Kapitel 36

Ich hatte nicht gewusst, dass ich meiner Familie solche Sorgen bereiten konnte. Natürlich hatte ich mitbekommen, dass sie versucht hatten mich mental zu erreichen, aber ich hatte sie immer abgeblockt. Ich hatte nie etwas gehört, von dem, was sie versucht hatten, mir zu sagen.

Mir war bewusst, dass ich die Beerdigung von Sean verpasst hatte. Aber bei dieser Lüge wollte und konnte ich nicht dabei sein. Es wäre ein schwerer Autounfall aufgrund von der nassen Straße gewesen, hatte meine Familie behauptet. Die anderen Rudelmitglieder hatten es erzählt. 

Zanders Umarmung beruhigte mich. Ich hatte ihn vermisste, sehr sogar. Leicht lehnte ich mich zurück und sah ihm in die dunkelblauen Augen. Ich sah in traurige, müde Augen. Ich hatte meinen Gefährten mit meinen Taten leiden lassen. Und obwohl mir der Gedanke so sehr widerstrebte und mich sogar selbst schmerzte, kam ich nicht darum herum noch etwas anderes - etwas ganz anderes zu spüren, als ich in Zanders Augen sah.

Verunsichert durch meine eigenen Gefühle entzog ich mich der wärmenden Umarmung und lief an meiner Familie vorbei, hoch in mein Zimmer. Die Dusche war mein Ziel. Ich wollte den ganzen Schmutz und Dreck von meinem Körper bekommen.

Aber unter der Dusche trat das wohltuende Gefühl nicht ein. Salzige Tränen vermischten sich mit dem Wasser, aus dem Duschkopf. Der Gedanke an Sean Tod, wie er in meinen Armen gestorben war, überkam mich wieder einmal so intensiv, als wäre es gerade erst vor ein paar Minuten passiert. Ich hatte das Gefühl, als könnte ich nicht mehr atmen. Hier stand ich nun in seinem Haus. Sean hatte dieses Haus zusammen mit Ruben, Harvey und dem Rudel gebaut. Sie hatten es für uns Kinder gebaut und trotzdem waren wir nicht einmal in der Lage gewesen ihm zu helfen. Ihn zu retten. Ich kam mir vor wie eine Heuchlerin. Eine Enttäuschung für Sean.

Dabei war es nicht meine Schuld. Von keinem von uns. Wir hatten nichts tun können, egal wie sehr ich es mir auch wünschte. 

Seufzend schloss ich die Augen. Ich saß mittlerweile auf dem Boden der Dusche. Tränen strömten unaufhaltsam meine Wangen herunter. Ich hatte einen meiner engsten Vertrauten verloren. Einen meiner besten Freunde. Und ich wusste einfach nicht, wie ich mit diesem Schmerz jemals zurecht kommen sollte. Wie ich jemals wieder das Gefühl haben könnte, mich vollständig zu fühlen. So als würde nicht ein Teil meiner selbst fehlen. Ein fröhlicher, hyperaktiver, singender und tanzender Teil.

"Faith? Ist alles in Ordnung?", hörte ich Zanders gedämpfte Stimme vor der Badezimmertür. Natürlich konnte er meine Schluchzer hören und meine salzigen Tränen riechen. Trotzdem behauptete ich, dass alles in Ordnung sei.

Ich versuchte wieder meine Fassung zu finden, bevor ich fertig geduscht und angezogen das Bad wieder verließ.

Zander saß auf dem Bett. Er starrte auf seine gefalteten Hände in seinem Schoß, aber als ich mein Zimmer betrat, schaute er sofort auf. Ein feines Lächeln zierte sein Gesicht und sah mehr erzwungen, als ernstzunehmend aus. Zander kam vorsichtig auf mich zu. Beinahe unmerklich zuckte ich vor ihm zurück, aber Zander sah es trotzdem. Traurig sah er mich an. Es war, als hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst, mit meiner kleinen Bewegung. Er trat wieder von mir weg. Den Tränen nahe schlang ich meine Arme, um mich selbst. Ich konnte nicht länger in diese traurigen Augen sehen und wand meinen Blick nach unten ab.

"Faith, bitte sag mir, wie ich dir helfen kann", flüsterte mein Gefährte mir betroffen zu.

Ich war mir nicht sicher, ob ich meinen Wunsch wirklich äußern sollte, es würde Zander nur noch mehr verletzten. Aber vielleicht konnte es mir helfen, mit all diesen Gefühlen, die mich zu übermannen drohten, fertig zu werden.

"Bitte lass mich alleine", flüsterte ich nach einer kleinen Pause. Vorsichtig sah ich wieder nach oben in seine Augen.

"Was?", fragte Zander jetzt etwas lauter. Schockiert sah er mich an. Er konnte nicht verstehen, was ich das gerade gesagt hatte.

"Bitte lass mich alleine", flüsterte ich wieder, "Ich kann das nicht. Ich kann hier nicht mit dir sitzen."

"Aber warum nicht?", fragte Zander immer noch verständnislos, "Faith, du bist meine Seelengefährtin. Ich werde immer für dich da sein und ich werde dir immer helfen. Ich will dir auch jetzt helfen. Bitte schließ mich nicht aus!"

Flehend sah Zander mich an. Wieder kam er einen Schritt auf mich zu. Dieses Mal griff er nach meinen Händen und nahm diese in seine. Das bekannte Kribbeln breitete sich in meinen Händen aus. Dieses Gefühl sollte mich eigentlich beruhigen. Mich ablenken und das Gefühl von Geborgenheit schaffen. Aber das tat es nicht. Dieses Mal nicht.

"Ich kann einfach nicht mit dir darüber reden. Bitte versteh und akzeptiere das", versuchte ich meinem Gefährten die Situation klar zu machen.

"Aber warum nicht? Du konntest doch vorher mit mir über alles reden. Was ist jetzt anders?"

"Ich kann es einfach nicht. Ich kann und will nicht mit dir hier sein. In einem Raum. Ich will nicht mit dir reden und ich will schon gar nicht mit dir über meiner Entscheidung diskutieren", erklärte ich nachdrücklich. Müde entzog ich Zander meine Hände und entfernte mich wieder einige Schritte von meinem Gefährten.

"Das kann doch nicht dein Ernst sein!", meinte er ernst, "Ich bin dein Gefährte. Warum kannst du plötzlich nicht einmal mehr mit mir in einem Raum sitzen? Ich kann verstehen, wenn du nicht reden willst, aber warum kann ich nicht einmal mehr in deinem Zimmer sein?"

Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte er mich, als würde etwas nicht mit mir stimmen. Das war wahrscheinlich auch der Fall, aber in diesem Augenblick machte es mich nur noch wütender. Warum konnte er mir nicht einfach meinen Freiraum lassen?!

"Erklär es mir!", forderte Zander wieder, "Warum kannst du nicht mit mir in einem Raum sein?"

"Weil ich jedes Mal, wenn ich in deine Augen sehe, daran erinnert werde, dass Sean noch leben würde, wenn du und dein Alpha niemals in unser Leben getreten wärt!", brach es laut aus mir heraus, "Wenn Alpha James nicht seine Kinder und Ruby und dich zu uns gebracht hätte, dann wären wir niemals angegriffen worden und dann würde Sean jetzt noch leben. Er würde singend unten in der Küche stehen und kochen. Aber das tut er jetzt nicht mehr. Das wird er nie wieder tun. Und das ist eure Schuld!"

Wütend wischte ich mir die Tränen von den Wangen und sah Zander schmerzlich an. Alles war aus seinem Gesicht gefallen, als er meine Worte gehört hatte. Wahrscheinlich hatte das ganze Haus meine Worte gehört, aber das war mir egal. Das waren meine Gefühle.


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