Kapitel 53

Jonas und Pawel quetschten sich in den vollen Bus, in dem sie wegen unzähliger nasser Kleidungsstücke und Regenschirmen ein feuchtwarmer, muffeliger Geruch einhüllte. Auch ihnen war es nicht gelungen, trocken zu bleiben, denn der Regen hatte just in dem Moment begonnen, als sie ihren Weg zur Bushaltestelle antraten. Dank der Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der Fahrgäste aus sich laut unterhaltenden Schülern bestand, war die Lautstärke ohrenbetäubend und übertönte die Radiomusik des Busfahrers, was er mit einem genervten Hochziehen der Augenbrauen quittierte, ansonsten aber über sich ergehen ließ.

Jonas streifte ihn nur mit einem desinteressierten Blick und hing sich dann an einen der Haltegriffe, so dass er beim energischen Anfahren des Busfahrers mit Schwung gegen Pawel schleuderte.

„Heh, du Blödmann, pass doch auf!", rief ihm dieser verärgert entgegen und rieb sich, nach Aufmerksamkeit heischend, die Schulter.

„Stell dich nicht so an!", blieb Jonas ungerührt und schob die Tropfen, die der Schwerkraft folgend aus seinen Haaren die Schläfen entlang rannen, mit den Fingern beiseite.

„Mann, der Laubfrosch war mal wieder unerträglich heute!", stöhnte Pawel theatralisch, in der Hoffnung, nun endlich wenn schon nicht Mitgefühl, dann wenigstens leidvolle Zustimmung aus seinem Freund heraus zu kitzeln.

Jonas gab ihm sofort Recht. Frau Lofross, wie sie richtig hieß, hatte einen ihrer berüchtigten Monologe gehalten, bei dem die Konzentration jedes Schülers sofort das Weite suchte. Der Fakt, dass es sich hierbei um Deutschunterricht handelte und sie Frau Lofross bis zum Ende der Mittelstufe behalten würden, ließ Böses für die einmal auf sie zukommenden Prüfungen ahnen, doch naturgemäß beschäftigte dieser Gedanke allenfalls die Eltern jener Teenager, die bereits die Anwesenheitspflicht als Tortur empfanden.

Stattdessen hatte Jonas seinen Gedanken nachgehangen, die sich ausschließlich um die Taktik für ihre kommendes Spiel gegen SV Tonndorf drehten, doch noch bevor er das Resultat seiner Überlegungen Pawel präsentieren konnte, überraschte ihn dieser mit der Frage, ob seine Mutter noch immer ihren Macker hätte. Jonas seufzte so abgrundtief, dass man einen Stein mehrere Sekunden lang beim Hinabfallen in einen Brunnen hätte hören können.

„Immer noch", presste er dann zwischen zusammengepressten Zähnen hervor; es war absolut frustrierend, dass Jannik so dickfellig zu sein schien und offenbar beschlossen hatte, ihn und seine spitzen Bemerkungen einfach zu ignorieren.

Pawel betrachtete ihn nachdenklich und wollte dann neugierig wissen:

„Was hast du denn eigentlich gegen ihn?"

Jonas wandte unwillig den Kopf ab und in seiner Kehle bildete sich ein Kloß, der ihm das Schlucken erschwerte. Wie konnte er Pawel denn auch begreiflich machen, dass allein die Tatsache, dass das Leben anders war als vorher, die Gedanken seiner Mutter nicht mehr allein um ihn und Hannah kreisten und dass wer weiß was noch passieren konnte, ihn zornig auf denjenigen machte, der all das zu verantworten hatte? Dazu kam die Peinlichkeit des Altersunterschiedes zwischen den beiden – möge Gott verhüten, dass die beiden einmal zusammen in seiner Schule auftauchten – und die zu begrabende Hoffnung, dass seine Eltern wieder zusammenkommen konnten.

Schweigend starrte er auf die Wassermassen, die das Fenster herunterrannen und jegliche Sicht nach draußen versperrten. Das Wetter war genauso deprimierend wie seine ganze Situation. Er hatte keine Ahnung, wohin die ganze Geschichte mit seiner Mutter noch führen würde. Eines nur war klar: mit Jannik in ihrem Leben würde es nie mehr so sein wie früher.

Er vermisste die Zeit mit seinem Dad im Moment so sehr, dass es ihm beinahe einen Stich in die Brust versetzte. Wie sie gemeinsam am Wochenende gefrühstückt hatten: Sein Dad hatte Brötchen geholt, seine Mum den Tisch gedeckt und Rührei gemacht. Im Sommer hatten sie draußen auf dem Balkon gesessen... Anschließend hatten seine Eltern Zeitung gelesen und wenn sein Dad entspannt genug gewesen war, hatte er sich auf die politischen Bemerkungen seiner Mum eingelassen und mit ihr diskutiert, bevor er dann zum Tennis verschwunden war...

„Jonas?"

Pawels ungeduldige Stimme riss Jonas aus seinen Gedanken. Er schüttelte heftig den Kopf und zog seine Mundwinkel grimmig nach unten. Janniks Existenz machte alles kaputt, was er sich für die Zukunft wünschte. Mit ansteigender Wut zischte er deshalb empört:

„Der ist so was von jünger als sie! Das geht gar nicht! Ist noch an der Uni. Wie wenn er ein älterer Bruder wäre! Ich weiß echt nicht, was der an meiner Mutter findet, der hat sonst vorher nur so Model-Typen gedated. Ich will mir gar nicht vorstellen..." Er verstummte und verdrehte die Augen.

„Deine Mutter sieht doch gut aus", wandte Pawel unbekümmert ein und wich zur Seite, damit ein Fahrgast sich an ihnen vorbei zwängen konnte.

„Pawel!" Jonas riss entsetzt die Augen auf.

Doch sein Freund zuckte nur mit den Schultern.

„Na, für eine Mutter... Denk mal an meine." Er lachte vergnügt.

Jonas stand nicht der Sinn nach einer Erörterung der Attraktivität älterer Frauen, gereizt fügte er daher hinzu:

„Außerdem finden meine Eltern so nie mehr zusammen..."

Der skeptische Blick, den er daraufhin von Pawel erntete, ließ ihn verstummen. Mit einem Kopfschütteln wollte dieser wissen:

„Wie lange sind sie jetzt auseinander?"

„Dreieinhalb Jahre", antwortete Jonas knapp und ärgerte sich darüber, den geheimen Wunsch überhaupt erwähnt zu haben.

Mit einem Ruck bremste der Bus an einer Haltestelle und es wurde deutlich leerer. Pawel hatte einen freien Platz entdeckt und beeilte sich, diesen vor den anderen Fahrgästen zu erreichen, Jonas folgte ihm zügig und beschloss, nichts mehr zum Thema „Jannik" von sich zu geben. Er hatte die Rechnung allerdings ohne seinen Kumpel gemacht, der, kaum dass sie sich in die Polster hatten fallen lassen, fortfuhr:

„Dann musst du eben weiter abwarten. Oder schwerere Geschütze auffahren. Aber bis dahin... ", er beugte sich vertraulich zu Jonas hinüber, „... kannst du doch davon profitieren, dass er da ist. Vielleicht weitere Bayern-Tickets... Oder tolle Geschenke... wenn er so reich ist. Oder noch besser...", Pawels Augen begannen zu leuchten, „...jemand, der für uns Bier holen kann. Das macht der großer Bruder von meinem Cousin immer."

Jonas neigte sich nach hinten in seinen Sitz und presste die Lippen kritisch aufeinander, dann wehrte er ab:

„Nee, das mache ich nicht. Ich kann ihn doch nicht nicht mögen und dann freundlich um Bier bitten. Das geht nicht zusammen!"

„Mann!" Pawel zog ein Gesicht und tippte sich an die Stirn. „Sei doch nicht behämmert! Lass uns davon profitieren, dass er da ist! Dann können wir am Sonntag nach dem Spiel eine Sause machen!"

„Eine was?", fragte Jonas begriffsstutzig.

Nachsichtig blickte Pawel ihn an und erläuterte:

„Unseren Sieg mit Alkohol begießen. Oder zur Not den Frust ertränken. Das wäre doch cool!" Seine Augen begannen voller Begeisterung zu glänzen.

Dieser Idee konnte Jonas durchaus etwas abgewinnen, er hatte zwar noch nie Alkohol getrunken, aber irgendwann musste man ja mal damit anfangen, oder? Schließlich tranken alle Erwachsene. Allerdings war er nicht sonderlich optimistisch, was Pawels Plan zur Beschaffung der Getränke betraf.

„Okaaaay, ich versuch's", versprach er gedehnt, „Aber ohne Garantie, dass es klappt."

„Dann ist das gebongt!" Pawel grinste unternehmungslustig. „Sei einfach mal ein bisschen nett zu dem Macker, dann klappt das schon. Und ich lass mir mal was einfallen, wie du ihn dann bald endgültig loswirst."

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