Kapitel 53

"Du willst mir also sagen ihr seid blutsverwandt?", wollte Zander mit vor der Brust verschränkten Armen wissen.

"Riech doch", meinte Ezra weiterhin kühl und distanziert. Jetzt verstand ich auch, warum Zander nie von ihm erzählt hatte. Sie verhielten sich nicht wie Geschwister, nicht mal wie Freunde.

Es dauerte einige Augenblicke, bevor Zander fertig war unsere Gerüche zu vergleichen.

"Und sie ist deine Schwester oder was?", fragte mein Gefährte weiter.

"Ich denke eher Cousin und Cousine. Es würde keinen Sinn ergeben warum ich in einem Heim in Amerika und er in einem Heim in England aufgetaucht ist, nach dem Krieg", brachte ich mich leise in das Gespräch mit ein. Langsam stand ich auf und lief zu meinem Gefährten. Ich sehnte mich nach seiner Berührung.

Sofort wurde ich von Zander in eine feste Umarmung gezogen. Sachte drückte er mir einen Kuss auf den Haaransatz. Ezra beobachtete uns scharf, mit verkniffener Miene. Aber sein Blick wurde etwas weicher, als er sah, wie sanft und fürsorglich Zander mit mir umging.

Er behandelt dich gut oder?, fragte er beschützerisch.

Besser, als ich es verdient hätte, nachdem ich ihm die Schuld an Seans Tod gegeben habe, antwortet ich niedergeschlagen.

Nickend drehte Ezra sich um.

"Es ist spät geworden. Ich sollte dich nach Hause bringen", murmelte Zander. Er hatte mitbekommen, dass Ezra und ich uns unterhalten hatten.

"Das ist eine gute Idee. Ich habe morgen wieder Vorlesungen", nuschelte ich gedankenverloren vor mich hin.

Sehen wir uns morgen?, fragte ich hoffnungsvoll an Ezra gewandt.

Ja, ich hole dich ab. Wir gehen morgen zum Arzt. Ich will wissen, wie wir verwandt sind, antwortete der düster dreinblickende Werwolf ruhig und fast schon liebevoll. Es passte nicht zu seinem Gesichtsausdruck.

"Na dann raus hier", knurrte Ezra gereizt und schmiss uns aus seiner Wohnung.

Vor seiner Wohnung sah Zander mich entschuldigend an.

"Es tut mir leid. Er war schon immer ziemlich schroff. Du hättest vielleicht lieber einen liebevollen Verwandten gefunden, aber ich denke irgendwo ganz, ganz tief in ihm drin, ist er gar nicht so schlimm", versuchte mein Gefährte sich für seinen Adoptivbruder zu entschuldigen.

"Er ist gar nicht so schlimm", antwortete ich lächelnd. Verstört musterte Zander mich. Er musste denken, ich wäre von allen guten Geistern verlassen worden. "Lass uns gehen", lachte ich ihn aus und zog ihn Richtung der U-Bahnstation. Immer noch etwas verdattert ließ Zander sich einfach mitziehen. Schlug nach einigen Minuten dann aber doch einen ganz anderen Weg ein.

Erst als wir vor einem kleinen Haus standen, das mehrere Wohnungen beherbergte, wurde mir klar, dass wir an seiner Wohnung waren.

Neugierig ließ ich mich in das alte Gebäude führen. Zander führte mich die Treppe hoch in den erste Stock, wo er die große Eingangstür aufschloss. Die Wohnung war sehr offen. Durch die großen Fenster fiel viel Licht auf die offene Küche, mit angeschlossenem Wohnzimmer. Rechts stand hinter einem weißen, halb durchsichtigen Vorhang versteckt ein Bett. Die kahlen Backsteinwände wurden nur durch einige schwarz und weiß Fotografien geziert.

Gespannt lief ich durch das Einzimmerapartment und sah mir alles ganz genau an. Alles war sehr männlich, rustikal eingerichtet. Nichts sagte, dass eine Frau hier mal dekoriert hätte oder überhaupt die Wohnung betreten hatte. Neben der gemütlich wirkenden Eckcouch stand ein Glasschreibtisch, auf dem ich nicht nur ein Bild von seiner Familie, zumindest erkannte ich Ezra und ihn als jüngere Versionen, mit zwei freudig strahlenden Eltern hinter ihnen, sondern auch ein Bild von mir. Und ein weiteres von uns beiden. Das selbe Bild im Schnee, das ich nicht wegschmeißen konnte.

Immer noch geprägt durch mein Aufeinandertreffen mit Ezra griff ich nach dem gerahmten Familienfoto.

"Wieso hast du nie über deine Familie erzählt?", fragte ich vorsichtig nach. Angespannt drehte ich mich zu Zander um. Langsam kam dieser auf mich zu und griff nach dem Foto. Seufzend sah er sich das Bild an. "Du kennst meine Familie, aber du hast nie von deiner erzählt", stellte ich betrübt fest.

"Ich wollte dich nicht ausschließen, aber es fällt mir schwer darüber zu sprechen", gestand mein Gefährte. Mit hängendem Kopf, immer noch das Bild anstarrend, setzte er sich auf die Bettkante. Ich folgte ihm und setzte mich daneben. Sanft legte ich meine Hand über seine, die sanft über die Glasscheibe strich. "Das ist das letzte Bild von uns vieren. Ezra war da noch nicht lange bei uns und er hatte sich gerade an unsere Mutter gewöhnt. Fing an zu lächeln." Ein zartes Lächeln wanderte auch über Zanders Gesicht, als er so sprach. Ich hatte diese kurze glückliche Phase in Ezras Gedanken gesehen, aber danach war alles wieder düster geworden. Ich wusste nicht warum. "Sie hatte Krebs. Lungenkrebs. Ihr Wolf war nicht stark genug und niemand hat etwas bemerkt. Als der Krebs entdeckt wurde, war es schon zu spät. Sie hat es nicht überlebt", sprach Zander weiter mit gebrochner Stimme. Eine einzelne Träne lief ihm übers Gesicht und tropfte auf die Glasscheibe. "Mein Vater hat es nicht ertragen, dass seine Gefährtin tot war. Er ist kurz danach von uns gegangen. Die Ärzte sagten es war ein gebrochenes Herz. Danach war Ezra so wie er jetzt ist. Es gab nur noch uns beide. Klar wir wurden von der Alphafamilie aufgenommen, aber ich war noch nicht volljährig und habe mich auf meinen Bruder verlassen, auch wenn wir nicht das selbe Blut haben. Ezra dagegen hat sich komplett zurückgezogen. So glücklich wie damals habe ich ihn nie wieder gesehen. Ich habe innerhalb weniger Monate nicht nur meine Eltern, sondern auch meinen Bruder verloren."

Ich konnte nichts sagen. Was hätte die Situation denn schon besser gemacht. Also nahm ich meinen Gefährten in den Arm. Ich ließ in weinen. Ihn um seine verlorene Familie trauern. Dabei versuchte ich ihm das Gefühl zu geben, dass ich jetzt seine Familie war.

"Ich hatte solche Angst, dass du mich auch verlässt. So wie es alle getan haben. Deswegen bin ich durchgedreht. Bei deiner Familie Zuhause", flüsterte Zander fast unverständlich. Er war immer so stark gewesen. Jetzt erlebte ich ihn das erste Mal schwach und hilflos. Und das war der Moment, in dem wusste ich es einfach. Ich wusste, wie meine Zukunft aussehen würde.

"Ich werde dich nicht verlassen. Nie wieder", sagte ich stark. Mit wässrigen Augen sah Zander mich hoffnungsvoll. Ganz langsam näherte ich mich ihm und küsste ihn. Ganz zaghaft und sanft, als wäre es unser erster Kuss.

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