Kapitel 42

Seit meinem Gespräch mit Ruben hatte ich mich von allen Kontakten losgelöst. Ich antwortete nur unregelmäßig auf Nachrichten von meinen Geschwistern. Mit River und seinem Rudel hatte ich überhaupt keinen Kontakt mehr. Ich sah sie zwar manchmal, aber lief dann immer schnell in die andere Richtung. Mein Alltag bestand eigentlich nur noch aus Vorlesungen, meiner Arbeit in der Bücherei und dem Lernen Zuhause in meinem Zimmer. Der einzige menschliche Kontakt den ich wirklich pflegte, war der zu Jack. Allerdings mehr, weil wir auch zusammen arbeiteten und ich ihm somit nicht auch noch aus dem Weg gehen konnte.

Ohne Zander fühlte ich mich komplett leer und nutzlos. Als hätte mein Leben überhaupt keinen Sinn mehr. Ich konnte nicht mehr richtig schlafen und verbrachte dadurch noch mehr Zeit mit dem Lernen. Appetit verspürte ich auch nur noch wenig. Ich musste mich regelrecht zum Essen zwingen. Mir war klar gewesen, dass die Trennung von meinem Seelengefährten Folgen für mich haben würde, aber mir war nicht bewusst gewesen, dass die Folgen so verheerend sein würden.

"Hey, Faith", begrüßte Jack mich fröhlich, als ich den kleinen Laden betrat, in dem wir gemeinsam arbeiteten. Müde lächelte ich ihm zu. Seufzend sah er mich an. Das Mitleid in seinen Augen war förmlich greifbar.

"Ich dachte wirklich, dass es das beste gewesen wäre, wenn du dich von ihm trennst. Ich dachte, dann würde es dir besser gehen und du würdest über den Verlust von deinem Onkel schneller hinweg kommen. Aber du siehst jeden Tag schlimmer aus. Du bist bleich, hast abgenommen und  von deinen Augenringen möchte ich gar nicht erst anfangen!", gab mein mittlerweile bester Freund zum Besten.

"So schlimm ist es nicht", murmelte ich und versuchte ihn anzulächeln.

"Lüg mich nicht an", schnaubte Jack gereizt, "Du leidest, das sieht sogar ein Blinder. Und er im übrigen auch! Ihr müsst miteinander reden und das irgendwie aus der Welt schaffen. Egal, was das zwischen euch ist. Ihr gehört zusammen und nur mit ihm wird es dir wirklich wieder gut gehen!"

"Das kann ich nicht", seufzte ich, "Glaub mir. Ich würde gerne, aber ich kann einfach nicht."

"Aber warum nicht?", verwirrt zog Jack mich in einen der hinteren Bereiche des Ladens. Er reichte mir einen Staubwedel und wir fingen an die Regale zu reinigen. Oder zumindest taten wir so, als würden wir arbeiten. "Was hat er so schlimmes getan? Hat er dich betrogen?", fragte Jack nach.

"Nein!", schüttelte ich energisch den Kopf, "So etwas würde Zander niemals tun."

"Was hat er dann so schreckliches getan, dass du ihm nicht verzeihen kannst?"

"Er ist für den Tod von meinem Onkel verantwortlich", flüsterte ich so leise wie nur möglich. Durch die minutenlange Stille dachte ich fast, dass Jack mich nicht gehört hatte, aber dann sprach er plötzlich.

"Hat er das Auto gefahren, in dem dein Onkel gestorben ist?", fragte er nach.

"Nein", sagte ich wieder. Ich hatte Jack die offizielle Version erzählt, dass Sean bei einem Autounfall im Schnee gestorben war und nicht das er erschossen wurde.

"Hatte er direkte Schuld an dem Tod?", hakte Jack wieder nach.

Wieder schüttelte ich den Kopf und verneinte die Frage.

"Dann hat er auch keine Schuld und du kannst ihm verzeihen. So einfach ist das", zuckte er mit den Schultern.

"So einfach ist das nicht. Denkst du ich wüsste nicht, dass Zander eigentlich nichts für den Tod von Sean kann?! Natürlich ist mir das bewusst, aber sobald ich ihm in die Augen sehe, kann ich plötzlich nur noch daran denken", flüsterte ich Jack zu.

"Dir ist wirklich nicht mehr zu helfen", schnaubte Jack und ließ mich alleine stehen, während er einem Kunden half, der soeben den Laden betreten hatte.

Ja, Jack hatte recht, aber ich musste Zander endlich hinter mir lassen. Es waren zwei Wochen seit dem Gespräch mit Ruben vergangen und mit jedem Tag der Trennung ging es mir schlimmer. Ich versuchte das Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Endlich einen Tag zu haben, an dem ich merkte, dass es wieder Berg auf ging und ich wieder anfangen konnte mein Leben zu genießen. Mir eine Zukunft ausmalen konnte, eine Zukunft, in der es nicht mehr schlimm war, wenn Zander kein Teil davon sein würde.

Nachdem ich die Regale abgestaubt hatte, lief ich ins Lager wo bereits eine Liste mit Sachen hing, die erledigt werden musste. Die neuen Bücher mussten eingeräumt werden. Außerdem waren viele Leihbücher zurück gegeben worden, die ebenfalls wieder ihren Platz in den Regalen finden sollten. Ich zog den vollbeladenen Wagen mit Büchern aus dem Lager und machte mich daran die alten Bücher einzusortieren.

Das Vibrieren meines Handys ließ mich meine Arbeit unterbrechen. Neugierig sah ich auf den Bildschirm, der mir eine neue Mail ankündigte. Aufgeregt entsperrte ich den Bildschirm und rief die neu E-Mail ab.

Aufgeregt stieß ich einen kleinen Schrei aus. Schnell hielt ich mir den Mund zu, aber Jack hatte es schon gehört. Panisch kam er angerannt. In der Hand hielt er einen der Regenschirme, die wir ebenfalls verkauften. Er hielt ihn wie eine Waffe, mit der er jemanden schlagen wollte.

Kichernd sah ich ihn an.

"Was ist los?", fragte Jack nach und versuchte so unauffällig wie möglich den Regenschirm zu senken und hinter seinem Rücken zu verstecken.

"Wolltest du mich ernsthaft mit einem Regenschirm verteidigen?", kicherte ich weiter. Ein Grinsen breitete sich auf Jacks Gesicht aus.

"Es ist schön dich mal wieder lachen zu hören", meinte er immer noch glücklich. Und er hatte Recht es war mindestens drei Wochen her, seit dem ich das letzte Mal einfach eine Situation genossen hatte und gelacht hatte.

"Finde ich auch", nickte ich immer noch mit einem zarten Lächeln auf den Lippen.

"Also was war los?", fragte Jack etwas entspannter nach.

"Drei Mal darfst du raten, wer mit dir gemeinsam nach Europa kommt", grinste ich meinem Freund breit zu. Geschockt ließ Jack den Regenschirm fallen. 

"Nicht im Ernst?", fragte er fassungslos nach.

"Doch", kicherte ich. Eine Freudenträne kullerte mir über die Wange. Mit einem strahlenden Lächelnd kam Jack auf mich zu und hob mich in eine innige Umarmung hoch. Lachend wirbelte er mich einmal im Kreis, bevor er mich vorsichtig wieder auf meine Füße absetzte.

"Das ist ja unglaublich! Du weißt gar nicht, wie sehr ich mich gerade freue!", strahlte Jack mich an. Aber ich konnte es mir vorstellen. Denn was ich empfand war noch viel intensiver. So glücklich war ich seit Wochen nicht mehr gewesen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top