Kapitel 48
Ausgelassen lachend drängten sich Jannik, Luis und Tobias schubsend gleichzeitig durch die Tür, doch es war so voll bei McDonalds, dass ihnen bis auf den Vater eines Kleinkindes in der Nähe, der missbilligend die Stirn runzelte, niemand Aufmerksamkeit zollte.
„Erster!", verkündete Tobias fröhlich, nachdem er sich zwischen ihnen hindurch geschlängelt hatte und den Türbereich verließ, feixend machte er das Siegeszeichen.
„Angeber!", kommentierte Jannik ungerührt und reihte sich in das Ende der Warteschlange ein. Sein Blick fiel auf den Tresen, an dem die Mitarbeiter geschäftig hin und her wuselten und obwohl drei von ihnen die Aufträge entgegen nahmen, bewegten sich die Warteschlange dennoch nur langsam vorwärts.
„Soll ich nun oder soll ich nicht?" Unentschlossen kratzte sich Luis am Kopf.
Sie hatten die letzten eineinhalb Stunden bei Saturn verbracht, wo sich Luis verschiedene Fernsehgeräte angeschaut hatte, denn er hatte es sich in den Kopf gesetzt, sich beim Schauen von Filmen ein wenig Luxus zu gönnen und von dem kleinen Bildschirm seines Notebooks auf den größeren eines Fernsehers umzuschwenken. Das Gerät, das ihm letzten Endes am besten gefallen hatte, sprengte jedoch die Möglichkeiten seiner finanziellen Rücklagen.
„Ja, mach!", erwiderte Jannik zum wiederholten Mal und wandte seine Aufmerksamkeit der Geschäftigkeit im Laden zu, denn alle Argumente waren längst ausgetauscht, alle Finanzierungsmöglichkeiten erörtert und die ständige Wiederholung aller Einwände begann ihn zu langweilen.
Die Verkäufer am Tresen waren allesamt jung, trugen die gleichen rot-weißen T-Shirts und hatten ein gestresstes, wenngleich freundliches Lächeln im Gesicht. Der Geruch von Pommes stieg ihm in die Nase und ließ ihn seine Entscheidung, nur eine kleine Portion zu bestellen, überdenken. Der Geräuschpegel war enorm, es war ein ständiges Kommen und Gehen, nicht unerwartet an einem Wochenende, und mit wachsendem Hunger klopfte Jannik ungeduldig einen Takt auf dem Boden, den er erst nach längerem Nachdenken als ein Weihnachtslied erkannte, was ihm ein Schmunzeln abnötigte.
Bei Luis und Tobias ging es noch immer um den Erwerb des Fernsehers, sie tauschten sich weiter über die Finanzierungsformen aus, und mit einem Mal rückte die Warteschlange ein ordentliches Stück vorwärts, eine weitere Kasse war geöffnet worden und somit nur noch eine Person vor ihnen.
Desinteressiert ließ Jannik den Blick schweifen, von dem schlaksigen Teenager vor ihnen, dessen Finger eifrig über das Display seines Handys fuhren, bis zu den Gästen in der Nähe, die in hoher Zahl die Tische bevölkerten. Als ein dunkelbrauner lockiger Haarschopf in sein Blickfeld geriet, stutzte er und reckte sich kurz, nur um sich einen Moment später so klein wie möglich zu machen, was bei seinen knapp 1,90 m nicht gerade leicht war. Nur etwa fünfzehn Meter entfernt in einer Nische, umgeben von Freundinnen, glaubte er Hannah erkannt zu haben und er fluchte unterdrückt.
Das fehlt mir noch, dachte er ungnädig und drehte sich so, dass er halb von einem Pfosten verdeckt wurde. Dass Bea Kinder hatte, war eines der letzen Geheimnisse, das er vor Tobias und Luis verbarg, deren Frotzeleien gegenüber der Beobachtung, dass er „so langweilig" geworden sei, er mit äußerlicher Gelassenheit ertrug, obwohl die in verschiedenen Variationen vorgetragenen Neckereien allmählich an Witz verloren und ihn nur noch nervten. Allein die Tatsache, dass eine Forderung um Zurückhaltung die beiden Freunde nur noch mehr anstacheln würde, ließ ihn sich zusammenreißen.
Aber wenn herauskäme, dass er sich nicht nur in feste Hände begeben hätte, sondern sich gleich noch Kinder dazu aufgehalst hatte, wäre ihm lebenslanger Spott sicher, denn dass ausgerechnet ihm, der – wohlwollend formuliert – bei Kindern immer desinteressiert abgewinkt hatte, so etwas passierte, war eigentlich zum Brüllen, wenn es ihn nicht selbst beträfe.
Dabei mochte er Hannah inzwischen ganz gern, sie war ein selbstbewusstes kleines Mädchen, das gerne lachte und ihm überraschenderweise sehr zugetan war, obwohl er nicht wusste, wie genau er das bewerkstelligt hatte. Ganz anders als Jonas, der zunehmend unverschämter wurde und die Konfrontation suchte, wenn Bea nicht in der Nähe war. Der Griff in sein Portemonnaie war ein weiterer aggressiver Akt und es ärgerte Jannik maßlos, dass der Teenager die Oberhand besaß, weil er Bea nicht damit belasten wollte, wie unverfroren sich ihr Sohnemann aufführte. Frustriert knirschte er mit den Zähnen. Worauf hatte er sich da bloß eingelassen...
Im nächsten Moment war er mit der Bestellung an der Reihe, die er hastig und in leicht gedämpften Ton von sich gab, so dass die Verkäuferin nachfragen musste. Verstohlen warf er einen Blick zu dem Tisch hinüber, an dem er Hannah vermutete, während er auf seinen Burger wartete und wunderte sich darüber, dass sie heute hier war, denn soweit er sich erinnerte, hatte Bea mit den Kindern zum Universum in Bremen fahren wollen. Mit drei gefüllten Tabletts zogen sie schließlich ab und suchten sich ein freies Plätzchen, wobei Jannik peinlich genau darauf achtete, dass sie weder in Sichtweite von Hannah saßen noch an einem Platz, an dem sie möglicherweise vorbeikommen würde.
Das Gespräch drehte sich mittlerweile um ihren jährlichen Mallorca-Urlaub, den sie für gewöhnlich last minute buchten.
„Ja mach!"
Jannik sah Luis entschlossen nicken, ohne die Einzelheiten der bisherigen Unterhaltung mitbekommen zu haben und versenkte dann seinen Blick in die Pommes vor ihm, mit der Hand steckte er mehrere gleichzeitig in seinen Mund, was ihn für einige Momente der Möglichkeit enthob, sich zum Urlaub äußern zu müssen. Er fuhr selbstredend immer gern mit den Jungs nach Malle, doch wegen der notwendigen Überarbeitung der Doktorarbeit war seine Zeit nun knapp bemessen und eigentlich wollte er gerne noch mit Bea ein paar Tage wegfahren. Zwei Wochen Unterbrechung waren jedoch einfach nicht drin.
„Wann genau wollen wir? Murat kommt jetzt nicht mit?"
„Nee", Tobias schüttelte den Kopf, „Erstes Ehejahr. Er hat dankend abgelehnt."
„Und was macht unser zweiter Ex-Single?" Luis versetzte Jannik einen kräftigen Rippenstoß, da sich dieser in Schweigen hüllte. „Lass uns nicht hängen!"
„Nee", kam es wortkarg von Jannik, was Tobias dazu veranlasste, ungeduldig nachzufragen.
„Was heißt das jetzt, kommst du mit oder hat die liebe Bea etwas dagegen?"
Diese provokative Frage ließ Jannik nicht unwidersprochen stehen.
„Quatsch! Natürlich nicht!", gab er hitzig zurück und fügte in dem Bemühen, nicht als Weichei da zu stehen, hinzu: "Und wenn doch, würde ich trotzdem fahren, ich lasse meine Urlaubspläne doch nicht von einer Frau bestimmen!"
Zornig funkelte er Tobias an.Im gleichen Moment wurde ihm klar, dass damit die Entscheidung gefallen war, hinter diese Aussage konnte er jetzt nicht mehr zurück.
„Sehr schön."
Tobias ignorierte Janniks aufgebrachte Antwort und lachte ihn harmlos an, dann steckte er frech seine Hand in Janniks Pommes-Tüte und zog sich ein paar heraus, jedoch nicht schnell genug, um zu verhindern, dass sich Janniks Hand mit eisernem Griff um sein Handgelenk legte; mit der anderen Hand zog er Tobias Pommes-Tüte zu sich heran.
„Das ist Mundraub!", protestierte Tobias unter dem Gelächter von Luis, während Jannik seine Hand los ließ und ihm mit einem nun gönnerhaften Blick die gemopsten Pommes gewährte.
„Das musst du gerade sagen!", beschied er feixend, bevor er zuließ, dass sich Tobias seine Tüte zurück holte.
Und während sie anschließend die Einzelheiten ihrer Reisebuchung besprachen, zermarterte sich Jannik den Kopf darüber, wie er noch ein paar freie Tage herausholen konnte, dabei immer wieder angespannt einen Blick in den Raum hinein werfend, um sicher zu gehen, dass Hannah nicht wider Erwarten auftauchte. Vielleicht konnte er ein, zwei Tage verkürzen und mit Bea irgendwo anders auf der Insel zu einer netten Finca fahren und dort ein wenig Zweisamkeit genießen...
„Warte noch mal zwei Tage mit der Buchung!", forderte er Tobias schließlich auf, „Vielleicht muss ich bei der Rückreise etwas umdisponieren..."
Dessen fragenden Blick wischte er mit einer weit ausholenden Handbewegung lässig beiseite und rückte dann den Stuhl nach hinten, um aufzustehen. In einer synchronen Bewegung erhoben sich seine Kumpels und gemeinsam gingen sie in fröhlicher Stimmung auf den Ausgang zu, wobei Jannik seinen Blick angelegentlich, wenngleich unauffällig, in Richtung des Tisches schweifen ließ, an dem er Hannah vorhin entdeckt hatte. Dieser war jedoch inzwischen von anderen Gästen belegt und erleichtert schob Jannik jeden weiteren Gedanken an das Mädchen fort.
Als sie aus der Tür traten, landeten sie direkt in einem Pulk junger Mädchen, die schnatternd und kichernd den Ausgang blockierten, ohne dass es ihnen bewusst war.
„Hier entlang, Mädels!", ließ sich die energische Stimme einer Erwachsenen vernehmen, „Macht mal den Weg frei für die Männer da."
Willig traten die Mädchen zur Seite und genau in diesem Moment fiel Janniks Blick wieder auf ein bekanntes Gesicht, hastig wandte er sich ab und drehte ihm den Rücken zu, doch es war schon zu spät, Hannah warf ihm ein fröhliches „Hallo Jan" zu, während Jannik tat, als hätte er nichts gehört und sich beeilte fortzukommen.
Tobias und Luis folgten ihm verdutzt und Luis rief ihm hinterher:
„Da hat dich jemand angesprochen."
Jannik überhörte auch diese Bemerkung geflissentlich und deutete auf einen Bus, der sich gerade der Busbucht näherte, und forderte seine Freunde auf, sich zu beeilen. Nachdem sie keuchend eingestiegen waren und der Bus anfuhr, versuchte Luis noch einmal, seine Information loszuwerden:
„Eines von den Mädchen hat dich angesprochen."
„Echt?" Jannik mimte den Erstaunten. „Habe ich nicht gehört. Mit so jungem Gemüse gebe ich mich aber üblicherweise nicht ab."
Er grinste so anzüglich, dass seine Freunde wie beabsichtigt in Lachen ausbrachen und von weiteren Bemerkungen absahen.
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