Kapitel 43
Ich müsste nur noch zwei Monate an der Uni verbringen. Anfang Juli würden Jack und ich schon einen Monat früher nach Italien fliegen, das hatten wir gestern Abend nach unserer Schicht im Laden beschlossen.
Den ersten Monat würden wir in Italien unterrichtet werden und dort wollten wir auch einen Monat früher hin, damit wir das Land in seiner vollen Pracht genießen konnten. Den ganzen Abend über hatten wir uns ausgemalt, was wir alles sehen würden, was wir als erstes besichtigen wollten und was wir alles lernen würden.
Aber gerade in diesem Augenblick stand ich vor einer viel schwierigeren Aufgabe, bevor es für mich nach Europa gehen konnte. Seit geraumer Zeit starrte ich auf mein Handy. Ich musste Ruben anrufen und ihm von meinen, für mich guten, Nachrichten erzählen.
Mit einem tiefen Seufzer überwand ich meine Angst und drückte endlich auf die Nummer. Noch bevor ich es mir anders überlegen konnte, hob Ruben schon ab.
"Hallo Faith, mein Kind. Wie geht es dir?", fragte mein Adoptivvater mit fröhlicher Stimme. Ich hatte mich seit dem ich ihn das letzte Mal im Café gesehen hatte, nicht mehr gemeldet. Wahrscheinlich dachte er, dass ich ihn besuchen kommen wollte oder war einfach nur froh endlich wieder ein Lebenszeichen von mir zu erhalten.
"Mir geht es gut und dir?", fragte ich grinsend nach.
"Mir geht es auch gut. Uns allen, um genau zu sein. Du solltest über das Wochenende vorbeikommen. Wir vermissen dich hier", schlug Ruben vor.
"Nein, tut mir leid. Ich werde nicht vorbeikommen, aber ich vermisse euch auch. Ich rufe an, weil ich eine Rückmeldung von dem Stipendium für das Auslandsjahr habe."
Ich hörte einen niedergeschlagenen, langen Seufzer aus dem Hörer, bevor Ruben etwas sagte. "Du wurdest genommen nicht wahr?", fragte er traurig nach.
"Ja, das wurde ich", antwortete ich ganz leise.
"Ich freue mich für dich, glaub mir das. Aber ich finde es trotzdem nicht gut. Aber egal was ich denke, ich werde Alpha James anrufen und darum bitten, dass du nach Europa darfst. Es sollte kein Problem sein, wenn man bedenkt, dass seine Kinder hier waren. Bitte denk daran, wenn du in England bist, musst du ihm einen Besuch abstatten. Es wäre unhöflich, wenn er dich in sein Land lässt und du gewährst ihm keine Anerkennung. Egal, wie schwer ihr Geruch und ihre Gesichter für dich sind, das musst du tun!", erklärte Ruben eindringlich.
"Ja, ich weiß", antwortete ich, "Aber ich werde erst nach sechs Monaten oder so in England sein. Bis dahin habe ich mich genügend an den Geruch gewöhnt. Ich werde das schaffen und Alpha James mit seiner Familie nicht vor den Kopf stoßen, das verspreche ich dir."
"Nun gut", meinte er unzufrieden, "Wann willst du es deinen Geschwistern sagen?"
"Noch nicht. Sie würden es mir ausreden. Ich habe noch zwei Monate an meiner Uni und diese möchte ich nicht mit ständigen Diskussionen verbringen. Ist das in Ordnung für dich?"
"Ja, ist es. Ich werde mich um alles kümmern, mach dir keine Gedanken. Und du lern schon mal ein paar europäische Sprachen, damit du dich nicht wie eine Idiotin in jedem Land verhältst", ich hörte ein leichtes Lächeln aus der Stimme meines Vaters heraus.
"Mach ich. Wir hören von einander. Hab dich lieb", meinte ich ebenfalls lächelnd.
"Ich habe dich auch lieb", meinte er noch, bevor Ruben auflegte.
Zufrieden lächelnd legte ich mein Handy weg. Es war besser gelaufen, als erwartet. Aber eigentlich hätte mir das klar sein müssen. Ruben hatte uns Kinder immer bei jeder Entscheidung unterstützt, egal wie fürchterlich er sie auch fand. Wenn er das Gefühl hatte, es wäre gut für uns und würde uns in unserem persönlichen Weg weiter bringen, dann würde er es unterstützen.
Immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen machte ich mich auf den Weg zu meiner nächsten Vorlesung.
"Erbse!", brüllte jemand hinter mir. Erschrocken drehte ich mich um und sah meine Schwester vor mir stehen. Schnell sah ich mich weiter um. Ihre Gefährtin, sowie die anderen Rudelmitglieder waren nicht dabei.
"Mach dir keine Gedanken, sie sind alle in Vorlesungen oder Zuhause", beruhigte Evie mich, "Ich wollte einfach mal wieder mit dir reden. Lass uns einen Kaffee trinken gehen."
"Evie, ich weiß nicht", murmelte ich unentschlossen. Aber Evie ließ nicht mit sich reden. Sie zog mich einfach hinter sich her.
Angekommen im Café schob sie mich auf einen Stuhl und bestellte bei der netten Kellnerin für uns beide.
"Wie geht es dir?", fragte Evie freundlich. Lächelnd sah sie mich an.
"Gut und dir?", antwortete ich verwirrt. Ich verstand nicht ganz, was sie von mir wollte.
"Mir geht es gut. Dir ganz bestimmt nicht", gab meine Schwester zurück, "Du musst leiden. Wann hast du das letzte Mal mit deinem Gefährten gesprochen oder ihn gesehen?"
Ich zuckte nur mit den Schultern.
"Ich bin deine Schwester. Ich kenne dich, also lüg mich nicht an. Also wann hast du das letzte Mal richtig geschlafen?", fragte Evie fürsorglich.
"Keine Ahnung", murmelte ich.
"Ich war zwischendurch immer mal wieder in der Wohnung. Es stinkt nach Bleiche und Putzmitteln. Wie oft schrubbst du alles?", fragte Evie weiter, "Ich war aus in deinem Zimmer. Alles steht voll mit Büchern. Du arbeitest mehr Stunden als vorher, lernst ununterbrochen und wenn du Freizeit hast, putzt du eine schon saubere Wohnung. Also wann hast du das letzte Mal wirklich acht Stunden durchgeschlafen?"
"Vor Seans Tod", gestand ich leise.
"Also als du mit Zander auch das letzte Mal in einem Bett geschlafen hast. Als ihr das letzte Mal normal miteinander geredet habt", schlussfolgerte meine Schwester, "Du musst mit ihm reden. Das klären. Du machst dich noch kaputt." Besorgt sah sie mich an.
"Evie, ich muss jetzt in die Vorlesung", versuchte ich der Unterhaltung zu entkommen.
"Nein, musst du nicht. Du hast heute keine Vorlesungen und arbeiten musst du auch nicht. Ich habe mich mit Jack unterhalten."
Erschrocken sah ich sie an. Jack hatte ihr hoffentlich nichts erzählt.
"Ja, er hat es mir gesagt", meinte sie säuerlich, "Es tat weh es von einem Außenstehenden erfahren zu müssen. Und deswegen sage ich dir, dass du mit Zander reden musst. Ich werde niemandem etwas verraten. Ich hoffe du weißt, was du da tust."
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