Kapitel 16
Zärtlich strich der Fremde mit zwei Fingern über meine Wange. Diesen liebevollen Blick, den er mir zuwarf, so hatte ich es mir immer vorgestellt. Es war einfach unglaublich. Ich wollte ihn sofort küssen und für immer an mich binden.
Erstickend schnappte ich nach Luft und riss mich selbst aus meiner Trance. Denn mir wurde etwas bewusst. Geschmeidig duckte ich mich unter dem Griff des Mannes weg und lief auf Kayden zu. Besorgt musterte ich seinen Hals, der sich bereits leicht lila färbte.
"Warum hast du meinem Bruder das angetan?", fragte ich entsetzt. Vorwurfsvoll sah ich meinen Gefährten an.
"Deinem Bruder?!", fragte dieser perplex.
"Ja, meinem Bruder?!", betonte ich gereizter.
"Eh, Faith, das ist Zander mein zukünftiger Stellvertreter", brachte River sich in die seltsame Situation ein, "Zander, das ist Faith, die jüngste Tochter von Ruben und damit die Schwester von Kayden, Connor und Lewis. Und Evie, aber die wirst du weniger als eine Bedrohung wahrnehmen. Sie sind alle adoptiert. Deswegen riechen sie auch nicht gleich."
"Deswegen dachte ich, Kayden hätte etwas mit meiner Gefährtin. Ich habe nicht damit gerechnet, dass sie seine Schwester sein könnte", erklärte Zander sich die Situation selbst.
"Schön. Schön", nuschelte ich. Die Müdigkeit übermannte mich wieder.
"Komm, wir bringen dich ins Bett, Erbse", meinte Kayden sofort, "Connor, kannst du noch eine Wasserflasche aus der Küche holen."
Kayden hob mich gerade hoch, um mich in mein Zimmer zu tragen, da wurde er von einem bedrohlichen Knurren unterbrochen.
"Tut mir leid, Bruder oder nicht. Mein Wolf lässt nicht zu, dass du unser Gefährtin trägst", sagte Zander. Zielstrebig kam er auf uns zu und hob mich sanft aus dem Griff meines Bruders. "Zeigt mir einfach wo ich hin muss."
Mir war, in meinem betrunkenen Zustand ziemlich egal, was um mich herum passierte, solange ich bald ins Bett kommen würde. Kayden lief vor, während Connor uns mit der Wasserflasche in der Hand folgte.
"Das ist ihr Zimmer", sagte Kayden leise, "Gegenüber ist deins."
Connor stellte noch die Wasserflasche ab, dann ließen meine Brüder mich mit meinem Seelengefährten alleine. Wäre ich nüchtern, wüsste ich jetzt wahrscheinlich nicht, was ich sagen sollte. Würde wahrscheinlich sogar nur rot anlaufen und vor Scham nichts sagen.
"Du hättest ihn nicht gleich würgen müssen", flüsterte ich. Behutsam legte Zander mich auf meine Matratze. Ich rechnete es ihm hoch an, dass er nicht versuchte mich auszuziehen, sondern nur meine Schuhe auszog und dann meine Decke über mich zog.
"Tut mir leid. Mein Wolf war plötzlich unglaublich eifersüchtig und ich konnte die Kontrolle nicht behalten. Ich wusste nicht, dass es dein Bruder war", entschuldigte Zander sich.
"Du riechst so gut", seufzte ich verträumt.
"Und du bist betrunken", lachte mein Gefährte sanft.
"Ich weiß", kicherte ich, wie ein fünf jährige.
"Guten Nacht, Darling", antwortete Zander. Er wollte gerade gehen, da bekam ich noch seine Hand zu fassen. Es war, als würde ein elektrischer Schlag durch meinen ganzen Körper fahren.
"Bitte bleib hier", hauchte ich leise.
"Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee wäre", wehrte Zander sofort ab, "Außerdem was würden deine Brüder und dein Vater dazu sagen?"
"Nichts, du bist mein Gefährte und Summer teilt sich mit Evie auch ein Zimmer, seit dem sie hier ist. Bitte."
"Na gut", gab Zander sich geschlagen. Auch er zog sich bloß die Schuhe aus und kam dann zu mir unter die Decke gekrochen. Augenblicklich kuschelte ich mich an seinen harten Körper, der vor Hitze nur so strahlte.
*
Mit entsetzlichen Migränen erwachte ich aus meinem angenehmen Schlaf. Es brauchte ein paar Minuten bis ich mich an alle Ereignisse des letzten Tages erinnerte. Entsetzt über mein eigenes schamloses Verhalten schlug ich mir gegen die Stirn, was nur noch mehr Schmerzen verursachte, wie ich stöhnend feststellen musste. Mein Bett roch immer noch nach Zander, aber zu meiner großen Enttäuschung war er nicht mehr in meinem Zimmer. Als ich auf die Uhr sah, wurde mir auch klar warum. Es war bereits drei Uhr nachmittags.
Nach einer schnellen Dusche schlüpfte ich in bequeme Schlabberklamotten und schlurfte so nach unten in die Küche. Auf meinem gesamten Weg durch das Haus hatte ich nicht eine Person getroffen. Es verwirrte mich zwar, aber ich konnte meine Ruhe jetzt gut gebrauchen. In der Küche standen noch immer Überreste des gestrigen Festmahls. Ich schnappte mir ein paar der Köstlichkeiten und verschwand dann mit einer Tasse Kaffee wieder in Richtung meines Zimmers.
"Ich dachte schon du kommst überhaupt nicht mehr zurück", hörte ich die gereizte Stimme meiner Schwester, als ich wieder ins Zimmer kam. Evie lag auf dem Bauch auf meinem Bett und sah mich erwartungsvoll an. Ihr Gesicht war bleich, abgesehen von ihren Augen, die von roten, aufgequollenen Augenliedern umrahmt wurden.
"Tut mir leid, ich weiß, ich bin fürchterlich", seufzte Evie nieder geschlagen.
"Wie geht es dir?", fragte ich vorsichtig nach.
"Es hätte so einfach sein können, aber sie ist so verdammt stur. Summer will nicht verstehen, dass das alles für mich nicht so leicht ist. Ich hatte noch nie eine Beziehung zu einer Frau und ich empfinde etwas für Alec. Sie begreift nicht, dass ich mich nicht so leichtfertig von Alec trennen kann und will, nur weil sie jetzt aufgetaucht ist", beschwerte meine Schwester sich. Ich sah ihr an, wie Kräfte raubend das ganze Streiten für sie war. Beim näheren betrachten ihres Gesichts, sah ich die dunklen Ringe unter ihren Augen. Ihre Haare hatte ich noch nie so unordentlich und zerpflückt gesehen. Ihre Kleidung war zerknittert und sie hatte diese wahrscheinlich nicht mehr gewechselt, seit dem Summer angekommen war.
"Zum Glück sind alle weg. Ruben und James wollten mit den anderen in Wolfsform laufen gehen. Ich brauchte mal eine Pause von Summer. Es ist also ganz gut, dass sie mitgegangen ist."
"Aber willst du es denn nicht mit ihr probieren?", fragte ich nach. Nachdem ich gestern Zander getroffen hatte und die Anziehungskraft gespürt hatte, wusste ich nicht, wie Evie sie sich so sehr mit Summer streiten konnte. Aber Evie war wirklich stur. Und wenn Summer das ebenfalls war, so wie Evie es beschrieb, dann war es kein Wunder, dass sie so viel streiten konnten.
"Ich weiß es nicht", antwortete Evie erschöpft und drehte sich auf den Rücken. Nachdem ich meine Kaffeetasse abgestellt hatte, legte ich mich neben sie auf den Rücken. Gemeinsam starrten wir die Decke an.
"Im einen Moment will ich sie einfach nur küssen und alles vergessen und es einfach versuchen und im nächsten könnte ich sie einfach nur erwürgen und mein Leben glücklich mit Alec verbringen", gestand Evie mir.
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