12. Jungfrau

Keine Woche später hatte ich meine zweite Flasche Whiskey geleert. Ich versuchte, damit zurechtzukommen, dass Jimin mehr und mehr Zeit mit Taemin verbrachte und mich bat, seine Wettschuld zu erlassen. Dabei waren meine Lippen öfter am Flaschenhals als dass ich eine Kippe zwischen sie steckte.

Taemin hatte die Überraschung von Jimins Geburtstagsparty Donnerstag beim Mittagessen ruiniert, sodass ich alle Hebel in Bewegung setzte, um sie von Sonntag auf Freitag zu verschieben. Ich war zwar dankbar für die Ablenkung, aber das genügte nicht.

Am Donnerstagabend plauderten Taehyung und Jimin im Bad. Jimins Verhalten Taehyung gegenüber stand in scharfem Kontrsast zu der Art und Weise, wie er mit mir umging: Seit ich mich früher am Tag geweigert hatte, ihn aus der Wette zu entlassen, hatte er kaum noch ein Wort mit mir geredet.

In der Hoffnung, die Wogen wieder zu glätten, streckte ich meinen Kopf ins Bad. »Lust, irgendwo einen Happen zu essen?«
»Yoongs möchte mal diesen neuen Mexikaner in Downtown ausprobieren, falls ihr Lust habt mitzukommen...« Taehyung betrachtete sein Outfit im Spiegel.

»Ich dachte mir, Kitten und ich könnten heute Abend alleine ausgehen.«
Jimin richtete sich seine Haare. »Ich gehe mit Taemin aus.«
»Schon wieder?« Ich spürte, wie sich mein Gesicht unwillkürlich verzog.
»Schon wieder«, säuselte er.

Es klingelte an der Wohnungstür, und Jimin stürmte aus dem Bad und durchs Wohnzimmer, um aufzumachen.
Ich folgte ihm und blieb hinter ihm stehen, um Taemin meinen tödlichen Blick zu verpassen.
»Siehst du jemals weniger gut als umwerfend aus?«, fragte Taemin.
»Wenn ich daran denke, wie er zum ersten Mal hier aufgekreuzt ist, muss ich sagen, ja«, erwiederte ich trocken.
Jimin hob einen Finger in Taemins Richtung und drehte sich zu mir um. Ich rechnete damit, dass er mir irgendeine Gemeinheit an den Kopf werfen würde, aber er lächelte. Dann schlang er die Arme um meinen Hals und drückte mich.

Zuerst war ich wie erstarrt und dachte, er wollte mich schlagen, aber als ich merkte, dass es eine Umarmung war, entspannte ich mich und zog ihn fest an mich.
Er machte sich los und lächelte immer noch. »Danke dafür, dass du meine Geburtstagsparty organisierst«, und aus seiner Stimme klang echte Wertschätzung. »Und kann ich für das Abendessen einen Gutschein bekommen?«
In seinen Augen sah ich die Wärme, die ich vermisst hatte, aber vor allem überraschte mich, dass er mir nach dem Schweigen am Nachmittag und Abend gerade um den Hals gefallen war.

»Für morgen?«
Er drückte mich gleich noch mal. »Mit Vergnügen.« Dann winkte er mir zu, während er Taemins Hand nahm und die Tür hinter sich zumachte.
Ich drehte mich um und rieb mir den Nacken. »Ich... ich brauche einen...«
»Drink?«, frgate Yoongi mit leicht besorgter Stimmte. Er schaute in Richting Küche. »Außer Bier haben wir nichts mehr.«
»Dann muss ich wohl mal in den Schnapsladen fahren.«
»Ich komme mit.« Taehyung war schon aufgesprungen, um sich seine Jacke zu holen.
»Warum fährst du ihn nicht mit dem Charger?«, fragte Yoongi und warf Taehyung die Schlüssel zu.
Dieser schaute verständnislos auf das Metall in seiner Hand. »Im Ernst?«
Yoongi seufzte. »Ich glaube, Jungkook sollte nicht selbst fahren. Wohin auch immer... wenn du verstehst, was ich meine.«
Taehyung nickte heftig. »Hab verstanden.« Er ergriff meine Hand. »Komm schon, Kook. Wollen wir dich mal mit Alk versorgen.« Ich folgte ihm zur Tür, wo er allerdings abrupt stehen blieb und sich zu mir umdrehte. »Aber! Du musst mir was versprechen. Keine Prügelei heute Abend. Deinen Kummer ertränken, ja«, sagte er, fasste mich am Kinn und zwang mich zu nicken. »Fieses Saufen, nein.« Er zog mein Kinn erneut hoch und runter.
Ich wich zurück und wedelte seine Hand weg.
»Versprochen?« Er hob eine Augenbraue.
»Ja.«
Er lächelte. »Dann mal los.«

Eine Hand am Mund, den Ellbogen ans Fenster gestüzt ließ ich die Welt an mir vorbeiziehen. Die Kaltfront hatte heftigen Wind mitgebracht, der jetzt durch die Bäume und Büsche peitschte und die Ampel an ihren Drähten wild schaukeln ließ. Jimin hatte einen Knopf mehr, an seinem Hemd, offen gehabt, wie sonst. Taemin sollte die Augen lieber in seinem Kopf lassen. Ich musste daran denken, wie Jimins nackte Knie aussahen, wenn er neben mir auf der Rückbank des Charger saß. Ich stellte mir vor, wie Taemin genau wie ich die weiche, schimmernde Haut bemerkte, allerdings mit weniger Respekt, sondern lüstern.

Gerade als ich Wut darüber in mir aufsteigen spürte, bremste Taehyung. »Da wären wir.«
Die Leuchtreklame von Ugly Fixer Liquor tauchte den Eingang in weiches Licht. Taehyung folgte mir wie ein Schatten in Gang drei. Ich brauchte nur kurz, um zu finden, was ich suchte. Die einzige Flasche, die mir einen Abend wie diesen erträglich machen konnte: Jim Beam.
»Weißt du, was du da tust?«, fragte Taehyung mit warnender Stimme. »Du musst immerhin morgen eine Überraschungsparty auf die Beine stellen.«
»Weiß ich«, antwortete ich und trug die Flasche zur Kasse.

Ich saß noch nicht ganz auf den Beifahrersitz des Charger, da hatte ich den Deckel schon abgeschraubt und mit zurückgelehntem Kopf einen Schluck genommen.
Taehyung betrachtete mich kurz und legte dann den Rückwärtsgang ein. »Na, das kann ja heiter werden.«
Bis wir wieder bei der Wohnung waren, hatte ich den Hals der Flasche bereits geleert und machte weitere Fortschritte.

»Das hast du nicht im Ernst gemacht.« Yoongi zeigte auf die Flasche.
»Doch.« Ich nahm schon den nächsten Schluck. »Willst du auch was?« Ich hielt ihm die Flasche hin.
Yoongi schnitt eine Grimasse. »Mein Gott, nein. Ich muss nüchtern bleiben, damit ich schnell genug reagieren kann, wenn es zu Jungkook auf Jim Beam gegen Taemin kommt.«
»Nein, das wird es nicht«, sagte Taehyung. »Er hat es versprochen.«
»Hab ich.« Ich lächelte und fühlte mich schon besser. »Ich hab's versprochen.«

In der nächsten Stunde gaben Yoongi und Taehyung ihr Bestes, um mich abzulenken. Mr. Beam tat sein Bestes, um mich zu betäuben. Eine weitere Stunde später schien Yoongi deutlich langsamer zu sprechen. Taehyung kicherte über mein dämliches Grinsen.
»Siehst du? Er ist betrunken, aber zufrieden.«
Ich machte ein schnaubendes Geräusch mit meinen Lippen.
»Ich bin nicht betrunken, noch nicht.«
Yoongi zeigte auf die schwindende bernsteinfarbene Flüssigkeit. »Wenn du den Rest davon trinkst, wirst du es sein.«
Ich hielt die Flasche hoch und schaute auf die Uhr. »Drei Stunden. Muss ja ein gutes Date sein.« Als nächstes prostete ich Yoongi mit der Flasche zu, setzte sie an und kippte den ganzen Rest in mich rein. Der Whiskey floss über meine schon tauben Lippen und Zähne und brannte bis hinter in meinen Magen.

»Mein Gott, Jungkook.« Yoongi runzelte die Stirn. »Hau dich jetzt lieber aufs Ohr. Du willst ja wohl nicht mehr auf sein, wenn er nach Hause kommt.«
Ein Motorengeräsuch wurde erst lauter, während es sich der Wohnung näherte, und erstarb dann. Ich kannte diesen Sound genau - er stammte von Taemins Porsche.

Ein fieses Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus.
»Wieso das denn? Hier findet doch der ganze Zauber statt.«
Taehyung musterte much wachsam. »Kook... du hast es versprochen.«
Ich nickte. »Hab ich. Ich hab's versprochen. Ich will ihm nur eben beim Aussteigen helfen.« Meine Beine waren zwar da, aber ich spürte sie irgendwie nicht. Die Lehne der Couch erwies sich als prima Stütze bei meinem Versuch, betrunken zu laufen.

Meine Hand umschloss den Türknauf, doch Taehyung legte seine sanft darüber. »Ich werde dich begleiten. Damit du dein Versprechen nicht brichst.«
»Gute Idee.« Ich öffnete die Tür, und sofort vermischte sich Adrenalin mit dem Whiskey in meinem Blut. Der Porsche schaukelte ein bisschen, und die Scheiben waren beschlagen.
Keine Ahnung, wie meine Beine sich in diesem Zusatnd so schnell bewegen konnten, aber irgendwie war ich plötzlich am Fuß der Treppe. Taehyung krallte sich in mein Hemd. Er war erstaunlich kräftig.

»Jungkook«, meinte er halblaut. »Jimin wird es nicht zu weit kommen lassen. Also versuch, dich erst mal zu beruhigen.«
»Ich will mich nur davon überzeugen, dass er okay ist«, zischte ich und ging die paar Schritte zu Taemins Wagen.
Meine Handkante schlug so heftig gegen das Beifaherfenster, dass ich mich fragte, warum sie nicht brach.
Als er die Tür nicht öffnete, riss ich sie auf.

Jimin zupfte an seinem Oberteil herum. Sein Haar war zerzaust, seine Lippen leicht geschwollen.
Taemins Miene verfinsterte sich. »Was zum Teufel soll das, Jungkook?«
Ich ballte die Fäuste, doch da spürte ich Taehyungs Hand auf meiner Schulter.
»Komm, Jimin. Ich muss mit dir reden.«
Jimin blinzelte verwirrt. »Worüber?«
»Jetzt komm einfach!«, fauchte Taehyung.
Jimin schaute zu Taemin. »Tut mir leid, ich muss gehen.«
Taemin schüttelte verärgert den Kopf. »Geh nur.«

Ich nahm Jimins Hand, als er aus dem Porsche stieg und trat die Tür mit dem Fuß zu. Jimin wirbelte herum und stand zwischen mir und dem Wagen. Er stieß mich gegen die Schulter. »Was ist los mit dir? Lass das sein!«
Mit quietschenden Reifen verließ Taemin den Parkplatz. Ich holte die Zigaretten aus meiner Hemdtasche und zündete mir eine an. »Du kannst wieder reingehen, Tae.«
»Komm, Jimin.«
»Warum bleibst du nicht noch, Chim?«, sagte ich. Der Spitzname klang so was von lächerlich. Wie Taemin ihn mit ernster Miene aussprechen konnte, war ein Rätsel für sich.

Jimin bedeutete Taehyung mit einer Kopfbewegung, schon vorauszugehen, was er wiederstrebend tat.
Ich sah ihm nach und nahm einen oder zwei Züge von meiner Zigarette.
Jimin verschränkte seine Arme. »Wieso hast du das getan?«
»Warum? Weil er direkt vor meiner Wohnung über dich hergefallen ist!«
»Ich mag zwar bei dir wohnen, aber was ich tue und mit wem ich es tue, das ist meine Sache.«
Ich trat die Kippe aus. »Du bist viel zu gut dafür, Kitten. Lass ihn dich doch nicht im Augo vögeln wie ein billiges Schulballmädchen.«
»Ich wollte keinen Sex mit ihm haben!«
Ich fuchtelte in Richtung der Stelle, wo Taemins Auto gestanden hatte. »Was wolltest du denn dann?«
»Hast du noch nie mit jemandem geknutscht, Jungkook? Einfach nur rumgemacht, ohne dass es zum Äußersten gekommen wäre?«
Das war das Dümmste, was ich je gehört hatte. »Wozu das denn?« Für blaue Eier und Enttäuschung. Das klang doch Scheiße.
»Das machen tatsächlich viele Leute... vor allem solche, die sich daten.«
»Die Fenster waren beschlagen, der Wagen wakelte... woher sollte ich das denn wissen?«
»Vielleicht solltest du mir nicht nachspionieren!«
Ihm nachspionieren? Er weiß, dass wir jedes Auto hören, das vor dem Haus hält, und da beschloss er, dass direkt vor meiner Tür der richtige Ort war, um mit einem Typen, den ich nicht ausstehen kann, rumzuknutschen? Frustriert rieb ich mir das Gesicht und versuchte, cool zu bleiben. »Ich halte das nicht aus, Kitten. Ich habe das Gefühl, verrückt zu werden.«
»Du hälst was nicht aus?«
»Wenn du mit ihm schläfst, will ich es nicht wissen. Ich werde für lange Zeit in den Knast gehen, wenn ich dahinterkomme, dass... Erzähl es mir einfach nicht.«
»Jungkook«, fauchte er. »Ich kann nicht glauben, was du da gerade gesagt hast! Das wäre ein Riesenschritt für mich!«
»Das sagen doch alle!«
»Ich meine nicht die Schlampen, mit denen du dich abgibst! Ich meine mich!« Er schlug sich mit der Hand an die Brust. »Ich habe noch nie... ach! Ist ja auch egal.« Er ging ein paar Schritte, aber ich fasste ihn am Arm und drehte ihn so, dass er mich ansehen musste.

»Du hast was noch nie?« Selbst in meinem gegenwärtigen Zustand konnte ich mir die Antwort selbst geben. »Du bist noch Jungfrau?«
»Na und?«, sagte er und wurde rot.
»Darum war Taehyung sich so sicher, dass es nicht allzu weit gehen würde.«
»Ich hatte in den ganzen vier Jahren an der Highschool denselben Freund. Er war angehender baptistischer Jugendpfarrer! Da war das nie Thema! Außerdem ist es auch nicht typisch das ein schwuler Pfarrer wird, aber sein Vater hat davon nichts gewusst und er hat ihn dazu gedrängt einer zu werden.«
»Ein schwuler Jugendpfarrer? Und was passierte nach dieser ganzen schwer verdienten Abstinenz?«
»Er wollte durchbrennen. Ich nicht.«

Ich konnte nicht glauben, was Jimin da sagte. Er war fast neunzehn, und immer noch Jungfrau? Das war heutzutage fast unerhört. Ich konnte mich nicht erinnern, seit Beginn der Highschool auch nur jemand Einzigem begegnet zu sein.
Ich nahm sein Gesicht in meine Hände. »Eine Jungfrau! Das hätte ich nie vermutet, nachdem ich dich im Red habe tanzen sehen.«
»Sehr witzig.« Er stapfte die Treppe hoch.
Ich folgte ihm, stolperte aber auf einer der Stufen und schlug mit den Ellbogen gegen den Beton. Es tat überhaupt nicht weh. Ich rollte mich auf den Rücken und lachte hysterisch.
»Was tust du da? Steh auf!«, rief Jimin und zerrte an mir, bis ich wieder aufstand.

Mein Blick verschwamm, und auf einmal waren wir in Chaneys Unterricht. Jimin saß in einem dunkelblauen Anzug auf seinem Pult, und ich trug nur enge Boxer. Der Raum war ansonsten leer, und es herrschte entweder Morgen- oder Abenddämmerung.
»Gehst du weg?«, fragte ich, und es machte mir nichts aus, dass ich so wenig anhatte.
Jimin lächelte und streckte die Hand aus, um mein Gesicht zu berühren. »Nee. Ich geh nirgends hin. Ich bleibe hier.«
»Versprichst du das?«, fragte ich und berührte sein Knie. Ich schob seine Beine gerade so weit auseinander, dass ich bequem zwischen seinen Schenkel passte.

»Am Ende der ganzen Geschichte bin ich dein.«
Ich war mir nicht ganz sicher, was er meinte, aber plötzlich war er überall. Seine Lippen wanderten über meinen Hals und ich schloss total euphorisch die Augen. Alles, wofür ich gekämpft hatte, war eingetreten. Seine Finger glitten über meinen Körper, und ich holte nur ein bisschen tiefer Luft, als sie unter meine Shorts glitten und auf mein bestes Stück trafen.
Wie phantastisch ich mich auch je zuvor gefühlt haben mochte, jetzt wurde es übertroffen. Ich vergrub meine Finger in seinem Haar, presste meine Lippen auf seine und begann sofort, seinen Mund mit meiner Zunge zu streicheln.

Sein Lackschuh fiel zu Boden, und ich schaute ihm nach.
»Ich muss gehen«, meinte Jimin daraufhin traurig.
»Was? Ich dachte, du hast gerade gesagt, du würdest nirgendwohin gehen.«
Jimin lächelte. »Streng dich mehr an.«
»Wie?«
»Streng dich mehr an«, echote er und streichelte mein Gesicht.
»Warte«, rief ich und wollte nicht, dass es aufhörte. »Ich liebe dich, Kitten.«

Ich blinzelte träge. Als ich endlich scharf sah, entdeckte ich den Ventilator an der Decke meines Zimmers. Mein ganzer Körper schmerzte, und jeder Schlag meines Herzens hämmerte in meinem Kopf.
Über den Flur drang Taehyungs aufgeregte, tiefe Stimme an mein Ohr. Zwischen Taehyung und Jimin erklang auch Yoongis Bass.
Ich schloss die Augen und stürzte in eine tiefe Deprission. Es war nur ein Traum gewesen. Nichts von diesem Glück war real. Ich rieb mir mein Gesicht und versuchte, mich irgendwie zum Aufstehen zu motivieren.

Auf welcher Party ich am Vorabend auch gewesen sein mochte, ich hoffe, sie war es wert gewesen, dass ich mich jetzt wie Hackfleisch am Boden einer Mülltonne fühlte.
Meine Füße waren bleischwer, als ich mich durchs Zimmer zu einer auf dem Fußboden zusammengeknüllte Jeans schleppte. Ich zog sie an, stolperte in die Küche und zuckte dort vom Geräusch der Stimmen zusammen.

»Ihr seid so was von verdammt laut.« Ich knöpfte meine Hose zu.
»Entschuldige.« Jimin würdigte mich kaum eines Blickes. Anscheinend hatte ich am Vorabend irgendeinen Blödsinn angestellt.
»Wer zum Teufel hat mich gestern Abend so viel trinken lassen?«
Taehyung verzog angewiedert das Gesicht. »Du selber. Du bist losgezogen und hast dir eine ganze Flasche Stoff gekauft, nachdem Jimin mit Taemin weg war. Und bis er wieder da war, hast du die alle gemacht.«
Bruchstückenhaft kamen die Erinnerungen zurück. Jimin, der mit Taemin wegging. Ich deprimiert. Einkauf im Schnapsladen mit Taehyung.

»Verdammt«, sagte ich kopfschüttelnd. »Hattest du's nett?«, fragte ich Jimin.
Seine Wangen färbten sich rot.
Ach du Scheiße. Es muss schlimmer gewesen sein, als ich dachte.
»Machst du Witze?«, fragte Taehyung.
»Wieso denn?«, fragte ich und bedauerte es schon im selben Augenblick.
Taehyung kichert und schien ernsthaft erstaunt über meine Gedächnislücken. »Du hast ihn aus Taemins Auto gezerrt, weil du rotgesehen hast, nachdem du ihn dabei erwischt hattest, als sie wie Highschoolkids rummachten. Mit beschlagenen Fenster und allem Drum und Dran!«
Ich strengte mein Gedächnis an, was den Abend betraf, aber an Rummachen erinnerte ich mich nicht, an die Eifersucht allerdings schon.

Jimin sah aus, als würde er gleich aus der Haut fahren, und ich wich seinem finsteren Blick aus.
»Wie sauer bist du?«, fragte ich und rechnete mit einer schrillen Attacke für meinen ohnehin schon dröhnenden Schädel.
Jimin stapfte nur in mein Zimmer. Ich folgte ihm und machte leise die Tür hinter mir zu.
Jimin drehte sich um. Er sah jetzt ganz anders aus als vorhin. Ich konnte mir keinen rechten Reim darauf machen.
»Erinnerst du dich noch an irgendwas, das du gestern Abend zu mir gesagt hast?«
»Nein. Warum? War ich gemein zu dir?«
»Nein, du warst nicht gemein! Du... wir...« Er schlug die Hände vors Gesicht.
Dabei rutschte ein neues, glitzerndes Schmuckstück von seinem Handgelenk auf den Unterarm. »Wo kommt das denn her?«, fragte ich und legte meine Finger um sein Handgelenk.
»Das gehört mir«, fauchte er und riss sich los.
»Das habe ich noch nie an dir gesehen. Es sieht neu aus.«
»Ist es auch.«
»Woher hast du es?«
»Taemin hat es mir vor cira fünfzehn Minuten geschenkt.«

Wut brandete in mir auf. Von der Sorte 'Ich muss irgendwas kaputtschlagen, damit es mir besser geht.' »Was zur Hölle hat dieser Idiot hier gemacht? Hat er hier etwa übernachtet?«
Unbeeindruckt verschränkte er die Arme. »Er ist heute Morgen mein Geburtstagsgeschenk besorgen gegangen und hat es mir vorbeigebracht.«
»Dabei hast du noch gar nicht Geburtstag.« Meine Wut nahm noch zu, aber die Tatsache, dass er davon völlig unbeeindruckt schien, half mir, sie im Zaun zu halten.

»Er konnte es eben nicht abwarten.« Er hob herausfordernd das Kinn.
»Kein Wunder, dass ich deinen Hintern aus seinem Wagen zerren musste. Klingt ja, als seist du...« Ich verstummte und presste die Lippen zusammen, damit der Rest ungesagt blieb. Kein guter Zeitpunkt, um Sachen rauszukotzen, die ich nicht zurücknehmen könnte.
»Was? Wonach klingt das?«
Ich biss die Zähne zusammen. »Nichts. Ich bin nur angepisst und hätte fast was Blödes gesagt, das ich nicht meine.«
»Das hat dich früher ja auch nicht davon abgehalten.«
»Ich weiß. Ich arbeite auch daran.« Ich ging zur Tür. »Ich lass dich in Ruhe, damit du dich anziehen kannst.«

Als ich nach dem Türknauf griff, schoss ein Schmerz von Ellbogen den Arm hinauf. Ich berührte die Stelle, und sie war empfindlich. Als ich den Arm drehte, sah ich, was ich schon vermutet hatte: eine frische Prellung. Meine Gedanken rasten, um rauszukriegen, woher die stammte. Und da erinnerte ich mich daran, dass Jimin mir von seiner Jungfräulichkeit erzählt hatte, dass ich gestürzt war, gelacht hatte und das Jimin mir beim Ausziehen geholfen hatte... und dann... Oh Gott.

»Ich bin gestern Abend auf der Treppe gestürzt. Und du hast mir ins Bett geholfen... Wir«, sagte ich und ging auf ihn zu. Auf einmal sah ich, wie ich mich an ihn gepresst hatte, als er halbnackt vor dem Kleiderschrank gestanden hatte.
Beinahe hätte ich ihn gevögelt, hätte ihm betrunken die Jungfräulichkeit geraubt. Der Gedanke daran bewirkte, das ich mich schämte, zum ersten Mal seit... seit ich denken konnte.

»Nein, wir haben nicht. Es ist nichts passiert.« Er schüttelte mitfühlend den Kopf
Ich erschauderte. »Die Fenster von Taemins Wagen sind beschlagen, ich ziehe dich aus dem Auto, und dann versuche ich...« Ich versuchte, die Erinnerungen aus meinem Kopf zu schütteln. Das war schrecklich. Zum Glück hatte ich mich in meinem besoffenen Zustand noch gebremst, aber was, wenn nicht? Für sein erstes Mal verdiente Jimin so etwas mit niemandem, am wenigsten mit mir. Wow. Eine Zeitlang hatte ich wirklich geglaubt, ich sei ein anderer geworden. Aber es brauchte anscheinend nur eine Flasche Whiskey und die Erwähnung des Wortes Jungfrau, damit ich mich wieder schwanzgesteuert benahm.

Ich wandte mich zur Tür. »Du verwandelst mich in einen verdammten Psycho, Kitten«, knurrte ich noch über die Schulter. »Ich kann in deiner Gegenwart nicht mehr klar denken.«
»Dann ist es meine Schuld?«
Ich drehte mich noch mal um. Mein Blick wanderte von seinem Gesicht über den Bademantel, seine Beine, bis zu den Füßen und zurück zu seinen Augen. »Ich weiß es nicht. Meine Erinnerung ist ein bisschen verschwommen... aber ich erinnere mich nicht daran, dass du Nein gesagt hast.«
Er machte einen Schritt auf mich zu. Zuerst sah er aus, als wolle er zuschlagen, aber auf einmal wurde sein Gesichtsausdruck weich, und er ließ die Schultern sinken. »Was willst du von mir hören, Jungkook?«
Ich schaute auf das Armband und wieder in sein Gesich.
»Hast du gehofft, ich würde mich nicht mehr erinnern?«
»Nein! Ich war angepisst, dass du es vergessen hast!«
Das ergab doch verdammt noch mal alles keinen Sinn.

»Warum?«
»Weil, wenn ich... wenn wir... und du es nicht... Ich weiß auch nicht, warum! Ich war einfach sauer!«
Er stand kurz davor, es zuzugeben. Das musste er. Jimin war sauer auf mich, weil er bereit gewesen war, mir seine Jungfräulichkeit zu opfern und ich mich nicht erinnerte, was passiert war. So war es. Das hier war mein Moment. Endlich würden wir unseren Scheiß regeln, aber die Zeit lief mir davon. Jeden Moment würde Yoongi ankommen, um Jimin zu sagen, er solle mit Taehyung Besorgungen machen, damit wir in Ruhe die Party vorbereiten konnten.

Ich stürmte auf ihn zu und blieb nur Zentimeter vor ihm stehen. Sein Gesicht in meinen Händen. »Was tun wir da nur, Kitten?«
Sein Blick wanderte von meinem Gürtel langsam hinauf bis zu meinen Augen. »Sag du es mir.«
Seine Miene wurde so ausdruckslos, als würden bei ihm alle Systeme runtergefahren, wenn er jetzt zugab, tiefe Gefühle für mich zu empfinden.

Das Klopfen an der Tür ärgerte mich zwar, aber es beeinträchtigte meine Konzentration nicht.
»Jimin?«, hörte ich Yoongi sagen. »Tae will ein paar Sachen erledigen fahren, und ich soll dir Bescheid sagen, für den Fall dass du mitkommen möchtest.«
»Kitten?« Ich ließ seine Augen nicht los.
»Jaa«, rief er Yoongi zu. »Ich muss auch ein paar Sachen erledigen.«
»Gut, dann wartet er, bis du fertig bist«, meinte Yoongi und seine Schritte verhallten auf dem Flur.

»Kitten?« Ich versuchte verzweifelt, bei der Sache zu bleiben.
Er wich ein paar Schritte zurück, nahm irgendwelche Sachen aus dem Schrank und schob sich an mir vorbei. »Können wir später darüber reden? Ich habe heute noch viel zu tun.«
»Klar«, antwortete ich. Ernüchtert.

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