Kapitel 45

„Nicht schlecht, der Laden."

Angetan glitt Janniks Blick über das Innere des Restaurants, dessen Wände von kunstvoll verzierten, bunt durchwirkten Teppichen bestückt waren, die einen Einblick in das häusliche Leben aus einem ganz anderen Teil der Welt boten. Das gedimmte Licht entsprang einzelner an den Wänden hängenden Lampen, deren Stil auf die Wandteppiche abgestimmt war, und im Hintergrund ließ sich sanfte Musik vernehmen, die in angenehmer Weise mit dem Gesprächstonfall der Gäste kontrastierte. Die einfachen Tische aus Holz waren lediglich mit ein paar hübsch verzierten Sets bedeckt, die die Auswahl an Gerichten und Getränken preisgaben.

„Ich war hier mal mit Arbeitskollegen", erläuterte Bea, während sie sich an einem kleinen Tisch niederließen und ihre Auswahl trafen.

„Das ist ja mal etwas anderes zu essen", stellte Jannik befriedigt fest und lehnte sich im Stuhl zurück.

„Kocht ihr eigentlich auch mal?"

„Sozusagen... wir geben der Mikrowelle entsprechende Anweisungen." Er lachte heiter.

"Sollte ich vielleicht auch einmal probieren...", resümierte Bea.

„Ich dachte eigentlich, dass ihr eine Kantine im Büro habt."

Er warf der Bedienung ein freundliches Lächeln zu, als diese die gewünschten Getränke vor ihnen abstellte, doch sie verschwand sofort wieder durch eine fransenbehangene Tür hinter dem Tresen.

Bea zuckte mit den Schultern. „Das stimmt, aber ich koche ja ohnehin für die Kinder. Daher esse ich dort meistens nichts."

Sie hob ihr Glas. „Auf einen schönen Abend!"

„Auf die schöne Frau an meiner Seite!"

„Und den Charmeur vor mir."

Mit einem vergnügten Lachen sahen sie sich an und stießen mit ihren Gläsern an. Bea griff nach Janniks auf dem Tisch liegender Hand und strich sanft seine langen Finger entlang, dabei erkundigte sie sich beiläufig:

"Hattest du eigentlich noch mal was von dieser Studentin gehört?"

„Welche Studentin?" Jannik wirkte aufrichtig ahnungslos.

„Die dich auf der Uniparty so angeschmachtet hatte."

„Ach die...", kam es unbekümmert zurück, „Nö, wieso? Sollte ich?", feixte er dann und gewahrte angetan, dass Bea Zeichen von Eifersucht zeigte.

„Besser nicht", grummelte sie und zog finster die Brauen zusammen, „Ich habe mein Möglichstes getan, sie zu vertreiben."

„Das kann ich mir vorstellen", entfuhr es Jannik leicht belustigt, obwohl er nicht im Geringsten daran zweifelte, dass Bea in der Lage und bereit war, sich gegen eine Rivalin zur Wehr zu setzen, was seinem Ego durchaus schmeichelte. Dann umfing er ihre Hand und versicherte mit nunmehr ernsthaftem Gesichtsausdruck:

„Du bist alles, was ich brauche!"

Weiteres lag ihm auf der Zunge, doch es gelang ihm nicht, in Worte fassen, dass er sich ein Leben wie zu der Zeit, in der Bea noch nicht kannte, gar nicht mehr vorstellen konnte. Genaugenommen konnte er sich ein Leben ohne Bea überhaupt nicht mehr vorstellen, aber ihm fehlte der Mut, ihr das zu sagen, und er beließ es daher dabei, ihr die Intensität seiner Gefühle mit seinem Gesichtsausdruck mitzuteilen.

Von beiden unbemerkt war die Bedienung an ihren Tisch getreten, Bea gewahrte sie als erste und zuckte sichtlich zusammen, doch die Frau behielt ihr höfliches Lächeln bei und stellte ungerührt die bestellten Vorspeisen auf den Tisch, wodurch der intime Moment nachhaltig unterbrochen wurde.

„Hast du eigentlich das mit der Radiomoderatorin in München gehört?", wollte Jannik wissen, während er die einzelnen Schälchen dekorativ auf dem Tisch verteilte.

Bea nickte. „Der haben sie gekündigt, oder? Finde ich etwas übertrieben."

Jannik zog die Brauen hoch, was seinem Gesicht einen zweifelnden Ausdruck verlieh, bevor er widersprach.

„Kann ich nicht finden. So einen Satz bringt man einfach nicht, schon gar nicht im Radio mit seiner Reichweite!"

Doch Bea wiegelte nur unbeteiligt ab.

„Die wusste doch gar nicht, was sie da sagt - Arbeit macht frei. War weit vor ihrer Zeit passiert."

Entrüstet richtete sich Jannik auf und legte das Besteck, das er schon an sich genommen hatte, wieder vor sich ab.

„Die ist wohl älter als ich. Und ich kenne diesen Satz!", empörte er sich und hatte für solche Ignoranz kein Verständnis. „In Deutschland gehört das zum Allgemeinwissen."

Seine heftige Reaktion überraschte Bea, die den Vorfall durchaus entspannter sah, aber mit einem besänftigenden Lächeln entgegnete sie:

„Wahrscheinlich wollte sie einfach nur die Zuhörer trösten, die am Wochenende arbeiten mussten."

Doch Jannik schüttelte energisch den Kopf, verschränkte die Arme vor der Brust und verkündete mit der Bestimmtheit desjenigen, der sich auf der richtigen Seite wähnt:

„Auf so einen Satz kommt man nicht aus heiterem Himmel. Entweder man kennt ihn und verwendet ihn daher nicht, oder man kennt ihn und setzt ihn bewusst ein. Und in dem Fall passt man nicht zu einem Sender, der sich gegen Rechts engagiert."

Bea fühlte sich zum Widerspruch ermuntert, legte die Hände flach auf den Tisch und neigte sich unwillkürlich leicht in seine Richtung.

„Das kann ja sein, dass sie dann da nicht hinpasst, aber dennoch kann man sie doch nicht einfach deswegen kündigen, weil sie möglicherweise eine andere Meinung vertritt!"

„Ist das die Juristin, die da spricht?"

„Nein, das war spontan."

Bea ließ sich wieder zurück an die Lehne sinken und dachte darüber nach, ob ein Privatsender, der das Bestreben hatte, sich gegen Rechts zu positionieren, eine bestimmte politische Einstellung seiner Mitarbeiter verlangen konnte.

Jannik lockerte die Arme und warf einen Blick auf die Vorspeisen vor ihnen, deren Düfte verheißungsvoll empor stiegen.

„Wir sollten essen, bevor es kalt wird", schlug er vor und setzte diesen Gedanken sofort in die Tat um, während Beas Gesichtsausdruck davon kündete, dass sie mit sich zu hadern schien, ob sie die Diskussion weiterführen oder schweigend beenden sollte. Dennoch war es Jannik, der den letzten Gedanken dann wieder aufnahm.

„Vielleicht ist die Kündigung nicht juristisch gerechtfertigt", räumte er ein wenig ruhiger geworden nachdenklich ein, nachdem er sich den ersten Bissen einverleibt hatte. „Aber sie setzt ein Zeichen, und das, denke ich, ist das Wichtigste hierbei."

„Das hieße ja, der Zweck heiligt die Mittel", konterte Bea und empfand bei diesem Gedanken leichte Empörung, die auch in ihrem Tonfall zum Vorschein kam, doch Jannik zuckte nur unbefangen mit den Schultern und hielt mit den Hinweis dagegen, dass es in der heutigen Zeit imminent wichtig war, eine klare Position zu beziehen.

„Sie kann ja ruhig dagegen vor Arbeitsgericht ziehen. Aber angesichts von Leuten, die den Holocaust auf eine bloße Fußnote reduzieren, ist es geradezu ein Gebot, den Anfängen zu wehren."

Die ruhige Intensität, mit der er nun seine Ansicht vorbrachte, gab ihr mehr Überzeugungskraft, aber dessen bedurfte es gar nicht.

„Damit hast du natürlich Recht", stimmte Bea zu und nickt bekräftigend, um anschließend jedoch etwas zu bedenken zu geben.

"Aber sollte sich die Kündigung als ungerechtfertigt herausstellen und sie das dann öffentlich machen, dann hat sie der Front gegen Rechts einen Bärendienst erwiesen. Außerdem ist schon die Aussprache der Kündigung Wasser auf die Mühlen derer, die behaupten, nicht mehr alles sagen zu dürfen!"

Jannik runzelte nachdenklich die Stirn und sah kurz auf den Wandteppich zu seiner Linken, um seine Gedanken zu fokussieren, dann bemerkte er langsam:

„Also bei dem, was manche Leute von sich geben, besonders im Netz, frage ich mich tatsächlich, warum das noch unter Meinungsfreiheit fällt..."

Sein Magen knurrte vernehmlich, dessen Verlangen nach Nahrung er mit einem weiteren Bissen Abhilfe zu schaffen gedachte, indes Bea nun engagiert entgegnete:

„Meinungsfreiheit ist absolut, das kann nicht den Äußerungen abgesprochen werden, die einem nicht passen."

„Also hör mal", fuhr Jannik auf und warf Bea einen entrüsteten Blick zu, „Wenn da zu Vergewaltigung aufgerufen wird oder jemandem mit dem Tod gedroht wird, dann kann das doch nicht unter Meinungsfreiheit fallen!"

„Das ist nicht ganz so einfach", relativierte Bea und guckte zu seiner Erleichterung betreten. „Eine Äußerung muss schon eine Aufforderung zur Straftat sein, um nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt werden, und das wird manchmal verschieden interpretiert. Im Internet besteht dann auch noch das Problem, dass da ja viele Äußerungen anonym gemacht werden. Beleidigungen und Volksverhetzungen fallen aber nicht mehr unter Meinungsfreiheit und auch Verherrlichung des Nationalsozialismus und Leugnung des Holocausts nicht."

Es klang ein bisschen nach Vorlesung, dennoch hörte er zu ohne zu unterbrechen, bis sie fertig war.

„Immerhin. Aber wenn viele solcher Kommentare interpretationswürdig sind, dann ist das doch Mist! Das schützt die, die bedroht werden, ja gar nicht!", bemängelte er dann frustriert."

„Na ja, die Verfasser des Grundgesetztes waren eben der Meinung, dass der Diskurs der verschiedenen Meinungen die Basis für eine Demokratie ist und sie in der Lage sein sollte, auch anderslautende Meinungen, die z.B. die Demokratie abschaffen wollen, auszuhalten. Daher haben sie dem Verbot enge Grenzen gesetzt. Und bei Hate Speech im Internet muss man dann eben mehr Nachverfolgung arrangieren."

Auch Bea wirkte nicht sehr glücklich mit dieser Sachlage, sie zog eine unwillige Grimasse, doch mit einem Lachen, das die Diskussionsatmosphäre dann ein wenig lockerte, forderte sie ihn auf:

"Dafür kannst du dann ja sorgen, wenn du im Parlament bist."

„Worauf du dich verlassen kannst!", versprach Jannik energisch und setzte mit diesen Worten einen Schlusspunkt unter ihre Unterhaltung, was es ihnen erlaubte, sich nunmehr voll und ganz von den vor ihnen liegenden Gerichten verwöhnen zu lassen.

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