Kapitel 42
Sobald sie das Treppenhaus betraten, zog Bea ihre Schuhe aus und machte Anstalten, ohne sie weiter zu gehen.
„Wieso ziehst du die immer an, wenn du so darunter leidest?"
Verständnislos schüttelte Jannik den Kopf und drückte auf den Fahrstuhlknopf, die Tür sprang unvermittelt auf, da der Fahrstuhl ihrer bereits harrte.
„Verstehst du nicht, Frauensache", nuschelte Bea und lehnte sich im Fahrstuhl schläfrig an ihn.
Mit einem leisen, piepsenden Ton hielt der Fahrstuhl im Stockwerk unterhalb ihrer Wohnung.
„Ich kann dich doch nicht so die dreckige Treppe hochgehen lassen", wandte Jannik ein und hob sie mit einem Ruck in Gentleman-Fasson hoch, dessen Plötzlichkeit Bea zu einem überraschten Aufschrei veranlasste, und stolperte aus dem Fahrstuhl.
Beas Hand fuhr zu einem Lichtschalter, der das ganze Treppenhaus in so gleißendes Licht tauchte, dass Jannik kurz die Augen schließen musste, dann legten sich unter einem bewundernd gemurmelten mein starker Mann ihre Hände haltsuchend um seinen Nacken, während Jannik die erste Stufe nahm und sogleich den Fehler seiner Einschätzung erkannte, denn die mangelnde Balance und die im Tragen ungeübten Armmuskeln führten zu einer unheiligen Allianz. Mit schierer Willenskraft nahm er keuchend die nächste Stufe, nicht bereit, Bea die Überschätzung seiner Kraft einzugestehen, und so war es unvermeidlich, dass er bei der dritten Stufe in die Knie ging und sie dann beide mit Getöse gegen das Treppengeländer fielen.
„Autsch!"
Beas kurzer Aufschrei ging angesichts der absurden Situation gleich darauf in ein Kichern über und zu Janniks Erleichterung hatte sie sich offenbar nichts getan, während er den pochenden Schmerz in seiner Hüfte unwirsch als zukünftigen blauen Fleck abtat. Bea ließ sich auf die Treppenstufe rutschen und sah sich verlegen um, aber keine Tür öffnete sich, um sich über den Lärm mitten in der Nacht zu beschweren.
„Wegen dir kriege ich noch Ärger mit den Nachbarn", drohend hob sie den Zeigefinger, musste aber schon wieder kichern. „Ich geh wohl besser alleine."
In seiner Ehre gekränkt wiegelte Jannik ab.
"Nein, warte, ich muss dich nur anders tragen."
Er zog sie auf die Füße, umfasste ihre Beine und hievte sie dann hoch, so dass sie lachend halb über seiner Schulter lag und so gelang es ihnen, den Rest der Treppen zurückzulegen. Bea kramte in ihrer Tasche nach dem Schlüssel und bekam die Tür überraschend schnell auf, was sie mit einem verwunderten "Ich habe wohl nicht richtig abgeschlossen" kommentierte, dann zog sie ihn in den Flur und ließ die Tür unbedacht geräuschvoll in Schloss fallen, ohne sich in ihrer Wohnung die Mühe zu machen, das Licht anzuknipsen. Stattdessen drängte sie sich an ihn, zog seinen Kopf zu sich hinunter und küsste ihn mit einer Vehemenz, die seinen Puls in schwindelerregende Höhen trieb und Blut in die einzige Region pumpte, die jetzt wichtig war.
„Ich weiß noch nicht mal, wo dein Schlafzimmer ist", brachte Jannik schließlich angetörnt heraus und knöpfte in der Manier desjenigen, der sich der Erlaubnis sicher war, ihre Bluse auf.
„Stimmt", gab Bea zu. "Aber für das, was wir vorhaben, ist ein Schlafzimmer keine unbedingte Voraussetzung..."
Sie beendete ihren Satz mit einem vielversprechenden Unterton, und mit dem sich langsam an die Dunkelheit gewöhnten Blick sah er ihre verräterisch glänzenden Augen.
„Dennoch..." Bea lachte vergnügt, „Es ist eine Premiere, dass du bei mir übernachtest. Deshalb hole ich noch etwas..."
Sie wand sich aus seinen Armen und verschwand in Richtung Küche, während Jannik die Augen schloss und in Vorfreude auf das, was ihn erwartete, Bilder durch seinen Kopf ziehen ließ.
Beas erschreckter Aufschrei riss ihn aus seiner Träumerei und bevor er das Gefühl, das ihn durchfuhr, benennen konnte, rannte er ihr hinterher zur Küche.
„Bea?!"
„Alles gut", hörte er dann ihre Stimme, etwas höher als sonst, noch bevor er an der Küche anlangte und ein Blick in den Raum werfen konnte, der wegen des durch ein Fenster einfallenden Lichts einer Straßenlaterne ein wenig heller als der Flur war.
Was er mit seinen Augen erfasste, ließ ihn sofort nüchtern werden und jeden amourösen Gedanken im Keim ersticken: Am Küchentisch, im direkten Lichtkegel der Laterne, in T-shirt und Boxershorts gehüllt, stand Jonas. Jannik unterdrückte ein Knurren, denn seit ihrem letzen Zusammentreffen war er nicht mehr gut auf Beas Sohn zu sprechen und hatte letztes Wochenende nur mit Mühe eine indifferente Neutralität bewahrt, nicht zuletzt unterstützt von der Tatsache, dass Jonas sogleich in seinem Zimmer verschwunden war und sich so dann wenig wie möglich hatte blicken lassen.
Er konnte damit leben, dass Jonas ihn auf einmal nicht mehr zu mögen schien, was ihn aber zornig machte war die Tatsache, wie dieser über seine Mutter sprach, und natürlich hatte Jonas genau richtig kalkuliert. Jannik hütete sich, Jonas' Verhalten bei Bea anzusprechen, um ihr Kummer zu ersparen.
Dennoch kam er nicht umhin zu bemerken, dass Jonas im Moment einen bedrückten und unsicheren Eindruck machte, was ihn wie das halbe Kind aussehen ließ, das er mit seinen dreizehn Jahren noch war. Doch schon einen Augenblick später verzog sich dessen Gesicht zu einer angewiderten Herablassung, als Bea, vor dem Kühlschrank und somit fern des Lichteinfalles stehend, wissen wollte:
"Warum hast du dich nicht bemerkbar gemacht?"
„Oh, ich glaube, ihr hattet Besseres zu tun", kam es sarkastisch zurück und mit einem Blick, der Bände sprach, glitten seine Augen hastig über Beas halb geöffnete Bluse, die mehr preisgab, als ein Teenager von seiner Mutter zu sehen wünschte, und was Bea dazu veranlasste, schnell ihre Jacke über die Brust zu ziehen.
Jannik konnte sich lebhaft vorstellen, wie Bea angesichts dieser Äußerung erröten würde, was zu ihrem Glück jetzt jedoch von der Dunkelheit kaschiert wurde. Ihn selbst focht Jonas' Wahrnehmung nicht an, der Junge würde in dem Alter mit Sicherheit schon das ein oder andere gehört oder gesehen haben.
„...bist du eigentlich hier?", hörte Jannik den Rest von Beas Frage und lehnte sich an den Türrahmen, um der Dinge zu harren, die noch kommen würden.
„Streit mit Oma und Opa", gab Jonas knapp zurück und drehte dann die Frage um: "Wieso bist du nicht bei ihm?"
Dabei drehte er kurz den Kopf, kein bisschen überrascht, Jannik an der Tür stehen zu sehen, er musste ihn schon länger bemerkt haben, und er warf Jannik einen bösen Blick zu, als sei dieser an allem Schuld.
„Weil ich hier freitags normalerweise alleine bin!", gab Bea spitz zurück, die Verärgerung in ihrer Stimme gerade so kaschierend. „Und ich dir keine Rechenschaft schuldig bin."
Sie warf Jannik durch die Küche hinweg einen Blick zu, in dem Frustration und Entschuldigung lagen und zuckte resigniert mit den Schultern. Jannik verstand die wortlose Aufforderung und zog sich zurück in den Flur, knipste das Licht an und suchte nach Beas Zimmer, das er nach zwei vergeblich geöffneten Türen schließlich fand.
Es war ein kleiner Raum, der nur aus einem einzelnen Futonbett, hinter dem sich ein großer Fächer erstreckte, und einem geräumigen Kleiderschrank zu bestehen schien. Die Gardinenschals nahmen die Grün- und Brauntöne des Fächers auf und verwandelten sich zu einem Schilfgrün und unterstrichen damit das geschmackvolle Design des Raumes. Drei Bücher lagen säuberlich gestapelt auf einem Nachttisch und auf der gegenüberliegenden Seite des Bettes befand sich eine ganze Fotogalerie, die Jonas und Hannah in verschiedenen Stadien ihres Werdeganges zeigten.
Jannik seufzte tief und ließ sich auf das Bett fallen. Er hatte das Gefühl, die Herausforderung, die darin lag, mit einer Frau zusammen zu sein, die Kinder hatte, doch ein wenig unterschätzt zu haben. Aber bevor er diesen Gedanken weiter verfolgen konnte, hatte ihn die Müdigkeit übermannt, und als Bea schließlich ins Schlafzimmer trat, fand sie ihren Freund tief und fest schlafend vor.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top