Kapitel 2
"Evie, das ist doch nicht dein Ernst? Du kannst doch nicht all deine Vorlesungen verschlafen, nur um jetzt feiern zu gehen!", versuchte ich meine Schwester aufzuhalten, auch wenn ich schon wusste, dass es keinen Sinn hatte. Ich würde sie erst am nächsten Morgen oder sogar erst Mittag wieder sehen.
"Du kannst ja mitkommen und auf mich aufpassen", kicherte Evie.
Ich schüttelte nur den Kopf und hielt mein Buch über Kunstgeschichte hoch.
"Ich muss noch eine Hausarbeit schreiben", erklärte ich leise.
"Und wann musst du die abgeben? Garantiert nicht vor Montag, also komm doch einfach mal mit", versuchte Evie mich zu überreden.
"Ich werde nichts dagegen sagen, dass du nicht zu deinen Vorlesungen gehst und dafür jede Nacht am Feiern bist, wenn du mich einfach in Ruhe Zuhause bleiben lässt", schlug ich den Kompromiss vor.
"Was auch immer du willst", meinte meine Schwester Schulter zuckend und verließ unsere kleine Wohnung.
Gerade in diesen Situationen zeigte sich mir, dass wir wirklich nichts teilten. Die Entwicklung unserer Persönlichkeiten wurde mehr durch unsere Gene geprägt, als durch unsere gemeinsame Erziehung.
Aber so konnte ich immerhin einen ruhigen Abend verbringen. Mit einem Glas Rotwein setzte ich mich vor meinen Laptop und arbeitete an der Hausarbeit. Zumindest war das der Plan, bis mich das Klingeln meines Telefons mal wieder von der Arbeit abhielt.
"Connor hat mir erzählt, dass Evie nicht in ihre Vorlesungen geht und du abends nichts mit Freunden unternimmst", brummte Kayden ins Telefon.
"Dir auch einen schönen Abend. Wie geht es dir, Bruderherz?", fragte ich freundlich.
"Tut mir leid, Faith", seufzte der älteste von uns fünf, "Mir geht es gut. Ruben macht ein bisschen Stress. Ein paar Rogues versuchen im Norden Unruhe zu stiften. Wir mussten gemeinsam mit den Hexen die Lage regeln, bevor es zu schlimm wurde. Sie haben sich verbündet, um als ein Rudel zu agieren. Ich musste meine Werkstatt dafür für zwei Wochen schließen. Das hat nur leider wieder aufsehen erregt. Sie finden unsere Familie eh schon seltsam. Drei Männer, die gemeinsam fünf Kinder aufziehen. Ich musste mir eine Ausrede ausdenken. Also habe ich erzählt, dass du einen Autounfall hattest. Wir waren dich in der Stadt besuchen. Nur damit du Bescheid weißt, wenn du mal wieder nach Hause kommst."
"Ok, danke, dass du mir das gesagt hast. Irgendwelche Details über meinen Unfall?"
"Du bist nachts von der Straße abgekommen und in einen Baum gefahren. Wir dachten es wäre sehr Ernst und haben alles stehen und liegen lassen, um zu dir zu kommen. Aber du hattest Glück im Unglück und bist mit ein paar blauen Flecken und einer Gehirnerschütterung davon gekommen."
"Das werde ich mir merken."
"Also jetzt zu dir. Warum bist du nicht mit Evie feiern und versuch erst gar nicht zu behaupten, sie wäre nicht feiern. Ich habe euch zum Teil mit aufgezogen. Du kannst mich nicht belügen und ich kenne Evie. Ich werde mit ihr über das ganze Schwänzen und feiern reden, wenn sie wieder hier ist."
"Ich will mich von meinem Studium nicht ablenken lassen. Außerdem brauche ich die Enttäuschung einer menschlichen Beziehung nicht mehr. Ich hasse es meine Freunde oder sogar meinen Partner zu belügen. Das was wir andauernd tun müssen. Ich meine, du hast mich gerade noch über meinen eigenen Autounfall aufgeklärt. So etwas will ich nicht mehr. Lügen zerstören nur Beziehungen."
"Aber du kannst doch trotzdem abends mit deiner Schwester zusammen ausgehen. Einfach Spaß haben und dein Leben genießen, bevor du erwachsen bist. Dann gibt es nur mehr Verpflichtungen im Rudel und einen Job. Vielleicht irgendwann ein Mann und Kinder. Was ich versuche zu sagen ist, ich liebe dich über alles, Faith, aber manchmal musst über deinen eigenen Schatten springen und einfach dein Leben leben. Du kannst nicht ewig auf deinen Seelengefährten warten. Es gibt kaum noch echte Gefährten. Es kann also gut sein, dass du einen menschlichen Partner am Ende hast. Das ist nichts schlimmes, aber freunde dich trotzdem schon mit dem Gedanken an."
"Ich weiß. Seelengefährten sind so gut wie ausgestorben. Wir werden mehr und mehr zu normalen Menschen."
"Das ist doch der Plan", brummte Kayden missmutig, "Verwandelst du dich regelmäßig?"
"Ja, einmal die Woche, so wie Ruben es wollte."
"Läufst du zusammen mit Evie?"
"Meistens, aber nicht immer. Wir haben unterschiedliche Tagesabläufe."
"Wieso erreichen wir sie nie? Ruben muss immer anrufen, damit man sie überhaupt mal zu sprechen bekommt."
"Ich wohne mit ihr zusammen und spreche auch kaum mit ihr. Sie liebt ihr unabhängiges Leben. Bei Ruben hat sie sich immer eingesperrt gefühlt, jetzt nutzt sie ihre Freiheit aus. Das ist doch was du bei mir immer willst, wieso ist es bei ihr dann nicht gut?", fragte ich lachend.
"Ja, aber bei dir muss ich mir keine Gedanken machen. Bei Evie weiß man nie, ob sie nicht was dummes anstellt und wir sie am nächsten Morgen auf der Polizeistation oder im Krankenhaus einsammeln müssen."
"Du übertreibst. Sie kann sehr gut auf sich selbst aufpassen. Dafür haben Harvey, Ruben und du schon gesorgt. In unserem Haus muss man doch sogar kämpfen, um etwas zu Essen zu bekommen."
Lachend stimmte Kayden mir zu.
"Wann kommst du mal wieder zu besuch. Evie war ein paar mal hier. Aber seit dem du vor einem Jahr dein Studium begonnen hast, warst du nicht einmal hier. Keine Football Spiele von Lewis, Geburtstage, Weihnachten, nicht mal beim jährlichen Rudeltreffen warst du dabei."
"Ich weiß es nicht. Ich schaffe es einfach nicht. Jedes Mal wenn ich Zuhause bin, betrete ich eine andere Welt. Die Menschlichkeit ist nebensächlich und andauernd stirbt jemand oder wird umgebracht. Ich will kein Teil mehr von diesem Blut vergießen sein und das weißt du."
"Wir sind deine Familie und das werden wir auch immer bleiben. Ich weiß, dass dir unsere Art zu Leben nicht zusagt, aber es muss sein. Das Blut vergießen muss sein, wenn wir überleben wollen und unsere Existenz geheim halten wollen", erklärte Kayden monoton.
"Ich weiß, dass ihr meine Familie seid und ich liebe euch. Aber es wäre alles so viel einfacher, wenn wir keine Werwölfe wären", seufzte ich.
"Das sind wir nun mal. Und beim nächsten Rudeltreffen in zwei Wochen bist du dabei. Ich werde dich persönlich abholen und herbringen, wenn du denkst du könntest dich irgendwie davor drücken", erklärte mein Bruder uneinsichtig.
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