Kapitel 52

Mir wurde an diesem Tag wirklich bewusst, wie sehr der Kontakt zu meinem Seelengefährten mich beeinflusste. Ich hatte nicht nur gut geschlafen, sondern hatte auch einen wacheren und aufnahmebereiteren Geist. Ich ertappte mich selbst dabei, wie ich verträumt lächelnd in meiner Vorlesung saß. Und als ich nach der Vorlesung durch die Innenstadt schlenderte und mich an der Themse zum Zeichnen hinsetzte, war ich viel fokussierter. Das Zeichnen war nicht mehr meine Droge zur Ablenkung, sondern nur noch mein Hobby, mein Studium. Trotzdem vergaß ich völlig mein Zeitgefühl dabei.

"Zander hatte recht. Du bist unglaublich begabt", riss mich eine männliche Stimme aus meiner Arbeit. Erschrocken sah ich einen jungen Mann mit leuchtenden grünen Augen und schwarzen Haaren an. Die Haare waren kurz geschoren. Tattoos zierten seine Hände, seinen Hals und wahrscheinlich nicht nur seine gesamten Arme, sondern auch den ganzen Oberkörper. Verschmitzt grinsend biss er in einen Apfel und musterte mich. Er war ein Werwolf wie ich. Mit zusammengekniffenen Augen klappte ich meinen Zeichenblock zusammen, dabei behielt ich den Werwolf konstant im Blick.

"Und du bist?", fragte ich herausfordernd. Ich wollte nicht zugeben, dass der Werwolf mir Angst einjagte.

"Ezra. Witzig nicht wahr. Dein Name heißt Glaube und meiner stammt von einer biblischen Figur", grinste er mir zu.

"Faszinierend!", murmelte ich sarkastisch, dabei rollte ich mit den Augen. Jetzt schon grenzt packte ich meine Sachen und stand auf. Mein Plan war Ezra einfach sitzen zu lassen, aber er folgte mir und lief grinsend neben mir her.

"Was willst du?", fragte ich ihn seufzend.

"Zander ist einer meiner engsten Freunde und als er wieder hier aufgetaucht ist, um seine abgehauene Gefährtin zu besuchen, konnte ich nicht Wiederstehen und musste diese Frau einfach kennenlernen", lächelte er mir zu.

"Wieso hat Zander dich nie erwähnt, wenn ich so gute Freunde seit?", wollte ich herausfordernd wissen. Ich glaubte ihm einfach nicht.

"Er redet nicht so gerne über mich. Seine Familie hat mich aufgenommen. Haben mich im Wald gefunden und er ist vom Gefühl her mein Bruder, aber wir könnten nicht unterschiedlicher sein. Mal abgesehen davon, dass ich wohl das schwarze Schaf aus dieser Beta-Familie bin."

"Du willst mir sagen, du wärst sein Bruder, aber er hätte mir nichts von seinem Bruder erzählt, weil du nicht so in die Familie passt?", fragte ich herausfordernd. Ich konnte nicht verhindern, dass ein sarkastisches Lachen meinen Lippen entkam. "Ich habe drei Brüder und eine Schwester. Keine davon sind irgendwie mit mir blutsverwandt trotzdem würde ich meinem Gefährten immer von ihnen erzählen. Denn sie sind meine Familie."

"Meine Güte. Dann benutz doch mal deine Nase", schnaubte Ezra jetzt ebenfalls genervt. Leider musste ich gestehen, dass der Geruch seine Geschichte unterstrich. Ich roch nicht nur Zander ganz deutlich an ihm, sondern auch Betablut. Seinen Stand bekam man durch Ernennung. Ich konnte dieses Blut also nur an ihm riechen, wenn er es in sich trug. Aber da war noch etwas viel tiefer. Verborgen unter dem Familienduft und Geruch des europäischen Rudels. Ein mir seltsam bekannter Geruch. Mit zusammengekniffenen Augen trat ich einen Schritt nähre an ihn heran.

"Ist deine Nase so schlecht, dass du den Beta in mir nicht riechst?", fragte der junge Werwolf herablassend. Ich ließ mich von ihm nicht beirren. Schnell sah ich mich um, bevor ich ihn in eine dunkle Seitengasse zog. Noch bevor er sich beschweren konnte, kratzte ich ihn mit einer meiner Krallen am Arm auf. 

"Was stimmt denn nicht mit dir?", zischte Ezra mir wütend zu. Ich hatte sein Blut an meinen Fingern, während er seinen Arm mit seiner Hand abdeckte. Wütend sah er mich an, während ich nur sein Blut an meinen Fingern anstarrte. Fassungslos starrte ich ihm in die Augen. 

"Gestörte Alte", knurrte der Werwolf mir entgegen, "Was ist denn los mit dir?!"

"Du riechst wie ich", flüsterte ich fassungslos und sah ihm dabei tief in die Augen. 

Plötzlich verstand er mich und begann ebenfalls mich von oben bis unten zu beschnüffeln.

*

"Prinzessin?", hörte ich Zanders Stimme undeutlich von der Tür. Ich sah nicht zu ihm. Im Schneidersitz saß ich auf der braunen Ledercouch. Ezra saß mir gegenüber auf seinem Wohnzimmertisch. Wir waren in seiner Wohnung und starrten uns nur an. Oder zumindest schien es so. Jede Familie hatte ihren eigenen Weg mit Familienmitgliedern im Geiste zu reden. Man hatte diese Verbindung mit seinem Rudel, seinem Gefährten und der Familie. Wir saßen nur da und unterhielten uns. Weder Ezra noch ich, hatten gedacht, wir würden jemals echte Verwandte finden. Eine Familie mit der man übers Blut verwandt war und nicht über eine Adoption.

"Ezra, was macht meine Gefährtin hier?", knurrte Zander wütend seinen Bruder an. Aber wieder ignorierten wir ihn. Nicht absichtlich. Wir hingen nur in den Gedanken des anderen. Wir tauschten Erinnerungen aus. Vor und nach der Adoption. Unsere ganze Kindheit in kleinen bedeutenden Bildern. Ich sah wie Ezra von seiner menschlichen Adoptivfamilie rausgeschmissen wurde, weil er seine Wut nicht im Griff hatte. Er hatte im Wald gelebt und musste seine erste Verwandlung ganz alleine durchmachen. Er wusste nichts über Werwölfe und auch nicht, was nicht mit ihm stimmte. Er dachte, er wäre das Monster, für das alle ihn hielten. Erst nach zwei Jahren hatte Zanders Familie ihn durch Zufall gefunden und ihn aufgenommen. Aber da waren die psychischen Wunden schon zu tief. Er hasste es ein Werwolf zu sein und das ließ er alle spüren. Wie ich wollte er kein Werwolf sein. Aber aus anderen Gründen. Er dachte, er wäre ein widerliches Monster, weil er ein Werwolf war. Ich dachte, man müsste ein Mörder werden, wenn man in einem Rudel sein wollte und damit ein Monster. 

Mit Tränen in den Augen griff ich nach Ezras Händen, die ganz ruhig auf seinen Oberschenkeln lagen. Ich hatte so viel Glück gehabt und hier saß meine letzte verbliebene Familie, wahrscheinlich ein Cousin und er war durch die Hölle gewandert. Es hatte ihn kalt werden lassen. Wahrscheinlich war ich sogar die erste, die wirklich wusste, was in ihm vorging.

"Faith!", brüllte Zander uns an. Erschrocken wurden wir auseinander gerissen. Es war fast schon schmerzhaft wieder zurück in die Realität geschleudert zu werden. Scharf nach Luft schnappend hielt ich mir die Brust.

"Was zum Teufel war das?", fragte Zander uns jetzt ruhiger. Beunruhigt sah er zwischen seinem Adoptivbruder und mir hin und her.

"Sie ist meine Familie", erklärte Ezra plötzlich hart. Abrupt stand er auf und musterte Zander von oben bis unten. "Meine richtige Familie."

Zander verdrehte nur die Augen über das herablassende Verhalten seines Adoptivbruders. 

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