so fühlte es sich für Nora an.
Nach Minuten, in denen sie beide bloss auf die Tischplatte gestarrt hatten, wollte Nora es nicht mehr länger für sich behalten. Ohne zu fragen griff sie nach Lucifers Krug und stürzte den restlichen Met in einem Zug hinunter.
«Ich war in der Bar, auf der Suche nach Informationen, kurz nachdem du dort warst.»
Lucifer spürte einen Stich im Herzen. Er wollte nicht, dass Nora erfuhr, was er gezwungen war zu tun, befürchtete sie würde ihn dafür hassen oder schlimmer noch, ihn fürchten.
Doch als sie ihm in die Augen blickte, sah er weder Hass noch Furcht, sondern bloss Trauer und Mitgefühl. «Es ist meine Schuld, dass du diese Dinge tun musst. Es tut mir so leid.»
Lucifer wusste nicht recht, wie er sich fühlen sollte, denn noch nie hatte sich jemand bei ihm entschuldigt. Überrascht starrte er sie an und suchte nach Worten, ohne sie zu finden.
Nora erwiderte seinen Blick, ebenfalls etwas verwirrt. Auch sie wusste nicht was sie nun zu sagen hatte und ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen aus. Als die Spannung schliesslich unerträglich wurde, erhob sich Nora und entfachte ein Feuer im Ofen, um sich zu wärmen. Lucifer sass noch immer an seinem Platz und suchte nach den richtigen Worten.
Als endlich die ersten Flammen zwischen dem Holz hervor züngelten, erhob er sich plötzlich und kauerte sich neben Nora vor den Ofen.
«Ich mag es nicht, wenn du dich entschuldigst», begann er zögernd.
«Es macht mich traurig verstehst du?» Unsicher sah er Nora an, die ihm ein Lächeln schenkte.
«Ich glaube ich verstehe», gab sie ehrlich zu, was für Lucifer nicht genug zu sein schien und er startete einen neuen Versuch.
«Was ich sagen will, ich gebe dir nicht die Schuld. Ich tue all dies nicht deinetwegen. Na ja irgendwie ja schon, aber nicht so wie du es denkst. Ich will einfach nicht, dass du dir ein schlechtes Gewissen machst in Ordnung?»
Nora hatte längst verstanden, was er ihr mitteilen wollte, doch sie begann sich über seine unbeholfene Art zu amüsieren.
«In Ordnung, ich werde in Zukunft versuchen, mir kein schlechtes Gewissen mehr machen», beruhigte sie ihn und legte ihm den Kopf auf die Schulter. Sie schloss die Augen und genoss für eine Weile einfach nur die Wärme des Feuers, das durch ihre Glieder kroch. Nora konnte deutlich das Band spüren, das sich zwischen ihnen gebildet hatte, es wurde mit jedem Tag stärker, den sie in dieser Hölle verbrachten. Für den Moment war es alles was sie wollte und alles wofür sie im Stande war, doch bestimmt nicht für immer. Alfred hatte eben wieder einmal recht behalten.
«Ahem!», räusperte sich der Rabe, der gerade eingetreten war.
Ertappt schreckte Nora auf und wäre beinahe vornüber ins Feuer gefallen, hätte Lucifer sie nicht festgehalten.
«Tut mir ja schrecklich leid, dass ich euch störe, doch es wird langsam kalt und ich hätte gerne auch etwas von dem Feuer», bemerkte der Rabe genervt. Nora hatte ihn gebeten zu warten, damit sie mit Lucifer unter vier Augen sprechen konnte, doch sie wusste genau, dass der Vogel sie bespitzelt hatte.
«Sicher, komm nur und wärm dich», Lucifer deute freundlich auf den Ofen.
Alfred drängte sich etwas zu offensichtlich zwischen die beiden und streckte seine Flügel. Nora verdrehte etwas genervt die Augen, doch hielt sich zurück. Sie suchte ein Thema, um wieder ins Gespräch mit Lucifer zu kommen, der noch immer finster dreinschaute. Nach langem Schweigen knurrte aber plötzlich Noras Magen so laut, dass alle Anwesenden es hörten. Beschämt errötete sie und bemerkte wie Lucifers Mundwinkel sich kaum merklich hoben.
«Komm, ich mach dir etwas zu Essen.» Lucifer warf noch mehr Holz in den Ofen und kramte aus einer Kiste eine eiserne, flache Schüssel, die er daraufstellte.
Gespannt setzte sich Nora an den kleinen Tisch, während Lucifer in die untere Etage ging um etwas aus den Vorräten zu holen. Kurz darauf war er zurück mit einer dunkelgrünen Flasche und einem grossen Stück rohem Fleisch.
Nora war verwirrt, denn bisher hatten ihre Mahlzeiten vor allem aus Brot, Schinken und Käse bestanden. «Was hast du denn damit vor?», fragte sie neugierig, doch er antwortete nicht.
Er goss eine ölige Flüssigkeit in die Schüssel und wartete. Als er sicher war, dass sie genug erhitzt war, legte er das Fleisch hinein. Mit einem Zischen stieg eine kleine Dampfwolke zur Decke. Nora roch an der grünen Flasche und erkannte einen leichten Geruch von Weizen. Das Zischen wurde intensiver und heisses Öl spritzte durch den Raum.
«Au! Meine selbst entwickelte Variante. Au! Das Öl ist ein Geschenk von dem Oger. Au! Und das Fleisch stammt aus dem Labyrinth. Au!»
Lucifer zuckte jedes Mal zusammen als ihn ein Tropfen Öl erwischte. Nora konnte das Lachen kaum unterdrücken, als sie den jungen Mann um den Ofen herumtänzeln sah. Alfred war ebenfalls zum Tisch geflüchtet, als die ersten Tropfen niederregneten und sah misstrauisch zu.
Kurze Zeit später, lag vor ihnen ein dickes, saftiges Stück Fleisch auf der Platte und der Geruch wässerte Nora den Mund. Durch das heisse Öl hatte sich eine dunkle Kruste gebildet, doch der innere Kern war noch immer etwas roh und butterzart. Fleischsaft füllte ihren Mund, als sie den ersten Bissen zu sich nahm und das Öl verlieh ihm eine erdige Note.
«Was ist das für ein Fleisch? Du hast gesagt es kommt aus dem Labyrinth aber von was für einem Tier?», fragte sie mit vollem Mund und genoss die köstliche Mahlzeit.
Lucifer grinste ebenfalls kauend, «Das verrate ich dir besser nicht.»
Verschwörerisch zwinkerte er ihr zu und Nora hatte ein mulmiges Gefühl, doch es war einfach zu gut. Gierig verschlangen sie es zu dritt, bis auf den letzten Bissen. Niemand sprach ein Wort, sondern genoss schweigend die Mahlzeit. Nora legte sich, als sie geendet hatten, erschöpft und gesättigt zu Bett, nahm sich vor, Morgen nochmals nach der Herkunft des Fleisches zu fragen und döste, ohne es zu merken, ein.
Lucifer deckte sie zärtlich zu und machte sich daran das Geschirr zu waschen. Mit zurückgekrempelten Ärmeln stand er über einem Zuber Wasser. Alfred sass noch immer auf dem Esstisch und beobachtete gedankenverloren die sanften Hebungen von Noras Brustkorb.
«Sie ist nicht gemacht für diese Welt, für unsere Welt. Sie besitzt keine finstere Seite so wie wir und der Kontrast droht sie zu zerreissen.»
Augenblicklich verflog die gute Stimmung und die Kälte kroch zurück in Lucifers Herz. Die Worte schmerzten ihn, weil er genau wusste, dass sie der Wahrheit entsprachen. Er blickte nicht von dem Zuber auf, sondern konzentrierte sich weiterhin auf das Geschirr.
«Ich weiss», antwortete er trotzdem leise.
Als Alfred wieder sprach, war seine Stimme ungewohnt dunkel und eine seltsam bedrohliche Aura ging von dem Raben aus.
«Wenn du zulässt, dass sie zu Schaden kommt, wirst du es bereuen.»
Die Drohung war leise und schon beinahe belanglos ausgesprochen, doch ein kalter Schauer lief Lucifer den Rücken hinab. Mit traurigem Blick betrachtete er sein Spiegelbild in dem trüben Wasser. Eine verzerrte Fratze starrte ihm entgegen.
«Ich weiss.»
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