Kapitel 12 Der schlimmste Albtraum

Rückblick, Juli 1975

Der Tag, an dem sich Ala Scamanders Leben für immer änderte, begann als ein ganz normaler Tag mitten in der Woche. In einem Monat würden die Sommerferien beginnen und Ala und ihre Freunde verbrachten die Tage damit, für die letzten Prüfungen zu lernen.

Der Sommer war gekommen und die Tage waren länger und wärmer. Die Schüler nutzten die Freistunden, um statt in der Bibliothek zu hocken, draußen zu lernen. Ala hatte sich mit Andrina, Gaspar, Goodwin und Vicky, eine sehr nette Gryffindor aus ihrem Jahrgang, im Gras unter dem Schatten eines ausladenden Baumes niedergelassen. Zwischen aufgeklappten Schulbüchern, Tintenfässern und Pergamentrollen, versuchten sie, sich für bevorstehenden Prüfungen in Zaubertränke und Geschichte der Zauberei vorzubereiten.

Ala versuchte verzweifelt, sich die Zutaten für den Beruhigungstrank zu merken, während ihr Bowtruckle Misty sich auf der Seite ihres Schulbuches sonnte.

„Ich verstehe das einfach nicht." Seufzte Gaspar und schlug sein Zaubertränkebuch zu, „Wie soll man sich bitte die ganzen Zutaten und auch noch die richtigen Mengenangaben merken? Mein Kopf ist schon überfüllt mit diesen ganzen sinnlosen Daten für Zaubereigeschichte."

„Vielleicht kannst du etwas Platz in deinem Kopf schaffen, in dem du die Rezepte für Stinkbomben und Knallfrösche löschst." Meinte Vicky trocken. Sie gehörte seit Anfang dieses Schuljahres fest zu ihrer Gruppe dazu. Ala hatte sie kennengelernt, als sie und Andrina mit ihr im selben Abteil im Hogwarts Express saßen. Sie hatten sich sofort super verstanden. Vicky war seit dem zweiten Schuljahr Jägerin in der Hausmannschaft und hoffte, in den nächsten Jahren Kapitänen zu werden.

„Ich werde sicher mit einem M durchfallen." Dramatisch ließ sich Gaspar ins Gras fallen. Ala grinste nur. Wäre ihr Bruder ein Muggel, wäre er sicher ein sehr überzeugender Schauspieler geworden. Vor wenigen Tagen musste er den ganzen Abend nachsitzen, weil er mehrere Stinkbomben in Filchs Büro geworfen hatte. Der Gestank war immer noch nicht draußen und Filch hatte eine Szene vor Dumbledores Büro gemacht, weil Gaspar nicht von der Schule verwiesen wurde.

„Wenn du dich ein bisschen anstrengen würdest, statt herumzujammern, könntest du vielleicht gerade so noch ein A schaffen." Meinte Andrina ohne von ihren Notizen aufzuschauen. Ala und Vicky lachten, während Gaspar sich auf dem Bauch drehte und setzte gerade zu einer Erwiderung an, als sein Blick an etwas hinter Ala hängen blieb.

„Hey, Ala, da sind deine neuen besten Freunde." Ala drehte sich um und folgte dem Blick ihres Bruders zu vier Gestalten, die vom See heraufkamen.
Wie immer glich der Auftritt der Rumtreiber dem einer Boyband. Sämtliche weibliche Schüler unterbrachen ihre Gespräche und verdrehten sich die Hälse nach den vier Jungs (vor allem nach Sirius Black).
Seit dem Vorfall mit der Kürbissuppe hatte Ala mit keinem der Vier ein Wort gewechselt. Sie wusste nicht, ob sie mit einer Vergeltungstat rechnen sollte, oder ob Sirius schon darüber hinweg war, dass sie ihn vor der gesamten Schule lächerlich gemacht hatte.
Ala fühlte sich jedenfalls im Recht. So wie Black Severus bei jeder Gelegenheit bloßstellte, hatte er nur verdient, selbst zu erfahren, wie sich das anfühlte.

Als die Jungs jedoch auf Ala und ihre Freund zusteuerten, setzte sie sich alarmiert auf. Wenn es sein musste, würde sie sich sogar mit Black und seinen Kumpels duellieren. Dass sie damit Schulregeln brechen würde, war es wert. Sie sah nicht ein, dass Black jedes mal wie der Prinz von Gryffindor auftrat und ihn als so einen tollen Kerl feierten. War es den anderen Gryffindors einfach egal, dass er Außenseiter mobbte? Nur weil sie nicht so cool und beliebt waren wie er?

„Die kleine Scamander." Grinste James Potter, als er sie entdeckte.

„Auf der Suche nach Ärger, Potter?" Fragte Ala und verschränkte die Arme.

„Keineswegs," entgegnete der ältere Schüler, „Ich weiß ja, was passiert, wenn man dich verärgert."

„Was wollt ihr?" Goodwin trat neben Ala und baute sich vor den Fünftklässlern auf. Es musste von Außen ein amüsanter Anblick sein, denn Goodwin reichte Potter und seinen Freunden gerade mal bis zur Schulter.

„Eine Entschuldigung wäre nett." Sirius Black sah Ala herausfordernd an. „Meinst du nicht, Scamander?"

Ala hoffte, sich verhört zu haben. Black konnte doch nicht ernsthaft von ihr verlangen sich zu entschuldigen? Er war selber schuld, immerhin hatte er ihren Cousin fast umgebracht. Sie nahm all ihren Mut zusammen und ging auf Black zu, bis sie direkt vor ihm stand. Mit festem und hoffentlich angstlosen Blick sah sie in seine grauen Augen.

„Darauf kannst du ewig warten."

Black hob unbeeindruckt eine Augenbraue. Seine Mundwinkel zuckten amüsiert als er auf sie herabsah.

„Wir werden sehen. Du willst doch nicht daran schuld sein, dass dem guten Schniefelus seine Schulkleidung nicht mehr passt oder seine Bücher auf einmal nur noch ein Häufchen Asche sind."

„Das wagst du nicht!" Rief Ala. Black war einfach unausstehlich. Sie wusste, dass er ihr nichts tun würde, aber dafür würde er alles an Severus auslassen.

„Willst du es wirklich darauf anlegen, Kleine?"

„Hau einfach ab, Black," Sagte Goodwin, „deine Haare stinken nach alter Kürbissuppe." Alas Freunde lachten, während Black sich zu Ala herabbeugte.

„Ich gebe dir einen guten Rat, Alexandra. Von Gryffindor zu Gryffindor. Halte dich von Snape fern. Er ist kein guter Umgang für jemanden wie dich."

„Ich kann selbst entscheiden, wer ein guter Umgang für mich ist, Black." Zischte Ala aufgebracht zurück. Seltsamerweise schien es, als wäre da ein Funke Sorge in Blacks Augen. Aber das konnte eigentlich nicht sein, oder?

„Es wäre besser, sich nicht mit Schwarzmagiern wie Snape sehen zu lassen. Sonst könnte man denken, du ständest auf der falschen Seite."

Ala stieß Black von sich. Sie wusste, dass Severus sich mit seltsamen Slytherins herumtrieb, die sich für verbotene Zauber und reinblütige Theorien interessierten. Dennoch war er ihr Cousin und sie hatte das Gefühl, ihn vor Leuten wie Black verteidigen zu müssen.

„Verzieh dich einfach, Black."

„Ich habe dich gewarnt, Scamander." Mit einem letzten Blick nickte er seinen Freunden zu.

Ala wagte erst wieder zu atmen als sich die Rumtreiber einige Meter entfernt hatten. Dann drehte sie sich zu ihren Freunden um. Andrina und Vicky hatten die Auseinandersetzung mit Faszination und Furcht beobachtet.

„Das war krass, Schwester. Dem hast du es echt gezeigt." Stolz schlug Gaspar ihr auf die Schulter.

„Ich glaube noch nie hat es jemand gewagt, Sirius Black zu widersprechen," Lachte Vicky, „Sein Blick war unbezahlbar."

Ala setzte sich wieder. Sie hoffte, dass keiner ihre zitternden Hände sah, als sich nach Misty griff und ihn auf ihre Schulter setzte. Den Rest des Schuljahres sollte ich Black wohl lieber aus dem Weg gehen, dachte Ala.

Sie griff nach dem Zaubertränkebuch, doch sie konnte sich auf kein Wort konzentrieren.

„Da sind sie ja alle!" Verwundert sah Ala sich um. Professor McGonagall kam mit wehendem Gewand auf sie zugeeilt.

„Was will die denn?" Wunderte sich Gaspar und schlug schnell ein Buch auf, um vorzutäuschen er würde lernen.

Ala runzelte die Stirn, als sie McGonagall tief besorgte Miene bemerkte. Das war ein Ausdruck, den man an ihrer strengen Hauslehrerin eher selten sah.

Schnaufend blieb Professor McGonagall vor ihnen stehen und überschaute sich einen kurzen Überblick.

„Sie beide, Miss. Everett und Miss Cattermole, sie gehen hinein." Wies McGonagall Andrina und Vicky an. Beide packten ihre Sachen mit verwunderten Blick zusammen und liefen zum Schloss.

Dann wand McGonagall sich den Drillingen zu: „Sie drei, sie begleiten mich zu Professor Dumbledores Büro."

Besorgt sah Ala ihre Brüder an. Ging es um die Stinkbomben in Filchs Büro? Dafür war Gaspar bereits bestraft worden. Oder konnte es sein, dass es um ihre Auseinandersetzungen mit Sirius Black ging? Aber so einem harmlosen Streit würde sich der Schulleiter persönlich nicht annehmen.
Mit kreisenden Gedanken folgte Ala ihren Brüdern und Professor McGonagall zum Schloss hinauf.

Die Drillinge wagten es nicht, zu sprechen, während sie zu Dumbledores Büro liefen. Sie warfen sich hin und wieder besorgte Blicke zu.

„Dracheneikompott." Sprach McGonagall hoheitsvoll vor dem Wasserspeier. Dieser drehte sich knirschend und sie stiegen die gewundene Treppe zum Büro des Schulleiters hinauf.

Dumbledore schien sie bereits zu erwarten. Er stand vor seinem Schreibtisch und musterte sie durch seine Halbmondbrille mit ernstem Blick.

„Danke, Professor McGonagall. Sie können gehen." Dann wand er sich wieder den Drillingen zu.
„Ihr fragt euch bestimmt, warum ich euch habe holen lassen." Ala nickte. „Nun, ich habe eine dringende Nachricht von eurem Vater bekommen. Ihr sollt sofort nach Hause kommen."

Verwirrt sah Ala den Schulleiter an. Wieso sollte ihr Vater ihm eine Nachricht schicken? War etwas schlimmes geschehen? Der letzte Brief ihrer Eltern war vor zwei Wochen mit ihrer Familien-Eule Iggy angekommen. Darin hatte ihre Mutter nur geschrieben, dass es ihnen gut gehe und sich nach den Prüfungen erkundigt. Ein ganz normaler Elternbrief eben.

„Hat er ihnen gesagt, warum wir vor den Ferien nach Hause kommen sollen, Professor?" Fragte Ala.

„Das hat er, doch es steht mir nicht zu, es euch zu sagen."

„Aber wir müssen noch zwei Prüfungen schreiben!" Rief Goodwin, der genauso verwirrt aussah wie Ala.

„Die verbleibenden Prüfungen werden euch selbstverständlich erlassen. Ihr werdet mit Flohpulver über meinen Kamin direkt zu euch nach Hause reisen. Dort wird euch euer Vater empfangen und euch alles erklären. Eure Sachen werden dann zu euch nach Hause geschickt."

Die Drillinge folgten Dumbledore zu einem großen, reich verzierten Kamin im hinteren Teil des Büros.

Alas Hände zitterten, als sie in die Schüssel mit Flohpulver griff, die Dumbledore ihr reichte. Sie stellte sich als Erste in den Kamin. Grüne Flammen hüllten sie ein, als sie das Pulver auf den Boden des Kamins warf und mit fester Stimme die Adresse des Hauses ihrer Eltern nannte.

Husten stolperte sie aus dem Kamin. Als sie die Augen öffnete, sah sie in das Gesicht ihres Vaters, der ihr sofort die Hand reichte und sie aus dem Kamin zog. Auf dem ersten Blick sah alles aus wie immer.
Die Scamanders bewohnten ein großes Haus am Rande eines Muggeldorfes. Bevor sie nach Hogwarts kam, hatte Ala den größten Teil des Tages draußen in dem weitläufigen Garten verbracht, bevorzugt in Gesellschaft einiger Tierwesen, die sie in den Bäumen oder in dem kleinen Fluss fand. Ala und ihre Brüder hatten viel in den umliegenden Wäldern mit Muggelkindern und Kindern aus anderen Zaubererfamilien gespielt.

Während das Wohnzimmer aussah wie immer, schrillten bei Ala sämtliche Alarmglocken, als sie ihren Vater genauer ansah. Seit dem Weihnachtsferien hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Ihr Vater war immer ein fröhlicher, ruhiger Mensch gewesen. Jetzt durchzogen tiefe Sorgenfalten sein Gesicht. Unter seinen Augen lagen dunkle Ringe.

„Was ist passiert Dad?" Fragte Ala. Ihr Vater fuhr sich durch das unordentliche Haar.

„Lass uns erst reden, wenn deine Brüder da sind." Seine Stimme klang belegt, als würde er sich nur schwer zurückhalten können nicht zu weinen. Ala nahm seine Hand und sie warteten, bis ihre Brüder einer nach dem anderen hustend und verstaubt aus dem Kamin traten.

„Setzt euch bitte, Kinder." Sagte ihr Vater schließlich und deutete auf die Sofas. Unschlüssig sahen sich die drei erst an, dann setzten sie sich. Ala beobachtete jede Bewegung ihres Vaters. Seine Hände zitterten.

„Nun,...also..." setzte er an. Dann verstummte er plötzlich wieder und sah auf den Boden. Ihn so zu sehen, machte Ala Angst. Sie wusste beim besten Willen nicht, was sie sagen sollte. Ihre Kehle fühlte sich so eng an. Wie zugeschnürt.

„Dad, was ist los?" Fragte Goodwin ruhig und beugte sich vor. Gaspar hingegen starrte mit blassem Gesicht vor sich hin.

„Es geht um eure Mutter..." brachte ihr Vater stockend hervor.

„Was ist mit ihr?" Rief Ala. Ihre Stimme zitterte vor Angst. An das Schlimmste, das ihr sofort in den Sinn kam, wollte sie gar nicht erst denken.

„Sie ist sehr krank." Erklärte ihr Vater und sah seine Kinder der Reihe nach ernst an. „Wir dachten, es würde schnell wieder vorübergehen. Als es ihr nicht besser ging, brachte ich sie ins St. Mungos. Und dort...dort sagten sie uns nach mehreren Untersuchungen, dass sie nichts mehr für sie tun könnten," Tränen stiegen in seinen Augen auf, „Jetzt liegt sie hier in unserem Zimmer und...und..." er wischte sich über die Augen. Seine Tränen hinterließen eine glitzernde Spur auf seinen Wangen.

„Seit wann ist sie krank?" Fragte Gaspar leise.

„Es fing im Februar an."

Ala, Goodwin und Gaspar standen gleichzeitig auf, setzten sich neben ihren Vater und umarmten einander alle fest.

In den folgenden Tagen verbrachte Ala viel Zeit allein. Sie lief im Wald umher, kletterte auf Bäume und las Bücher - etwas, dass sie vorher nur selten getan hatte. Am Abend nachdem sie angekommen war, schreib sie einen Brief an Vicky und Andrina und erklärte ihnen, dass ihre Mutter krank war und sie sich erst im nächsten Schuljahr wiedersehen würden. Sie versicherte ihnen, dass sie sich keine Sorgen machen müssten.

Wenn sie nicht draußen versuchte, ihren Kopf frei zu kriegen, saß Ala am Bett ihrer Mutter. Sie war zwar bei Bewusstsein, doch sehr schwach. Ihr Gesicht war fahl und eingefallen. Ala hatte ihren Vater überreden können, eine Nachricht an ihren Großvater in Amerika zu schicken. Nicht mal einen Tag später kam die Antwort, dass er sich umgehend auf den Weg zu ihnen machte.
Auch ihre Großmutter, die stolze Augusta Prince stand eines Morgens mit einem großen Koffer in der Haustür.
Ala hatte sie nie sonderlich gemocht. Sie war eine stolze reinblütige Hexe, die nichts von Muggeln hielt und ständig der Meinung war, alle müssten tun, was sie wollte.
Diesmal war sie ungewohnt umgänglich. Ala konnten ihrem Vater ansehen, dass er nicht sonderlich begeistert war, als Augusta verkündete, sie würde hier wohnen und sich um ihre Enkel kümmern, bis es ihrer Tochter wieder besser ging.

Doch es ging ihr nicht besser. Alanna Scamander verstarb am 2. Juni. Für Ala fühlte es sich an, wie in einem Albtraum. Als würde sie alles nur von außen betrachten. Als wäre nicht sie diese Person, der das passierte. Zur Beerdigung kamen viele Freunde, alte Klassenkameraden ihrer Mutter, Lehrer von Hogwarts. Selbst ihre übellaunige Schwester Eileen kam mit Severus. Nach der Beerdigung stahl Ala sich davon, um den ganzen Leuten zu entkommen, die ihr sagte, wie leid es ihnen täte. Sie kannte kaum die Hälfte von ihnen. Stattdessen lief sie immer weiter durch den Wald, über die Felder. Sie ließ sich von ihren Füßen tragen, bis es dunkel wurde und sie wieder umkehren musste.

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Sorry dass dieses Kapitel so lange gebraucht hat, ich habs immer wieder geändert und war immer noch nicht zufrieden. Ich denke, jetzt passt es, auch wenn das Ende ziemlich heftig ist, ist es wichtig für Alas späteren Weg...

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