Kapitel 45

Müde öffnete ich die Augen. Der Duft von frisch gekochtem Kaffee stieg mir in die Nase. Noch nicht ganz wach sah ich mich im kleinen Zimmer um. Noch in meinem Schlafanzug schleppte ich mich in die Küche. Italienische Musik plärrte durch das Radio an meine Ohren. Die Fenster waren geöffnet und ließen die Geräusche aus den Straßen Roms in das alte Gebäude dringen. Jack stand an die Anrichte gelehnt neben der Kaffeemaschine und las die Zeitung.

Vor einer Woche waren wir in diese kleine Wohnung gezogen, die für die nächsten zwei Monate uns gehörte. Jeder hatte sein eigenes Schlafzimmer. Wir teilten uns eine kleine Wohnküche und ein Badezimmer. Täglich waren wir unterwegs und besichtigten die antike Stadt. Jack fotografierte alles, was er vor die Linse bekam, während ich stundenlang in irgendwelchen Gebäuden saß und zeichnete. 

Nach Seans Tod und der Trennung von Zander hatte ich kurz gedacht, dass ich nie wieder mit Leidenschaft malen und zeichnen könnte. Aber ich hatte mich geirrt. Das Zeichnen gab mir eine Ruhe und Zufriedenheit, die ich schon fast vergessen hatte.

"Was hast du heute vor?", fragte Jack mich freundliche, während er uns beiden einen Kaffee einschenkte.

"Ich will heute zur Villa Borghese. Die Gärten sollen einfach nur malerisch sein. Das klingt perfekt für mich", erzählte ich aufgeregt.

"Wäre es in Ordnung, wenn ich dich begleite. Dort wollte ich auch noch hin", fragte der Mann aufgeregt.

"Natürlich!", lachte ich. Er erinnerte mich ein bisschen an meinen kleinen Bruder Lewis. Traurig dachte ich zurück an das letzte Treffen mit der Familie zurück. 

"Ich werde ein Jahr in Europa studieren", sprach ich mit fester Stimme.

"Das ist doch wohl ein beschissener Scherz oder?!", stieß Connor wütend aus.

"Nein, ich wurde für ein Stipendium genommen und werde das auch antreten", versuchte ich stark zu bleiben. Evie saß neben mir und warf mir unterstützende Blicke zu.

"Sean ist gerade erst von uns gegangen und jetzt willst du uns auch verlassen?", fragte Kayden erschrocken. Ich hatte schon immer das engste Verhältnis zu ihm gehabt und ihm alles erzählt, aber noch nie hatte er mich so verletzt und enttäuscht angesehen.

"Ich weiß, dass es sehr schwer ist, für euch mich zu verstehen. Ihr leidet genauso wie ich unter dem Verlust von Sean. Aber ich kann damit nicht umgehen. Ich kann mit diesem gesamten Umfeld nicht umgehen. Ich hoffe, dass es besser wird, wenn ich einfach mal komplett rauskomme."

"Du willst also uns, deine Familie einfach zurücklassen, nur weil du nicht über den Tod von Sean hinwegkommst?", fragte Lewis wütend nach.

"Es ist ja schön, dass sein Tod dir egal ist, aber für mich war er wie ein Vater und ich kann nicht so tun, als hätte das nichts bedeutet!", antwortete ich genauso wütend, wie mein kleiner Bruder.

"Für mich war er auch wie ein Vater, aber ich habe ihm im Gegensatz zu dir zugehört. Er hat immer gesagt, man muss dem Blut gegenüber loyal sein. Unserem Blut. Dem Werwolfblut! Wir wissen alle, dass du es hasst eine von uns zu sein. Aber das kann niemand von uns ändern, nicht du, nicht wir und auch nicht Zander und sein Rudel. Trotzdem bestrafst du uns dafür!", brüllte Lewis mich jetzt an, "Was du uns antust ist ja noch ok. Ich kann damit leben, aber was du mit Zander machst, ist einfach nur herzlos! Er ist dein Seelengefährte und kann das nicht ändern. Du machst dich und ihn damit kaputt ihn so von dir zu stoßen. Du rennst nur vor den Problemen weg. Du rennst vor Zander und deinen Gefühlen für ihn weg und das schlimme daran ist, dass du in seine Heimat wegrennst und er dich nicht besuchen oder unterstützen darf. Du bist ein herzloses Miststück!"

Das war das letzte Mal, dass ich mit Lewis gesprochen hatte. Er war nach dem Gespräch aufgesprungen und aus dem Haus gerannt. Er war nicht mehr zurückgekommen, bis ich weg war. Auch zum Verabschieden an den Flughafen war er nicht gekommen. Connor und Kayden heißen es beide nicht gut und hatten die selbe Meinung, wie der jüngst von uns, allerdings waren die beiden wenigstens an den Flughafen gekommen.

Das traurige daran war nicht, dass Lewis nicht gekommen war, sondern dass er recht hatte. Ich rannte weg. Ich war seit einer Woche hier und obwohl es mir die Ruhe gab, die ich brauchte, war ich konstant mit dem Geruch des europäischen Rudels umgeben und es machte mir nichts aus. Damit konnte mir auch Zanders Geruch nichts ausmachen. Ich musste beim Rudel nicht an Seans Tod denken, also wieso bei Zander, River, Summer und Ruby.

"Du hast schon wieder diesen depressiven Blick drauf", meinte Jack liebevoll, während er mich leicht an der Schulter festhielt.

"Alles gut. Nur ein kleiner Anflug von Heimweh", wehrte ich gespielt fröhlich ab.

"Wir hatten das doch schon. Es ist ok, wenn du mir etwas nicht sagen willst, aber anlügen sollst du mich nicht. Und jetzt mach dich fertig, ich will so viel wie möglich Zeit in der Villa verbringen können."

Kopf schüttelnd folgte ich Jack Richtung unserer Zimmer. 

"Und bitte vergiss nicht wieder die Zeit. Irgendwann wird sonst ein Bild von dir verschickt und du kommst nirgendwo mehr rein, weil du ständig von Wärtern rausgebracht werden musst, wenn schon geschlossen ist", lachte Jack mich aus.

"Ich kann doch auch nichts dafür, dass die Kulissen hier so schön sind!", versuchte ich mich mit erhobenen Händen zu erklären.

"Glaub mir, das weiß ich. Ich habe bald meine zweite Speicherkarte voll. Trotzdem schaffe ich es irgendwie immer pünktlich die Gebäude oder das Gelände zu verlassen."

Leider hatte er recht. Ich sollte anfangen mir Wecker zu stellen, damit ich nicht immer raus eskortiert werden musste, weil ich zu vertieft in meiner Arbeit nichts mehr von der Welt um mich herum mitbekam.

Allerdings war bisher nicht ein einziger Wärter wütend gewesen. Sie hatten alle verständnisvoll und fast schon geschmeichelt reagiert, wenn ich mich erklärt hatte. Sie waren sehr stolz auf ihre Kultur und ihre Sehenswürdigkeiten. 

Aufgeregt etwas neues sehen zu können, machte ich mich fertig. Vergessen waren die Gedanken an meine Familie und meinen Gefährten. Für mich würde es die nächsten Stunden nur noch mich und meinen Zeichenblock geben.

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