Kapitel 49
„Dieser Idiot!"
Bea war noch immer aufgebracht und ging mit kaum verhülltem Ärger in Andreas Küche hin und her, obwohl ihre Freundin ihr zur Beruhigung bereits einen Becher mit heißem Tee in die Hand gedrückt hatte.
„Wirklich, was fällt dem ein!"
Ohne etwas zu kommentieren hörte sich Andrea Beas Tirade an, während sie in zielgerichteten Bewegungen, denen man die langjährige Erfahrung ansah, die notwendigen Zutaten in einen Kuchenteig kippte.
„Der maßt sich einfach an, sich in mein Liebesleben einzumischen!"
Beas weitere Empörung ging im Jaulen des Rührgerätes unter. Einige Minuten später schob Andrea den Teig in den Backofen und widmete nun ihre Aufmerksamkeit voll und ganz ihrer Freundin.
„So, jetzt noch mal von Anfang an! Was hat Thorsten gemacht?"
Bea bemühte sich um Sachlichkeit.
„Er ist gerade dienstlich in Hamburg und schon heute Vormittag angekommen und hat dann die Kinder von der Schule abgeholt. Dabei muss ihm Jonas irgendeinen Blödsinn erzählt haben."
Bea schnaubte verdrossen und fuhr fort:
„Wir haben uns dann nach meiner Arbeit noch in diesem Cafe am Hollerkamp – in der Nähe von der Fahrradstrecke, weißt du? – getroffen."
Andrea nickte wissend und schenkte sich ebenfalls eine Tasse Tee ein.
„Anfangs war es ja echt nett, er hat von seinem Job erzählt, nach meiner Arbeit und nach meinen Eltern gefragt. Und wir haben natürlich über die Kinder geredet. Und dann fing er auf einmal an. Er hätte gehört, dass ich jetzt liiert sei", mit den Händen formte Bea Gänsefüßchen in der Luft, „mit einem Luftikus."
Sie holte Luft und fügte hinzu:
"Ich wäre fast geplatzt. Also mit Kategorisierungen war Thorsten ja immer schon schnell bei der Hand. Ich meine, er kennt Jan doch gar nicht!"
Die Empörung rötete Beas Wangen und Andrea legte ihr beruhigend eine Hand aufs Knie.
Noch immer stand Bea die Situation vor Augen, sie hatte entrüstet nach Luft geschnappt und war Thorsten, statt ruhig zu bleiben und ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen, angefahren:
"Was geht dich das an!? Und wieso kommst du zu einem Urteil über jemanden, den du überhaupt nicht kennst!?"
Thorsten hatte sie großspurig angelächelt, wie er es immer getan hatte, wenn er sie verunsichern wollte und hatte mit einer Leichtigkeit, die an Frechheit kaum zu überbieten war, geurteilt:
„Jung sein. Das Leben in vollen Zügen auskosten. La Dolce Vita. Studentenleben bestand doch immer schon aus Partys, Flirten, Bettgeschichten und die große Lernerei am Abend vor den Klausuren."
Er zwinkerte ihr zu. „Anwesende natürlich ausgenommen", was sich darauf bezog, dass sein letztes Studienjahr von Vaterschaft geprägt gewesen war und auch Bea den Abschluss ihres Studiums neben den parallelen Ansprüchen von Kleinkindern nur mit äußerster Disziplin erreicht hatte.
Er hatte dennoch ungemein selbstgefällig geklungen und mit einem Mal war die Vergangenheit wieder präsent gewesen, als wäre sie nie weggewesen, und Bea hatte den gleichen Ärger über seine Art, Meinungen undifferenziert zum Besten zu geben, in sich hochkochen gespürt wie damals, mit dem Unterschied, dass es nun keinen Grund mehr gab, sich beherrschen zu müssen.
„Du musst nicht von dir auf andere schließen", hatte sie spitz zurückgegeben, aber Thorsten hatte nur gelacht, ohne sich von ihrer Bemerkung, die als Anspielung auf seinen Mangel an ehelicher Treue und sein schnell schwindendes Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Kindern gedacht war, stören zu lassen.
Leider hatte sie insgeheim nicht verhehlen können, dass er zielsicher genau den Punkt gefunden hatte, der ihr in schlechten Momenten zu schaffen machte: die Befürchtung, dass auch Jannik es mit der Treue nicht so genau nehmen würde, denn aus seinem Ruf hatte er nie einen Hehl gemacht; anders als Thorsten, dessen Seitensprung sie so unerwartet entdeckt hatte, dass sie es zuerst gar nicht hatte glauben wollen.
„Mal ehrlich, Bea", war Thorsten nun gönnerhaft fortgefahren, „Du kannst doch nicht im Ernst annehmen, dass du mehr als ein Zeitvertreib bist, mit den fünfzehn Jahren, die du mehr auf dem Buckel hast."
„Zwölf", hatte sie mit zusammengepressten Zähnen korrigiert und mit Mühe das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, unterdrückt, bevor sie eisig hinzugefügt hatte:
"Wie ich bereits sagte: es geht dich gar nichts an!"
Milde und noch immer mit einem Lächeln im Gesicht, das jedoch seine Augen nicht erreichte, hatte Thorsten den Kopf geschüttelt und entgegnet:
"Ich finde doch. Schließlich leidet Jonas darunter."
Daraufhin hatte Bea mit den Augen gerollt und aufgebracht von sich gegeben:
"Ich weiß wirklich nicht, was Jonas' Problem ist! Er sollte sich lieber freuen, dass ich nun weniger Zeit habe, ihm auf den Senkel zu gehen!"
In diesem Moment hätte sie ihren Sohn erwürgen können. Warum musste er auch seine wirren Ideen vor Thorsten ausbreiten und ihr damit diese Gardinenpredigt ihres Ex bescheren!
Mit einem Ruck hatte sie ihr Glas ausgetrunken und war aufgestanden und in dem Bemühen, möglichst viel Abstand zu Thorsten herzustellen, hatte sie eine zerknitterte 20,- EUR-Note aus ihrem Portemonnaie gezerrt und sie auf den Tische segeln lassen, gefolgt von der sarkastischen Bemerkung: "Stimmt so."
Der verblüffte Gesichtsausdruck ihres Ex angesichts dieses Abgangs hatte ihr schließlich dennoch eine gewisse Genugtuung beschert, als sie mit großen Schritten das Cafe durchquert und in den Abend hinausgetreten war.
All das berichtete sie nun ihrer Freundin, die es erwartungsgemäß missbilligend kommentierte.
"So ein Arsch!"
Bea stützte die Ellenbogen auf den Tisch und ließ das Kinn erschöpft in die Handflächen fallen, ihre Stimme klang dadurch etwas dumpf.
„Bin ich froh, dass er in der Schweiz wohnt und wir uns dadurch nicht oft sehen müssen." Dann hob sie den Kopf. „Regelmäßig kinderfreie Wochenenden wären allerdings nicht zu verachten."
Andrea nickte verständnisvoll. „Die hätte ich manchmal auch gerne."
Sie seufzte und erhob sich, um nach dem Kuchen zu sehen, der, da zu ihrer Zufriedenheit geraten, nun aus dem Backofen geholt wurde. Dann warf sie einen Blick auf die Uhr, die aufgrund ihrer altmodischen Hässlichkeit verschämt in der Ecke hing, aber nichtdestotrotz den Weg in den Sperrmüll noch nicht gefunden hatte.
„Wie lange hast du noch Zeit?"
Bea folgte ihrem Blick.
„Das geht schon noch. Meine Eltern erwarten mich nicht vor 23.oo Uhr. Keine Ahnung, warum ich so eine lange Zeit mit Thorsten eingeplant hatte..."
Sie seufzte und rieb sich den Nacken, als könne sie dadurch die vorherige Anspannung entfernen.
„Na, ich würde sagen, dann nutzen wir mal den willkommenen spontanen Abend!"
Andreas Augen funkelten fröhlich, als sie Bea ins Wohnzimmer dirigierte und dabei ihren Mann darum bat, die Kinder ins Bett zu bringen und anschließend Bea nach Hause zu fahren, worauf er mit einem Lächeln einwilligte.
„Du bist ein Schatz!"
Der Blick, den die beiden miteinander wechselten, hätte Bea neidisch gemacht, wenn sie sich nicht in der glücklichen Lage befunden hätte, ebenfalls einen Partner ihr eigen nennen zu können. Sie versank in dem plüschigen rotbraunen Sofa und beobachtete schmunzelnd, wie Andrea ihre Sektgläser auf den Couchtisch abstellte, kurz verschwand und schließlich mit einer Flasche Sekt zurückkehrte.
„Das haben wir schon viel zu lange nicht mehr gemacht!"
Mit geübten Handgriffen entkorkte sie den Sekt und ließ das prickelnde Getränk in die Gläser laufen.
„Thorsten sei Dank."
Bea kicherte, griff nach dem Glas und ließ das kühle Nass durch ihre Kehle rinnen.
„Jetzt fehlt nur noch ein Heul- und Schmerzfilm", erklärte sie schmunzelnd einige Zeit später, nachdem sich die Freundinnen über den bisherigen Stand ihres Alltags auf den Laufenden gebracht hatten.
„Und ein kinderfreier Raum."
Andrea hatte Josie im Türrahmen entdeckt, nickte ihr auffordernd zu und ließ sich einen Gute-Nacht-Kuss auf die Wange drücken. Josie winkte auch Bea zu und verschwand wieder.
„Wozu brauchst du einen kinderfreien Raum?", wollte Bea amüsiert wissen.
„Weil du heute nicht gehst, bevor ich nicht ein paar Wahrheiten aus dir heraus gekitzelt habe."
Andrea sah entschlossen aus und obwohl die bisherigen Schlucke nicht ausgereicht hatten, Beas Denkvermögen nachhaltig zu beeinträchtigen, saß ihr bei diesem Anblick bereits das Lachen in der Kehle.
„Ich halte nichts verborgen", behauptete sie.
„Aber du hast auch noch nicht alles erzählt", widersprach Andrea mit einem Gespür für Nuancen.
Sie schob sich in eine aufrechte, interessierte Position, fixierte Bea mit ihrem Blick und forderte:
„Abgesehen von deiner sachlichen Beschreibung, was sich alles getan hat – jetzt will ich Details hören. Und Emotionen. Weißt du, wie lange wir schon nicht mehr richtig gequatscht haben?"
Mit diesen Worten stand sie auf und schloss die Wohnzimmertür, so dass sie ungestört waren.
„Also?"
Bea nahm ihr Glas und betrachtete es mit einem versonnenen Gesichtsausdruck, der sich langsam in ein Lächeln verwandelte, das das Glück, das sie empfand, nicht verbarg.
Ein schlichtes „Happy", war dennoch alles, was sie träumerisch preisgab.
„Nun sei nicht so eine verschwiegene Auster!", protestierte Andrea und berührte mit einem leisen Klingen deren Glas.
Bea sah schließlich mit strahlenden Augen und leicht geröteten Wangen auf und gab nach einem weiteren Schluck zu:
„Ich bin mit Jan viel glücklicher, als ich es mit Thorsten je gewesen bin. Blumen, liebevolle Nachrichten, spontane Ausflüge... ich fühle mich so was von geliebt, das kannst du dir gar nicht vorstellen... Ich glaube, Jan würde alles für mich tun."
Sie seufzte glücklich und fuhr angesichts Andreas befriedigtem Blick fort:
„Aber es ist nicht nur das. Bei Thorsten hatte ich oft das Gefühl, die Worte auf die Waagschale legen zu müssen, bloß keinen Streit entstehen lassen zu dürfen. Ich war so auf ihn fixiert... Jetzt ist das anders, mehr auf Augenhöhe, weißt du, und das fühlt sich viel, viel besser an!"
Es war nicht leicht, das in Worte zu fassen, was sie empfand, aber da Andrea weder nachfragte noch die Stirn runzelte, schien sie ihre Worte passend gewählt zu haben.
„Schade, dass ich ihm nicht schon früher begegnet bin", schloss sie dann bedauernd.
„Das freut mich wirklich für dich", gab Andrea warm zurück und wirkte sehr zufrieden mit sich, wie Bea mit einem Schmunzeln feststellte.
„Gut, dass du mir den entscheidenden Schubs gegeben hattest, mit deinem das hat doch etwas zu bedeuten", lobte sie, was Andrea ein übertrieben lässiges Achselzucken entlockte, bevor sie in ein fröhliches Lachen ausbrach und ihr Glas hob:
„Auf die Liebe!"
Mitten in das Klingen ihrer Gläser mischte sich die ansteigende Melodie eines Handyklingelns und mit einem entschuldigenden Blick zog Bea ihr Handy aus der Tasche.
„Hallo Bea", verließ sich die Stimme ihrer Mutter entnehmen, deren Verwunderung nicht zu überhören war, als sie mitteilte, dass Thorsten zu Bea nach Hause gekommen war und nun die Kinder mit ihr sprechen wollten.
„Mama?"
„Können wir...?"
Beide sprachen gleichzeitig, was ein Verstehen ihrer Worte erschwerte. Dann hatte sich offenbar Jonas durchgesetzt.
„Können wir heute bei Papa im Hotel übernachten?"
Stirnrunzelnd hielt Bea das Handy eine Armlänge von sich fort und wisperte Andrea zu:
"Jetzt will Thorsten, dass die Kinder bei ihm im Hotel übernachten. Was soll das denn jetzt?"
Andrea stülpte die Unterlippe nach vorne und machte ein ratloses Gesicht.
„Ist das nicht ein bisschen eng in einem Zimmer?", wollte Bea wissen, um Zeit zu schinden und ihre Gedanken zu sortieren, irgendwie missfiel ihr diese Idee, ohne dass sie sagen konnte, warum es sie so störte.
„Macht nichts!", tönte Hannahs Stimme aus dem Hörer und Jonas fügte hinzu:
„Wir nehmen eine Isomatte mit."
Mit einem Kopfschütteln dachte Bea daran, dass das Hotel vermutlich nicht über eine Dreierbelegung erfreut sein würde, aber das war ja nicht ihr Problem.
„Und die Schule?", fragte sie weiter, weil sie es schwer fand, ihren Kindern angesichts der so offen gezeigten Freude diesen Wunsch zu verbieten.
„Wir fahren da mit dem Taxi hin", kam es so begeistert von Jonas, dass es selbst Andrea hören konnte.
Bea seufzte tief, sie hatte bereits so viel Ärger mit Jonas, dass sie auf eine weitere Diskussion gerne verzichten konnte und stimmte daher schließlich etwas unwillig zu.
Das Jubeln, das aus dem Hörer drang, versöhnte sie dann ein wenig mit ihrer Entscheidung, doch als sie das Handy dann wieder in die Tasche steckte, zog ein Schatten über ihr Gesicht, der Andrea nicht verborgen blieb.
„Wenn es dir so gegen den Strich geht, warum hast du dann nicht nein gesagt?", erkundigte sich Beas Freundin verwundert.
„Ach..." Beas Gesicht fiel weiter, die vorherige fröhliche Stimmung war verflogen. „Es ist alles gerade nicht so einfach..."
Es brauchte nur ein paar gezielte Fragen und Andrea erfuhr die Ursache für Beas Stimmungsumschwung.
„Jonas ist furchtbar. Ständig macht er fiese Bemerkungen über Jan und wenn die beiden aufeinander treffen, fängt er entweder an zu sticheln oder es herrscht eine Kälte, von beiden Seiten, als wäre der Kalte Krieg wieder ausgebrochen. Ich verstehe das nicht, am Anfang sah doch alles so rosig aus. Irgendwas muss da vorgefallen sein..."
Unglücklich sah sie zu Andrea hin.
„Ich wollte Jan zeigen, dass das gar kein Problem ist, dass ich Kinder habe, dass das eine Leben nichts mit dem anderen zu tun hat, aber irgendwie..."
Nervös knetete sie ihre Hände, nahm dann einen langen Schluck aus ihrem Glas und gab schließlich bedrückt zu:
„Ich weiß nicht, wie lange Jan das noch mitmacht... vielleicht wird es ihm irgendwann zu viel..."
Entmutig ließ sie den Kopf fallen. Andrea setzte ein überraschtes Gesicht auf.
„Warum denkst du das, hat er mal etwas Derartiges gesagt?"
„Nein, aber ich weiß ja, dass er eigentlich keine Lust auf Kinder hat und das nur meinetwegen toleriert."
„Deinetwegen! Genau das ist der Punkt! Er liebt dich doch! Und du ihn. Und deswegen wird er sich von Jonas Verhalten nicht verjagen lassen. Ihr müsst da einfach fest zusammenstehen."
Andreas Reaktion kam so unvermittelt, dass sich Bea ihrer Überzeugung kaum entziehen konnte.
„Oder lässt du Jonas das durchgehen?", wollte sie dann wissen.
Bea schüttelte vehement den Kopf.
„Natürlich nicht. Also wenn ich mit Jonas allein bin, ignoriere ich seine Bemerkungen manchmal, weil ich es leid bin, immer wieder dasselbe zu sagen. Aber wenn Jan oder auch Hannah zugegen sind, fordere ich ihn immer auf, den Mund zu halten. Aber was soll ich sonst noch machen? Ich kann ihn doch schließlich nicht wegen seiner Bemerkungen bestrafen."
„Nein, natürlich nicht...", Andrea krauste die Stirn. „Wie ist das eigentlich mit Hannah?"
„Die mag ihn. Hört gar nicht auf zu reden, wenn er da ist."
„Immerhin etwas..." Andrea setzte ein nachdenkliches Gesicht auf. „Hast du die beiden eigentlich mal angesprochen und gefragt, was los ist?"
Bea zuckte mit den Schultern und wischte sich eine unsichtbare Fluse vom Shirt.
„Klar! Aber Jan sagt nur, er möge seine Art eben nicht besonders, das sei alles. Und Jonas guckt mich entweder nur mit einem tödlichen Schweigen an oder sagt, Papa sei viel besser oder... dass er keinen Pseudo-Papa braucht, der mich nur lächerlich machen würde."
In einer hilflosen Geste fuhr sie sich mit der Hand durch die Haare und spürte bei der Erinnerung an das Gesagte ihre Augen feucht werden. Jonas hatte keine Ahnung, wie sehr sie diese Worte verletzten, hoffte sie jedenfalls. Andrea war jedoch aufmerksam genug wahrzunehmen, was in ihrer Freundin vor sich ging und zog sie daher tröstend einen Moment in die Arme. Müde lehnte Bea ihren Kopf einen Augenblick an deren Schulter und wünschte sich, auch Jannik hiervon erzählen zu können, doch das würde noch ein schlechteres Licht auf Jonas werfen und war daher für sie tabu.
Dabei konnte ihr Sohn so umgänglich sein wie im Universum kürzlich, und so hilfsbereit und fürsorglich wie neulich, als er spontan der Nachbarin einen Brötchenservice auf dem Nachhauseweg von der Schule angeboten hatte, als er mitbekommen hatte, dass diese sich einen Beinbruch zugezogen hatte. Leider fanden solche Momente nie in Janniks Gegenwart statt, im Gegenteil, es schien viel mehr, als lege es Jonas darauf an, im schlechtesten Licht da zustehen, auch wenn Bea sich keinen Reim auf die dahinter stehenden Gründe machen konnte.
Andrea machte inzwischen energisch ihrer Empörung Luft:
„Das ist kompletter bullshit! Lass dir so einen Quatsch nicht von ihm einreden. Das sind die Pubertätshormone! Außerdem hat er doch keine Ahnung, wie es ist, verliebt zu sein, oder?"
Bea schüttelte den Kopf.
„Vielleicht solltest du ihn verkuppeln", schlug Andrea scherzend vor, „Dann weiß er, wie sich Liebe anfühlt – oder hat zumindest keine Zeit mehr für blöde Kommentare."
Ihr Versuch der Aufheiterung hatte Erfolg, Bea lachte leise, hielt Andrea auffordernd ihr leer getrunkenes Glas entgegen und ließ sich dann wieder in das Sofa fallen, während Andrea ihr empfahl, sich lieber mehr bei Jannik als in ihrer eigenen Wohnung aufzuhalten, um Jonas weniger Anlass für dummen Kommentare zu geben.
„Wenn das so einfach wäre...", seufzte Bea und sah angelegentlich aus dem Fenster, wo die roten Buchstaben des gegenüberliegenden Kiosks sanft durch die Dunkelheit leuchteten. Dann wandte sie sich wieder zu Andrea um.
„Natürlich wäre ich am liebsten so oft wie möglich bei ihm. Aber ich habe ja kaum Freizeit. Die Arbeit, die Überstunden – da bleiben nur die Abende und das Wochenende und da brauchen mich eigentlich die Kinder."
Sie schlug die Beine übereinander und korrigierte sich.
"Also nicht die ganze Zeit natürlich, aber abends jedenfalls. Und am Wochenende will zumindest Hannah mal etwas von mir, puzzeln, spielen, ein Ausflug oder einfach das Gefühl, dass ich für sie verfügbar bin. Und Essen will gekocht werden, Jonas muss zum Fußball gefahren werden..."
Andrea nickte wissend und sah auf Beas Fuß, der ungeduldig hin und her wippte.
„Deshalb ist es irgendwie einfacher, wenn Jannik bei mir ist. Aber das begrenzt natürlich die Zweisamkeit." Frustriert nahm sie einen großen Schluck und fuhr fort:
„Wir haben Freitagabend bis Samstagnachmittag für uns, so lange sind Jonas und Hannah bei meinen Eltern. Und dann fährt Jan erst einmal nach Hause und ich mache was mit den Kindern, meist sehe ich ihn dann wieder abends, entweder bei mir oder wir gehen aus... darf dann halt nicht so spät werden."
„Und dann fährt er wieder nach Hause?"
Andrea guckte so kritisch, dass ihr Unverständnis nicht zu übersehen war.
„Nee, nee, inzwischen übernachtet er bei uns", gab Bea zu und betrachtete versonnen die Haarsträhne, die sie um ihren Finger gewickelt hatte, und mit dem Gedanken daran, wie schön es war, nicht alleine aufzuwachen, legte sich ein dezenter Schimmer auf ihre Wangen.
„Und am Sonntag gucken wir, was sich ergibt, mal mit Hannah, mal ohne, wie sie möchte. Oder wie Jan möchte."
Sie seufzte und entzwirbelte ihr Haar wieder.
„Die beiden verstehen sich zum ja Glück. Aber ich habe im Moment eigentlich keine Lust auf sogenanntes Familienleben und Jan ja sowieso nicht. Da bin ich dann hin und her gerissen, Zeit mit Hannah zu verbringen und Zeit mit Jan zu verbringen, der Kompromiss lautet dann doch zusammen, aber damit ist vermutlich keiner so ganz zufrieden. Das ist bisweilen ganz schön anstrengend." Hilflos zuckte sie mit den Schultern. „Aber was soll man machen..."
Bea versuchte ein schiefes Lächeln, das allerdings etwas gequält geriert.
„Du siehst...", schloss sie und sah Andrea an, „...es ist leider nicht so einfach. Ich wusste schon, warum ich keine Beziehung wollte..."
Daraufhin sah Andrea sie entgeistert an. „Das ist jetzt nicht dein Ernst!"
„Natürlich nicht!" Bea krauste in drolliger Art die Nase und setzte hinzu:
„Die schönen Gefühle, der Austausch, auch der Sex...", ihre Wangen färbten sich verlegen etwas rosa, „...das möchte ich alles auf keinen Fall missen!"
„Das will ich doch hoffen!" Andrea grinste anzüglich und fuhr aufmunternd fort:
„Wahrscheinlich müsst ihr einfach ein dickes Fell haben und Jonas' Äußerungen überhören. Irgendwann wird es ihm dann schon langweilig werden..."
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