11. Eiskalt
Alleine auf der Rückbank von Yoongis Charger nach Hause zu fahren, war alles andere als aufregend. Taehyung kickte seine Schuhe von den Füßen und kicherte, während er Yoongi mit seinem großen Zeh in die Wange piekste. Er musste ja wohl schrecklich verliebt in ihn sein, weil er darüber nur lächelte und sich über Taehyungs hysterisches Gelächter amüsierte.
Dann klingelte mein Handy. Es war Jackson. »Ich habe einen Anfänger, der in einer Stunde bereitsteht. Im Untergeschoss des Hellerton.«
»Aha, äh... ich kann nicht.«
»Was?«
»Du hast mich gehört. Ich sagte, ich kann nicht.«
»Bist du krank?« In seiner Stimme klang Verärgerung mit.
»Nein, aber ich muss mich drum kümmern, dass Kitten gut nach Hause kommt.«
»Ich habe mir den Arsch aufgerissen, um daS zu organisieren, Jeon.«
»Weiß ich. Tut mir leid. Muss Schluss machen.«
Als Yoongi auf den Parkplatz vor die Wohnung fuhr und von Taemins Porsche weit und breit nichts zu sehen war, seufzte ich.
»Kommst du, Cousin?«, fragte Yoongi und drehte sich auf seinem Sitz zu mir um.
»Ja, ja.« Ich schaute auf meine Hände. »Ja, ich denke schon.«
Yoongi klappte seinen Sitz nach vorne, um mich aussteigen zu lassen, und beinahe hätte ich Taehyung umgerannt.
»Du brauchst dir um nichts Sorgen zu machen, Kook. Vertrau mir.«
Ich nickte nachdenklich und folgte den beiden nach oben, sie verschwanden sofort in Yoongis Zimmer und machten die Tür hinter sich zu. Ich ließ mich in den Sessel fallen, lauschte Taehyungs Gelächter und versuchte, mir nicht vorzustellen, wie Taemin seine Hand auf Jimins Knie oder gar seinem Oberschenkel legte.
Nicht einmal zehn Minuten später hörte ich draußen einen Motor brummen. Ich postierte mich hinter der Wohnungstür, den Türknauf in der Hand. Als Nächstes hörte ich zwei Paar Füße heraufkommen. Eine Welle der Erleichterung überkam mich. Jimin war zu Hause.
Durch die Tür hörte ich nur Gemurmel. Als es leise wurde und der Türknauf sich zu drehen begann, drehte ich ihn ganz herum und riss die Tür auf.
Jimin fiel über die Schwelle, und ich fing ihn am Arm auf.
»Gemach, Euer Gnaden.«
Er drehte sich sofort zu Taemin um. Dieser wirkte angespannt, als wisse er nicht, was er davon halten solle, fing sich aber rasch wieder und tat so, als würde er an mir vorbei in die Wohnung schauen.
»Irgendwelche gedemütigten, gestrandeten Kerle da, die eine Mitfahrgelegenheit brauchen?«
Ich funkelte ihn böse an. Er lehnte sich verdammt weit aus dem Fenster. »Leg dich nicht mit mir an.«
Taemin grinste und zwinkerte Jimin zu. »Ich ziehe ihn immer damit auf. Wobei ich nicht mehr so oft Gelegenheit dazu habe, seit er draufgekommen ist, dass es bequemer ist, wenn er sie dazu bringen kann, mit dem eigenen Auto zu fahren.«
»Schätze, das macht die Sache einfacher«, meinte Jimin und drehte sich mit einem süffisanten Lächeln zu mir um.
»Das ist nicht komisch, Kitten.«
»Kitten?«, fragte Taemin.
Jimin trat nervös von einem Fuß auf den anderen. »Das ist... das kommt von Katze. Nur ein Spitzname. Ich weiß gar nicht mehr, wie er eigentlich darauf gekommen ist.«
»Das musst du mir unbedingt verraten, wenn es dir wieder einfällt. Klingt nach einer guten Geschichte.« Taemin lächelte.
»Nacht, Jimin.«
»Meinst du nicht eher guten Morgen?«, fragte er.
»Das auch«, rief er noch mit einem Lächeln, das ich zum Brechen fand.
Jimin wirkte so verzückt, dass ich die Tür ohne Vorwarnung zuknallte, um ihn in die Realität zurückzuholen. Er zuckte erschrocken zurück.
»Was?«, giftete er mich an.
Ich stapfte über den Flur zu meinem Zimmer, Jimin hinter mir her. Er blieb im Türrahmen stehen, auf einem Bein hüpfend, weil er versuchte, sich den Schuh auszuziehen. »Er ist nett, Kook.«
Ich sah ihm zu, wie er sich bemühte, das Gleichgewicht zu halten, und beschloss, ihm zu helfen, bevor er hinfiel. »Du wirst dir nur wehtun«, sagte ich, legte einen Arm um seine Taille und zog ihm mit der anderen Hand den Schuh von seinem Fuß. Dann zerrte ich mir mein Hemd vom Leib und feuerte es in eine Ecke.
Zu meiner Überraschung knöpfte Jimin die Knöpfe seines Hemdes auf und ließ es fallen. Das selbe machte er mit seiner Hose. Rasch schlüpfte ich ihn in ein T-Shirt und Pyjamahose.
»Ich bin mir sicher, dass ich nichts habe, was du nicht auch hast.« Er verdrehte dabei die Augen, setzte sich auf die Matratze und schob die Beine unter die Decke. Ich beobachtete, wie er sich ins Kissen kuschelte.
Dann zog ich meine Jeans aus und schleuderte sie auch in die Ecke.
Er hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt und wartete darauf, dass ich ins Bett kam. Es irritierte mich, dass er sich gerade von Taemin hatte heimbringen lassen und sich trotzdem vor mir ausgezogen hatte, als sei nichts dabei. Das entsprach eben genau dieser verdammten platonischen Beziehungen, in der wir uns befanden. Und daran war allein ich schuld.
In mir hatte sich so viel aufgestaut. Ich wusste nicht, wie ich damit fertig werden sollte. Als wir die Wette abgeschlossen hatten, wäre mir nicht im Traum eingefallen, dass er Taemin daten könnte. Wenn ich jetzt einen Wutanfall hinlegte, würde Jimin das nur direkt in Taemins Arme treiben. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass ich zu allem bereit wäre, nur um ihn in meiner Nähe zu halten. Und falls es mir mehr Zeit mit Jimin bescherte, wenn ich meine Eifersucht bezähmte, würde ich eben ganau das tun müssen.
Ich kroch neben ihm ins Bett, hob meine Hand und legte sie auf seine Hüfte.
»Ich habe heute Abend einen Kampf verpasst. Jackson hat angerufen. Ich bin nicht hingegangen.«
»Warum?«, fragte er und drehte sich zu mir um.
»Ich wollte sicher sein, dass du nach Hause kommst.«
Er rümpfte die Nase. »Du bist nicht mein Babysitter.«
Ich strich mit meinen Fingern seinen Arm entlang. Seine Haut war so warm. »Ich weiß. Ich schätze, ich fühle mich einfach immer noch schlecht wegen gestern Nacht.«
»Ich habe dir doch gesagt, es ist mir egal.«
»Hast du deshalb im Sessel geschlafen? Weil es dir egal war?«
»Ich konnte nicht einschlafen, nachdem deine... Freunde gegangen waren.«
»Du hast in dem Sessel prima geschlafen. Warum dann nicht neben mir?«
»Du meinst, neben einem Typen, der immer noch nach den zwei Barkerlen roch, die er gerade hinauskomplimentiert hatte? Ich weiß auch nicht! Wie egoistisch von mir.«
Ich zuckte zurück und versuchte, die entsprechenden Bilder aus meinem Kopf zu kriegen. »Ich habe doch schon gesagt, dass es mir leidtut.«
»Und ich sagte, es ist mir egal. Gute Nacht.« Damit drehte er sich wieder um. Ich griff über das Kissen, legte meine Hand auf seine, streichelte die zarte Haut zwischen seinen Fingern, beugte mich herüber und küsste ihn aufs Haar. »So sehr ich Angst hatte, du würdest nie mehr ein Wort mit mir reden... Aber dass du gleichgültig bist, das ist noch schlimmer.«
»Was willst du von mir, Jungkook? Du möchtest nicht, dass ich wütend darüber bin, was du getan hast, aber es soll mir nicht egal sein. Du sagst Taehyung, dass du mich nicht daten willst, aber du bist so angepisst, wenn ich das Gleiche sage, dass du davonstürmst und dich bis zur Lächerlichkeit betrinkst. Das ergibt doch alles keinen Sinn.«
Seine Worte überraschen mich. »Hast du das deshalb zu Taehyung gesagt? Weil ich ihm gegenüber meinte, ich würde dich nicht daten?«
Sein Gesicht spiegelte eine Mischung aus Wut und Entsetzen. »Nein, ich habe es so gemeint, wie ich es gesagt habe. Allerdings nicht als Kränkung.«
»Ich habe das nur gesagt, weil ich nichts kaputtmachen wollte. Ich wüsste ja nicht mal, wie ich es anfangen sollte, jemand zu werden, den du verdienst. Ich habe erst mal versucht, das in meinem Kopf auf die Reihe zu kriegen.«
Mir wurde ganz elend, als ich das sagte, aber es musste sein.
»Wie auch immer. Ich muss jetzt jedenfalls ein bisschen schlafen. Ich habe heute Abend eine Verabredung.«
»Mit Taemin?«
»Ja. Und kann ich jetzt bitte schlafen?«
»Klar.« Ich schwang mich aus dem Bett. Jimin sagte kein Wort, als ich das Zimmer verließ. Ich setzte mich in den Sessel und schaltete den Fernseher ein. So viel zu meiner geplanten Selbstbeherrschung, aber verdammt, dieser Mann ging mir wirklich unter die Haut. Mit ihm zu reden, das war, als würde man mit einem Schwarzen Loch Konversation machen. Es spielte keine Rolle, was ich sagte, selbst bei den wenigen Gelegenheiten, als ich mir über meine Gefühle im Klaren war. Sein selektives Gehör war einfach zum Verrücktwerden. Ich konnte nicht zu ihm durchdringen, und wenn ich direkt war, schien ihn das wütend zu machen.
Eine halbe Stunde später ging die Sonne auf. Obwohl die Wut immer noch in mir kochte, schaffte ich es einzuschlummern.
Ein paar Minuten später klingelte mein Handy. Ich hatte Mühe, es im Halbschlaf zu finden, doch dann hielt ich es an mein Ohr. »Jaa?«
»Arschgesicht!«, rief Kai.
»Wie spät ist es?«, fragte ich und schaute zum Fenster. Es liefen die für Samstagvormittag üblichen Zeichentrickserien.
»Irgendwas nach zehn. Ich brauche deine Hilfe bei Dads Truck. Ich glaube, es liegt an der Zündung. Er springt nicht an.«
»Kai«, sagte ich gähnend, »ich habe verdammt noch mal keinen Schimmer von Autos. Deshalb fahre ich ein Bike.«
»Dann frag Yoongi. Ich muss in einer Stunde zur Arbeit, und ich will Dad damit nicht hängen lassen.«
Ich gähnte wieder. »Scheiße, Kai, ich habe die Nacht durchgemacht. Was ist mit Baekhyun?«
»Beweg deinen Arsch hierher!«, brüllte er mich noch mal an, bevor er auflegte.
Ich warf mein Handy auf die Couch, stand auf und schaute auf die Uhr am Fernseher. Kai hatte nicht weit daneben gelegen. Es war zehn Uhr zwanzig.
Yoongis Tür war zu, also horchte ich eine Minute lang. Danach klopfte ich zweimal und steckte den Kopf hinein.
»Hey, Yoongs. Yoongi!«
»Was?«, fragte Yoongi. Seine Stimme klang, als hätte er Kies geschluckt und mit Säure nachgespült.
»Ich brauche deine Hilfe.«
Taehyung jammerte, rührte sich aber nicht.
»Wobei?«, fragte Yoongi. Er setzte sich auf, fischte ein T-Shirt vom Boden und zog es sich über den Kopf.
»Dads Truck springt nicht an. Kai glaubt, es ist die Zündung.«
Yoongi zog sich fertig an und beugte sich über Taehyung.
»Ich bin für ein paar Stunden bei Donghae, Baby.«
»Hmmm?«
Yoongi küsste ihn auf die Stirn. »Ich helfe Jungkook mit Donghaes Wagen. Dann komm ich zurück.«
»Okay«, sagte Taehyung und war schon wieder eingeschlafen, bevor Yoongi das Zimmer verlassen hatte. Er zog sich ein Paar Turnschuhe an, die im Wohnzimmer standen, und griff nach seinem Schlüssel.
»Kommst du nicht mit, oder was?«, fragte er.
Ich taumelte den Flur entlang und in mein Zimmer, so schleppend wie jedermann mit gerade mal vier Stunden Schlaf. Und noch dazu nicht besonders erholsamen. Ich schlüpfte in ein Unterhemd, einen Hoodie und irgendwelche Jeans. Dabei bemühte ich mich, leise zu sein, den Knauf meiner Zimmertür lautlos zu drehen, aber bevor ich ging, hielt ich inne. Jimin lag mit dem Rücken zu mir, atmete gleichmäßig und hatte die nackten Beine in verschiedenen Richtungen gestreckt. Mich überkam das fast unbezähmbare Verlangen, zu ihm ins Bett zu kriechen.
»Jetzt komm schon!«, rief Yoongi. Ich schloss die Tür und folgte ihm zum Charger.
Auf dem Weg zu Dad gähnten wir abwechselnd und waren zu müde, um uns zu unterhalten.
Der Kies in der Einfahrt knirschte unter unseren Reifen, und ich winkte Kai und Dad zu, noch bevor ich ausstieg.
Der Wagen parkte vor dem Haus. Ich schob die Hände in die Bauchtasche meines Sweaters, weil die Luft ganz schön kühl war. Als ich über den Rasen ging, knirschte gefallenes Laub unter meinen Stiefeln.
»Ach, das ist ja schön. Hallo, Yoongi«, lächelte Dad.
»Hey, Onkel Donghae. Wie ich höre, hast du ein Problem mit deiner Zündung.«
Dad stützte eine Hand in seine nicht vorhandene Taille.
»Das glauben wir... das glauben wir.« Nickend schaute er auf den Motor unter der aufgeklappten Haube.
»Und warum glaubt ihr das?«, fragte Yoongi und krempelte sich schon die Ärmel auf.
Kai zeigte auf die Plastikverkleidung. »Äh... die ist geschmolzen. Das war der erste Hinweis.«
»Gut möglich«, sagte Yoongi. »Kook und ich fahren mal eben los und besorgen eine neue. Ich werde sie dir einbauen, und schon bist du wieder mobil.«
»Theoretisch.« Ich hielt Yoongi einen Schraubenzieher hin.
Er löste damit die Schrauben des Zündungsmoduls und nahm es heraus. Wir schauten alle auf das geschmolzene Plastik.
Yoongi zeigte auf die leere Stelle im Motorraum. »Wir werden auch diese Kabel da austauschen müssen. Seht ihr die Schmorspuren?«, fragte er und berührte das Metall. »Die Isolierung ist auch geschmolzn.«
»Danke Yoongs. Ich werde mal duschen gehen. Muss mich für die Arbeit fertig machen.«, meinte Kai.
Yoongi benutzte den Schraubenzieher, um Kai lässig zu salutieren, dann warf er ihn in die Werkzeugkiste. »Ihr Jungs seht aus, als hättet ihr eine lange Nacht gehabt«, stellte Dad fest.
Ich verzog den Mund. »Hatten wir.»
»Wie geht's dem Jungen, der dein Herz erobert hat? Taehyung?«
Yoongi nickte. Ein strahlendes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Ihm geht's gut, Donghae. Er schläft noch.«
Dad lachte auf und nickte. »Und der Junge Mann deines Herzens?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Er hat heute Abend ein Date mit Taemin Lee. Er ist also nicht gerade mein, Dad.«
Dad zwinkerte mir zu. »Noch nicht.«
Yoongis Gesicht verdüsterte sich, was er allerdings zu verstecken versuchte.
»Was ist, Yoongs? Hast du was gegen Jungkooks' Kitten?«
Dads lässige Verwendung von Jimins Spitznamen irritierte Yoongi total. Er verzog den Mund und zwang sich zu einem Lächeln. »Nein, ich mag Jimin sehr. Er ist für Taehyung fast wie ein Bruder. Das macht mich ein bisschen nervös.«
Dad nickte verständnisvoll. »Nachvollziehbar. Obwohl ich denke, dass es diesmal was anderes ist, meinst du nicht?«
Yoongi zuckte mit den Schultern. »Genau das ist ja der Haken. Ich will nicht unbedingt, dass Taehyungs bester Freund Schuld an Kooks ersten Liebeskummer ist. Nichts gegen dich, Kook.«
Ich schaute finster drein. »Du traust mir wohl überhaupt nicht, was?«
»Daran liegt es nicht. Obwohl, eigentlich doch.«
Dad legte eine Hand auf Yoongis Schulter. »Du fürchtest, weil das Jungkooks' erster Versuch mit einer Beziehung ist, dass er es verbockt und damit auch dir alles vermasselt.«
Yoongi griff nach einem Lumpen und wischte sich die Hände daran ab. »Tut mir leid, es zugeben zu müssen, aber das stimmt. Obwohl ich dir natürlich die Daumen halte, Mann, das tu ich wirklich.«
Kai ließ die Fliegengittertür hinter sich zuknallen und kam aus dem Haus gelaufen. Er boxte mich in den Arm, bevor ich auch nur mitbekam, dass er die Faust gehoben hatte.
»Bis nacher, ihr Loser!« Er blieb stehen und drehte sich nochmal um. »Damit hab ich aber nicht dich gemeint, Dad.«
Dad lächelte schwach und schüttelte den Kopf. »Das hatte ich auch nicht gedacht, mein Sohn.«
Kai lächelte und sprang in seinen Wagen - einen dunkelroten, runtergekommenen Dodge Intrepid. Das Modell war nicht mal cool gewesen, als wir noch auf die Highschool gingen, aber er liebte es. Vor allem, weil es abbezahlt war.
Da bellte ein kleiner schwarzer Welpe und lenkte unsere Aufmerksamkeit aufs Haus.
Dad lächelte und klopfte an seinen Oberschenkel. »Na komm schon her, du Angsthase.«
Der Welpe machte ein paar Schritte vorwärts, wich dann jedoch wieder ins Haus zurück und bellte wieder.
»Wie macht er sich?«, fragte ich.
»Er hat zweimal ins Bad gepinkelt.«
Ich verzog das Gesicht. »Tut mir leid.«
Yoongi lachte. »Immerhin hat er schon das richtige Zimmer erwischt.«
Dad nickte und winkte ab.
»Nur noch bis morgen.«
»Ist schon okay, mein Sohn. Er unterhält uns ganz gut. Kai hat Spaß an ihm.«
»Gut.« Ich grinste.
»Wo waren wir stehen geblieben?«, fragte Dad.
Ich rieb mir den Arm, der von Kais Faustschlag schmerzte.
»Yoongi hat mich gerade daran erinnert, für was für einen Blindgänger er mich hält, was die Kerle betrifft.«
Yoongi lachte kurz auf. »Du bist alles Mögliche, Kook. Aber bestimmt kein Blindgänger. Ich denke nur, du hast noch einen langen Weg vor dir, und wenn ich mir deine und Jimins Launen so ansehe, dann hast du einfach keine guten Karten.«
Ich spürte, wie ich mich verspannte und hoch aufrichtete.
»Jimin hat keine Launen.«
Dad machte eine beschwichtigende Geste. »Reg dich ab, Kleiner. Er macht Jimin doch nicht schlecht.«
»Er hat trotzdem keine Launen.«
»Okay«, sagte Dad freundlich. Er wusste immer mit uns Jungs umzugehen, wenn gespannte Stimmung herrschte, und meist versuchte er, uns zu besänftigen, bevor wir zu sehr in Rage gerieten.
Yoongi warf den Lumpen auf die Werkzeugkiste. »Lass und das Teil besorgen fahren.«
»Sag mir nachher, wie viel ich dir schulde.«
Ich schüttelte den Kopf. »Darum kümmere ich mich, Dad. Dann sind wir quitt wegen des Hundes.«
Dad strahlte und begann das Durcheinander in der Werkzeugkiste aufzuräumen, das Kai hinterlassen hatte. »Na gut. Wir sehen uns später.«
Yoongi und ich fuhren mit dem Charger zu dem Ersatzteileladen. Eine Kaltfront hatte sich ausgebreitet. Ich zog die Ärmel meines Sweaters zum Wärmen über die Hände.
»Ist ja wirklich eiskalt heute«, meinte Yoongi.
»Kann man sagen.«
»Ich glaube der Welpe wird ihm gefallen.«
»Hoffe ich.«
Nachdem wir ein paar Blocks schweigend zurückgelegt hatten, deutete Yoongi mit dem Kopf in meine Richtung. »Ich wollte Jimin nicht schlechtmachen. Das weißt du doch, oder?«
»Weiß ich.«
»Ich weiß, was du für ihn empfindest, und ich hoffe wirklich, dass alles gut wird. Ich bin nur ein bisschen nervös.«
»Is' klar.«
Yoongi bog auf den Parkplatz von O'Reilly's und parkte dort, stellte aber den Motor noch nicht ab. »Er hat heute Abend ein Date mit Taemin Lee, Jungkook. Wie, glaubst du, wird das laufen, wenn er ihn abholt? Hast du darüber schon nachgedacht?«
»Ich versuche, es zu vermeiden.«
»Also, vielleicht solltest du das besser. Wenn du wirklich willst, dass daraus was wird, dann musst du aufhören, aus dem Bauch raus zu reagieren, sondern eher so, dass es dir was nützt.«
»Und wie?«
»Glaubst du, du gewinnst irgendwas, wenn du schmollst, während er sich fertig macht, und du dich Taemin gegenüber wie ein Arschloch gegenüber benimmst? Oder meinst du, er würde es zu schätzen wissen, wenn du ihm sagst, wie toll er aussieht und dich von ihm verabschiedest, wie ein guter Freund es tun würde?«
»Ich will aber nicht nur sein guter Freund sein.«
»Das weiß ich, und du weißt es, und wahrscheinlich weiß Jimin es auch... und du kannst dir verdammt sicher sein, dass Taemin es weiß.«
»Musst du dauernd den Namen von diesem Wichser erwähnen?«
Yoongi zog den Zündschlüssel. »Ach komm, Kook. Du und ich, wir wissen doch beide, dass Taemin mit diesem Spielchen weitermachen wird, solange du ihn zeigst, dass er dich damit zur Weißglut bringen kann. Verschaff ihm diese Genugtuung nicht, und spiel das Spiel besser als er. Dann muss er Farbe bekennen, und Jimin wird ihn ganz von alleine loswerden.«
Ich dachte darüber nach, was er sagte, und warf ihm einen Blick zu. »Das... denkst du wirklich?«
»Ja, und jetzt lass und dieses Teil zu Donghae bringen und nach Hause fahren, bevor Taehyung aufwacht und mein Telefon heißlaufen lässt, weil er sicht nicht mehr daran erinnert, was ich ihm beim Weggehen gesagt habe.«
Ich lachte und folgte Yoongi in den Laden. »Er ist trotzdem ein Wichser.«
Yoongi brauchte nicht lange, um das gesuchte Teil zu finden und auch nicht viel länger, um es einzubauen. Nach einer guten Stunde hatte er das Zündungsmodul angeschlossen, den Truck gestartet und Dad eine ausreichend lange Erklärung geliefert. Als wir winkend mit dem Charger aus der Einfahrt fuhren, war es gerade mal kurz vor Mittag.
Wie Yoongi vorhergesehen hatte, war Taehyung bereits wach, als wir in der Wohnung eintrafen. Er versuchte, ein bisschen beleidigt zu sein, bis Yoongi unsere Abwesenheit erklärte, aber ganz offensichtlich war er einfach froh, Yoongi wieder bei sich zu haben.
»Mir war so langweilig. Jimin schläft immer noch.«
»Immer noch?«, fragte ich und kickte die Stiefel von meinen Füßen.
Taehyung nickte und schnitt eine Grimasse. »Der Junge liebt seinen Schlaf. Wenn er sich am Abend vorher nicht um den Verstand gesoffen hat, kann er ewig schlafen. Ich habe es aufgegeben zu versuchen, ihn in einen Morgenmenschen zu verwandeln.«
Die Tür knarrte, als ich sie langsam aufstieß. Jimin lag auf dem Bauch, fast noch in der Position, in der ich ihn zurückgelassen hatte, nur auf der anderen Seite des Bettes. Ein paar Strähnen lagen auf seiner Stirn, der Rest lag auf dem Kopfkissen.
Jimins T-Shirt war in seiner Taille hochgerutscht und ließ seine hellblaue Boxer sehen. Er sah aus wie im Koma, aber selbst so wie er da zufällig auf meinen weißen Laken in der Nachmittagssonne lag, die durchs Fenster schien, war er unbeschreiblich schön.
»Kitten? Stehst du heute noch mal auf?«
Er murmelte irgendwas und drehte den Kopf. Ich ging noch ein paar Schritte ins Zimmer.
»Kitten?«
Jimin nuschelte etwas Unverständliches ins Kissen.
Taehyung hatte recht. In absebarer Zeit würde er nicht wach werden. Ich schloss die Tür wieder leise hinter mir und gesellte mich im Wohnzimmer zu Yoongi und Taehyung. Die naschten von einem Teller mit Nachso, die Taehyung gemacht hatte, und sahen sich irgendeinen Film an.
»Ist er auf?«, fragte Taehyung.
Ich schüttelte den Kopf und setzte mich in den Sessel. »Nö. Obwohl er irgendwas gemurmelt hat.«
Taehyung grinste. »Das macht er manchmal«, sagte er dann mit vollem Mund. »Ich habe dich letzte Nacht aus deinem Zimmer kommen hören. Was war denn los?«
»Ich habe mich wie ein Arsch benommen.«
Taehyung riss die Augen auf. »Inwiefern?«
»Ich war frustriert. Ich hatte ihm gesagt, wie ich mich fühle, und es war, als ginge ihm das zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus.«
»Und wie fühlst du dich?«, fragte er.
»Im Moment müde.«
Ein Nacho kam in meine Richtung geflogen, aber er war zu kurz geworfen und landete nur auf meinem Sweater. Ich hob ihn auf und schob ihn mir in den Mund. Schmeckte gar nicht mal schlecht.
»Ich mein das ernst. Was hast du ihm gesagt?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Weiß ich nicht mehr. Irgendwas darüber, so zu sein, wie er es verdienen würde.«
»Aah«, machte Taehyung und seufzte. Er beugte sich mit einem ironischen Grinsen von mir weg zu Yoongi. »Das war ziemlich gut. Selbst du musst das doch zugeben.«
Yoongi verzog gerade mal einen Mundwinkel. Das war die einzige Reaktion, die Taehyung mit dieser Bemerkung bei ihm hervorrufen konnte.
»Du bist so ein Griesgram«, stellte Taehyung finster fest.
Yoongi stand auf. »Nein, Baby. Ich zieh mich mal ein Weilchen zurück.« Er schnappte sich eine Autozeitschrift von Tisch und ging Richtung Toilette.
Taehyung sah ihm nach, dann drehte er sich zu mir um, und verzog das Gesicht. »Ich schätze, in den nächsten Stunden werde ich dein Bad benutzen.«
»Es sei denn, du möchtest deinen Geruchssinn für den Rest deines Lebens einbüßen.«
»Danach würde ich mir das vielleicht wünschen«, meinte er schaudernd.
Taehyung ließ den angehenden Film weiterlaufen, und wir sahen uns den Rest gemeinsam an. Ich kapierte allerdings nicht wirklich, was da vor sich ging. Eine Frau erzählte irgendwas von alten Kühen, und dass ihr Mitbewohner eine männliche Nutte sei. Am Ende des Films war Yoongi wieder zu uns gestoßen. Die Hauptfigur war inzwischen dahintergekommen, dass sie etwas für ihren Mitbewohner empfand, sie war überhaupt keine alte Kuh, und die jetzt bekehrte männliche Nutte ärgerte sich über irgendwelche dummen Missverständnisse. Sie musste ihm nur auf die Straße nachlaufen, ihn küssen, und schon war alles gut. Nicht der schlechteste Film, den ich je gesehen hatte, aber eben doch eine Schnulze... und ziemlich lahm.
Am Nachmittag war die Wohnung lichtdurchflutet, und der Fernseher lief, wenn auch ohne Ton. Alles schien normal, aber auch irgendwie leer. Die gestohlenen Straßenschilder hingen noch an den Wänden, neben den Plakaten unserer Lieblingsbiermarken. Taehyung hatte etwas sauber gemacht, und Yoongi lag träge auf der Couch rum. Ein ganz normaler Samstag. Aber etwas war anders. Etwas fehlte.
Jimin.
Obwohl er nebenan lag, im Tiefschlaf, kam einen das Apartment anders vor ohne seine Stimme, ohne seine kleinen frechen Späße oder auch nur ohne Geräusche, die er mit seinem Löffel in den Haferflocken machte. In der kurzen Zeit, die wir zusammen verbracht hatten, hatte ich mich an all das gewöhnt.
Gerade als der Abspann des zweiten Films lief, hörte ich meine Zimmertür aufgehen und Jimin über den Boden tappen. Die Badtür öffnete und schloss sich. Er fing also an, sich für sein Date mit Taemin fertig zu machen.
Sofort wollte ich zu kochen beginnen.
»Kook«, warnte mich Yoongi.
Ich wiederholte im Geiste, was er mir am Vormittag gesagt hatte. Taemin spielte ein Spiel, und ich musste ihn ausspielen. Mein Adrenalinspiegel normalisierte sich wieder, und entspannt ließ ich mich wieder gegen die Sofakissen fallen. Es war an der Zeit, mein Pokerface aufzusetzten.
Das Fauchen in der Leitung verriet , dass Jimin vorhatte zu duschen. Taehyung erhob sich und tänzelte in mein Bad. Ich konnte ihren Wortwechsel zwar hören, aber kaum verstehen, was sie sagten.
Leise ging ich auf den Flur und presste mein Ohr an die Tür.
»Es begeistert mich nicht gerade, dass du meinen Freund beim Urinieren belauscht«, flüsterte Yoongi halblaut.
Ich hielt meinen Mittelfinger an die Lippen und konzentrierte mich wieder auf ihre Stimmen.
»Ich hab's ihm erklärt«, meinte Jimin gerade.
Die Toilettenspülung rauschte, der Wasserhahn wurde aufgedreht, und dann schrie Jimin plötzlich auf. Ohne zu überlegen, packte ich den Knauf und riss die Tür auf.
»Kitten?«
Taehyung lachte. »Ich habe nur die Spülung gedrückt. Mach dich locker, Kook.«
»Oh. Bei dir alles klar, Kitten?«
»Alles bestens. Mach, dass du rauskommst.« Ich drückte die Tür wieder zu und seufzte. Wie dumm von mir. Nach ein paar Sekunden war mir klar, dass keiner der beiden wusste, dass ich noch unmittelbar hinter der Tür stand, also drückte ich mein Ohr wider gegen das Holz.
»Ist eine abschließbare Tür zu viel verlangt?«, fragte Jimin.
»Tae?«
»Es ist wirklich zu schade, dass ihr beide nicht zusammenkommen konntet. Du bist der einzige Kerl, der ihn hätte...« Er seufzte. »Aber spielt ja jetzt keine Rolle mehr.«
Das Wasser wurde abgedreht. »Du bist genauso schlimm wie er«, sagte Jimin und klang extrem genervt. »Das ist wie eine ansteckende Krankheit... keiner benimmt sich logisch. Du bist doch stinksauer auf ihn, schon vergessen?«
»Ich weiß«, erwiederte Taehyung.
Das war mein Stichwort, mich wieder ins Wohnzimmer zurückzuschleichen, allerdings mit wahnsinnigem Herzklopfen. Warum auch immer Taehyung so dachte, aber wenn er es okay fand, dann fühlte sich das für mich an wie grünes Licht. Und anscheinend war ich doch kein Volltrottel, weil ich versuchte, ein Teil von Jimins Leben zu werden.
Gerade als ich wieder auf der Couch saß, kam Taehyung aus dem Bad.
»Was?«, fragte er, denn anscheinend spürte er, dass etwas nicht stimmte.
»Nichts, Baby. Komm, setzt dich her«, sagte Yoongi und klopfte neben sich auf die Couch.
Daraufhin ging Taehyung gerne ein. Er streckte sich neben ihm aus und schmiegte sich an seine Brust.
Im Bad wurde der Föhn eingeschaltet, und ich schaute auf die Uhr.
Das Einzige, was nich schlimmer war, als mich damit abzufinden, dass Jimin zu einem Date mit Taemin aufbrach, wäre Taemin, der in meiner Wohnung auf Jimin wartete. Mich ein paar Minuten lang zusammenreißen, während er sich fertig machte und ging, das würde ich vielleicht hinkriegen. Doch seine hässliche Visage sehen, während er auf meiner Couch saß, und wissen, dass er plante, am Ende des Abends in seine Boxer zu kommen, das war noch mal was anderes.
Meine Unruhe ließ ein wenig nach, als Jimin aus dem Bad kam. Er trug eine schwarze Hose und ein schwarzes Hemd. Seine Haare fielen ihm in leichten wellen in einem Scheitel. Er sah wahnsinnig gut aus.
Ich lächelte und musste mich nicht mal dazu zwingen.
»Du... siehst toll aus.«
»Danke«, antwortete er ganz offensichtlich verblüfft.
Es klingelte an der Tür, und sofort pulsierte Adrenalin in meinen Adern. Ich holte tief Luft und war entschlossen, cool zu bleiben.
Jimin machte die Tür auf, und Taemin brauchte ein paar Sekunden, bevor er die Sprache wiederfand.
»Du bist das schönste Geschöpf, das ich je gesehen habe«, säuselte er.
Jawoll, ich würde definitiv noch kotzen, bervor ich ihm eine scheurte. Was für ein Loser.
Taehyung grinste von einem Ohr zum anderen. Yoongi schien auch echt glücklich zu sein. Ich weigerte mich, mich umzudrehen und hielt die Augen auf den Fernseher gerichtet.
Wenn ich Taemins schmierige Visage sähe, würde ich über die Couch klettern und ihm derart eine verpassen, dass er, ohne eine eizige Stufe zu berühren, ins Erdgeschoss segeln würde.
Die Tür schloss sich, und ich setzte mich auf, die Ellbogen auf die Knie, das Gesicht in den Händen vergraben.
»Du hast dich tapfer gehalten, Kook«, sagte Yoongi.
»Ich brauche einen Drink.«
•••
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