Kapitel 80
Als ihr Telefon klingelte, zuckte Bea erschrocken zusammen, es war mit 22.oo Uhr eine Zeit, in der normalerweise niemand mehr anrief, schon gar nicht auf dem Festnetz. Unwillkürlich begann ihr Herz schneller zu schlagen, hoffentlich war nichts mit ihren Eltern! Hastig nahm sie den Hörer ab und war erleichtert, nur ein fröhliches „Bea!" zu hören.
„Dachte ich es mir doch, dass du noch wach bist", klang Andreas befriedigte Stimme aus dem Hörer. „Ist dein Handy aus? Hör mal, ich bin in der Nähe, wollen wir noch in das Cafe bei dir um die Ecke?"
„Hast du nicht eigentlich noch Sport?", wunderte sich Bea und sah hinunter auf ihre Jogginghose und den Pulli von Anno dazumal, die sie der Bequemlichkeit zuliebe zurzeit abends trug.
„Ich hatte irgendwie keine Lust auf den zweiten Kurs... Außerdem dachte ich, du könntest ein wenig Unterhaltung vertragen."
Sie lachte, aber das darunter liegende Mitgefühl war für Bea unschwer heraus zu hören. Sie lächelte daher gerührt und obwohl der spontane Vorschlag einen Wechsel ihrer Kleidung erforderlich machte, stimmte sie ohne zu zögern zu.
Eine Viertelstunde später rutschte Bea im Drink, Eat, Meet zu Andrea an einen Ecktisch. Angesichts der Zeit und des Wochentages war nicht mehr viel los, der Laden machte um 23.oo Uhr zu, was ihnen immerhin noch einen kleinen Plausch ermöglichte.
„Nun, wie isses?", kam Andrea sofort zur Sache und sah von Beas ungeschminktem Gesicht hinunter zu dem einfachen, hellblauen Sweatshirt und der ausgeblichenen Jeans.
Beas Antwort war ein schweigendes Schulterzucken, das von der Absicht kündete, ihrer Freundin nichts vormachen zu wollen, dann:
„Muss ja..."
„Hängst du immer noch vor dem Fernseher?"
„Ich habe mich mit Lisa, Manu, Brian und den Harburgern getroffen", verteidigte sich Bea schwach und starrte auf einen Punkt hinter Andreas Schultern.
„Auch abends?", insistierte Andrea energisch und sah sie durchdringend an.
„Lisa und Manu wollten mit mir Party machen", aber ich hatte keine Lust", gab Bea zu. Jegliches Clubbing erinnerte sie nur zu deutlich an das, was sie verloren hatte. Unruhig spielten ihre Finger mit einem der Bierdeckel.
Andrea reagierte mit Schweigen und Bea war froh darüber, dass sie nicht auf diesem Punkt beharrte, deprimiert ergänzte sie:
„Es war dumm gewesen, mich auf eine Beziehung einzulassen. Auf das, was ich jetzt wieder durchmache, hätte ich getrost verzichten können. Ich habe daher sowieso kein Interesse, nochmal jemanden kennen zu lernen."
„Das meinte ich auch gar nicht", protestierte Andrea und winkte die Bedienung heran. „Zwei Apfelschorlen, bitte!" Und ohne merkliche Pause fuhr sie fort:
„Hattest du ihn eigentlich noch mal angerufen?"
„Wozu?!" konterte Bea bitter. „Er hat doch deutlich gemacht, dass er nichts mehr von mir wissen will."
Unruhig schnippte sie einen Krümel vom Tisch.
„Ja, sein Verhalten war am Ende ziemlich daneben", gab Andrea unumwunden zu. Aber er ist doch sonst nicht so, hast du gesagt... Also, die Bea, die ich kenne, steckt nicht einfach den Kopf in den Sand", setzte sie dann energisch hinzu. „Wirklich, das ist jetzt einige Wochen her. Vielleicht bereut er sein blödes Verhalten ja längst."
„Dann kann er sich ja melden", gab Bea ein wenig eigensinnig zurück.
Andrea seufzte.
„Ihr seid beide kindisch. Einer muss den ersten Schritt machen. Du vermisst ihn doch..."
Bea sah hinunter auf den Tisch und schwieg, was Andrea folgerichtig als Zustimmung interpretierte.
„Ruf ihn einfach noch mal an!", schlug sie daher vor.
Abwehrend ließ Bea sich jedoch in den Stuhl zurück fallen, schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust; sie hatte längst beschlossen, dass sie ihm auf keinen Fall hinterher laufen würde, vermutete ohnehin, dass er sich längst zu trösten gewusst hatte.
„Wahrscheinlich ist er ganz froh darüber, jetzt muss er sich ja nicht mehr mit Kindern herumschlagen", entfuhr es ihr etwas zorniger als beabsichtigt.
„Hatte er gesagt, dass Jonas der Grund ist, als er fortging?", fragte Andrea sachlich.
„Ja, in unserem letzten Telefonat", erwiderte Bea gereizt und schlug die Beine übereinander,
Andrea ließ sich von Beas Abwehrhaltung jedoch nicht einschüchtern, blickte sie nur mit stummer Aufforderung an, bis Bea sich genötigt sah, den vergangenen Streit noch einmal Revue passieren zu lassen.
„Er hat gesagt, dass alles mit Jonas zu tun hat. Und dass ich ihn nicht in Schutz nehmen soll."
Die Bedienung brachte die gewünschten Getränke und wies darauf hin, dass sie bald schließen würden. Angesichts einer Stimmung, die nicht zu feiern Anlass gab, verzichteten Bea und Andrea darauf, sich zuzuprosten.
„Hmm...", war Andreas nachdenkliche Reaktion, bevor sie weiter nachfrage: "Und als du vorher bei ihm zu Hause warst?"
„Er hat gesagt Wenn du das so siehst, dann gibt es für uns keine Zukunft! Und dass das Single-Leben einfacher ist."
„Da hat er also nicht explizit Jonas erwähnt. Und Kinder auch nicht", stellte Andrea nüchtern fest.
Bea schüttelte unwillig den Kopf und nahm einen Schluck.
„Aber gemeint."
„Nicht ganz", widersprach Andrea und zitierte den Kommentar. „Wenn du das so siehst... - was heißt das, was hattest du denn vorher gesagt?"
„Keine Ahnung! Ich hatte über Jonas nachgedacht. Ich war so schockiert über das gewesen, was er getan hat."
Nicht nur einmal hatte sie versucht herauszufinden, was Jannik dazu gebracht hatte, so plötzlich seine Wohnung zu verlassen, aber sie konnte sich einfach keinen Reim aus seinem Verhalten machen. War es in der Tat Jonas' Verhalten gewesen, das Jannik am Ende doch in die Flucht geschlagen hatte? Hätte sie bloß intensiver versucht, mit Jonas zu sprechen. Aber irgendwie hatte sie gehofft, dass Jonas irgendwann einen neuen Mann an ihrer Seite akzeptieren würde... Nun, diese Hoffnung war nun sang- und klanglos untergegangen.
Trotz ihrer pessimistischen Gedanken realisierte Bea, dass Andrea etwas durch den Kopf ging. Ohne ihre Freundin anzusehen, fragte sie leise:
„Warum suchst du nach Nuancen, die was anderes bedeuten könnten?" Unruhig kreiste sie den Boden ihres Glases über dem Tisch hin und her.
Andreas Stimme war ernst. „Bea, ich sehe doch, wie es dir geht. Und wenn du ihn sowieso nicht vergessen kannst... dann musst du vielleicht erst mal das Vorgefallene klären und kannst dann erst abschließen..."
„Meinst du?" Beas Blick blieb voller Zweifel.
„Vielleicht hast du etwas gesagt, das bei ihm ganz anders angekommen ist, als es gemeint war", vermutete Andrea. „Darüber müsst ihr sprechen."
In Andreas Worten klang alles so einfach. Doch während Bea einerseits davonausging, dass Jannik auf ihren Anruf noch immer keinen Wert legte, war sie zum Anderen davon überzeugt, dass auch ein Anruf das grundlegende Problem nicht lösen würde. Diese etwas fatalistische Einstellung ließ ihre Stimmer nun erwartet ruhig klingen.
„Das ist unnötig und bringt nichts. Denn selbst wenn wir uns aussprechen würden – Jonas ist gegen meine Beziehung mit Jannik. Und damit ist sowieso alles zum Scheitern verurteilt."
Dieser Gedanke kam ihr nicht zum ersten Mal, er hatte etwas Endgültiges und war daher weit entfernt von einer Hoffnung, die sich als trügerisch herausstellen könnte; gleichzeitig trug er dazu bei, ihre aufgewühlten Emotionen unter Kontrolle zu halten, fast gelassen sah sie ihre Freundin an.
„Das hat aber doch nicht dein Sohn zu bestimmen!", gab Andrea zu bedenken und nahm einen Schluck aus ihrem Glas.
„Wir leben in einer Wohnung. Natürlich kann er das beeinflussen! Meinst du, ich will ständig Jonas' Genörgel hören oder zwischen zwei Stühlen stehen? Und wer weiß, wie das zwischen ihm und Jannik noch eskalieren könnte... Das mit dem Foto hat mir schon gereicht."
Frustriert pustete sie eine Haarsträhne fort, die sich auf ihrer Nasenspitze niedergelassen hatte. Und dennoch, der äußerlichen Nonchalance zum Trotz spürte sie, wie sich etwas in ihr verkrampfte, wenn sie den Gedanken an das, was sie mit Jannik gehabt hatte, Raum gab.
Andrea krauste die Nase, als wolle sie etwas sagen, brächte es aber nicht über sich. Bea machte eine auffordernde Kopfbewegung.
„Spuck's aus!"
Andrea holte tief Luft und sagte leise, aber eindrücklich:
„Ich glaube, du musst dir erst mal darüber klar werden, ob sein Weglaufen etwas ist, das du verzeihen kannst. Und wenn ja, dann lohnt es sich zu ergründen, was dahinter stand. Aber du solltest es nicht von Jonas abhängig machen, wie und ob es mit euch weiter gehen kann. Es ist dein Leben. Boah, das klang vernünftig, oder?"
Sie lachte verlegen und fuhr sich durch die Haare.
Bea schluckte an einem Kloß, der ihr im Hals saß, und spürte ihre Augen feucht werden. Kaum hörbar, so dass Andrea sich nach vorne beugen musste, um sie zu verstehen, gab sie zurück:
„Ich kann das auf jeden Fall verzeihen. Ich liebe ihn immer noch. Aber Jonas liebe ich auch. Und der braucht mich!"
„Er ist dreizehn. Er wird dich immer weniger brauchen", gab Andrea zu bedenken.
„Aber er leidet darunter! Das kann ich ihm nicht antun", widersprach Bea mit Nachdruck und strich mit dem Zeigefinger über das noch feuchte Glas vor ihr.
„Und deshalb leidest du? Und lässt Jonas sein Verhalten durchgehen?"
Bea wich dem forschenden Blick ihrer Freundin aus, als könnte sie damit der Wahrheit entgehen, die diese aussprach.
„Ich versteh ja, was du meinst", fuhr Andrea fort, was auf einmal unwahrscheinlich laut klang, da die Musik verstummt war, „Kinder haben in unserem Herzen immer einen besonderen Stellenwert. Aber mit Jannik zusammen zu sein, ist keine Entscheidung gegen Jonas! Und das wird Jonas auch schließlich verstehen."
Bea drehte sich zurück und schüttelte den Kopf, und während sie jegliche anderen Empfindungen verdrängte, gab sie mit festem Blick zurück:
„Das Wichtigste ist, dass es den Kindern gut geht. Der Rest kommt schon von allein."
Entschlossen griff sie nach ihrem Glas und leerte es in einem Zug, überzeugt davon, dass es genauso sein würde, wenn sie nur fest genug daran glaubte.
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