Kapitel 4

Kapitel 4

   Luana kehrte mit Nahrungsmitteln zurück zu ihrer Hütte, wo Ragnar gerade döste. Er wirkte so unschuldig, wie er dort in seiner leicht gebeugten Haltung saß, dass Luana sich ein wenig schuldig fühlte, dass sie ihn überhaupt festgekettet hatte. Noch immer war er geschwächt durch seine Verletzungen und würde wohl kaum gefährlich sein. Ein einzelner Wolf war einem ganzen Rudel sowieso nicht gewachsen.

   Als sie die Tür hinter sich schloss, sah er auf und sie erkannte, dass er leicht in der Luft schnupperte. Das ließ sie leise lachen, bevor sie ihm den Beutel mit dem Essen vor die Beine, die er im Schneidersitz verschlungen hatte, abstellte. „Da", sagte sie, bevor sie sich zurück an die Tür zog und sich dort auf ein Kissen setzte. So konnte sie ihn beobachten, aber auch schnell genug reagieren, sollte er sie angreifen.

   Ragnar schenkte ihr ein Lächeln. „Danke", sagte er, wobei er wirklich dankbar klang.

Langsam begann er, den Inhalt des Beutels zu inspizieren und kurz darauf nahm er ein Stück Fleisch und knabberte darauf herum.

   „Erinnerst du dich wieder?", fragte Luana, während sie ihn betrachtete. Sie wusste von ihrer Ausbildung, dass Kopfverletzungen das Gedächtnis beeinträchtigen konnten. Bei Werwölfen hielt das zum Glück nicht lange an, daher hoffte sie, die Ruhe hatte gereicht, dass er sich zumindest ein bisschen erholt hatte. Seine Wunden müssten mittlerweile ebenfalls verheilt sein.

   Obwohl es unter den Werwölfen Heilerinnen gab, waren diese fast nie nötig. Die Selbstheilung der Wölfe war so groß, dass es in den meisten Fällen reichte, die Wunden zu reinigen und zu verbinden. Nur ganz selten musste etwas genäht werden. Das und wie man Knochenbrüche behandelte, lernte eigentlich jeder Werwolf. Das gehörte zur Grundausbildung, auch wenn Heilerin ein weiblicher Beruf war. Luana konnte sich an keinen einzigen Mann erinnern, der dieser Aufgabe jemals nachgegangen war.

   „So ein bisschen", gab er ausweichend zu. Luana blickte ihn allerdings nur abwartend an. Sie hoffte, dass er mehr sagte und sie ihm nicht alles aus der Nase ziehen musste.

   Ihr starrender Blick schien zu wirken, denn irgendwann seufzte er, was Luana lächeln ließ. „Ich glaub, ich komme aus einer Welt, die Lucia heißt", bemerkte er, klang aber unsicher.

   Luanas Augen funkelten aufgeregt. Lucia? Er kam wirklich aus Lucia? Er hatte einen Weg gefunden, hierherzukommen? Das war ihr Weg zur Freiheit. „Weißt du, wie?", fragte sie und konnte ihre Aufregung einfach nicht verstecken. Nur mit Mühe wackelte sie nicht hin und her.

   Ragnar hob eine Augenbraue. „Warum willst du dorthin?", fragte er mit gerunzelter Stirn. Er schien neugierig über ihre Beweggründe.

   Luana verstand, dass er sie wohl nicht nachvollziehen konnte. So, wie sie es verstanden hatte, musste er auch von dort geflohen sein. „Das geht dich nichts an", erwiderte Luana mit ruhiger Stimme, die nicht gewillt war, von der Fragenden zu der Ausgefragten zu werden. „Wie ist es dort?", wollte sie wissen. Lucia würde hoffentlich nur als Sprungbrett zu einem anderen Planeten dienen. Wobei sie vielleicht sogar schon dort besser aufgehoben war als hier.

   Ragnar runzelte die Stirn. „Nun, das ist schwer zu beschreiben", gestand er. „Dort leben vorrangig Lycaner", sagte er schließlich, als würde das irgendwas erklären. Was es definitiv nicht tat.

   Luana hob eine Augenbraue. „Ich dachte, die sind selten", bemerkte sie. Werwölfe waren wesentlich verbreiteter als Lycaner. Zumindest hatte sie das gelernt. Hier gab es keinen einzigen Lycaner. Diese unterschieden sich zu den Werwölfen darin, dass sie stärker waren und eine Zwischengestalt annehmen konnten.

   „Lycaner sind gar nicht so selten. Zumindest nicht in Lucia. Die meiste Fürsten sind Lycaner", erklärte Ragnar, der scheinbar in Erzähllaune war. Gleichzeitig wirkte er aber noch nicht so, als würde er sich an sehr viel erinnern.

   „Fürsten?", fragte Luana. Sie kannte diesen Titel nur aus Büchern, weshalb sie nicht erwartet hatte, dass Werwölfe wirklich so leben konnten.

   Ragnar nickte. „Sie herrschen über größere Gebiete. Unter ihnen leben viele Familien. Lycaner, Werwölfe und sogar einige wenige Itaris", erzählte der Wolf, während er genüsslich sein Fleisch aß. Er schien ausgehungert, legte aber trotzdem eine gewisse Manier an den Tag.

   Luana hörte aufmerksam zu, während sie versuchte, ihre Aufregung zu unterdrücken. Sogar Itaris? Diese Vampire hatte sie noch nie gesehen. Sie waren selten und soweit sie sich an die Geschichtsbücher erinnerte, Sklaven der Vampire. So, wie die Werwölfe einst Sklaven der Lycaner waren.

   „Wie lebt es sich dort?", fragte sie weiter, da er scheinbar von sich aus nicht mehr erzählen wollte.

   Ragnar legte leicht den Kopf schief. „Man lebt in eher losen Familienverbänden und nicht im Rudel. Wobei man auch die ganze Nation, die unter dem Fürsten steht, als Rudel bezeichnen kann", erklärte er, wobei er nachdenklich wirkte. So, als würde er versuchen, etwas zu erklären, ohne richtig zu wissen wie.

   „Wie sind die Fürsten so?", fragte Luana, da sie nicht genau wusste, wie es dort war.

   Ragnar zuckte die Schultern. „Keine Ahnung, ich weiß nur, wie es bei dem war, auf dessen Gebiet ich gelebt habe", sagte er, als wäre es nicht wichtig. „Man begegnet ihnen im Grunde so gut wie nie."

   Das klang für Luana sehr gut. Sie wollte einfach nur in Ruhe leben, ohne ständig das tun zu müssen, was andere von ihr wollten oder erwarteten. Gerade Berons Erwartungen konnte sie nicht erfüllen und wenn sie ehrlich war, wollte sie es nicht. Es konnte nicht sein, dass es richtig war, was er verlangte. Aber ihr glaubte sowieso keiner. Vielleicht wollten sie aber auch nicht.

   „Warum fragst du das alles?", wollte Ragnar schließlich wissen. Er hatte das Fleisch verspeist und widmete sich jetzt einer Frucht, die als Wolfsbeere bekannt war. Sie war so groß wie ein Kopf, sehr fest und hatte einen leicht süßlichen Geschmack. Für die Wölfe gehörte sie, ähnlich wie Fleisch, zu den Grundnahrungsmitteln.

   Luana antwortete nicht. Warum auch? Es ging ihn nichts an und das hatte sie ihm bereits gesagt. Ragnar schien das sogar zu verstehen, denn er seufzte leise. „Was ist das für eine Frucht?", fragte er stattdessen und wechselte somit das Thema, was Luana auch ganz gut passte. Sie wollte zwar mehr wissen, doch sie wollte ihm auch nicht zu viel von sich preisgeben.

   Das leise Klirren der Ketten, an denen er immer noch hing, ertönte, während er noch einmal hineinbiss.

   „Eine Wolfsbeere. Sie wachsen hier überall im Dunkelwald", sagte sie, da dies eine unverfängliche Antwort war. Es ging immerhin nicht um sie.

   „Was machte eine Heilerin allein in diesem Wald?", fragte er schließlich.

   „Ich bin keine Heilerin", erwiderte Luana sofort. Sie wunderte sich nicht darüber, dass er das dachte, immerhin hatte sie seine Wunden versorgt.

   „Natürlich bist du das, deine Aura ist kaum zu übersehen", meinte Ragnar, der sie nun direkt ansah.

   „Von was redest du denn?", fragte Luana verwirrt. Was meinte er mit Aura? Den Geruch vielleicht? „Ich bin keine Heilerin", sagte sie noch einmal entschieden.

   „Ich meine deine Klasse", seufzte Ragnar, der scheinbar über ihre Erwiderung müde wurde. Damit verunsicherte er sie allerdings. Von was sprach er und warum sprach er davon, als müsste sie das wissen?

   „Bei uns gibt es keine Klassen", sagte sie, klang jedoch nicht so sicher, wie sie eigentlich sein wollte. Dabei war es so. Ihre Rudel waren in keine Klassen eingeteilt.

   „Jedes magische Wesen besitzt von Geburt eine Klasse", erwiderte er und legte nun nachdenklich den Kopf schief.

   „Das gibt es bei uns nicht", wiederholte sie, da sie glaubte, er meinte ein System, in das sie geboren wurden.

   „Jedes Wesen wird in eine Klasse geboren, die entscheidet, wie es die Magie nutzen kann", sagte Ragnar noch einmal, als würde er sie für dumm halten.

   Luana fühlte sich zunehmend unwohler. „Magie? Von was redest du?", brachte sie hervor. Sie hatte noch nie von Magie gehört und seine Worte verwirrten sie. Gleichzeitig machten sie ihr Angst und weckten Neugier. Dieser Mann wusste wirklich, wie er ihre Gefühle durcheinanderbringen konnte!

   „Willst du mir damit sagen, du weißt nicht, was Magie ist?", fragte Ragnar entgeistert. „Und Sternenstaub?", fragte er weiter. Dabei klang er so ungläubig, dass Luana es ihm sogar abkaufte. War das in seiner Welt normal? Aber wieso sollte das dann hier auch so sein?

   „Nein. Sowas gibt es bei uns nicht", sagte sie und sprang auf. Langsam wurde ihr das Ganze zu unheimlich, weshalb sie ihm den Rücken zudrehte und aus der Tür flüchtete. Sie brauchte ein wenig frische Luft, um ihren Kopf freizubekommen.

~*~*~

Könnt ihr Luanas Verwirrung am Ende verstehen?

Was haltet ihr bisher von den beiden Charakteren Luana und Ragnar? Mögt ihr sie und wenn ja warum.

War sonst alles verständlich?

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