Kapitel 5
Der Blick, mit dem sie dem seinen nicht auswich, offenbarte jedoch mehr Selbstbewusstsein, als Bea selbst klar war.
Jannik verfiel wieder in ein spitzbübisches Grinsen, als er selbstsicher zurück gab: „Ich schon." Er sorgte damit für eine kurze Sprachlosigkeit, die Bea den Mangel an Schlagfertigkeit insgeheim bereuen ließ, bevor er neugierig fragend fortfuhr:
"Und warum jetzt?"
Mit mehreren Varianten als mögliche Antwort und ohne die Absicht, eine davon preis zu geben, entschied sich Bea spontan, die Geheimnisvolle zu spielen.
"Das wüsstet du wohl gern..."
Seine Erwiderung erfolgte ohne zu zögern.
"Du findest mich attraktiv, stimmt's?", hervorgebracht in genau der Nuance, die Selbstbewusstsein von Arroganz unterschied.
Attraktivität war in der Tat eine der möglichen Antworten gewesen, die Bea hätte geben können, aber ohne sich in die Karten gucken zu lassen, beantwortete sie die Aussage mit einem vieldeutigen Lächeln.
„Wenn du das jetzt verneinst, bekomme ich so große Komplexe, dass ich die Bar sofort verlassen muss", ergänzte Jannik in scherzhaftem Ton, so dass Bea unwillkürlich lachen musste und prustend hervorstieß: "Wer's glaubt!"
Zu ihrer eigenen Verwunderung fand sie seine draufgängerische Frechheit ungemein anziehend.
Jannik lehnte sich im Sitz zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und warf ihr einen nachdenklichen Blick zu, bevor er ohne mit der Wimper zu zucken sagte:
„Das ist natürlich die dritte Variante, gar nichts zu sagen. Bist du zufällig Politikerin?"
Bea brach erneut in Gelächter aus und wiegelte sofort ab: "Um Gottes Willen, bloß nicht!"
„Klingt ja nicht so, als wenn du viel von Politikern halten würdest", analysierte Jannik und nahm mit einem Augenzwinkern die leicht anklingende Kritik aus seiner Bemerkung.
Bea schlug die Beine übereinander und konterte aufgeräumt: "Du willst doch sicher nicht hier in der Bar ein politisches Streitgespräch führen wollen?", obwohl sie derlei Diskussionen eigentlich nicht abgeneigt war, und sie war angenehm überrascht, in ihrem Gegenüber anscheinend ein ebensolches Interesse entdeckt zu haben. Die nach und nach zu Tage tretenden Gemeinsamkeiten waren frappierend und ließen sie Andreas damalige Aussage langsam in einem anderen Licht sehen, nicht jedoch ohne gleichzeitig diesem Gedanken eine absolute Nichtrelevanz beizumessen.
„Warum denn nicht?!", gab Jannik leutselig zurück, bevor er sich mit verschwörerischer Miene zu ihr hin beugte: "Zugegeben, ich soll im Auftrag eines Marktforschungsinstitutes die Bewertungen von Politikern im Allgemeinen und die Meinung zu bestimmten Zielen verschiedener Parteien im Besonderen erfragen."
Sein Gesicht war nun so dicht vor ihr, dass sie die sonnengebleichten Strähnen in seinem Haar erkennen konnte, die das gegenüber den kurzgeschnittenen Seiten deutlich längere Deckhaar zierten. Bea suchte vergebens nach einer von Scherzen kündenden Mimik, doch weder gaben die blau-grauen Augen vor ihr etwas preis noch erschienen die Grübchen in seinem Gesicht, dennoch spürte Bea irgendwie den fehlenden Ernst seiner Aussage, ohne dass sie festmachen konnte, woran es lag.
„Ohne die übliche Anonymität in solchen Umfragen sage ich gar nichts", zog sie sich daher elegant aus der Affäre.
„Frech!", konstatierte Jannik und lehnte sich in heiterer Gelassenheit wieder zurück, bevor er fortfuhr: "Vielleicht gibst du etwas preis, wenn ich dir verrate, dass ich Politikwissenschaft studiere und gerade meine Doktorarbeit schreibe? Oder traust du dich dann nicht mehr?"
Die Herausforderung, die in seinen Worten sowie in dem abschätzend musternden Blick lag, reizte Bea zum Widerspruch, aber bevor sie in Anlehnung an vorhin zu mehr als der Entgegnung „Also bist du ein Krieger der Worte?!" ansetzen konnte, hörte sie ihr Handy klingeln.
Sie vermutete eines ihrer Kinder und seufzte, und nach einem Moment des Zögerns, in dem sie sich damit beruhigte, dass es sich in Anwesenheit ihrer Eltern kaum um einen Notfall handeln konnte, beschloss sie den Anruf zu ignorieren. Das nicht enden wollende Klingeln entging Janniks Aufmerksamkeit nicht und mit der Aufforderung „Kannst ruhig rangehen!", nahm er einen langen Schluck Bier. Die Hand schon am Handy, der Anrufer war in der Tat ihr Zuhause, fiel Bea aus den Augenwinkel auf, dass Janniks sie weiterhin betrachtete, statt die Chance zu nutzen, nach seinem eigenen Handy zu greifen, um Nachrichten zu checken.
„Egal, telefonieren kann ich auch später", verkündete sie daher und ließ mit einem Zucken der Schultern ihr Familienleben auf der Prioritätenliste nach hinten rutschen. „Ich schalte mal auf stumm."
„Das nehme ich mal als Kompliment an meine Anwesenheit", stellte Jannik fest, lehnte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen im Sitz zurück und lächelte selbstgefällig.
Mit einem amüsierten Kopfschütteln gab Bea zurück: "Eingebildet bist du gar nicht, was?", obwohl seine Äußerung von der Wahrheit nicht weit entfernt war.
„Ich?!" Jannik riss gespielt unschuldig die Augen auf und ignorierte das unruhige Schieben von Stühlen nebenan und die unwillkürlich lauter werdenden Sätze, die entstehen, wenn sich eine Gruppe von Gästen zum Aufbruch bereit machte. „Ich bin die Bescheidenheit in Person."
Die wieder zum Vorschein kommenden Grübchen bewiesen, dass er sich selbst nicht ernst nahm.
Bea lachte fröhlich und fühlte sich so beschwingt wie schon lange nicht mehr. Es war ein wenig, als wäre sie in ein anderes Leben eingetaucht, in ein sorgloses und unbelastetes Leben, das sie früher einmal besessen hatte, nun aber nur noch eine ferne Erinnerung war. Wie von selbst und ohne sich Gedanken um den Inhalt ihrer Entgegnung zu machen, fasste sie zusammen: "Also bist du ein angehender Politiker mit ungewöhnlicher Bescheidenheit, einem Retterkomplex und der unbewussten Absicht, einmal den Thron zu besteigen?"
Janniks unerwartet lautes Lachen ließ das Pärchen vom Nebentisch neugierig herüber blicken, bevor er die Augenbrauen dann missbilligend zusammenzog und mit hörbarer Enttäuschung in der Stimme, aber nicht ohne ein begleitendes Augenzwinkern entgegnete:
"Ich muss schon sagen, dass du Aragorns Bereitschaft, sein Leben für andere zu riskieren, so gering schätzt, schmerzt mich."
Theatralisch legte er die Hand über sein Herz und während Bea noch voller Genugtuung registrierte, dass er ihre Anspielung sofort verstanden hatte, fuhr er betont ernsthaft fort:
"Das Kanzleramt hätte allerding schon seinen Reiz..." Die zuckenden Mundwinkel straften jedoch seinen Worten Lügen.
„Für welche Partei?", konnte Bea ihre Neugier nicht verhehlen und ihr Blick glitt über das wenig aussagekräftige T-Shirt und über die im gedimmten Licht genauso unscheinbar aussehende Jeans. Von Jannik schmunzelnd beobachtet warf Bea mit schräg gehaltenem Kopf und leicht zur Seite geneigten Oberkörper einen Blick an dem sich zwischen ihnen befindenden Tisch vorbei, registrierte aber lediglich ein über den Stuhl gehängtes dunkelgrünes Sweatshirt sowie durchschnittliche Turnschuhe, aus denen nicht über eine politische Anschauung schließen ließ.
„Du bist überhaupt nicht neugierig, was?", kam es belustigt von der anderen Tischseite und bevor Bea darauf eingehen konnte, fuhr er mit einem Grinsen, in dem sich die Freude darüber, Rätsel aufzugeben, mit dem Wunsch, dosierte Details über sich mitzuteilen, mischte, fort:
"Sagen wir mal so: die Rolle des Robin Hood ist auch nicht ohne Reiz." Er schwieg daraufhin einen Moment, der Bea Zeit zum Nachdenken gab, und wechselte dann das Thema: "Kann es sein, dass wir gerade nur über mich reden? Was ist mit dir?"
Die Fokussierung auf Janniks Persönlichkeit war Bea nicht unangenehm gewesen, im Gegenteil. Sie hatte jemanden treffen wollen, der wie sie den gleichen Film zu schätzen wusste – eventuell – und war auf jemanden getroffen, der darüber hinaus weitere Dinge mit ihr gemein hatte. Das stille Wissen darüber ließ sie die Unterhaltung noch mehr genießen, während sich die Frage nach der Bedeutung der Gemeinsamkeiten im Hintergrund hielt, bereit, in Erscheinung zu treten, sobald Bea ihre Barrieren fallen ließ.
Sie wollte so viel von ihm erfahren wie möglich und sei es darum, schließlich feststellen zu können, dass er doch ganz anders war, arrogant statt selbstbewusst, angeberisch statt mitteilsam und radikal statt mit sozialem Gewissen, um anschließend sagen zu können, danke, es war ein netter Abend , ihn aber ansonsten seiner Wege ziehen zu lassen. Aber was bedeutete sein Interesse an ihrer Person?
„Maid Marian wäre jedenfalls nicht eine Rolle, in die ich schlüpfen würde", wehrte sie schließlich ab.
„Das ist, weil...?", blieb Jannik beharrlich und sah sie mit einem Blick an, in dem mehr als höfliches Interesse lag, viel mehr... Oder bildete sie sich das ein?
In der Irritation über die Wege, die ihre Gedanken nahmen, kam ihre Antwort schärfer heraus als gedacht.
"Maid Marian ist für mich die, die in großen Augen zu einem Helden aufschaut und sich danach sehnt, geheiratet und von ihm versorgt zu werden. Auch wenn sie die soziale Lage genauso sieht wie Robin Hood." Diese Konzession musste sie machen, es war das Einzige, das ihr an dieser Sagenfigur gefiel.
„Ja, ich kann sehen, dass dich das überhaupt nicht anspricht", sagte Jannik langsam und in einem überraschend weich klingenden Tonfall, „Du bist nicht die Art Frau, die sich von einem Mann abhängig macht..."
Er saß noch immer entspannt und zurückgelehnt in seinem Stuhl, aber sein Blick veränderte sich und nahm sie jetzt ganz in Augenschein und Bea hätte sich nicht gewundert, wenn er sie nun fragen würde, worauf sie denn Lust hätte. Unruhig verschränkte sie die Hände im Schoß, doch er machte keine Anspielung auf vorhin, stattdessen versicherte er sich ihres Blickes und sagte dann offen:
"Ich mag solche Frauen."
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