Kapitel 54
Ausdruckslos starrte ich an die Decke. Ich lag in Zanders Wohnung. In seinem Bett. Mit nichts weiter bekleidet als einem dünnen Laken.
Zander lag neben mir auf dem Bauch. Er war nicht am Schnarchen, aber ich hörte ihn tief atmen, was mir sagte, er wäre noch am Schlafen.
Was hatte ich nur getan?!
Ich hatte wirklich mit Zander geschlafen. Ich wollte ihn trösten. Ihm zeigen, dass ich ihn nicht verlassen würde, aber dabei hatte ich nicht an mich gedacht. Ich war noch nicht so weit gewesen wieder mit ihm zu schlafen. Und jetzt lag ich hier. Nackt. In seinem Bett. Neben ihm. Und ich weinte. Ohne einen Laut von mir zu geben, rollten unaufhaltsam riesige Tränen meine Wangen herunter. Sie benetzten meine Wangen, meine Ohren, meine Haare und den weißen Kissenbezug.
So leise ich nur konnte schlich ich mich aus seiner Wohnung. Ich war nicht ganz angezogen und zog meine Schuhe hektisch an, während ich das Treppenhaus herunter hüpfte. Orientierungslos stand ich vor der Haustür und wusste nicht, wo ich hin musste.
Hektisch kramte ich in meiner Tasche nach meinem Handy, in der Hoffnung mich zu orten und damit zu orientieren. Aber es war aus und hatte keinen Akku mehr. Also lief ich ziellos umher, bevor ich nach einer geschlagenen Viertelstunde endlich die U-Bahnstation fand und nach Hause fahren konnte.
Ich musste duschen, mich umziehen und dann in die Uni.
Ich kam fast eine ganze Stunde zu spät zu meiner Vorlesung. So heimlich und still es nur ging setzte ich mich in die letzte Reihe und versuchte alles noch möglich mitzuschreiben und aufzuschnappen, was ich noch hören konnte.
*
Völlig ausgelaugt kam ich aus meiner Vorlesung. Ich hatte nicht geschlafen, nicht richtig gefrühstückt und grundsätzlich komplett überfordert. Mir war durch den Schlaf- und Zuckermangel zum Heulen zumute.
Wo willst du hin?, hörte Ezra in meinem Kopf. Sofort blieb ich stehen und drehte mich um. Und da stand er. Schwarze enge Jeans, Lederjacke und mit grimmigen Gesichtsausdruck an ein Motorrad gelehnt.
Da fahr ich nicht mit, brachte ich müde raus, während ich auf ihn zulief.
"Stell dich nicht so an", grinste er mir schelmisch zu, "Setz den Helm auf und halt dich fest." Wortlos drückte Ezra mir einen Helm in die Hand. Immer noch grinsend setzte er selbst einen auf und stieg aufs Motorrad. Ich hatte keine andere Wahl, als es ihm gleichzutun.
*
Aufgeregt saßen wir im Wartezimmer des Labors. Eigentlich würde es einige Tage dauern die Ergebnisse zu bekommen. Aber Ezra hatte sie erst angebrüllt und dann bestochen. So sollten wir in einigen Augenblicken schon erfahren, in wie fern wir miteinander verwandt waren. Cousins oder vielleicht war er mein Onkel oder ich seine Tante. Bei Werwölfen war es nicht unüblich, dass man gleich alt war, wie seine Tante oder sein Onkel. Großcousins war natürlich auch möglich.
Der verschreckte Laborant kam aus seinem Kämmerchen zu uns nach vorne. Nervös starrte er Ezra an, der sich wie immer, düster drein schauend, vor ihm aufgebaut hatte.
"Herzlichen Glückwunsch. Sie sind Geschwister. Sie sind ihr großer Bruder", murmelte er hektisch. Drückte mir das Formular in die Hand und verschwand dann wieder.
Mit offenem Mund starrte ich dem kleinen Mann erst hinterher, bevor ich zu Ezra sah.
"Bruder?!", stellte ich schockiert fest.
"Wie ist das möglich?", fragte der Werwolf fassungslos, "Warum war ich in England und du in Amerika? Haben sich unsere Eltern getrennt. Jeder hat einen mitgenommen und sind dann gestorben?"
Verständnislos sahen wir uns an. Aber während Ezra komplett durchdrehte und sich tausend Szenarien ausdachte, was passiert sein konnte, so fühlte ich mich taub. Es war einfach alles zu viel.
Ich merkte nur nebenbei, wie Ezra mich zu sich nach Hause brachte und auf die Couch setzte.
"Was ist los?", fragte er, nachdem er mich auf dem kalten Leder geparkt hatte.
"Ich habe mit Zander geschlafen", brach es plötzlich aus mir heraus. Die Tränen flossen wieder und ich war fürchterlich am schluchzen.
"Aber das ist doch ok. Ihr seid Gefährten und du trägst sein Mahl. Ihr habt schon miteinander geschlafen?", meinte Ezra. Er war komplett überfordert mit dem heulenden etwas, das seine kleine Schwester sein sollte, auf seiner Couch.
"Wir haben uns getrennt", schluchzte ich weiter. Hilflos hielt Ezra mir Taschentücher hin.
"Und du wolltest nicht mit ihm schlafen?"
"Doch."
"Hat er sich dir aufgedrängt?"
"Nein."
"Was ist dann das Problem?", fragte Ezra jetzt wirklich komplett am Ende.
"Ich war noch nicht so weit. Sean-", ich konnte den Satz nicht beenden.
"Wurde von anderen umgebracht. Nicht von Zander. Und das weißt du doch genau. Aber wenn du noch nicht so weit warst, warum hast du es dann gemacht?", hakte er ganz sanft nach.
"Ich weiß es nicht. Ich war noch nicht so weit. Und jetzt ist es wieder zu spät. Ich habe alles überstürzt", schluchzte ich heftiger.
"Du hast es nicht überstürzt. Du liebst ihn. Das habe ich in deinen Erinnerungen gesehen und auch gespürt, als du hier warst. Rede mit ihm darüber. Er ist kein übler Typ und wird dich verstehen. Hat er jemals etwas von dir verlangt, was du nicht wolltest?", fragte mein Bruder nach. Es fühlte sich seltsam an ihn so zu nennen und gleichzeitig auch wie das normalste auf der Welt.
"Nein, er hat nie etwas verlangt. Mir immer alle Zeit der Welt gegeben. Mich sogar gehen lassen. den Kontinent verlassen lassen, um weit weg zu kommen. Hat mich nie deswegen fertig gemacht oder mich zwingen wollen bei ihm zu bleiben", gestand ich etwas entspannter.
"Und genau daran musst du denken. Du bist aufgeregt. Es war heute alles ein bisschen viel. Ich habe ein Gästezimmer. Da kannst du heute Nacht schlafen und morgen wird alles schon ganz anders aussehen", beruhigte Ezra mich und führte mich dabei in das kleine Nebenzimmer.
Faith!, brüllte da plötzlich Zander in meinem Kopf, Ich spüre deine aufgewühlten Gefühle. Wo bist du? Heute morgen warst du einfach weg und Jack sagt, du warst seit heute morgen auch nicht mehr in eurer Wohnung! Ich spürte die Panik, die von ihm ausging. Er hatte sich zusammengerissen, aber jetzt einfach nicht mehr ausgehalten. Er musste wissen, wo ich war.
Ich bin bei Ezra. Es ist alles gut. Mir geht es gut. Ich werde hier übernachten, antwortete ich kleinlaut.
Was hat er gemacht? Warum geht es dir so schlecht? Ich werde ihn umbringen! Von der Angst war nichts mehr zu hören, jetzt war es blanke Wut.
Er hat gar nichts gemacht. Es war einfach nur ein anstrengender Tag.
Was hat er gemacht?!, fragte er ein weiteres Mal. Dieses Mal noch angespannter, als vorher.
Er ist mein Bruder und hat gar nichts gemacht!, brüllte ich zurück, Es war ein anstrengender Tag, weil ich nicht geschlafen habe, weil ich mit dir geschlafen habe und eigentlich noch nicht dafür bereit war!
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